Langenbecks Arch. Chir. 339 (Kongrel3bericht 1975) © by Springer-Verlag 1975

28. Computerunterstiitzte Diagnostik fiir den Pankreasfunktionstest R. Thurmayr, Roswitha Thurmayr und M. Otte Institut fiJr Medizinische Datenverarbeitung der Gesellschaft fiir Strahlen- und Umweltforschung, Miinchen (Leiter: Prof. Dr. med. H.-J. Lange) und Gastroenterologische Abteilung (Leiter: Prof. Dr. med. M.-M. Forell) der II. Medizinischen Klinik der Universit~it MiJnchen (Direktor: Prof. Dr. med. E. Buchborn) Computer-Aided Diagnosis for Pancreatic Function Test

Summary. The use of multivariate nonfinear discriminant analysis raised the rate of correct classification for 585 pancreatic function tests from 84 percent by the doctor to 93 percent by computer analysis. In addition to the "normal" and "pancreatic" disease groups, a group of 388 patients was found in whom secretion levels were neither normal nor typical of pancreatic disease. For this group, nonpancreatic gastroenterologic disease was established with a diagnostic accuracy of 98 percent. Representation of secretion data by Andrews' method for the differentiation of pancreatitis from carcinoma allows moderately sensitive but highly specific testing. Key words: Pancreatic function test -Discriminant analysis -Diagnosis, computeraided - Carcinoma of pancreas Zusammenfassung. Der Einsatz einer multivariaten, nichtlinearen Discriminanzanalyse verbesserte die Trefferrate bei 585 Pankreasfunktionstesten von 84 % durch den Arzt auf 93 % durch den Computer. Zus~itzfich zu den Gruppen ,,Normal" und ,,Pankreaskrank" konnte eine Gruppe von 388 Patienten abgetrennt werden, deren Sekretionsleistung weder als normal noch als typisch fiir eine Pankreaserkrankung bezeichnet werden kann. Ihr liegt mit 98 % diagnostischer Aussagekraft eine sonstige gastroenterologische Erkrankung zugrunde. Fiir die Unterscheidung Pankreatitis - Pankreascarcinom liefert die Darstellung der Sekretionswerte nach Andrews ein m~il3igsensibles, doch stark spezifisches Verfahren. Schliisselw6rter: Pankreasfunktionstest - Diskriminanzanalyse - Computerunterstfitzte Diagnostik - Pankreascarcinom Pankreasfunktionspriifungen durch Sondenuntersuchungen sind fiir den Patienten v611ig risikolos. Auf Grund ihrer hohen Treffsicherheit bei der Erkennung von Pankreasfunktionseinschr~inkungen haben sie ihren festen Platz in der Diagnostik. Bei der iiblichen Interpretation der Sekretionsleistung durch den Arzt ist nur die Aussage ,,normal" oder ,,pathologisch" m6glich und keine Artdiagnose der zugrundeliegenden Erkrankung. Insbesondere ist es unm6glich, zwischen Carcinom und chronischer Pankreatitis zu unterscheiden. Wir haben daher untersucht, ob sich durch den Einsatz mathematischer Auswertungsver-

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R. Thurmayr, R. Thurmayr und M. Otte Tabelle 1. Einordnungsergebnis des Arztes. Die hellen Felder zeigen die richtige Einordnung fiir die Gruppen: Pankreaserkrankung, keine Pankreaserkrankung (Trefferrate: 84 %). Die sonstigen gastroenterologischen Erkrankungen k6nnen vom Arzt nicht abgetrennt werden

fahren unterschiedliche Sekretionsmuster aufzeigen lassen, die differentialdiagnostisch genutzt werden k6nnen.

