Leitthema Nervenarzt 2014 · 85:427–436 DOI 10.1007/s00115-013-3934-1 Online publiziert: 26. März 2014 © Springer-Verlag Berlin Heidelberg 2014

K. Hüfner · B. Sperner-Unterweger Universitätsklinik für Biologische Psychiatrie, Department für Psychiatrie,   Medizinische Universität Innsbruck

Delir in der Neurologie Diagnose, Behandlung und Prognose

Das Delir ist ein klinisches Syndrom, unter dem die verschiedenen Symp­ tome einer ätiologisch unspezifischen Hirnfunktionsstörung zusammenge­ fasst werden. Das Wort „Delir“ wird umgangssprachlich oft mit „Alkohol­ entzugsdelir“ (F10.4) gleichgesetzt, in der vorliegenden Übersichtsarbeit wird jedoch das „Delir – nicht durch Al­ kohol oder andere psychotrope Subs­ tanzen bedingt“ (F05.-) beschrieben. Es tritt besonders häufig bei älteren Patienten mit körperlichen Erkran­ kungen auf. Viele Patienten erinnern sich an die Krankheitsepisode und er­ leben sie als emotionalen Stress [4]. Das Delir ist eine häufige Erkrankung. Während es in der Allgemeinbevölkerung selten vorkommt, entwickeln 14% der neurochirurgischen Patienten, 24% der Schlaganfallpatienten und bis zu 80% der Patienten auf einer Intensiv- oder Palliativstation ein Delir [1, 19, 28]. Unter „Delir“ werden auch die Begriffe „organisches Psychosyndrom“, „Durchgangssyndrom“, „delirante/akute Verwirrtheit“ oder manche Ausprägungen der „Enzephalopathie“ klassifiziert. Bei der somatisch-bedingten Enzephalopathie ist die delirante Symptomatik meist nur ein Teilsymptom [39]. Das Ungleichgewicht zwischen klinischer Bedeutung und wissenschaftlichen Ergebnissen ist beim Delir eindrücklich (. Tab. 1). Das Delir verursacht im amerikanischen Gesundheitssystem geschätzte Kosten von mehr als 100 Mrd. Dollar pro Jahr, vergleichbar den Kosten für Diabetes mellitus [20]. In den USA wurde das Delir als eine von drei Er-

krankungen identifiziert, für die die Versorgung verbessert werden soll [12].

ist mit einer höheren Mortalität assoziiert [16].

Diagnostische Kriterien des Delirs

Delir erkennen

In den aktuellen Versionen ICD (International Statistical Classification of Diseases and Related Health Problems)-10 (. Infobox 1) und DSM (Diagnostic and Statistical Manual of Mental Disorders) werden die Diagnosekriterien des Delirs beschrieben. Die Diagnosekriterien nach ICD-10 sind restriktiver als die des DSM [28]. Ein Problem der ICD-10-Kriterien stellt die Dauer der Symptome von 65 Jahren mit Delir und Fieber besteht selten eine (Meningo-)Enzephalitis als Ursache Erstmanifestationssymptom bei der Anti-NMDA-Rezeptor-  Enzephalitis Während der Kopfschmerzattacken, häufig assoziiert mit   Übelkeit, Photophobie und Sehstörungen Auslöser meist außerhalb des ZNS, aber strukturelle   Hirnschädigung Delir ist Teilsymptom der Enzephalopathie Postiktales Delir (Dauer nur Stunden bis ein Tag) Bei Patienten mit zerebraler Vorschädigung oder psychiatrischer Vorerkrankung häufiger und länger Risiko für Delir hängt mit Anzahl/Dauer der Anfälle zusammen Häufig hypoaktives Delir Risiko bei primären > sekundären Hirntumoren Zu Meningeosis in der Literatur keine Angaben

NIHSS National Institutes of Health Stroke Scale, NMDA N-Methyl-D-Aspartat, ZNS Zentralnervensystem.

Die Studien zur Multimorbidität wurden allerdings ohne Kontrolle für Polypharmazie oder Schwere der aktuellen Erkrankung durchgeführt. Polypharmazie.  Polypharmazie ist ein möglicher Risikofaktor für das Auftreten von Delir. Es gibt keine Studien, die den Effekt von Polypharmazie unabhängig von der Schwere der Krankheit und Komorbidität untersuchen, wodurch die Aussagekraft eingeschränkt ist. Weiterhin ist „Polypharmazie“ in den Studien unterschiedlich definiert. Viele weitere Krankheits-, Patientenund Umweltfaktoren wurden als mögliche Risikofaktoren für ein Delir untersucht.

