11 Thoraxchirurgie 24 (1976) 11-15 © Georg Thieme Verlag Stuttgart

Komplikationen nach thorako- retroperitonealer Nephrektomie* Complications after Thoraco-Retroperitoneal Nephrectomy D. Hauri, G. Mayor Zusammenfassung

Summary

Wir erachten den thorako-retroperitonealen Zugangsweg bei großen und im Oberpol gelegenen Nierentumoren sowie bei Betroffensein des venösen Anteils der Niere durch den Tumor als den optimalsten. Er ergibt für den Operateur völlige Bewegungsfreiheit und garantiert zuverlässige radikale Tumornephrektomie sowie rekonstruktive Maßnahmen an den großen Gefäßen.

We are of the opinion that for large kidney tumors in the upper region as the afflicted venous portions, the most advantageous incision is a thoraco-retroperitoneal one. It allows the surgeon total freedom of movement and ensures reliable radical tumornephrectomy, as well as reconstruction possibilities in the large vessels.

Diese Schnittführung ist naturgemäß mit Komplikationen behaftet. Diese treten jedoch weit seltener auf, wie vor allem von den Gegnern dieser Zuganges vermutet wird. Wir werden in unserer Auffassung durch andere Statistiken unterstützt (4). Zu den Nachkontrollen unserer thorako-retroperitoneal nephrektomierten Patienten können wir folgendes aussagen: -

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die postoperative Mortalität wird durch diesen Zugang nicht erhöht. Sie richtet sich danach, wie weit man gewillt ist, Patienten mit Nierentumoren in hohem Alter und/oder schlechtem Allgemeinzustand zu nephrektomieren. Die postoperativen Komplikationen von seiten des Thorax sind gering. Kein einziger Patient mußte reoperiert, punktiert oder mit einer Saugdrainage behandelt werden. Respiratorische Schwierigkeiten traten keine auf.

Of course, use of this incision is not without complications. They appear, however, not as often as opponents of this method would suppose. There are other statistics to support our convictions (4). From the check-ups of our thoraco-retroperitoneal nephrectomy patients, we are able to surmise the following: -

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Die postoperativen Komplikationen von seiten der Wunde richten sich naturgemäß nach deren Ausdehnung. Auch hier waren keine Zweiteingriffe von Nöten, außer bei einem Patienten mit einem retroperitonealen Hämatom unter Heparinisierung. Diese Komplikation jedoch ist nicht der besonderen Schnittführung anzulasten.

The post operative mortality rate is not increased with this method. The cause for the mortalities are, as far as one can tell, old age and/or a generally poor condition piror to nephrectomy. Post operative complications due to access though the thorax are very few. Not one patient had to be re-operated, punctured, or treated using suction drainage. No respiratory difficulties were observed. Post operative complications from the wound were naturally relative to the extent of the incision. It was also here unnecessary to perform a second operation except in one case of a retroperitoneal hematoma from heparinization. This complication was not the result of this particular incision.

Vor mehr als 100 Jahren, nämlich am 2. August 1869, wurde durch Gustav Simon an der Chirurgischen Universitätsklinik Heidelberg zum ersten Mal eine Nephrektomie vorgenommen (11). Selbstverständlich erfolgte damals - im Zeitalter vor der ersten Thorakotomie - der Zugang zur Niere durch einen subkostalen Lumbaischnitt. Dieser Zugangsweg, sowie auch der später von Bergmann eingeführte, gewähren gute Übersicht zur Konvexität der Niere, zum Nierenunterpol und dem dorsalen Anteil des Nierenbeckens, sofern Wirbelsäule und Thorax nicht mißgebildet sind. Auch der muskelschonende Lumbaischnitt von Lurz (5), der spätere Narbenhernien verhindern soll, bedeutet keineswegs größere operative Freiheit. In der Chirurgie der Nierentumoren jedoch gibt es, was die Prognose anbelangt, zwei entscheidende Tatsachen zu beachten: * Herrn Prof. Åke Senning zum 60. Geburtstag gewidmet.

