Referiert – kommentiert

Referat

A. Altiner

Verzögerte Antibiotikagabe bei respiratorischen Infekten? Ref riert–kom entiert BMJ 2014; 348: g1606 Hintergrund: Akute Infektionen des Respirationstraktes sind der häufigste Grund, einen Hausarzt aufzusuchen. Da die rasche Beschwerdelinderung im Vordergrund steht, werden rasch Antibiotika verschrieben. Die zunehmende Verschreibung von Antibiotika führt aber zu einer deutlichen Zunahme von resistenten Keimen. Möglicherweise ist eine zurückhaltendere Verordnung von Antibiotika genauso effektiv. Methoden: Little et al. führten zu dieser Frage eine offene, randomisierte Studie in allgemeinmedizinischen Praxen in England durch, indem sie Strategien einer verzögerten Antibiotikaverschreibung untersuchten. Es wurden 889 Patienten im Alter von mindestens 3 Jahren eingeschlossen, die sich mit einer akuten Infektion des Respirationstraktes vorstellten. Diejenigen, bei denen keine sofortige Antibiotikatherapie für nötig erachtet wurde, wurden randomisiert in folgende Gruppen: Rezept nach wieder-

holtem Arztkontakt, auf ein späteres Datum ausgestelltes Rezept, Rezept bei Abholung und Rezept, das der Patient sofort bekommt mit dem Hinweis, möglichst mit der Einlösung zu warten (Patienten-gesteuert). Die fünfte randomisierte Gruppe bildeten die Patienten, denen kein Antibiotikum verschrieben wurde. Primärer Endpunkt war die Schwere der klinischen Symptomatik (Schweregrade 0–6) an den Tagen 2 bis 4 der Erkrankung. Außerdem wurde der „Glaube des Patienten an die Wirksamkeit des Antibiotikums“ erfasst. Zu den sekundären Analysen gehörte der direkte Vergleich mit dem Krankheitsverlauf der Patienten, die unmittelbar ein Antibiotikum erhalten hatten. Ergebnisse: In den randomisierten Gruppen (keine Verschreibung und verzögernde Verschreibungstaktiken) unterschieden sich die Schwere und die Dauer der klinischen Symptomatik nicht signifikant (Likelihood-Ratio-Tests χ2 2,6 bzw. 4,29; p=0,625 bzw. 0,368). Der Antibiotikage-

brauch unterschied sich nicht signifikant zwischen den beiden Strategien (χ2 4,96; p=0,292). Der „Glaube an die Antibiotika“ war stark und zwischen den Gruppen nicht signifikant verschieden (χ2 1,62; p=0,805). Unter Einbeziehung der Gruppe mit sofortiger Verschreibung ergab sich kein signifikanter Effekt der Verschreibungsstrategie auf Symptomschwere und -dauer. Die meisten der Patienten dieser Gruppe nahmen die Antibiotika (97%) und glaubten stark an deren Wirkung (93%), obwohl die sofortige Einnahme keinen Einfluss auf den Krankheitsverlauf hatte. Folgerung: Werden bei Erkrankungen des Respirationstrakts Antibiotika erst verzögert oder gar nicht gegeben, werden letztlich nur 40% der Patienten antibiotisch therapiert; der „Glaube an Antibiotika“ sinkt. Der klinische Verlauf hingegen unterscheidet sich nicht im Vergleich zu einer sofortigen Verschreibung. Dr. med. Christoph Feldmann, Köln

Kommentar

Verzögerte Antibiotikagabe: Ergebnisse wie bei keiner Antibiotikagabe Großbritannien hat einen hohen Verbrauch an Antibiotika in der ambulanten Krankenversorgung. Dort wurden die ersten Interventionsstudien zur Verbesserung der Antibiotika-Verordnungspraxis durchgeProf. Dr. A. Altiner, führt. Nachdem sich Rostock relativ schnell herausstellte, dass die Überverordnung weniger ein Wissensproblem auf ärztlicher Seite darstellt als vielmehr auf den realen oder bloß angenommenen Wunsch nach Antibiotika auf Patientenseite zurückzuführen ist, wurden verschiedene Gegenstrategien entwickelt. Ein besonders pragmatischer Ansatz ist hierbei das „delayed prescribing“: Unter der plausiblen Annahme, dass sich die meisten Atemwegsinfekte aufgrund ihres selbstlimitierenden Verlaufes ohne Antibiotikagabe rasch bessern, soll durch das „Hinauszögern“ einer sonst routinemäßig erfolgten

Dtsch Med Wochenschr 2014; 139, Nr. 17

Antibiotikaverordnung die Rate eingenommener Antibiotika gesenkt werden. Paul Little und sein Team, die zu den weltweit profiliertesten Wissenschaftlern im Kampf gegen bakterielle Resistenzentwicklung gehören, analysierten nun verschiedene Varianten des „delayed prescribing“ im Rahmen einer Studie, in der es primär um Analgetika und Wasserdampfinhalationen ging. Nur dann, wenn initial keine Antibiotikaverordnung erfolgte, wurden Patienten zufällig verschiedenen Varianten des „delayed prescribing“ oder einer Gruppe mit der klaren Botschaft „im Moment keine Antibiotika notwendig“ zugeordnet. Ergebnis der Studie: keine signifikanten Unterschiede zwischen den Gruppen. Welche Schlussfolgerungen lassen sich aus dieser Studie ziehen? Für Großbritannien zeigt die Untersuchung trotz ihrer methodisch bedingten Einschränkungen (u.a. fehlende Cluster-Randomisierung), dass die Strategie des „delayed prescribing“ in einer Bevölkerung mit einer hohen positiven Erwartungshaltung in Be-

zug auf Antibiotika nicht schlechter ist als striktere Nicht-Verordnungstrategien. Für Deutschland hat die Studie meiner Einschätzung nach praktisch keine Aussagekraft. Die in Großbritannien unter Studienbedingungen erreichte (und als Erfolg verbuchte) Gesamt-Antibiotika-Verordnungsrate von deutlich über 50% – was der Leser des Artikels allerdings selbst ausrechnen muss – liegt höher als die DurchschnittsVerordnungsrate in Deutschland unter Routinebedingungen. Der Glaube an Antibiotika als Heilmittel für „einfache“ Atemwegsinfekte ist hierzulande bei weitem weniger ausgeprägt als in Großbritannien. Nicht ohne Grund fokussierten sich daher Interventionen im nord- und mitteleuropäischen Raum auf Kommunikationstraining für ein besseres Verständnis des Patientenanliegens und auf Schnelltests zum Ausschluss abwendbar gefährlicher Verläufe. Prof. Dr. med. Attila Altiner Institut für Allgemeinmedizin Universitätsmedizin Rostock Interessenkonflikte: keine DOI 10.1055/s-0033-1353900

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[Delayed antibiotic prescription for respiratory tract infections? - Delayed antibiotic prescription and no prescription lead to similar outcomes].

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