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Dermatologie - die fortschrittlichste Disziplin in der Medizin Wer ist sich bewusst, dass über zwanzig Therapien mit Zytokinen, Zytokin-Antagonisten und Antikörpern, auch Biologika genannt, für die Behandlung von häufigen und seltenen Erkrankungen der Haut zur Verfügung stehen und weitere in Kürze hinzukommen werden? Vor 15 Jahren waren es etwa fünf derartige Biologika. Grundlage dieser schnellen Entwicklung ist die Erkenntnis, dass Zell-Zell-Interaktionen und so auch Immunreaktionen nicht starr verlaufen, sondern prinzipiell biologisch flexibel sind, wie erstmals 1994 präklinisch an einer Modellkrankheit der multiplen Sklerose [1] und zehn Jahre später bei der Psoriasis für den Menschen gezeigt wurde [2]. Die Therapie mit Biologics ist eine differenzierte und komplexe Behandlung, vergleichbar der Tumortherapie. Gleichzeitig eröffnet sie therapeutische Chancen für Patienten, denen früher kaum geholfen werden konnte. Auch wenn nicht in jeder Praxis durchgeführt, wer könnte sich heute noch die Therapie mit TNF-Antagonisten bei schwerer Psoriasisarthritis oder der Psoriasis vom Hallopeau-Typ wegdenken? Bis zum Jahr 2000 konnten wir mit den klassischen Therapien bei diesen Psoriasismanifestationen keine wirksame Behandlung anbieten. Die schwere Psoriasis der Haut konnte schon lange mit Methotrexat und „Psoralen plus UVA“ (PUVA) wirksam behandelt werden. Doch alle Dermatologen, die vor 2000 diese schwerkranken Patienten betreuten, kennen die verzweifelten Schicksale derjenigen Patienten, die ständig unter eiternden Nägeln oder mutilierenden Arthritiden bis zum Verlust der Fingergelenke und der Funktion der Hände litten. Seit Einführung der TNF-Antagonisten ist dies Vergangenheit, da sie die Migration der gelenk- oder nagelzerstörenden neutrophilen Granulozyten ins Paronychium oder die Gelenke verhindern [3]. In dieser Ausgabe des JDDG beschreiben Gatzka und Scharffetter-Kochaneck die IL-17-produzierenden TH17-­ Zellen, ihre biologischen Funktionen und die Möglichkeit, diese Zellen in immunsuppressive oder entzündungsfördernde T-Lymphozyten zu überführen [4]. Die Übersicht ­beschreibt beispielhaft am IL-17, dass auch etablierte Immunantworten prinzipiell regulierbar bleiben und wie sich diese Regulation biologisch auswirkt. Welche Bedeutung hat dies für die tägliche dermatologische Praxis? Eine praktische Bedeutung besteht darin, dass IL-17 und IL-17-produzierende TH17-Zellen für die Kontrolle von Staphylokokken und Candida-Hefen verantwortlich sind. So ist die „krankheitsbedingte“ Unterdrückung der IL-17-Produktion bei atopischem Ekzem [5], und möglicherweise auch die therapiebedingte IL-17-Unterdrückung [6], eine mögliche

Martin Röcken

Ursache für Staphylokokken- und Candida-­ I nfekte. Auch können Störungen in der IL-17-Produktion zu signifikanten Infektneigungen wie dem Job-Syndrom ­führen [7]. Für die tägliche Praxis ist aber die Erkenntnis besonders wichtig, dass Immunantworten prinzipiell regulierbar sind. Dies ist die Grundlage für die Entwicklung zielgerichteter neuer Therapien wie schweres atopisches Ekzem, Psoriasis, metastasiertes Melanom – um bei den häufigsten Krankheiten zu bleiben. Ähnliche Entwicklungen finden sich für „Autoinflammationskrankheiten“, systemische Sklerodermien und andere Erkrankungen.

Wege zur Entwicklung von ­Immuntherapien Vor 20 Jahren begann besonders in der experimentellen Dermatologie die intensive Erforschung von T-Helfer (TH)-­ Lymphozyten und deren Botenstoffen, insbesondere den Interferon- (IFN-)-produzierenden TH1-Lymphozyten, den Interleukin-17 (IL-17-produzierenden TH17-Lymphozyten, den Interleukin-4 (IL-4)-produzierenden TH2-Lymphozyten und den immunsuppressiven, Interleukin-10 (IL-10)-produzierenden „regulatorischen“ Treg-Lymphozyten. Studien mit diesen vier Funktionstypen der T-Helfer-Lymphozyten, ­insbesondere an präklinischen Modellen für Erkrankungen des Menschen, zeigten sehr früh, dass es nicht primär „gutartige“ oder primär „gefährliche“ Immunzellen gibt. Es ist der klinische Zusammenhang, das Ziel, das diese Immunzellen erkennen, das entscheidet, ob die Immunantwort gut oder schädlich ist [1].