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Urologische Universitätsklinik (Prof. Dr. G. Mayor) Zürich

D. Hauri, G. Mayor

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1. In 13-25% aller Nierentumoren sind diese im Stadium der Nephrektomie schon in das perirenale Fettgewebe weitergewachsen (10). Das heißt, daß zur Radikalität der Operation das vollständige Entfernen der Nierenfettkapsel gehört. 2. Das Hypernephrom hat eine spezifische Affinität, entlang des venösen Abflusses weiterzuwachsen und zu metastasieren. Das bedeutet für den Chirurgen, möglichst rasch und ohne großes Traumatisieren der Niere an deren Gefäßhilus zu gelangen und diesen zu unterbinden. Diesen beiden für die Nierentumorchirurgie entscheidenden Fakten kann der lumbale Nierenzugang in vielen Fällen nicht genügen. Könnte die erste Forderung, die vollständige Entfernung des perirenalen Fettgewebes nämlich, mit einem rein lumbalen Zugang noch knapp erfüllt werden, allerdings unter sehr unübersichtlichen Operationsverhältnissen, so vermag keiner der lumbalen Zugänge bei großen Nierentumoren der zweiten Anforderung nur im geringsten zu entsprechen. Aus diesem Grund hat Mortensen 1948 zum ersten Mal den thorako-abdominalen Zugangsweg zur Niere beschrieben (8). Diesem Zugangsweg kommt seit der sogenannten radikalen Tumornephrektomie (1, 7, 9) mit der Forderung, die paraaortalen oder paracavalen Lymphknotenketten ebenfalls en bloc mit der Niere mitzuentfernen, in noch vermehrtem Maße Bedeutung zu. - Der Gefäßhilus kann rasch freigelegt werden ohne großes Traumatisieren der Niere. Allfällig in die Vena renalis oder in die Cava vorwachsende Tumorzapfen sind leicht erreichbar und problemlos zu entfernen. Falls Komplikationen von seiten der Gefäße auftreten, sind diese ohne Schwierigkeiten zu meistern. -

Die Niere mit Tumor und perirenalem Fettgewebe sowie Nebenniere können en bloc entfernt werden.

- Die paraaortalen und paracavalen Lymphknoten können ebenfalls übersichtlich dargestellt und problemlos mitentfernt werden. Demgegenüber können der Nierenhilus und die Gefäße ebenso leicht durch den trans-peritonealen Zugangsweg erreicht werden. Die überzeugten Anhänger letzteren Vorgehens erkaufen sich den zugegebenermaßen noch weniger nierentraumatisierenden Operationsweg durch sehr beträchtliche Schwierigkeiten bei großen Nierentumoren, vor allem wenn diese im Nierenoberpol gelegen sind. Nierentumoren erfordern eine zuverlässige, wenig traumatisierende Nephrektomie und die Nephrektomie ist nach Unterbindung der Gefäße noch keineswegs erfolgt. Vor allem hier erwachsen beim rein abdominalen Vorgehen infolge Begrenzung durch Rippenbogen, Zwerchfell, Leber oder Milz größere Schwierigkeiten als beim thorakoretroperitonealen Vorgehen. Von den Autoren des trans-peritonealen Zuganges werden der thorako-retroperitonealen Nephrektomie Komplikationen vorgeworfen von seiten -

der der des der

Lunge: postoperative Pneumonie, bronchogene Fisteln, Hautemphysem, Atelektasen Pleura: postoperativer Pneumothorax, Pleuraergüsse, Pleuraempyem Zwerchfells: Hernien, Phrenikusparesen großen Operationswunde: Hämatome, Wundinfekte, Serome, Wunddehiszenzen, Narbenhernien. Der thorako-retroperitoneale

Zugangsweg (6): dessen Indikation (2)

Große und ausnahmslos alle im Oberpol gelegene Nierentumoren entfernen wir durch die thorako-retroperitoneale Schnittführung. Zusätzlich wenden wir diesen Zugang bei Tumorausbreitung in das venöse Abflußsystem an. Der Cavographie schenken wir deshalb besondere Aufmerksamkeit. Der Hautschnitt wird beim halbschräg gelagerten Patienten ca. 3 cm unterhalb des Nabels pararektal begonnen und kranialwärts immer entlang des lateralen Randes des Musculus rectus auf Höhe des 8. oder 9. Interkostalraumes weitergezogen. Der Rippenbogen wird durchtrennt und der Schnitt im 8. oder 9. Interkostalraum weitergeführt, wobei gleichzeitig die Pleura eröffnet wird (Abb. 1). Hierauf wird unmittelbar entlang der Ansatzstelle der Rektusscheide die abdominale Muskel-Faszien-Schicht durchtrennt und das Peritoneum abgeschoben, so daß der ganze Retroperitonealraum frei zugängig ist. Nun wird das Zwerchfell entlang seines lateralen Ansatzrandes inzidiert (Abb. 2), wodurch sich das ganze Operationsgebiet für jeglichen Eingriff an Niere, Nebenniere, Gefäße und Lymphknoten weit offen präsentiert. Wird das Zwerchfell 1-2 cm von seinem lateralen Ansatz inzidiert, so besteht keine Gefahr einer Phrenikusparese. Das weitere Vorgehen richtet sich nach dem jeweils vorliegenden Befund. Am Schluß der Operation wird zuerst der Thorax verschlossen unter Einlegen eines Thoraxdrains, welcher für die nächsten 2 4 - 4 8 Stunden unter einem Dauersog von ca. 30 cm H2O steht. Die Retroperitonealhöhle wird mit 1-2 Wunddrains versorgt. Der Thoraxdrain wird nach radiologischer Kontrolle von Lunge und Pleura spätestens nach 48 Stunden entfernt, die abdominalen Drains am 5. bis 7. postoperativen Tag.