Testbeschreibung Die Funktionspriifung wird in der Gastroenterologischen Abteilung der II. Medizinischen Klinik der Universit~it MiJnchen in folgender Weise durchgefiihrt: Eine doppell~iufige Duodenalsonde wird bis zum Treitzschen Band vorgeschoben und ermSglicht die getrennte Gewinnung von Duodenalsaft und Magensekret. Stimuliert wird die Pankreassekretion durch gleichzeitige intravenSse GabevonCholecystokinin(llDU/kgKSrpergewicht) und Sekretin (1CHREinheit/kg), 1 Std sp~iter durch die intraduodenale Gabe von Rindergalle (6 g/20 ml Wasser) und erneute Injektion von Cholecystokinin und Sekretin. Der Duodenalsaft wird quantitativ in 20 min-Fraktionen gesammelt. Gemessen werden in allen 6 Proben das Saftvolumen sowie die Konzentrationen von Bilirubin, Bicarbonat, Amylase, Lipase und Trypsin, aul3erdem die Lipasekonzentration im Serum vor und nach den Sekretionsreizen (Otte).

Beurteilung des Testes durch den Arzt Bei tier Interpretation durch den Arzt werden diese Sekretionswerte mit den entsprechenden Normalwerten verglichen, wobei der Arzt die einzelnen Parameter unterschiedlich gewichtet. Diese synoptische Betrachtung der einzelnen MeBwerte durch den Arzt hat eine Trefferrate von 84 % (Tab. 1). In einem Zeitraum von 18Monaten wurden von 585 Tests 494 (Summe aus 16 + 80 + 398) richtig beurteilt unter der Annahme, daB ein pathologischer Test als Zeichen einer Pankreaserkrankung zu werten ist und ein normaler Test gegen eine Pankreaserkrankung spricht. Dabei ist zu beachten, dab 32 yon 112 Pankreaserkrankungen, das sind 29 % falsch Negative, nicht erkannt wurden. Die diagnostische Aussagekraft eines als pathologisch befundenen Tests betr~igt nur 58 %, denn bei 59 von 139 Patienten mit pathologischen Sekretionswerten lagen diverse gastroenterologische Erkrankungen vor, jedoch bestand kein Anhalt fiJr eine organische Pankreaserkrankung.

Mathematisches Diagnostikmodell fiir die Testbeurteilung Eine Verbesserung der Testbeurteilung versprachen wir uns durch den Einsatz eines mathematischen Auswertungsveffahrens. Voraussetzung dafiir war

Computerunterstiitzte Diagnostik fiir den Pankreasfunktionstest Y

~

3287

Akutes Ulcus

NORMAL

2827 2366 1906

ul~u~ " / i / J

1446

-" '~o".H t

~ ~ % . ~

' "Pankreetitis

986 526 66 -39 -131

', -177

I

"

~

/~.Celzifizierende Pankreatitis

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Abb. 1. Einhiillende Ellipsen ffir die Punktwolken der 6 Gruppen. Die Abbildung entstand dutch distanzerhaltende Projektion der Punkte aus dem dreizehndimensionalen Raum in die Ebene (x, y). Dieses graphische Vorgehen der Punkteinhiillung demonstriert das mathematische Veffahren der Diskriminanzanalyse I keine gastroenterologische Erkrankung (Normal) • Pankreascarcinom [] chronisch calcifizierende Pankreatitis O chronisch rezidivierende Pankreatitis A akutes Duodenalulcus V chronisches Duodenalulcus