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Ihre Bedeutung ist aktuell aufgrund fehlender Berücksichtigung konfundierender Faktoren oder fehlender Repräsentativität der Studien noch nicht gesichert. Mögliche weitere Risikofaktoren sind: F vorbestehende Depression, F funktioneller Status vor Aufnahme, F vorausgegangenes Delir, F männliches Geschlecht oder F genetische Faktoren.

Auslöser von Delir Es gibt eine Vielzahl von Krankheiten und Umgebungsfaktoren, die ein Delir auslösen oder aufrechterhalten können.

multifaktorielle Ätiologie [1, 14]. Dabei hängt es von der vorbestehenden Vulnerabilität einer Person (Anzahl der Risikofaktoren) und der Art der Noxe ab, ob es durch einen Auslöser zur Entwicklung eines Delirs kommt (. Abb. 2). So löst zum Beispiel eine Atropinintoxikation mit Tollkirschen auch bei jungen gesunden Personen ohne Risikofaktoren ein Delir aus, während eine intrakranielle Blutung nicht notwendigerweise mit einem Delir einhergehen muss und z. B. Schmerz oder Immobilisierung meist nur als Kofaktoren bei der Delirentstehung fungieren. Bei den Auslösern eines Delirs kann unterschieden werden, ob es sich um Pathologien handelt, die das Gehirn selbst betreffen (primäre Aulöser, . Tab. 2), oder um Pathologien, die außerhalb des Zentralnervensystems ihren Fokus haben und systemische Veränderungen die zerebralen Funktionsstörungen bedingen (sekundäre Aulöser, . Tab. 3). Risikofaktoren und Auslöser für ein Delir scheinen bei neurologischen Patienten mit den bereits untersuchten Faktoren übereinzustimmen [31]. Je mehr Risikofaktoren und Auslöser zusammenkommen, umso höher ist die Wahrscheinlichkeit für die Entwicklung eines Delirs [9].

Diagnostik Die Diagnosestellung des Delirs erfolgt klinisch. In einem weiteren Schritt müssen mögliche Auslösefaktoren identifiziert werden. Apparative Untersuchungen dienen der Identifizierung solcher Auslösefaktoren oder der Abgrenzung von Differenzialdiagnosen (. Tab. 4), nicht aber der Delirdiagnose selbst.

Testinstrumente zur Delirdiagnostik Es wurden inzwischen verschiedene diagnostische Instrumente zur Verbesserung der Delirdetektion entwickelt. Die CAM (Confusion Assessment Method) kann von Pflegepersonal durchgeführt werden [2]. Ein negatives Ergebnis in der CAM schließt ein Delir mit guter Sicherheit aus [28]. Die CAM–ICU ist für Patienten mit Kommunikationseinschränkungen geeignet [25]. Es gibt eine Vielzahl weiterer

funktionsparameter, thyreoideastimulierendes Hormon (TSH), Urinstatus.

Abb. 1 8 Risikofaktoren und Auslöser eines Delirs Abb. 2 9 Vulnerabilitätshypothese zur Delirentstehung. Bei hoher Vulnerabilität genügt ein schwacher Auslöser, um ein manifestes Delir auszulösen, während bei niedriger Vulnerabilität eine starke Noxe auftreten muss oder aber eine Kombination von Noxen. (Adaptiert nach [14])

Screeninginstrumente [8], z. B. die DOS (Delirium Observation Scale), die von der Pflege hauptsächlich durch die Beobachtung des Patienten durchgeführt werden kann. Die Delirschwere kann z. B. mit der MDAS (Memorial Delirium Assessment Scale) oder DRS (Delirium Rating Scale) gemessen werden. Wichtiger als die angewandte Methode ist, dass ein Screening überhaupt etabliert und regelmäßig durchgeführt wird. Es sollte bei Aufnahme des Patienten und dann bei Risikopatienten alle 8–24 h stattfinden [25, 28]. Der MMSE (Mini-Mental State Examina-

tion) oder der Uhrentest sind für die Delirdiagnostik nicht geeignet [28]. Folgende Basisuntersuchungen sollten bei jedem Patienten mit Delir stattfinden (nach [1, 9, 22]): F symptomorientierte internistische Untersuchung; F symptomorientierte neurologische Untersuchung; F Vitalzeichen; F Laboruntersuchungen. Basisdiagnostik mittels Elektrolyten, Blutbild, Blutzucker, Harnstoff und Kreatinin, Creaktives Protein, Leber- und Nieren-