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Der thorako-retroperitoneale Zugang hat die folgenden Vorteile:

Abb. 1 Schnittführung zur thorako-retroperitonealer Nephrektomie.

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Abb. 2 Laterale Inzision des Zwerchfells. Der Rip penbogen ist durchtrennt.

Komplikationen der thorako-retroperitonealen Nephrektomie An der Urologischen Universitätsklinik Zürich wurde in den Jahren 1964-1974 in 64 Fällen ein Nierentumor auf thorako-retroperitonealem Weg entfernt; das entspricht ungefähr 35% aller Tumornephrektomien. Dazu gelangte die gleiche Schnittführung bei 83 retroperitonealen Lymphadenektomien bei Hodentumoren und bei 47 Patienten mit Nebennierentumoren zur Anwendung. Wir haben die durch den thorako-retroperitonealen Zugang nephrektomierten Patienten betreffend sämtlicher Komplikationen nachkontrolliert. Das postoperative Intervall von mindestens 6 Monaten schien uns aussagekräftig genug bezüglich sämtlicher Komplikationsmöglich keiten. Da wir die thorako-retroperitoneal nephrektomierten Patienten wenn möglich über mindestens 1-2 Jahre ambulant nachkontrollieren und besonders sorgfältig auf postoperative Komplikationen bezüglich Schnittführung achten, konnten wir uns beim größten Teil auf das Studium unserer Krankengeschichten beschränken. Wo Unklarheiten herrschten, wurden die Patienten zu einer speziellen Nachkontrolle einbestellt. 2 Patienten waren nicht mehr zu erfassen. Bei 3 Patienten lag der Eingriff noch keine 6 Monate zurück. Diese 5 Patienten fallen für unsere Statistik weg. Tabelle 1 Postoperative Todesfälle a) Postoperative Todesfälle (Tab. 1) 64 Anzahl Operationen: Die postoperative Mortalität von 14% ist beträchtlich Postoperative Todesfälle: 9 = 14% Die Ursache liegt aber kaum am operativen Zugangs3 Pat. Lungenembolie weg, sondern dürfte mit der Beeinträchtigung des 1 Pat. Respiratorische Insuffizienz Allgemeinzustandes dieser Patienten durch das Herz-Kreislaufversagen 2 Pat. Karzinom und dem hohen Durchschnittsalter von 59 Magen-Darmblutung 1 Pat. Jahren in Zusammenhang gebracht werden. Alle PaPankreasnekrose 1 Pat. tienten verstarben in der ersten postoperativen Woch 1 Pat. Unklar Wir sind der Ansicht, daß höchstens die respiratorische Insuffizienz (1 Patient) als Todesursache dem operati-

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Komplikationen nach thorako-rettoperitonealer Nephrektomie

