Originalien Nervenarzt 2014 · 85:459–464 DOI 10.1007/s00115-014-4020-z Online publiziert: 30. März 2014 © Springer-Verlag Berlin Heidelberg 2014

T.A. Rupprecht1 · C. Lechner1 · H. Tumani2 · V. Fingerle3 1 Abteilung für Neurologie, AmperKliniken Dachau 2 Klinik für Neurologie, Universitätsklinikum Ulm 3 Nationales Referenzzentrum für Borrelien, Landesamt für Gesundheit

und Lebensmittelsicherheit, Oberschleißheim

CXCL13 als Biomarker der akuten Neuroborreliose Überprüfung des prädiktiven Wertes in der klinischen Routine

Das B-Zell-anziehende Chemokin CXCL13 wurde erstmals 2005 als diagnostischer Marker für die akute LymeNeuroborreliose (LNB) vorgeschlagen. Bereits damals konnte gezeigt werden, dass CXCL13 im Liquor von Patienten mit LNB deutlich erhöht und praktisch kaum bei anderen infektiösen und entzündlichen Erkrankungen des Zentralnervensystems (ZNS) nachweisbar ist [11]. In weiteren Untersuchungen konnte sowohl der Mechanismus der Freisetzung im Liquor durch ortsständige Immunzellen [8] als auch die funktionelle Rolle gezeigt werden [12]. CXCL13 wird durch die Interaktion von Oberflächenproteinen von Borrelia burgdorferi (B.b.) mit dem TLR2 von Monozyten sezerniert. Die erhöhte Konzentration von CXCL13 im Liquor führt daraufhin zur Immigration von B-Zellen, welche dann dort in besonders hoher Konzentration bei der LNB zu finden sind [2]. Die nun intrathekalen B-Zellen müssen erst zu Plasmazellen reifen, um borrelienspezifische Antikörper produzieren zu können. Aus der Sequenz ergibt sich, dass der Konzentrationsanstieg von CXCL13 früher als der erhöhte borrelienspezifische Liquor-/Serum-Antikörper-Index (AI) nachweisbar ist [10]. Dies konnte auch in vivo gezeigt werden [9].

CXCL13 ist insbesondere in der Frühphase einer LNB sensitiver als der AI [6, 16, 17, 18]. Auch entfällt der Reiz zur CXCL13-Sekretion nach Abtötung der Borrelien rasch und konsekutiv sinkt die CXCL13-Konzentration unter Therapie zügig ab [14]. Somit eignet sich CXCL13 zusätzlich als Therapiemarker. Andererseits muss berücksichtigt werden, dass CXCL13 nur bei Messung vor Beginn der antibiotischen Therapie sensitiv ist [13]. Zudem wurden Bedenken bezüglich der Spezifität erhoben, da erhöhte CXCL13Werte auch bei verschiedenen anderen ZNS-Infektionen gefunden wurden, wie beispielsweise der Neurolues, der Kryptokokkenmeningitis, der HIV-Infektion oder dem ZNS-Lymphom [1, 3, 4, 5, 8, 17]. Allerdings stellen diese Erkrankungen in der Regel keine typischen Differenzialdiagnosen für eine akute LNB dar und die in diesen Studien errechnete Spezifität ist daher klinisch nicht unbedingt relevant. Viel wichtiger ist dagegen der positive und negativ prädiktive Wert, welcher auch die Inzidenz und die klinische Präselektion berücksichtigt. Daher wurde in dieser Studie analysiert, welchen prädiktiven Wert CXCL13 neben der Sensitivität und Spezifität im klinischen Routineeinsatz erreicht.

Material und Methoden Ein positives Ethikvotum liegt vor. Seit Juli 2010 wird bei allen Patienten mit dem klinischen Verdacht auf eine LNB (bzw. wenn eine LNB differenzialdiagnostisch infrage kommt) neben den üblichen Routinelaborparametern im Liquor (Zellzahl, Eiweiß, Glukose, Reiber-Schema, borrelienspezifischer AI) auch routinemäßig die Konzentration von CXCL13 bestimmt. Dafür wurde ca. 200 µl Liquor bei −20°C eingefroren und einmal wöchentlich bei Raumtemperatur versendet. Die Bestimmung von CXCL13 mittels R&DELISA („enzyme linked immunosorbent assay“) erfolgte bis März 2012 über das Liquorlabor des Universitätsklinikums Ulm (Prof. Tumani) und danach über das Nationale Referenzzentrum für Borrelien (Dr. Fingerle). Die durchschnittliche Dauer von der Punktion bis zur Analyse lag bei 6,5 Tagen. Der Cut-off für die akute LNB wurde bei 250 pg/ml gesetzt. Wenn die Messung einen diskrepanten Befund ergab (CXCL13-Konzentration oberhalb des Cut-offs, aber fehlender Nachweis einer Pleozytose bzw. des borrelienspezifischen AI trotz klinischem Verdacht auf LNB), wurde nach Beendigung der antibiotischen Therapie eine erneute Lumbalpunktion durchgeführt und die gleichen Liquorparameter bestimmt (inkl. CXCL13). Die Analyse der Daten Der Nervenarzt 4 · 2014 

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Zusammenfassung · Summary erfolgte retrospektiv für den Zeitraum von Juli 2010 bis Juli 2013.