Die Entscheidung für weitere diagnostische Maßnahmen muss in Zusammenschau der klinischen Symptomatik erfolgen (nach [1, 9, 22]): F Elektrokardiographie (EKG): Ausschluss kardiovaskulärer Delirursachen, EKG-Veränderungen bei Intoxikationen. Viele Medikamente, die zur symptomatischen Delirbehandlung verwendet werden führen zu QTc-Veränderungen; F Thoraxröntgen: Sinnvoll zur Fokussuche bei Infekt, Ursachensuche bei Hypoxämie; F Erweiterte Laboruntersuchungen: z. B. Medikamentenspiegel und Blutgasanalyse; F Herzecho: Ausschluss einer Endokarditis; F Zerebrale Bildgebung: Die Rate pathologischer zerebraler Bildgebungsbefunde ist beim Delir niedrig (ca. 14%; [11]). Patienten mit fokalneurologischem Defizit oder ausgeprägten quantitativen Bewusstseinsstörungen sollten immer eine zerebrale Bildgebung erhalten. Patienten ohne fokalneurologisches Defizit mit entweder Fieber oder Dehydratation haben zu 96% ein unauffälliges kraniales Computertomogramm (cCT) oder Magnetresonanztomogramm (cMRT), bei dementen Patienten liegt der Prozentsatz noch höher [11]; F Liquordiagnostik: Ausschluss inflammatorischer Ursachen oder auch einer Meningeosis. Sie sollte bei pathologischem klinisch-neurologischem Befund (ohne Nachweis einer erklärenden Ursache in der Bildgebung) und bei entzündlichen Auffälligkeiten im Labor, wenn kein anderer Fokus gefunden werden kann, durchgeführt werden [37]. Bei immunsupprimierten Patienten mit Delir sollte die Schwelle für eine Liquorpunktion (LP) niedriger angelegt werden. Bei unauffälligem LP-Befund können Neurodegenerationsmarker bestimmt werden, da diese für die Diagnose einer Demenz nach Abklingen des Delirs hilfreich sein können; Der Nervenarzt 4 · 2014 

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Leitthema Tab. 3  Beispiele für sekundäre Auslöser

Tab. 4  Wichtige Differenzialdiagnosen des Delirs. (Ergänzt nach [9])

eines Delirs. (Nach [9, 12, 21, 28])

Erkrankung Demenz

Vergiftung/Medikation Alkohol-/Benzodiazepinentzug Benzodiazepine (Midazolam ist weniger   delirogen als Lorazepam) Opioide Weitere Substanzklassen: Potenziell kommen alle Medikamente infrage; besonders delirogen sind Medikamente mit anticholinergem (Neben-)Wirkungsprofil, Kortikosteroide, Antibiotika Medizinische Krankheiten und Krankheitsfaktoren Metabolische Ursachen wie Dehydratation oder Leber/Niereninsuffizienz Schwerer Krankheitsverlauf Infekte Hypoxämie Konstipation und/oder Harnverhalt, Verwendung eines Blasenkatheters Operative Krankheiten und Krankheitsfaktoren Vorliegen einer Fraktur Operation: besonders vaskuläre Eingriffe Sedierung: evt. geringeres Risiko unter Dexmedetomidine. Allgemeine und regionale Anästhesieverfahren haben vergleichbares Delirrisiko; je tiefer die Sedierung, umso größer das Delirrisiko Umweltfaktoren Zimmerverlegungen, Fehlen einer Uhr/eines Kalenders im Zimmer, wenig Besuch von Angehörigen Fixierungen oder Immobilisierung durch   medizinische Maßnahmen wie z. B. i. v.   Medikation Aufnahme auf Intensivstation Patientenfaktoren Stress Schmerz Schlafstörungen Schlechter Ernährungsstatus

