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Computertomographie in der Paläopathologie J. Hodler' :", S. Ulrlcb' , B. R üttimonn' :" I R öntgendia gnostisches Zentralinst itut. Universirärssphal Zürich "O rthopädische Uni versitä tskl inik Balgrist Zürich ' Gerlchtsmedizinisches Institut, Universität Bern "Medizi nh istc risches Institut, Universität Zürich

Zusammenfassung

Die Paläopathologie beschäftigt sich mit den Erkrankungen der Menschenjener Zeiten, zu denen es noch keine oder wenigstens nicht genügende schriftliche Überlieferungen gibt. Sie beruht im wesentlichen auf osteologischen Befunden. Eine wichtige Rolle spielt dabei die radi ologische Abklärun g, die die Binnenstruktur der Knochen zeigt. Zusätzliche Aussagen werden ermöglicht dur ch den Einsatz der Computertomographie, dies vor allem aufgrund der überlagerungsfreien Darstellung der Knochen. In einem eigenen Fall zeigen wir die sehr detaillierte, an einen Knochenschliff erinnernde Darstellung der periostalen Reaktion an einer Tibia bei erworbener Syphilis. Computerized To mog raphv in

I' alaeopalh ology Palaeopathology is the study of human ailments in bygo ne times o f which written records are non-existent or inadequate. Essentially, it is based ion osteologic findings. Radiologie examination, which reveals the inner structure of the bones, pla ys an importa nt role. Additional information can be obtained with CT, primarily because the re is no superimposition of the bones. The very detailed radiologic dernonstration of a periosteal reactio n on a tibia in a case o f acquired syphilis is illustrated.

Einleitung

Die Pal äopathologie oder Wissenschaft von den Erkrankungen der Menschen jener Zeiten, wo es keine schriftliche oder wenigstens keine genügenden schrift lichen Überlieferu ngen gibt, bedient sich zunehmend moderner Untersuchungsmethoden wie der Chemie (daru nter die Serologie), Radiologie, Mikroskopie, Nuklidmessung zur Altersbestimmung . Sie ist überwiegend ei-

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ne Osteologie, da vor allem in Europa prakti sch nur Skelette und Skelettresten für die Untersuchung verfügbar sind. Weichteile, Ligamente, Knorpel fehlen (vo n Kar olyi, 1970) Ausnahm en sind verkalkt e Nieren- und Ga llensteine (Paum gartner, 1989) oder sogena nnte Moorleichen, die allerdings relativ selten sind und zum Teil erhaltene Weichteile zeigen. Unterschiedlich ist die Situatio n in andem Kulturen, wie der altägyptischen und der peruanischen, wo häu fig Mumien mit erhaltenen Weichteilen für die Untersuchung zur Verfügung stehen. Ein Problem stellt sich bei der Erar beitung von Nor malbefund en, da eher selten größere Gräberfelder entdeckt und im Zusammenhang bearbeitet werden. Skelette können je nach Begrabun gsort sehr unterschiedlich erhalten sein. Dabei sind die Erkenntnisse der Gerichtsmediziner über Verwesungsprozesse hilfreich. Neben der Zusammensetzung der umgebenden Erde spielen Schäden dur ch Nager , Wurzeln und die Ausgrabun g selber eine Rolle (vo n K ar olyi, 1970). Beschriebene Knochenbefunde sind Degeneration, Osteomyelitis, Arthritis, Tr aum a folge, Fehlstellung, Mißbildun g, Neoplasie, Osteoporo se (R üttimann u. Gugg, 1982). Es ergeben sich Hinweise auf Alter und Geschlecht. Durch die nur äußerliche Begut achtung entgehen dem Untersucher die Binnenstr uktur der Knochen und darin ablaufe nde pathologische Prozesse. Die Röntgendiagnostik ergibt hier wesentliche Z usatzinforma tion. wie bereits von Clendinnen 1898, Baessler 1906 und Jäger 1907 beschrieben. Hilfreich sind dab ei, obschon nicht direkt übertragbar , die Erkenntnisse der modernen Medizin, vor allem von Pathologie und Orthopädie. Die Rö ntgenaufnahmen sollen standardisiert und den modernen klinischen Untersuchungen vergleichbar angefertigt werden (R üuimann u. Gugg, 1982). Weniger beka nnt ist die Anwendung moderner Schnitt bildtechniken mit ihrer überlagerungsfreien Darstellung. Besonders geeignet ist die Computertomographie, weniger geeignet die Magnetresonanztomographie. die kalkhaltige Strukturen signallos, also schwarz, darstellt.