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So sind IFN- und TH1-Lymphozyten essentiell für die Kontrolle von Infektionen durch Viren, Mykobakterien, ­intrazelluläre Parasiten und Tumoren [8, 9], aber schädlich, wenn sie einen Lichen planus oder eine Psoriasis verursachen [2, 10–12]. Gleiches gilt für IL-17- und TH17-Lymphozyten: Sie sind essentiell für die Kontrolle von Staphylokokken- und Candida-Infekten [7], aber schädlich, wenn die TH17-Lymphozyten „Selbst-Antigene“ erkennen und im Rahmen von Autoimmunkrankheiten wie der Psoriasis produzieren IL-17 [5, 6, 12, 13]. Ausgehend von der Psoriasis wurde klar, dass TH17 und IL-17 auch bei anderen Autoimmunkrankheiten bei Mensch und Tier entscheidend sind, so auch bei der multiplen Sklerose [11, 13, 14]. IL-4 und TH2-Lymphozyten werden dagegen praktisch nie bei organspezifischen Autoimmunkrankheiten angetroffen [2]; sie sind ursächlich beteiligt an Krankheiten, die mit starker Eosinophilie und insbesondere mit hohem IgE einhergehen. Sie sind entscheidend für die IgE-Bildung und die Entwicklung von Rhinitis allergica und Asthma bronchiale, finden sich im atopischen Ekzem und sind nach neuesten Therapiestudien für die Entwicklung des atopischen Ekzems verantwortlich. So führt die Antikörper-basierte Hemmung der IL-4-Wirkung an der Haut zu einer signifikanten klinischen Besserung [15]. Im Bereich der TH17-vermittelten Krankheiten der Haut und ihrer Therapien sind die Erkenntnisse und therapeutischen Konsequenzen sehr weit fortgeschritten. Da der Phänotyp der TH17-Lymphozyten offensichtlich weniger stabil ist als jener der TH1-und TH2-Lymphozyten, könnten TH17-vermittelte Krankheiten sich besonders gut für neue Immuntherapien eignen. Schon innerhalb der Population der TH17-Lymphozyten gibt es jene, die entzündliche Krankheiten induzieren können, und solche, die hierzu nicht fähig sind. Die Entwicklung gewebezerstörender TH17-Lymphozyten benötigt drei Botenstoffe/Zytokine: IL-1, IL-6 und IL-23 [11]. Demzufolge wird eine Psoriasis, bei der IL-17 und TH17-Zellen nach allen Erkenntnissen eine entscheidende Rolle spielen, sowohl direkt durch IL-17-Antagonisten und Anti-IL-17-Rezeptor-Antagonisten gebessert als auch durch Antikörper, die gegen IL-23 gerichtet sind [19–21], da IL23 für die Induktion, besonders aber für die Stabilisierung, das heißt den Erhalt der krankmachenden IL-17-produzierenden TH17, wichtig ist [11]. Somit führen Antikörper, Zytokine und Medikamente, die IL-23 unterdrücken, zur Unterdrückung von IL-17 im Gewebe und einer Besserung der Psoriasis. Dazu zählen Antikörper-basierte direkte Inhibition, wie sie von IL-23p19-Antagonisten oder IL-12/ IL-23p40-Antagonisten ausgeübt wird. Da der Phänotyp der TH17-Lymphozyten durch IL-23 ständig stabilisiert werden muss, können Krankheiten auch durch Zytokine und „kleine Moleküle“ verhindert werden, die in den Antigen-präsentierenden Zellen, den Makrophagen und insbesondere den

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dendritischen Zellen der Haut, die IL-23-Produktion hemmen [13]. Dies erfolgt über IL-4 [6] und ist vermutlich der Grund dafür, dass im atopischen Ekzem kein IL-17 gefunden wird [5], obgleich das atopische Ekzem und Psoriasis beim gleichen Patienten, aber nicht gleichzeitig in der gleichen Lokalisation auftreten. Für die Praxis relevant ist, dass Fumarate offensichtlich nur dann die Psoriasis bessern, wenn sie gleichzeitig die IL-23-Produktion unterdrücken und somit die IL-17-Produktion in den TH17-Lymphozyten [13]. Da die Therapie mit Fumarsäure-Derivaten eine weit verbreitete Systemtherapie in der dermatologischen Praxis darstellt [22], zeigt dies beispielhaft, wie sich komplexe Immuntherapien in der täglichen Praxis teilweise schon etabliert haben.

Martin Röcken Korrespondenzanschrift Prof. Dr. med. Martin Röcken Universitäts-Hautklinik, Eberhard Karls Universität Liebermeisterstraße 25 72076 Tübingen E-Mail: [email protected]

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