Nonkonvulsiver Status epilepticus

Dopa-induzierte Psychose Depression

Charakteristika zur Unterscheidung Längerer Verlauf ohne abrupten Beginn Keine quantitativen Bewusstseinsstörungen, selten Aufmerksamkeitsstörungen (außer Lewy-body-Demenz) Keine psychomotorischen Symptome Die Diagnose „Demenz“ kann nicht während des Delirs gestellt werden Oft Epilepsie bekannt Abrupter Beginn, wenig/keine Fluktuation Minimale Myoklonien, z. B. im Gesicht Elektroenzephalographie Keine quantitativen Bewusstseinsstörungen bei Psychose Besserung nach Reduktion der dopaminergen Medikation Keine quantitativen oder qualitativen Bewusstseinsstörungen Patienten sind oft unaufmerksam Gedächtnis prinzipiell intakt

Tab. 5  „Multicomponent Invervention“ zur nichtmedikamentösen Delirprävention. (Nach

[13, 24, 26, 28])a   Risikofaktor Demenz oder kognitive Defizite

Sensorische Defizite Polypharmazie Auslöser Infekte

Dehydratation/Elektrolytdysbalance Konstipation/Urinretention Schmerzen

Malnutrition

Schlaf

Hypoxie

Immobilität und verringerte Mobilität

Intervention Reorientierungshilfen: Uhr etc. Reorientierung verbal Zur geistigen Betätigung anregen Besuch von Angehörigen Bezugspersonen im Krankenhaus herstellen, Zimmerverlegungen vermeiden Reversible Ursachen beseitigen Hör/Sehhilfen Regelmäßige Medikamentenevaluation Prävention von Infektionen Infekte frühzeitig erkennen und behandeln Katheterisieren vermeiden Genug Flüssigkeit, evt. i.v. oder s.c. Elektrolyte ausgleichen Auf Dysfunktion screenen und ggf. behandeln Blasenkatheter möglichst kurz belassen Regelmäßiges Screening nach Schmerz Auf nichtverbale Schmerzsignale achten Schmerzmedikation regelmäßig anpassen Auf ausreichende Nährstoff-, Vitamin- und   Spurenelementezufuhr achten Gebiss einsetzen Vermeiden von ärztlichen oder pflegerischen   Interventionen zur Schlafenszeit Reduzierung von Lärm Sauerstoffsättigung überprüfen Sauerstoffgabe Systolischen Blutdruck ggf. anheben, Bluttransfusion Aktivität auch im Sitzen/Liegen unterstützen Physiotherapie frühzeitig beginnen und Gehhilfen   bereitstellen

aDurch nichtmedikamentöse Interventionen können 40% der Delire vermieden werden [13].

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F Elektroenzephalographie (EEG): Keine pathognomonischen Veränderungen. Es ist allerdings hilfreich bei der Abgrenzung vom nonkonvulsiven Status epilepticus. Die häufigsten EEG-Veränderungen bei Delir sind generalisierte Verlangsamungen oder ein Verlust des Grundrhythmus.

Hypothesen zur Pathophysiologie Die zugrunde liegenden pathophysiologischen Mechanismen des Delirs sind noch unklar. Bisher wurden spezifische Theorien oder pathologische Prozesse, wie Dopaminüberschuss, Acetylcholin-Defizit oder auch klinische Beobachtungen und empirische Daten wie Schlafentzug, Medikamentenwirkungen oder intraoperative Hypoxie, in den Mittelpunkt der ätiopathogenetischen Überlegungen gestellt. Es ist jedoch zunehmend klar, dass kein einzelner pathophysiologischer Mecha-

nismus ausreicht, um die komplexen Vorgänge des Delirs zu erklären. Vielmehr rufen gleichzeitig komplementäre und sich gegenseitig beeinflussende pathophysiologische Abläufe eine biochemische Beeinträchtigung hervor, die wir als klinisches Phänomen des Delirs erkennen. Systemische entzündliche Prozesse oder Infektionen wurden in vielen Untersuchungen als Auslöser deliranter Symptomatik beschrieben. Dieser neuroinflammatorischen Hypothese liegen Interaktionen zwischen neuroendokrinem System und Immunsystem zugrunde. Daneben bestehen aber auch enge pathophysiologische Verbindungen zum neuronalen Alterungsprozess sowie zu metabolischen Veränderungen neuronaler Strukturen (oxidativer Stress). Die neuroendokrine Hypothese des Delirs stellt erhöhte Glukokortikoidspiegel und damit verbunden eine ausgeprägte neuronale Empfindlichkeit gegenüber metabolischen Veränderungen in den Mittelpunkt. Weiters be-

legen klinische Beobachtungen sowie Studien, dass Schlafverminderung und Störungen des Schlaf-Wach-Rhythmus mit dem Auftreten deliranter Symptomatik einhergehen. Melatonin, das relevante chronobiologische Effekte hat, beeinflusst die Entwicklung eines Delirs.