Eigene Untersuchung

\Vir berichten über die CT-Untersuchung der rechten Tib ia bei einer Leiche aus dem 16.- 17. Jah rhundert, gefunden in Bleienbach im Kanton Bern in der Schweiz. Äußerlich fiel vor allem eine unregelmäßige, ausgedehnte periostale Reaktion an langen Röh renknochen und auch flachen Knochen auf. Der Schäd el zeigte keine solchen Veränd erungen. Laborm äßig wurde ein dr eifach erhöhter Quecksilbergehalt gefunden. Rad iologisch war ei-

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Herrn Prof . Dr. A . Schreiber zum 60. Geburtstag gewidmet.

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Abb. 1: rechte Tibia al Ansic ht des Knochens von vorn. Deutliche artif izielle Veränderungen vor allem proximal mit fehlen dem Tibiaplateau . Unre gelmäßige, ausgede hnte periostale Auflageru ngen vor allem medial und ventral bl konventionelle Röntg enaufna hme im antero-posterioren Strahlen gang . Beträchtlic he periostate Veränderungen vor allem medial, unre gelmäßig gefo rmt, Oberfläc he zusätzlich artifiziell verän dert. Nu r mäßi ge Veränderungen lateral mit leic ht unre gelmäßiger Struktur der Kortikalis distal und Verdicku ng in Schaftmitte cl corona rerer co mputerto mogra phisc her Schnitt. Genauere Darstellun g der periostalert und endostalert Reaktion mit zum Teil stark, zum Teil nur sch wac h ossifizierten Anteilen. Kleine sklerotische Anteile können Sequeste rn ents prechen (Pfeil] . Lateral in Schaft mitte zeigt erst die Computertomographie, daß keine soli de, sondern eine lamella re periostals Reaktion vorliegt

J. Hodler und Mita rb.

Abb. 2 : Oberkiefer Beispiel für die Anwendung der Computertomographie an komplexen Knoc hen. 2 mm dicker Sagittalschnitt durch den Oberkiefer . Kranial der Sinus maxillaris ( 1). Drei in situ erhaltene Zähne . Die Zahnalveolen sind zum Teil noch erhalten (Pfeile), zum Teil bestehen artif izielle Veränderungen am Alveolarfo rtsat z (Pfeilspitzen) . Die Zähne selber w erden dargeste llt mit zentraler Pulpahöhle l 2l. Vom Dentin (3) setzt sich der Zahnsc hmel z du rch die erhöhte Densität ab (41

Verän derungen zeigten sich unt erschiedliche Bereiche innerhalb der du rch Periost reakt ion verdickten Kortika lis mit an gedeut eten Höhlen und kleinen sklerotischen Herd ehen , welche an Seq uester erinnerten . Solche kleinen Sequ ester sind von pathol ogischen Untersuchungen bei der erworbenen For m der Knochen syphili s bekannt , sie sind a ber rad iologisch beim Lebenden nicht nachweisbar (Resnick u. Ni wayama, 1988).

Disku ssion ne un rege lmäßi ge, über wiegend solide, perio stal e Reaktion nach weisbar, d ie sich überwiegend metadiaph ysär a usdehnte. Die Gesa mtfor m der Knochen war er halten. Äußerlicher Befund , rad iologischer Befund und Laborbefund (Hinweis für the ra peuti sch e Anw endung von Qu ecksilber ) sprachen für eine erworbene Syphilis. Einzig die typisch en Schä delverä nderu nge n fehlten. Wir führten eine Co mputert omograph ie der rechten Tibia du rch (Siemens Somato m Plus, Erlangen, BRD). die Unters uchung wur de mit einer Röh renspannung von 120 kV und einer Leistung von 340 mAs du rchgeführt , a lso gemessen am geri ngen Querschnitt und am Feh len von a bso rbiere nden Weich teilen mit einer hohen Leistun g. Die Schichtdic ke bet rug 5 mm . Zur Bildb erechnung wurde ein hoch auflösend er Knochenal gorithm us verwe ndet. Im Gegensatz zum lebenden Pat ienten, so außer im Bereich der Füß e und Hän de pra ktisc h nur die axia le Sch ichtführung möglich ist , konnt e die unt ersucht e Leichen-Tibi a que r in die Ga ntry-Öffnung gelegt werde n, was bezogen a uf die Knoch enachse eine sag ittale oder coro nare Schnittführung erlaubte. Die erhaltenen Bilder waren vo n a usgezeichneter Qu alität , vom Eindruc k her vergleichbar mit einem Knochensch liff. Neben den bek annten