Ergebnisse Bei 204 Patienten wurde CXCL13 im Liquor bestimmt. Da CXCL13 unter Therapie rasch abfällt und daher die Sensitivität deutlich abnimmt, wurden 25 Patienten ausgeschlossen, die im letzten Monat vor der Punktion antibiotisch vorbehandelt wurden. Von den verbleibenden 179 Patienten (Übersicht über die Patientengruppen in . Tab. 1) konnte bei 13 anhand der Kombination aus Liquorpleozytose (≥5 Zellen/µl) und einem erhöhten borrelienspezifischen AI (≥1,5) die Diagnose einer akuten LNB bereits in der Initialpunktion anhand der Kriterien der Deutschen Gesellschaft für Neurologie (DGN) gestellt werden. Bei all diesen Patienten war die CXCL13-Konzentration – meist deutlich – oberhalb des Cut-offs (Mittelwert 10.220 pg/ml; . Abb. 1). Bei weiteren 7 Patienten waren zwar die Zellzahl und/oder der AI normal, allerdings das CXCL13 erhöht. Bei einem Patienten wurde mittels VZV-PCR (Varicella-Zoster-Virus-„polymerase chain reaction“) eine Varizelleninfektion bei einer bekannten CLL (chronisch lymphatische Leukämie) diagnostiziert, bei einem Weiteren bildgebend und bioptisch ein ZNS-Lymphom mit einer ausgedehnten Hirnstammläsion vermutet. Leider verstarb der Patient, bevor die Diagnose weiter gesichert werden konnte. Beide Fälle wurden bezüglich des CXCL13Wertes als falsch-positiv eingeordnet. Bei 2 Patienten ohne initiale Liquorpleozytose wurde eine LNB anhand der Verlaufspunktion bestätigt (Patient Nr. 2 und 4, s. unten). Diese wurden der Gruppe der gesicherten Neuroborreliose zugerechnet. (. Abb. 1, die CXCL13-Konzentrationen der beiden Patienten sind als rote Punkte dargestellt). Bei 3 weiteren Patienten war eine akute LNB aufgrund der typischen Anamnese und Klinik, des weiteren klinischen Verlaufes mit promptem Ansprechen auf die antibiotische Therapie (und parallelem Abfall der CXCL13-Konzentration in der Verlaufsliquorprobe) und dem Ausschluss anderer Diagnosen wahrscheinlich. Diese 3 Patienten sind in . Abb. 1 in einer eigenen Rubrik („wahr-

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Nervenarzt 2014 · 85:459–464  DOI 10.1007/s00115-014-4020-z © Springer-Verlag Berlin Heidelberg 2014 T.A. Rupprecht · C. Lechner · H. Tumani · V. Fingerle

CXCL13 als Biomarker der akuten Neuroborreliose. Überprüfung des prädiktiven Wertes in der klinischen Routine Zusammenfassung Hintergrund.  CXCL13 im Liquor ist ein hochsensitiver Biomarker für die akute Neuroborreliose (LNB), der zudem als Therapiemarker geeignet ist, da er unter Therapie rasch abfällt. CXCL13 wird jedoch bislang noch nicht für die Routinediagnostik empfohlen, da Zweifel an der Spezifität bestehen. Im Klinikum Dachau erfolgt seit 3 Jahren eine Praxisbeobachtung. Ziel der Arbeit.  Ziel der Arbeit war die Ermittlung von Sensitivität, Spezifität und prädiktivem Wert des CXCL13 als Biomarker der LNB in der klinischen Routine. Material und Methoden.  Bei allen Patienten (n=204) mit Verdacht auf eine LNB wird seit Juli 2010 neben den Liquorroutineparametern und dem borrelienspezifischen Liquor-/ Serum-Antikörper-Index (B-AI) auch das CXCL13 im Liquor bestimmt. Bei inkongruenten Befunden erfolgt nach Antibiotikatherapie eine Verlaufspunktion. Als Cut-off wurde 250 pg/ml gewählt. Ergebnisse.  Von den 179 nicht antibiotisch vorbehandelten Patienten hatten 15 eine gesicherte und 3 eine wahrscheinliche LNB –