»

Verschiedene Prozesse verändern die Neurotransmittersynthese und -verfügbarkeit Diese unterschiedlichen Einflussfaktoren, die endokrinologische, immunologische, neuroinflammatorische und metabolische Prozesse umfassen, führen schließlich zu einer gemeinsamen Endstrecke, die auf Veränderungen der Neurotransmittersynthese und -verfügbarkeit beruht und die klinische Symptomatik des Delirs bedingt. Die Neurotransmitterauffälligkeiten sind nicht einheitlich.

Leitthema Tab. 6  Medikamentöse Delirtherapiea Medikament Risperidon

Applikation p.o.

Dosierung 0,15–1 mg 2× tägl

Dosiserhöhungb Alle 1–2 h wdh Wir empfehlen max. 4 mg/Tag

Quetiapin

p.o.

25–50 mg 2× tägl

Nach 1,5 h wdh Wir empfehlen max. 200 mg/ Tag

Olanzapin

p.o.

2,5 mg 1× tägl

Nach 5–8 h wdh Max. 20 mg/Tag

i.m.

2,5–5 mg 1× tägl

Nach 15–45 min wdh Nicht mehr als 3 Injektionen/24 h

p.o.

0,5–2 mg 2× tägl

Nach 2–6 h wdh Wir empfehlen max. 20 mg/Tag

i.m.

0,5–2 mg 2× tägl

Nach 20–60 min wdh

p.o.

5–15 mg 1× tägl

Nach 3–5 h wdh Max. 30 mg/Tag

i.m.

9,75 mg 1× tägl

Nach 1–3 h wdh Max. 30 mg/Tag, max. 3 Injektionen/24 h

Haloperidol

Aripiprazol [3]

Wichtige ausgewählte Nebenwirkungen/Besonderheiten Extrapyramidal motorische NW Wenig sedierend Dosisreduktion bei Niereninsuffizienz Zugelassen zur Behandlung der anhaltenden Aggression von   Patienten mit mäßiger bis schwerer Alzheimer-Demenz Relativ gut bei M. Parkinson Orthostatische Hypotonie Blutbildveränderungen Kardiale Nebenwirkung (QTc) Anticholinerge NW Blutbildveränderungen Stärker sedierend, nicht bei hypoaktivem Delir Laut Zulassung nicht bei Patienten mit Demenz empfohlen Siehe oben Zusätzlich Hypotonie NW durch Injektion Nicht mit i.v. Benzodiazepinen kombinieren Extrapyramidal motorische NW (nicht wenn weniger als 4,5 mg/Tag), nicht bei Patienten mit M. Parkinson Kardiale NW (QTc) Orthostatische Hypotonie Vorsicht besonders bei Leberinsuffizienz Zugelassen zur Behandlung psychomotorischer Erregungszustände Siehe oben Zusätzlich lokale NW durch Injektion Gut bei hypoaktivem Delir Laut Zulassung nicht bei Patienten mit Demenz empfohlen Siehe oben Zusätzlich lokale NW durch Injektion

wdh Wiederholung, tägl täglich, p.o. per os, i.m. intramuskulär, NW Nebenwirkung.aDie Tabelle wurde nach Fachinformation und [8, 12, 33] erstellt. bZeitintervall bis zur max. Plasmakonzentration nach Fachinformation. Bei älteren und/oder dementen Patienten immer mit der niedrigsten Dosis beginnen. Nur in Notfällen anzuwenden ist Haloperidol i.v. (nur unter EKG-Monitoring). Benzodiazepine nur, wenn eine Antipsychotikatherapie nicht möglich ist oder bei Alkohol-/Medikamentenentzug [1]. Phenothiazinderivate sind aufgrund der anticholinergen Wirkkomponente nicht empfehlenswert. Für Amisulpirid und Ziprasidon ist die Evidenz noch geringer als für die o. g. Medikamente.

