Kurzkasuistiken Hautarzt 2015 DOI 10.1007/s00105-015-3592-2 © Springer-Verlag Berlin Heidelberg 2015

M. Wirtz1 · J. Frank1,2 1 Hautklinik, Universitätsklinikum Düsseldorf, Düsseldorf, Deutschland 2 Hautklinik und Hauttumorzentrum, Universitätsklinikum Düsseldorf, Düsseldorf, Deutschland

Costello-Syndrom Eine seltene RASopathie mit kutanen Symptomen Anamnese

Befunde

Diskussion

Wir sahen eine 18-jährige Frau mit seit ca. 1 Jahr bestehenden warzenähnlichen Hautveränderungen an der Nase und den Füßen, Hyperpigmentierungen in beiden Axillen und an den Fußrücken, Verhornungsneigung an Händen und Füßen, vermehrtem Schwitzen sowie zunehmend lockiger Kopfbehaarung. Die 1 Monat zu früh geborene Patientin wies initial altersentsprechende Geburtsmaße auf. Im weiteren Verlauf zeigten sich eine muskuläre Hypotonie, Entwicklungsverzögerung mit verspäteter Lauffähigkeit, geistige Retardierung, Pubertas praecox im Alter von 7 1/2 Jahren und eine unter der 3. Perzentile liegende Körpergröße von weniger als 150 cm. Des Weiteren sind eine hypertrophe linksventrikuläre Kardiomyopathie, Epilepsie, ein Pes plano valgus linksseitig sowie gelegentliche Blutzuckerschwankungen und ein gastroösophagealer Reflux bekannt. Die Patientin entstammt einer nichtkonsanguinen Verbindung und hat 3 gesunde Halbgeschwister; die Mutter hatte 4 Fehlgeburten. Derzeit werden keine Medikamente eingenommen. In der Vergangenheit durchgeführte Behandlungen mit keratolytischen Externa und topischen Glukokortikosteroiden hätten keinen Erfolg gebracht. Zu den zuvor extern gestellten und ausgeschlossenen Verdachtsdiagnosen gehören u. a. der Morbus Addison, Leprechaunismus, eine Mitochondriopathie, das Smith-Lemli-Opitz-Syndrom, Williams-Beuren-Syndrom, Fragile-X-Syndrom und der Phosphomannomutase2-Mangel.

Hautbefund.  Fazial zeigen sich dissemi­ nierte erythematöse Papeln, Pusteln und Komedonen. Am Nasensteg kaudal mit Übergang zum Philtrum sowie an beiden Nasenlöchern lateral finden sich teils filiforme, teils breitbasig aufsitzende, weißlich-gräuliche verruziforme Papillome. Die Patientin weist eine voluminöse Unterlippe und lockiges, dünnes Haupthaar auf (.  Abb.  1a und b). Axillär beidseits finden sich diskrete, unscharf begrenzte, hell- bis dunkelbraune, teils hyperkeratotische Hyperpigmentierungen. Palmoplantar bestehen weißlichgelbliche, teils wachsartige papillomatöse Hyperkeratosen mit Rhagadenbildung im Fersenbereich sowie eine lokalisierte Hyperhidrose. An den Fußrücken zeigen sich bräunliche Hyperpigmentierungen; die Finger sind wulstig verdickt (. Abb. 2a und b).