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ven Zugangsweg angelastet werden darf, obwohl wir keinen Pneumothorax oder operationsbedingte Atelektasen beobachten konnten, sondern es sich um eine postoperative Globalinsuffizienz handelte. Sämtliche anderen Todesursachen müssen unseres Erachtens bei jedem anderen operativen Vorgehen ebenfalls erwartet werden. b) Komplikationen von seiten der Schnittführung (Tab. 2) Bezüglich der Komplikationen von Lunge und Pleura 8/50 Pat. a) Pleura und Lunge setzten wir bei der Beurteilung unserer nachkontrol1 Pneumothorax lierten Patienten besonders strenge Maßstäbe an, in4 Pleuraergüsse dem wir prinzipiell jede thorakale Komplikation Atelektase 1 berücksichtigten. Pneumothorax (1 Patient), Pleura1 Hautemphysem ergüsse (4 Patienten), Atelektase (1 Patient) und Pneumonie 1 Hautemphysem (1 Patient) sind sicherlich die klassischen Komplikationsmöglichkeiten, mit denen man 14/50 Pat. b) Wunde bei einem thorakalen Eingriff rechnen muß; man darf dabei aber nicht übersehen, daß dieselben ErFrühkomplikationen: eignisse bei versehentlichem Eröffnen der Pleurahöhle 1 Wundhämatom bei rein lumbalem Zugang nicht selten ebenfalls ein1 Nachblutung treten können. Beim Pneumothorax handelte es sich Wundinfekte 4 um einen Mantelpneumothorax; die Pleura entfaltete 1 Serom sich spontan ohne Saugdrainage. Alle 4 Pleuraergüsse resorbierten sich spontan innerhalb 2-3 Wochen; keine Spätkomplikationen: mußte abpunktiert werden. 5 Narbenhernien Bei der Atelektase - einem Mittellappensyndrom — Fadengranulome 2 mußte die obliteriende Sekretanschoppung bronchoskopisch abgesogen werden; Inhalations- und Atemtherapie brachten in wenigen Tagen vollständige Normalisierung. Das Hautemphysem verschwand ohne Therapie innerhalb zweier Wochen. Die Pneumonie heilte unter Antibiotikatherapie vollständig aus. Mit Pneumonien ist auch nach anderen die Thoraxhöhle nicht erfassenden Operationen zu rechnen. Bei den Komplikationen von seiten der Wunde ist zu bemerken, daß diese mit der Länge der Schnittführung zunehmen; und die Wunde weist eine beträchtliche Länge auf. So dürften Wundinfekte, Serome, Narbenhernien und Fadengranulome etwas häufiger zu verzeichnen sein als bei den beträchtlich kleineren Lumbotomienarben. Keine der aufgeführten Komplikationen verlängerte indes den Spitalaufenthalt außer bei einem Patienten mit einem Retroperitonealhämatom, welches operativ ausgeräumt werden mußte. Dieser Patient wurde unmittelbar postoperativ heparinisiert wegen ausgeprägten thrombotischen Verschlüssen in den Tabelle 3 Komplikationen, welche die Schnittführung Beckenstammgefässen. Ein Wundhämatom resorbierte nicht betreffen. sich unter konservativen Maßnahmen. Lungenembolie Thrombosen Hautallergien

1 Pat. 2 Pat. 2 Pat.

c) Komplikationen, welche die Schnittführung nicht betreffen (Tab. 3)

Total

5 Pat.

Sie sind überall in der Chirurgie anzutreffen und haben mit der Operationstechnik an sich nichts zu tun.

Literatur 1 Chute, R., et al.: Value of thoraco-abdominal incision in removal of kidney tumors. New Engl. J. Med. 241 (1949)951 2 Hauri, D., G. Mayor, P. Rüedi: Die Cavographie in der Indikationsstellung zur Operation bei Nierentumoren. Urol. (1974) 99 3 Klosterhalfen, H.: Thoraco-abdominale Nephrektomie bei großen Nierentumoren. Urologe 7 (1968) 146 4 Klosterhalfen, H.: Die Behandlung der Tumoren

der Niere und der oberen Harnwege: Fortschr. d. Med. 92 (1974) 1183 5 Lurz, L., H. Lurz: Die Eingriffe an Harnorganen, Nebennieren und männlichen Geschlechtsorganen. Springer Verlag, Berlin 1961 6 Mayor, G., E. Zingg: Urologische Operationen. Thieme Verlag, Stuttgart 1973 7 Middleton, R.G., A.J. Presto: Radical thoracoabdominal nephrectomy for renal cell carcinoma. J. Urol. 110 (1973) 36

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Tabelle 2 Komplikationen von seiten der Schnittführung

Glomangiose der Lungen 8 Mortensen, H.: Transthoracic nephrectomy. J. Urol. 60 (1948) 855 9 Robson, C, et al.: The results of radical nephrectomy for renal cell carcinoma: J. Urol. 101 (1969) 297

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10 Skinner, D, G., et al: The surgical management of renal cell carcinoma: J. Urol. 107 (1972) 705 11 Zingg, E., B. Dubs: Der thoraco-abdominale Zugangsweg in der Urologie. Z. Urol. 63 (1970) 41

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Dr. D. Hauri, Prof. Dr. G. Mayor, Urologische Univ.-Klinik, Kantonsspital, Rämistr. 100, CH-8006 Zürich/Schweiz

[Complications after thoraco-retroperitoneal nephrectomy (author's transl)].

We are of the opinion that for large kidney tumors in the upper region as the afflicted venous portions, the most advantageous incision is a thoraco-r...
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