Zusammengefasst handelt es sich um eine verminderte Verfügbarkeit von Acetylcholin und Melatonin und einen Überschuss von Dopamin, Noradrenalin, und/ oder Glutamat. Bezüglich Serotonin, Histamin und γ-Amino-Buttersäure sind Veränderungen in beiden Richtungen zu erheben. Diese komplexen ineinandergreifenden pathophysiologischen Abläufe erklären auch, warum eine effektive Delirprophylaxe und -behandlung so schwierig ist. In einem rezenten Review von Maldonado [23] werden aktuelle Hypothesen zur Delirentwickelung zusammengefasst und auch mögliche Interaktionen zwischen den beteiligten biologischen Systemen diskutiert.

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Delirprävention Viele Empfehlungen zur nichtmedikamentösen Delirprävention sind nicht in wissenschaftlichen Studien geprüft (z. B. persönliche Gegenstände mitbringen), andere aber nur als Teil einer „multicomponent intervention“ untersucht (. Tab. 5, [13, 24, 28]). Spezielle Stationen, die Umweltfaktoren auf ältere und delirgefährdete Personen abstimmen, erreichen bessere Behandlungsergebnisse [18]. Studien zur medikamentösen Prophylaxe und Therapie des Delirs wurden nicht an einem neurologischen Patientenkollektiv durchgeführt. Insgesamt gibt es wenig hochwertige Studien. Eine medikamentöse Delirprävention kann aktuell nicht empfohlen

werden [19, 28]. Niedrig dosiertes Olanzapin, Haloperidol oder Risperidon (vergleichbar mit den unten gelisteten therapeutischen Dosen) kann möglicherweise Inzidenz oder Schwere des Delirs reduzieren, auch Circadin (Melatonin) wird in der Delirprävention untersucht [28, 35]. Acetylcholinesterase-Inhibitoren sollten ebenso wie Benzodiazepine (außer bei Alkohol- oder Benzodiazepinabhängigkeit) nicht verwendet werden [21, 28].

Therapie des Delirs Nichtmedikamentöse Therapie Sie orientiert sich an der „multicomponent intervention“ zur Vermeidung von

Delir, wobei die Evidenz für eine Verbesserung des Outcomes (z. B. kürzere Dauer des Delirs, weniger kognitive Defizite, weniger Aufnahmen in betreutes Wohnen) nicht so gut ist wie in der Anwendung zur Delirprophylaxe [6, 9].

Medikamentöse Therapie Die medikamentöse Delirtherapie ist eine symptomatische Therapie. Primär sollten die zugrunde liegende Störungen behoben oder behandelt und nichtmedikamentöse Therapieoptionen ausgeschöpft werden [28]. Die medikamentöse Therapie sollte so kurz (eine Woche oder weniger) und niedrig dosiert wie möglich durchgeführt werden. Sicher nachgewiesene Unterschiede in der Wirksamkeit zwischen den unterschiedlichen Antipsychotika gibt es nicht, und zumindest Haloperidol, Ris­ perdal, Olanzapin und Quetiapin scheinen eine vergleichbare Wirksamkeit zu haben [25]. Ob es durch eine solche Antipsychotikatherapie zu einer Verbesserung der Prognose des Delirs kommt, ist derzeit noch unklar [7, 10]. Möglicherweise geht der Gebrauch von Antipsychotika bei Patienten mit Demenz mit einem höheren Risiko für Schlaganfall und erhöhter Mortalität einher [28]. Ob es sich dabei um klinisch relevante Befunde, besonders auch unter dem Aspekt der Kurzzeittherapie bei Delir handelt, ist aktuell unklar [5]. Der Einsatz von Antipsychotika zur Delirbehandlung ist meist „offlabel“ (. Tab. 6). Die Erstellung einer Therapiehierarchie der verfügbaren Antipsychotika ist aufgrund der heterogenen Datenlage nicht möglich.

fizite und vermehrte Einweisungen in betreutes Wohnen [9, 28, 38].