Das Costello-Syndrom (CS; OMIM 218040) ist ein sehr seltenes, genetisch bedingtes komplexes Fehlbildungssyndrom, das zum Formenkreis der RASopathien gehört. RASopathien reflektieren eine klinisch und genetisch heterogene Gruppe von Erkrankungen, denen Mutationen in Genen zugrunde liegen, die für Proteine der Ras/MAPK (Mitogen-aktivierte Proteinkinase)-Signalroute kodieren und die durch Symptome an mehreren Organsystemen gekennzeichnet sind [1]. Das CS wurde erstmals 1971 vom neuseeländischen Pädiater Costello beschrieben [3]. Bislang sind ca. 220 bis 300 Fälle bekannt, wobei beide Geschlechter gleich häufig betroffen sind [5]. Klinisch ist das CS durch angeborene Herzanomalien, postnatale Gedeihstörung, Kleinwuchs, mentale Retardierung, hyperflexible Gelenke und variable Hautsymptome gekennzeichnet [4–7]. Zu den möglichen Hautveränderungen, wie sie auch bei der hier vorgestellten Patientin ausgeprägt waren, gehören fazial und perianal lokalisierte, verruziforme Papillome, palmoplantare Hyperkeratosen, lokalisierte oder diffuse Hyperpigmentierungen bzw. Acanthosis nigricans, grobe Gesichtszüge mit voluminöser Unterlippe, lockiges Haar mit charakteristischer Textur und Hyperhidrose. Die palmoplantare Keratodermie kann mit verdickten, samtartig glänzenden Handinnenflächen, akzentuierten, tiefen Handlinien und einer Akzentuierung der Hautleisten an den Fingerspitzen einhergehen, sog. „tripe palms“ (.  Abb.  2b). Daneben zeigen sich an der Haut gelegentlich eine mäßig ausgeprägte Cutis laxa mit über-

Dermatohistopathologie.  Auf Wunsch der Patientin wurde keine Probebiopsie entnommen. Weitere Untersuchungsbefunde.  Unter der Diagnose eines Costello-Syndroms wurde eine molekulargenetische Untersuchung des HRAS-Gens durchgeführt. Hierbei fand sich eine heterozygote Missense-Mutation c.34G > A (p.Gly12Ser) in Exon 2.

Diagnose Costello-Syndrom.

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Abb. 1 8 a Grobe Gesichtszüge, lockiges Haar, tief sitzende Ohren bei einer Patientin mit CostelloSyndrom. Nebenbefundlich Papeln, Pusteln und Komedonen im Gesichtsbereich. b Detailaufnahme des Gesichtes. Teils filiforme, teils breitbasig aufsitzende weißlich-gräuliche verruziforme Papillome am Nasensteg kaudal mit Übergang zum Philtrum sowie an beiden Nasenlöchern lateral. Nebenbefundlich Papeln, Pusteln und Komedonen nasal und perinasal

Abb. 2 8 a Plantare Hyperkeratosen und Rhagaden sowie bräunliche Hyperpigmentierungen an den Fußrücken. b Wulstige Finger, palmare Keratodermie mit verdickten, samtartig glänzenden Handinnenflächen, akzentuierten, tiefen Handlinien und Akzentuierung der Hautleisten an den Fingerspitzen (sog. „tripe palms“)

schüssigen Hautfalten nuchal, palmoplantar und an den Handrücken, frontotemporale Alopezie, Trichomegalie und Nageldystrophie [4, 5, 7]. Zu den extrakutanen Symptomen gehören postnatale Makroenzephalie, progredientes zerebelläres Wachstum, Nystagmus, diffuse muskuläre Hypotonie, tief sitzende Ohren mit prominenten Lobuli, raue Stimme, großer Mund, Achillessehnenverkürzung, Fußfehlstellungen und Ulnardevia-

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tion. Die Erkrankung ist mit einer erhöhten Suszeptibilität für die Entstehung von Neoplasien assoziiert, insbesondere von Rhabdomyosarkomen, Neuroblastomen und Urothelkarzinomen [4–7]. Differenzialdiagnostisch sollte bei unserer Patientin insbesondere an weitere RASopathien wie das kardiofaziokutane Syndrom (Hyperkeratosen, Hyperhidrose, gelockte Haare, Acanthosis nigricans, Nageldystrophie, Hyperpigmentie-