eine computergerechte Dokumentation der Sekretionsdaten und der gesicherten Diagnosen. Sie besteht seit 1970. Auf Grund dieser Daten konnte mit Hilfe des Computers des Instituts fiir Medizinische Datenverarbeitung der GSF Mfinchen ein Diagnostikmodell aufgebaut werden. Lange ging w~ihrend des vorj~ihrigen Deutschen Chirurgenkongresses in seinem Referat ,,Indikation zum chirurgischen Eingriff" auf die Grundlagen ffir mathematische Diagnostikmodelle ein. Ich kann reich daher auf die Angabe beschdinken, dab wir als Trennverfahren die multivariate, nichtlineare Diskriminanzanalyse fiir 13 ausgew~ihlte Sekretionswerte einsetzen (Fisher, Victor, Thurmayr). Zum Versdindnis dieses Verfahrens miissen Sie sich vorstellen, dab jeder Patient auf Grund seiner 13 Sekretionsdaten einen Punkt in einem 13 dimensionalen Raum darstellt. Bei einer distanzerhaltenden Projektion dieser Punkte auf zwei Dimensionen k6nnen die Punktwolken der Patienten gleicher Diagnose durch Ellipsen eingefaBt werden, welche diese Patienten mehr oder weniger isolieren (Abb. 1) (Blorner). Die Diskriminanzanalyse fiihrt dieses Eingrenzungsveffahren mathematisch dutch. Ein neuer Patient kann nun einer Diagnose auf Grund seiner Lage zu der entsprechenden Ellipse zugeordnet werden. In unserem Modell werden 6 Diagnosen beriicksichtigt: Keine gastroenterologische Erkrankung, Pankreascarcinom, chronisch rezidivierende Pankreatitis, chronisch calcifizierende Pankreatitis sowie akutes und chronisches Ulcus duodeni.

Ergebnis der Diagnostikhilfe durch den Computer Durch den Einsatz der Diskriminanzanalyse in die Routine seit Sommer 1973 konnte die Trefferrate fiir die Aussage Pankreaserkrankung bzw. keine Pankreaserkrankung deutlich auf 93 % (16 + 102 + 379 + 44 = 541 von 585 Patienten) erh6ht werden (Tab. 2). Die Rate der falsch negativen Testbeurteilungen sank auf 9 % (10 von 112 Pankreaskranken), verglichen mit 29 %

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R. Thurmayr, R. Thurmayr und M. Otte Tabelle 2. Einordnungsergebnis der Diskriminanzanalyse Die hellen Felder zeigen die richtige Einordnung. Die Diskriminanzanalyse trennt die sonstigen gastroenterologischen Erkrankungen ab. Bei Reduktion auf den Zweigruppenfall: Pankreaserkrankung, keine Pankreaserkrankung (entsprechend den Einordnungsm6glichkeiten des Arztes), ist die Trefferrate 93 %

f(t)

o.2.2.

. A6

A

Funktionsdarstellung nach ANDREWS fiJr 2 Gruppen aus den Mittelwerten von 13 Vctriablen f(tl t =Xl/,~"+x2 ) . . si n( +x 3 cos (t).xz, sin (2t)

Abb. 2. Durchzogene Linie: Gruppe der Patienten ohne gastroenterotogische Erkrankung. Punktierte Linie: Gruppe der Pankreascarcinompatienten

bei konventioneller Beurteilung der gleichen Patienten. Im gleichen Mal3 stieg die diagnostische Aussagekraft eines positiven, d.h. pathologischen Testergebnisses von 58% auf 75 % (102 von 136 Testen). Dariiber hinaus wird v o n d e r Diskriminanzanalyse eine groBe Gruppe von 388 Patienten abgetrennt, deren Sekretionsleistung weder normal noch typisch fiir eine Pankreaserkrankung ist und bei denen andere gastroenterologische Erkrankungen vorliegen. Bei ihnen miissen zur Abkl~irung der Beschwerden weitere diagnostische Mal3nahmen in Richtung Magen-, Darm-, Leber- und Galleerkrankung ergriffen werden, da bei dieser Gruppe mit einer diagnostischen Aussagekraft von 98 % (379 von 388 Testen) eine Pankreaserkrankung ausscheidet. Fib die spezielle Fragestellung ,,Pankreascarcinom" werden die Mel3werte nach Andrews abgebildet. Dazu zeichnet das Diagnostikmodell fiir jeden Patienten eine Schwingungskurve (Abb. 2) (Schimetzek). Wertet man eine gemeinsame Abflachung der 1. Welle dieser Schwingungskurve unter 4 und der zweiten unter 1 als Anzeige fiir ein Pankreascarcinom, so werden 7 der 28 Carcinome richtig eingestuft, w~ihrend nur ein Patient f~ilschlich in die Carcinomgruppe f~illt (Tab. 3). Dieses Auswerteverfahren weist zwar eine hohe Rate falsch Negativer auf, scheint aber von hoher diagnostischer Aussagekraft bei positiven Befunden zu sein. Zusammenfassend mul3 man sagen, dab fiir die Differentialdiagnose Pankreascarcinom und chronische Pankreatitis der Computereinsatz fiir die Inter-

