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Schädel-Hirn-Trauma und Gliom D.-K. Böker l , H. Stejan 2, G. Kersting3 t

Brain Trauma and Glioma There are only a few weil documented cases in the literature which allow for the assumption of traumatic origin of some intracranial tumors. Four cases are presented in whom the authors have accepted the traumatic origin of gliomas because of it's evidence, but - from their scientific understanding of tumor development - without being convinced of such a correlation. It is stressed that scientific points of view and argumentation in social insurance affairs may differ and that they should be carefully distinguished.

Insbesondere in der älteren Literatur ist das Problem eines Zusammenhangs zwischen Schädel-HirnTrauma und intrakraniellem Tumor ausgiebig diskutiert worden. Dabei reicht das Meinungsspektrum von einer sehr großzügigen Bejahung über kritisch-distanzierte Haltung bis zu praktisch völliger Ablehnung eines ursächlichen Zusammenhangs. So sollten nach Beneke (4) schon leichte Traumen, ja sagar psychische Traumen, wie bloßes Erschrecken, zur Auslösung eines intrakraniellen Tumors führen können. Nach seiner Ansicht sind bis 40% der intrakraniellen Tumoren traumabedingt. Auch Marburg, der die Entstehung der intrakraniellen Tumoren auf dem Boden einer chronischen Irritation Co~nheim-Ribbertscher Keimversprengungen durch das Trauma versteht, sieht einen großen Teil der Hirntumoren als traumatisch ausgelöst an (15). Fischer-Wasels hat sich schon 1932 insbesondere mit den Ansichten Benekes auseinandergesetzt und einen ursächlichen Zusammenhang zwischen Trauma und Hirntumor weitestgehend abgelehnt (9). Unter bestimmten Bedingungen, an die anknüpfend Zülch seinen heute allgemein akzeptierten Katalog (28) von Vorbedingungen zur Anerkennung eines Zusammenhangs formulierte, sei jedoch eine traumatische Genese der Geschwülste zu diskutieren. Insbesondere nach der Aufstellung der Zülcbschen Kriterien sind nur noch wenige Fälle mitgeteilt worden, bei denen ein Zusammenhang zwischen der Geschwulstentstehung und einem vorangegangenen Trauma angenommen wurde (8, 11, 18,20,24,25,27). Wenn es auch in einem Teil dieser Arbeiten immer noch um die Erklärung des angenommenen ursächli-

Fortsehr. Neurol. Psychiat. 59 (1991) 488-492 ~ Georg Thieme Verlag Stuttgart· N ew York

der Universität Bonn

Zusammenfassung Für eine Beurteilung des Zusammenhangs zwischen einem Schädel-Hirn-Trauma und der Entstehung eines intrakraniellen Tumors stehen nur wenige ausreichend dokumentierte Fälle zur Verfügung. Bei vier eigenen Beobachtungen wurde aufgrund des "Evidenzcharakters" ein wahrscheinlicher Zusammenhang unter versicherungsrechtlichen Gesichtspunkten anerkannt. Eine auf naturwissenschaftlicher Grundlage überzeugende Erklärung eines ursächlichen Zusammenhangs kann nicht gegeben werden. Am ehesten wäre ein intrakranieller Tumor nach Trauma noch als Fehlregenerat zu erklären.

chen Zusammenhangs geht, so hat die Zahl der Mitteilungen sicher auch wegen der veränderten Anschauungen (6) über die Tumorgenese nachgelassen. Wir haben im Laufe von fast 20 Jahren 4 Fälle beobachtet, bei denen wir, da alle Forderungen Zülchs erfüllt waren, einen Zusammenhang anerkannt haben. Diese Fälle sollen im folgenden zur Diskussion gestellt werden.

Kasuistik

Falll Ein damals 22jähriger Mann erlitt 1943 eine Granatsplitterverletzung, bei der es in der linken Zentralregion zu einer offenen Hirnverletzung kam. Unmittelbar im Anschluß bestand eine Hemiparalyse rechts. Noch am gleichen Tag erfolgte die operative Versorgung mit Entfernung des Granatsplitters. Die Hemiparalyse blieb unverändert bestehen. 1957 wurden erstmals erhebliche psychische Alterationen vermerkt. 1968 erstmaliges Auftreten eines generalisierten Krampfanfalls. Im Februar 1972 zunehmende Kopfschmerzen und psychomotorische Verlangsamung. Angiographisch im März 1972 Nachweis einer Raumforderung im ehemaligen Traumabereich. Unter der Annahme eines Spätabszesses wurde über einen Zugang durch den alten Kalottendefekt ein intrazerebraler Tumor teilweise entfernt. Der Patient verstarb 10 Tage postoperativ an Lungenkomplikationen. Pathologisch-anatomisch fand sich im Parietallappen, mit dem Vorderrand die hintere Zentralwindung erfassend, ein halbkugeliger Defekt von etwa 4 cm Durchmesser, dessen Wand von einem teilweise nekrotischen grau-rötlichen Tumor gebildet wurde (Abb. I). Histologisch ließen sich in dem Tumor Blutungen und Nekrosen nachweisen. Er war aus polymorphen