Fazit für die Praxis F Das Delir ist eine akut auftretende, globale Hirnfunktionsstörung, die durch Beeinträchtigung des Bewusstseins und der Aufmerksamkeit, der Wahrnehmung, des Denkens, des Gedächtnisses, der Psychomotorik, der Emotionalität und des Schlaf-WachRhythmus gekennzeichnet ist. F Risikofaktoren sind besonders höheres Alter und kognitive Störungen. F Auslösefaktoren sind primäre strukturelle Hirnerkrankungen oder sekundäre Auslöser wie z. B. Medikamente, Infekte oder Umweltfaktoren. F Die Diagnose „Delir“ wird klinisch gestellt. Eine körperliche und Laboruntersuchung sowie die Bestimmung der Vitalwerte sind bei allen Patienten notwendig. Ein Überblick über die aktuelle Medikation ist grundlegend. Zerebrale Bildgebung, EEG und Liquorpunktion gehören nicht zur Standarddiagnostik bei Delir. F Die Prävention des Delirs erfolgt durch nichtmedikamentöse Maßnahmen. F Die Therapie des Delirs erfolgt durch Behandlung der Ursache sowie symptomatisch durch nichtmedikamentöse Maßnahmen und Antipsychotika in niedriger Dosierung. F Das Delir ist mit einer erhöhten Mortalität und längerfristigen kognitiven und funktionellen Defiziten assoziiert.

Prognose des Delirs

Korrespondenzadresse

Ein Delir kann ohne Folgen für den Patienten bleiben [8]. Sollte dies nicht der Fall sein, so kommt es zu kurzfristigen Folgen, wie einem längeren und komplikationsreicheren Krankenhausaufenthalt und einer erhöhten Mortalität im Krankenhaus [9, 28]. Die längerfristigen Folgen sind eine erhöhte Mortalität nach Krankenhausentlassung, das Entstehen einer demenziellen Entwicklung oder die Akzeleration einer vorbestehenden kognitiven Verschlechterung, funktionelle De-

PD Dr. K. Hüfner Universitätsklinik für Biologische Psychiatrie,   Department für Psychiatrie,   Medizinische Universität Innsbruck Anichstr. 35, 6020 Innsbruck Österreich [email protected]

Danksagung.  Die Autorinnen möchten sich bei Dr. Claudia Kohl und Prof. Lars Keller für die kritische Durchsicht des Manuskripts bedanken.

Einhaltung ethischer Richtlinien Interessenkonflikt.  K. Hüfner und B. Sperner-Unterweger geben an, dass kein Interessenkonflikt besteht.     Dieser Beitrag beinhaltet keine Studien an Menschen oder Tieren.

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Fachnachrichten 18.  Landefeld CS, Palmer RM, Kresevic DM et al (1995)  A randomized trial of care in a hospital medical unit  especially designed to improve the functional outcomes of acutely ill older patients. N Engl J Med  332:1338–1344 19.  Leentjens AF, Rundell J, Rummans T et al (2012) Delirium: an evidence-based medicine (EBM) monograph for psychosomatic medicine practice, comissioned by the Academy of Psychosomatic Medicine  (APM) and the European Association of Consultation Liaison Psychiatry and Psychosomatics (EACLPP).  J Psychosom Res 73:149–152 20.  Leslie DL, Inouye SK (2011) The importance of delirium: economic and societal costs. J Am Geriatr Soc  59(Suppl 2):S241–S243 21.  Lonergan E, Luxenberg J, Areosa Sastre A (2009)  Benzodiazepines for delirium. Cochrane Database  Syst Rev CD006379 22.  Lorenzl S, Fusgen I, Noachtar S (2012) Acute confusional states in the elderly – diagnosis and treatment. Dtsch Arztebl Int 109:391–399 23.  Maldonado JR (2013) Neuropathogenesis of delirium: review of current etiologic theories and common pathways. Am J Geriatr Psychiatry 21:1190– 1222 24.  Marcantonio ER, Flacker JM, Wright RJ et al (2001)  Reducing delirium after hip fracture: a randomized  trial. J Am Geriatr Soc 49:516–522 25.  Martin J, Heymann A, Basell K et al (2010) Evidence and consensus-based German guidelines for the  management of analgesia, sedation and delirium in  intensive care – short version. Ger Med Sci 8:Doc02 26.  Mccusker J, Cole M, Abrahamowicz M et al (2001)  Environmental risk factors for delirium in hospitalized older people. J Am Geriatr Soc 49:1327–1334 27.  Mcmanus J, Pathansali R, Stewart R et al (2007)  Delirium post-stroke. Age Ageing 36:613–618 28.  National Clinical Guideline Centre (2010, evidence  update 2012) Delirium: diagnosis, prevention and  management (Clinical Guideline 103). In: National  Clinical Guideline Centre, London 29.  Ostgathe C, Gaertner J, Kotterba M et al (2010) Differential palliative care issues in patients with primary and secondary brain tumours. Support Care  Cancer 18:1157–1163 30.  Punja M, Pomerleau AC, Devlin JJ et al (2013) Anti-N-methyl-D-aspartate receptor (anti-NMDAR) encephalitis: an etiology worth considering in the differential diagnosis of delirium. Clin Toxicol 51:794– 797 31.  Ruiz Bajo B, Roche Bueno JC, Seral Moral M et al  (2013) Incidence and predictive factors of delirium  in hospitalised neurological patients. Neurologia  28:356–360 32.  Schusse CM, Peterson AL, Caplan JP (2013) Posterior  reversible encephalopathy syndrome. Psychosomatics 54:205–211 33.  Schwartz TL, Masand PS (2002) The role of atypical  antipsychotics in the treatment of delirium. Psychosomatics 43:171–174 34.  Siddiqi N, House AO, Holmes JD (2006) Occurrence and outcome of delirium in medical in-patients:  a systematic literature review. Age Ageing 35:350– 364 35.  Teslyar P, Stock VM, Wilk CM et al (2013) Prophylaxis with antipsychotic medication reduces the risk of  post-operative delirium in elderly patients: a metaanalysis. Psychosomatics 54:124–131 36.  Velez A, Mckinney JS (2013) Reversible cerebral vasoconstriction syndrome: a review of recent  research. Curr Neurol Neurosci Rep 13:319 37.  Warshaw G, Tanzer F (1993) The effectiveness of  lumbar puncture in the evaluation of delirium and  fever in the hospitalized elderly. Arch Fam Med  2:293–297