Computerunterstfitzte Diagnostik fiir den Pankreasfunktionstest

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Tabelle 3. Einordnungsergebnis der Funktionsdarstellung nach Andrews. Die hellen Felder zeigen die richtige Einordnung. DasVerfahren ist ffir das Pankreascarcinom wenig sensibel, aber sehr spezifisch

pretationdesPankreasfunktionstestesbisher nur einen mfiBigenBeitrag liefern konnte. Derngegenfiber wurde der Funktionstest mit Hilfe des Rechners als Suchtest, ob iiberhaupt eine Pankreaserkrankung vorliegt und damit eine weitere Pankreasdiagnostik notwendig ist, soweit verfeinert, dab die Treffsicherheit gegen 100 % geht. Ergibt sich daher aus der Computerdiagnose das Vorliegen einer Pankreaserkrankung, gleichgfiltig ob die vorgeschlagene Diagnose Carcinom oder chronische Pankreatitis lautet, und besteht klinisch der geringste Verdacht auf das Vorliegen eines Pankreascarcinoms, so muB in jedem Fall die eingreifendere morphologische Diagnostik anlaufen, gegebenenfalls bis zur Probelaparotomie. Ergibt aber die Diskriminanzanalyse keinen Anhalt fiir eine Pankreaserkrankung, so ist auch ein Carcinom sehr unwahrscheinlich. Literatur

Andrews, D. F.: Graphical techniques for high dimensional data. New York-London: Academic Press 1973 Blomer, R. J., Raschewa, C.: Distanzerhaltende Projektionen. Programmbibliothek des Instituts fiir Medizinische Datenverarbeitung der GSF, Miinchen 1975 Fisher, R. A.: The statistical utilization of multiple measurements. Ann. Eugenics 8, 376-386 (1938) Lange, H.-J.: Indikationen zum chirurgischen Eingriff - Wandlung und Entwicklung aus der Sicht der modernen Datenverarbeitung (Chirurgische Datenbank). Langenbecks Arch. Chir. 337, 75-82 (1974) Otte, M., Stahlheber, H., Zoelch, M., et al.: Pankreassekretion des Menschen nach Stimulation mit Cholecystokinin/Pankreozymin, Sekretin und Galle. Methodik und Normalwerte. Klin. Wschr. 51, 915-920 (1973) Schimetzek, H.: ANDFIL (Abbildungsprogramm nach Andrews). Programmbibliothek des Instituts fiir Medizinische Datenverarbeitung der GSF, Mfinchen (1975) Thurmayr, R., Otte, M., Thurmayr, R.: Computer aid for diagnosing pancreatic, hepatic and gastric diseases by pancreatic function test. MEDINFO 74, North-Holland Publ. Comp., pp. 607-612 (1974) Victor, N.: A nonlinear discriminant analysis. Computer Programs in Biomedicine, vol. 2, pp. 36-50 (1971) Priv.-Doz. Dr. R. Thurmayr Inst. fiir Med. Datenverarbeitung der Ges. fiir Strahlen- und Umweltforschung mbH D-8000 Miinchen 81 Arabellastr. 4/1 Bundesrepublik Deutschland

[Computer-aided diagnosis for pancreatic function test (author's transl)].

The use of multivariate nonlinear discriminant analysis raised the rate of correct classification for 585 pancreatic function tests from 84 percent by...
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