alle lagen oberhalb des Cut-offs. Nur 2 von 161 Patienten mit einer anderen Diagnose (ZNS-Lymphom bzw. CLL) hatten >250 pg/ml CXCL13 im Liquor. Besonders bemerkenswert waren 2 Patienten ohne Liquorpleozytose mit deutlich erhöhtem CXCL13, bei denen durch eine Liquorpunktion im Verlauf eine LNB bestätigt werden konnte. Diskussion.  CXCL13 hat eine höhere Sensitivität (100% vs. 87%) bei vergleichbarer Spezifität (99%) als die etablierten Diagnosemarker (Pleozytose und B-AI) in der untersuchten Patientenpopulation. Der negativ prädiktive Wert von CXCL13 lag bei 100%. Somit schließt ein unauffälliges CXCL13 eine LNB praktisch aus. In der klinischen Routine ist CXCL13 ein wertvoller und praktikabler   Liquorparameter für die Diagnostik der LNB und kann sogar eine LNB bei Patienten ohne Liquorpleozytose detektieren. Schlüsselwörter Neuroborreliose · CXCL13 · Liquor · Prädiktiver Wert · Borreliose

CXCL13: a biomarker for acute Lyme neuroborreliosis. Investigation of the predictive value in the clinical routine Summary Background.  The level of CXCL13 is a cerebrospinal fluid (CSF) biomarker for acute Lyme neuroborreliosis (LNB) with a high sensitivity. As the concentration rapidly declines during antibiotic therapy CXCL13 can also be used as a follow-up parameter. However,   CXCL13 is not yet in use as a routine parameter due to concerns about the specificity. Objectives.  The sensitivity, specificity and predictive value of CXCL13 in the clinical routine work-up of suspected LNB was analyzed. Material and methods.  Since July 2010 the CSF of all patients (n=204) with suspected acute LNB was not only analyzed for the routine parameters (i.e. pleocytosis and intrathecal production of Borrelia-specific antibodies, AI) but also for CXCL13. In cases of incongruent findings, a follow-up puncture after   antibiotic therapy was carried out. The cut-off level for acute LNB was set at 250 pg/ml. Results.  This study included 179 patients who were not pretreated with antibiotics. Of these patients 15 suffered from definite LNB, 3 had a probable LNB and all had a CXCL13 value above the cut-off level. Only 2 of the

161 patients with a non-LNB diagnosis (both with a lymphoma) had a CXCL13 value in the CSF higher than 250 pg/ml. Especially noteworthy were two patients without pleocytosis in the CSF but with   CXCL13 levels above the cut-off level in whom LNB could be confirmed in the followup CSF analysis. Conclusions.  The biomarker CXCL13 has a higher sensitivity (100% vs. 87%) with a specificity (99%) comparable with the established diagnostic markers for LNB, e.g. CSF pleocytosis and Borrelia-AI in the investigated patient population. The negative predictive value of CXCL13 is 100%. Therefore, a normal CXCL13 level virtually excludes LNB. In the clinical routine CXCL13 is a valuable and practical diagnostic marker for LNB and can even detect an acute LNB in patients without CSF pleocytosis. Keywords Neuroborreliosis · CXCL13 · Cerebrospinal fluid · Predictive value · Borreliosis

scheinliche Neuroborreliose“) dargestellt. Alle fünf Patienten werden im Folgenden in Kurzkasuistiken vorgestellt:

Patient Nr. 1 Der Patient klagte bei Vorstellung in der Klinik über seit 10 Wochen bestehende, im Verlauf unverändert brennende Rückenschmerzen mit Ausstrahlung in beide Beine. 2 Monate vor Beginn der Beschwerden habe er einen Zeckenstich mit anschließender Rötung (Verdacht auf Erythema migrans, anamnestisch jedoch nicht sicher einzuordnen) gehabt. Klinisch-neurologisch fand sich bis auf eine dezente Allodynie im Bereich der Oberschenkelaußenseite beidseits ein unauffälliger Befund. Die Liquoruntersuchung erbrachte 96 Leukozyten/µl. Die HSV(Herpes-simplex-Virus)- und VZV-PCR waren negativ. Die Lyme-Serologie war positiv (Ig [Immunglobulin] M 1,6 [

[CXCL13: a biomarker for acute Lyme neuroborreliosis: investigation of the predictive value in the clinical routine].

The level of CXCL13 is a cerebrospinal fluid (CSF) biomarker for acute Lyme neuroborreliosis (LNB) with a high sensitivity. As the concentration rapid...
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