rungen, Kleinwuchs, mentale Retardierung, Gesichtsdysmorphien, Herzanomalien, überstreckbare Gelenke und Cutis laxa) und Noonan-Syndrom (Kleinwuchs, Herzfehler, lockiges Haar) gedacht werden [4–6] sowie an syndromale Formen der palmoplantaren Keratodermien wie das Lelis-Syndrom (palmoplantare Hyperkeratosen, Acanthosis nigricans, Nageldystrophie, mentale Retardierung) und Naxos-Syndrom (palmoplantare Hyperkeratosen, krauses Haar, Kardiomyopathie), entfernter auch das RothmundThomson-Syndrom (Skelettfehlbildungen, Wachstumsretardierung, Nageldystrophie, erhöhte Tumorneigung, palmare, seltener auch palmoplantare, vorwiegend punktuell akzentuierte Hyperkeratosen) [2]. Dem CS liegt zumeist eine De-novoKeimbahnmutation im HRAS-Gen zugrunde, das auf Chromosom 11p15.5 lokalisiert ist und als Protoonkogen fungiert [4, 7]. Hierbei handelt es sich fast ausschließlich um aktivierende Missense-Mutationen in Exon 2, die die Aminosäure Glycin in Kodon  12 oder 13 des kodierten gleichnamigen Proteins HRAS betreffen, wie auch bei unserer Patientin. Nur selten finden sich Mutationen in anderen Abschnitten des HRAS-Gens [4, 5]. Alle bisher beschriebenen Mutationen führen zur Induktion von HRAS, was eine Dysregulation der RAS/MAPK-Signalroute bewirkt. Dieser Signalweg reguliert die delikate Balance von Zellproliferation und -differenzierung und spielt eine wichtige Rolle in der Embryonalentwicklung und Karzinogenese. Die RAS/MAPK-Signalroute beeinflusst die Entwicklung diverser Organsysteme, wodurch die sich teilweise überschneidenden klinischen Symptome der verschiedenen RASopathien wie Herzanomalien, mentale Retardierung, Kleinwüchsigkeit, faziale Dysmorphien, erhöhtes Tumorrisiko und kutane Symptome erklärt werden können [5]. Die Therapie der Hautveränderungen beim CS ist rein symptomatisch. Bei unse­ rer Patientin konnten wir durch eine intensivierte topische Therapie mit palmar 10–15 % und plantar 15–20 % Salicylsäure in Kerasal®-Basiscreme sowie 5–8 % Urea in Unguentum molle am übrigen Inte-

Zusammenfassung · Abstract gument eine suffiziente Keratolyse und einen stabilen Hautbefund erzielen. Aufgrund der erhöhten Tumorsuszeptibilität und des Risikos der Kardiomyopathie sollten Patienten mit CS interdisziplinär betreut werden [4]. Da die sich überschneidenden klinischen Symptome der RASopathien mit kutanen Symptomen und der syndromalen palmoplantaren Keratodermien eine sichere Diagnose und damit eine gezielte Diagnostik erschweren können, kann zur Abklärung eine molekulargenetische Untersuchung, ggf. unter Einsatz moderner Hochdurchsatzsequenzierungsverfahren, sinnvoll sein.

Korrespondenzadresse PD Dr. J. Frank Hautklinik und Hauttumorzentrum Universitätsklinikum Düsseldorf Moorenstr. 5, 40225 Düsseldorf [email protected]

Einhaltung ethischer Richtlinien Interessenkonflikt.  M. Wirtz und J. Frank geben an, dass kein Interessenkonflikt besteht. Dieser Beitrag beinhaltet keine Studien an Menschen oder Tieren. Alle Patienten, die über Bildmaterial oder anderweitige Angaben innerhalb des Manuskripts zu identifizieren sind, haben hierzu ihre schriftliche Einwilligung gegeben. Im Falle von nicht mündigen Patienten liegt die Einwilligung eines Erziehungsberechtigten oder des gesetzlich bestellten Betreuers vor.