Die An wendung der Co mp utert omographie in der Paläop athologie ist in einzelnen Berichten beschrieben worden . Peters et a l. (1986) beschrieb die Untersuchung von zwei mitt elalt erlichen Särgen aus dem 12. J ah rhundert . Besond ere Befunde waren eine sehr hoh e Dichte der Hum eri, die du rch die Einlagerun g von Eisenkalzium phosph at bedin gt und so a usgeprägt war, daß die Hum eri co mputertom ograp hisch nicht meh r als Knochen erkennbar waren . Hil freich war die Dar stellun g des hölzernen Sa rges. Diskut iert wurden mögliche Hinweise a uf die Datierun g (durch die Darstellun g der J ahrringe), auf die Art des Holzes un d auf die Art der Vera rbeitung mit Konsequenzen für die Restaurierung. In diesem Fa ll ware n ferner Textilreste da rgestellt. Eine Arbeit von Morx (1988) a n 15 ägyptischen Mum ien wa ndte in Zusam menha ng mit der Co mp uter to mog raphie die 3-D-Bildvera rbeitung a n, also die Erzeugung pseudodreidimension aler Bilder, wo eine Oberfläche rekon strui ert wird und wo durch Schartengebung ein drei dimensiona ler Bildeindruck entsteht. Besonders beeindruckend war bei dieser Arb eit die Da rstellun g der guter ha ltenen Gesichter ohne die Eröffnung der Mu mien. Unser eigener Fall zeigt die zunehmende Gena uigkeit

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z. Orthop .

Computertomog raphie in der Paläopathologie

Bei aller Vorsicht (Verwesungseinfl üsse, mechanische Schädi gun g vor und während der Au sgrabun g, postmortale Verkalkung) zeigt e die Computertomo-

graph ie in diesem Fall sehr feine, vorher verbor gene Details . Für eine sinnvolle Anwendu ng sind allerdings noch Kenntnisse über Normalbefu nde zu erwerben, wie auch über Artefakte, die pathologische Befunde vortäuschen

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\I

Peters, E., G. Bublitz, B. Grapp, G. Grupe, B. Herrmann. Com putertomograp hische Untersuchung mitt elalterlicher Sär ge. Fort sehr. R öntgenstr. 145 (1986) 98-99 Resnick, D.• G. N iwayama: Osteomyelitis, septic a rthruis, a nd soft tissue infectio n: the organisms. In: Resnick. 0 ., G. Niwa yama : Diagnosis of bone a nd jo int diso rders. second editio n (1988) 2692- 2700 . W. B. Seunders. Ph iladelphia Ruuimann, B., H. R. Gugg: Pathologische Befund e im Grä berfeld . In : Der M ünsterhof in Zürich . Bericht über die vom städtischen Büro für Archäologie durchgeführten Stadt kern for schungen 1977/78. Hrsg. von J . Schneider, D. Gutsche r. H . Ett er, 1. Hanser, Teil il. Walter, Olren, 1982.21 3-227 (Schweizer Beiträge zur Kullurgeschichte und Archäologie des Mittelalters. Bd. 10)

o -. J. H odter R önrgendia gnosu sches Zentralinstitu t Universit ätsspital Rämistr. 100 C H·809 1 Zü rich

k önnen.

Literatur I

Baessler, A .: Per uan isehe Mu mien . Unter suchun gen mit X-St rahl en .

Prof Dr. B. Rautmann Medizinh istorisches Instit ut der Un iversität Zü rich Im Tur m der Universit ät Ram istr. 7 1 C H·8006 Zü rich

Berlin 1906

Ctendinnen, F. J.: Skiagram of han d of an egyprian mu mmy show ing a bnormal number of sesarnold bones. Inter colonial Med . J . Austr. 3 (1898) 106-107 J Jäger, K .: Beitr äge zur frühzeit liehen Chi rurg ie. Wiesbaden 1907 .. von Karotyi, L.: Palä opathologie. Sudhof fs Archiv 54 (1970) 395-422 , Marx, M ., S. H . D 'Auria: Three-Dimensional CT Recon struction s of an an cient hu ma n egyptia n mummy. AJ R 150 (1988) 147- 149 (, Paumgartner, G,: Shoc k-wave lithotripsy of gallstones. Walter B. Ca nnon Leeru re. Seco nd interdisciplinary int ernation al symposium on biliary lithot ripsy, Ap ril 1989, vancouver B, c., Canada 2

Frau S. UJr ich

Gerichtlich-medizinisches Institut Universität Bern Bühlstr. 20 e H·30 12 Bern

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der bildgebend en Meth oden , die a uch für die Pal äopath ologie von Wert sein ka nn un d wesentlich kleinere und diskretere Verän derungen als bisher üblich nac hweisen kann . Eine Anwe ndung ist gut vorstellba r im Bereich ko mp lexer Knoch en , wo konventione ll-radio logisch Über lageru ngen eine Beurteilung erschweren, also z. B. im Bereich der Wirbelkörper oder des Schädels. Dabei sind bei ent sprec hender Frageste llung noc h wesentlich dünnere Schichten (bis zu 1 mrn) und eine wesent liche Vergrößerung möglich.

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[Computerized tomography in paleopathology].

Paleopathology is the study of human ailments in bygone times of which written records are non-existent or inadequate. Essentially, it is based on ost...
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