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I Neurochirurgische Klinik und Institut für Neuropathologie 2 Neurologische Klinik der Universität Erlangen 3 Institut für Neuropathologie der Universität Bonn

Forlschr. Neuro!' PI'.!'chial. 59(/991)

Abb.1 Fall 1: Hirnsubstanzdefekt in der rechten Zentralregion. Die Wände des Defekts werden von Tumorgewebe gebildet, das die Ventrikelwand erreicht und den Balken infiltriert.

Abb.2 Fall 2: Oberflächlicher Hirnsubstanzdefekt rechts frontotemporal. In unmittelbarer Beziehung dazu ausgedehnter Tumor mit Ausbreitung im Marklager, Kompression und Verlagerung des Seitenventrikels.

gliösen Zellen aufgebaut. enthielt Mitosen und Gefäßproliferationen. Einzelne Partien entsprachen einem besser differenzierten Oligodendrogliom. Insgesamt handelte es sich um ein maligne entartetes Oligodendrogliom. In den anhängenden weichen Hirnhäuten fanden sich alte Fibrosierungen und gleichfalls alte Einlagerungen von Blutpigment.

Scheitellappens einnehmender Tumor. Frontal und temporal geht der Tumor unmittelbar in die Rindenprellungsherde über (Abb. 2). I1i.I·lo!ogl:l·ch findet sich ein astrozytiires Glioblastom. das mit den alten Rindenprellungsherden in unmittelbarer Beziehung steht.

Fall 3 Fall :: Ein 29jilhriger Mann erlitt 1964 bei einem Motorradunfall eine schwere gedeckte Schädel-Hirn-Yerlctzung mit 24stündiger Bewußtlosigkeit. Neurologische Ausfälle bestanden nicht. dagegen eine schwere organische Wesensänderung. Nach 5 Jahren Entwicklung einer spastischen Hemiparese rechts und zunehmendcr Kopfschmerzen. Angiogra'phisch Nachweis einer links frontozentralen Raumforderung. Bei der folgenden Operation fand sich lediglich eine frontotemporale Zyste im unmittelbaren örtlichen Zusammenhang mit alten Kontusionsherden. Nach vorübergehender Besserung kam es 2 Jahre später zu einer erneuten Besehwerdezunahme mit Kopfschmerzen und wieder verstärkter Hemiparese. Die erneute Angiographie zeigte wieder eine Raumforderung links. Jetzt wurde ein zystisches Astrozytom makroskopisch vollsiändig entfernt. Nach weiteren 2 Jahren verstarb der jetzt 39jährige Mann. Pal!w!ogisch-a/Ullomisch fand sich eill ausgedehllier llimsuh.ltall::defc'kl der linken Hemisphäre prilzentral und temporal. Die Ränder der Defektzone waren breitflilchig mit der verdickten Dura verwachsen. An der Basaltlüche des linken Stirnlappens und im vorderen Temporalbereich. hier unmittelbar in den Defekt übergehend. waren ausgedehnte Rindenprellungsherde im III. Stadium erkennbar. Daneben fand sich ein Teile des Stirn-. Schläfen- und

Ein 34jähriger Mann erlitt 1955 bei einem Motorradunfall eine ausgedehnte offene Jmpressionsfraktur links frontal. die operativ versorgt wurde. Der Mann erholte sich vollständig von dem Trauma und war beschwerdefrei. bis 18 Jahre nach dem Unfall zunehmende Kopfschmerzen. Desorientiertheit und eine progrediente Hemiparese rcchts auftraten. Die Karotisangiographie zeigte eine links frontale Raumforderung mit Darstellung pathologischer Gefäße bereits in der frühen arteriellen Phase. Ein Teil der Blutversorgung des Tumors erfolgte über ein kaliberstarkes Meningealgef

[Craniocerebral trauma and glioma].

There are only a few well documented cases in the literature which allow for the assumption of traumatic origin of some intracranial tumors. Four case...
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