Literatur 1. Bezniakow N, Gos M, Obersztyn E (2014) The RASopathies as an example of RAS/MAPK pathway disturbances – clinical presentation and molecular pathogenesis of selected syndromes. Dev Period Med 18(3):285–296 2. Braun-Falco M (2009) Hereditary palmoplantar keratodermas. J Dtsch Dermatol Ges 7(11):971–984 3. Costello JM (1971) A new syndrome. N Z Med J 74:397 4. Gripp KW et al (2012) Costello syndrome. GeneReviews. University of Washington, Seattle 1993– 2014 5. Gripp KW, Lin AE (2012) Costello syndrome: a Ras/ mitogen activated protein kinase pathway syndrome (rasopathy) resulting from HRAS germline mutations. Genet Med 14(3):285–292. doi:10.1038/ gim.0b013e31822dd91f

Hautarzt 2015  DOI 10.1007/s00105-015-3592-2 © Springer-Verlag Berlin Heidelberg 2015 M. Wirtz · J. Frank

Costello-Syndrom. Eine seltene RASopathie mit kutanen Symptomen Zusammenfassung In unserer Ambulanz sahen wir eine 18-jährige Patientin mit palmoplantarer Keratodermie, Hyperhidrose, fazialen verruziformen Papillomen, groben Gesichtszügen, Kleinwuchs und Entwicklungsverzögerung. Unter der Diagnose eines Costello-Syndroms veranlassten wir eine humangenetische Beratung und molekulargenetische Untersuchung, bei der sich eine heterozygote Missense-Mutation c.34G > A (p.Gly12Ser) in Exon 2 des HRAS-Gens fand, was die klinische Diagnose bestätigte. Das Costello-Syndrom gehört zu den klinisch und genetisch heterogenen RASopathien mit kutanen Symptomen. Den zu dieser Gruppe gehörenden Erkrankungen liegt eine Dysregulation der RAS/MAPK (Mitogen-aktivierte

Proteinkinase-)Signalroute durch Mutationen in verschiedenen Genen zugrunde. Dieser Signalweg reguliert die delikate Balance von Zellproliferation und -differenzierung und spielt eine wichtige Rolle in der Embryonalentwicklung und Karzinogenese. Da die sich überschneidenden klinischen Symptome der RASopathien mit kutanen Symptomen die Diagnosefindung erschweren können, kann – wie bei unserer Patientin – eine molekulargenetische Untersuchung sinnvoll sein. Schlüsselwörter Kardiomyopathie · Kleinwuchs · Mentale Retardierung · Palmoplantare Keratodermie · Molekulargenetik

Costello syndrome. A rare RASopathy with cutaneous symptoms Abstract An 18-year-old female with palmoplantar keratoderma, hyperhidrosis, facial verruciform papillomatosis, coarse face, growth retardation and developmental delay presented to our outpatient clinic. A diagnosis of Costello syndrome was made, and genetic counseling and a molecular genetic analysis were initiated. By this means, a heterozygous missense mutation in exon 2 of the HRAS gene, designated c.34G > A (p.Gly12Ser), was detected, confirming the clinical diagnosis. Costello syndrome belongs to the group of clinically and genetically heterogeneous RASopathies with cutaneous symptoms. Collectively, the RASopathies are caused by mutations in different genes, which lead to dysreg-

ulation of the RAS/MAPK (mitogen-activated protein kinase) signaling pathway. This signaling route regulates the delicate balance between cell proliferation and differentiation, and plays an important role in embryogenesis and carcinogenesis. In the RASopathies with cutaneous symptoms, overlapping clinical findings may hamper making an accurate diagnosis. Therefore, a molecular genetic analysis may be useful, as in the patient described here. Keywords Cardiomyopathy · Short stature · Mental retardation · Palmoplantar keratoderma · Molecular genetics

6. Morice-Picard F et al (2013) Cutaneous manifestations in Costello and cardiofaciocutaneous syndrome: report of 18 cases and literature review. Pediatr Dermatol 30(6):665–673. doi:10.1111/ pde.12171 7. Siegel DH et al (2012) Dermatological phenotype in Costello syndrome: consequences of Ras dysregulation in development. Br J Dermatol 166(3):601–607. doi: 10.1111/j.13652133.2011.10744.x

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[Costello syndrome. A rare RASopathy with cutaneous symptoms].

An 18-year-old female with palmoplantar keratoderma, hyperhidrosis, facial verruciform papillomatosis, coarse face, growth retardation and development...
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