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38.  Witlox J, Eurelings LS, De Jonghe JF et al (2010) Delirium in elderly patients and the risk of postdischarge mortality, institutionalization, and dementia: a  meta-analysis. JAMA 304:443–451 39.  Zampieri FG, Park M, Machado FS et al (2011) Sepsis-associated encephalopathy: not just delirium.  Clinics 66:1825–1831

Preisausschreibung der Anna­Monika­Stiftung Bereits zum 25. Mal wird von der Anna-Monika-Stiftung ein Preis zur Erforschung der  biologischen Grundlagen und Funktionsstörungen der Depression ausgeschrieben,  dotiert mit 25.000 Euro. Die Arbeiten sollen in enger Verbindung  mit einer psychiatrischen Fachklinik bzw.  einer Universität oder einem gleichwertigen wissenschaftlichen Institut entstehen.  Sie sollen bedeutsame Erkenntnisse enthalten, die geeignet sind, therapeutische  Verfahren zu fördern und neue Wege zu  eröffnen. Bisher unveröffentlichte Studien  oder Arbeiten, die innerhalb der letzten  zwei Jahre in einer international anerkannten Fachzeitschrift veröffentlicht wurden,  können ebenfalls eingereicht werden. Formale Anforderungen: F Einreichung in englischer Sprache F Lebenslauf, Publikationsliste  F  Einreichung von max. drei Veröffentlichungen mit zusammenfassender Darstellung (ca. 600 Wörter) Einsendeschluss: 31. August 2014 Bitte ausschliesslich per E-Mail an: Professor Dr. Rainer Rupprecht ([email protected]) Die Entscheidung über die Preisvergabe  erfolgt bis Ende November 2014. Die Kommission kann, falls ausreichende Arbeiten  nicht vorliegen, auf eine Preisverteilung  verzichten. Qualifizierte Bewerbungen  werden von Einzelpersonen angenommen,  es werden jedoch auch Nominierungen  von Dritten gewünscht. Bei einer Gruppenbewerbung ist der spezifische Beitrag eines  jeden Mitglieds deutlich darzulegen. Quelle: Anna-Monika-Stiftung, Düsseldorf (www.anna-monika-stiftung.com)

[Delirium in patients with neurological diseases: diagnosis, management and prognosis].

Delirium is a common acute neuropsychiatric syndrome. It is characterized by concurrent disturbances of consciousness and attention, perception, reaso...
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