Originalien Urologe 2015 · 54:533–541 DOI 10.1007/s00120-015-3812-5 Online publiziert: 14. April 2015 © Springer-Verlag Berlin Heidelberg 2015

F. Roghmann · M. Gockel · J. Schmidt · J. Hanske · N. von Landenberg · B. Löppenberg · K. Braun · C. von Bodman · J. Pastor · J. Palisaar · J. Noldus · M. Brock Klinik für Urologie, Marien Hospital Herne, Ruhr-Universität Bochum

Komplikationen nach Ileumconduitanlage Harnableitungsspezifische Komplikationen nach radikaler Zystektomie

Abkürzungen AIC ASA BMI CCI CDC CI HR HWI IC ICU IMC IQA NB RC Ref.

Aikaike Information Criterion American Society of Anesthesiologists Score Body-Mass-Index Charlson-Komorbiditätsindex Clavien-Dindo-Klassifikation Konfidenzintervall Hazard Ratio Harnwegsinfekte Ileumconduit Intensive Care Unit Intermediate Care Unit Interquartilenabstand Orthotope Neoblase Radikale Zystektomie Referenz

Die radikale Zystektomie (RC), eine der anspruchsvollsten urologischen Operationen, stellt den Goldstandard in der Therapie des muskelinvasiven Urothelkarzinoms der Harnblase dar [1, 2]. Die Entfernung der Harnblase erfordert die Rekonstruktion der Harnableitung. Neben kontinenten Harnableitungen wie der orthotopen Ileumneoblase, dem heterotopen Pouch und analen Reservoiren stehen inkontinente Ableitungsmöglichkeiten wie der Ureterokutanostomie und dem Ileumconduit (IC) zur Verfügung. Letzteres wurde nach Vorarbeit und Einführung von Shoemaker (1912) und Seiffert (1935) durch Bricker im Jahre 1950 einem breiteren Publikum zugänglich gemacht [1, 3]. Hierzu wird ein 15 bis 20 cm langes Ileumsegment ausgeschaltet, in das die Ureteren

implantiert werden und welches abschließend mittels Stoma in der Regel im rechten Unterbauch ausgeleitet wird [3]. Obwohl insbesondere spezialisierte Zentren im Einklang mit den Empfehlungen internationaler Leitlinien bestrebt sind, RCKandidaten nach Möglichkeit eine kontinente Harnableitung anzubieten [4], ist die inkontinente Harnableitung mittels IC weiterhin das in der Gesamtheit am häufigsten angewandte Verfahren [5]. In der Literatur ist das Hauptaugenmerk auf RC-Frühkomplikationen gerichtet, welche mit Komplikationsraten zwischen 30 und 70% und einer Frühmortalität von 0,3 bis 7,9% beschrieben sind [6, 7, 8, 9, 10]. Dennoch konnte aufgezeigt werden, dass die Harnableitung auch im weiteren Verlauf nach RC mit nicht unerheblicher Morbidität und potenziellen Lebensqualitätseinschränkungen assoziiert ist [11, 12, 13]. Trotz der durch den notwendigen Darmeingriff vermeintlich höheren postoperativen Komplikationsrate konnten Studien zeigen, dass das IC im Vergleich zur Ureterokutaneostomie eine sichere und etablierte Variante der inkontinenten Harnableitung darstellt, auch weil es mit einer geringeren Striktur- und Infektionsrate assoziiert sein soll [4, 14]. Dennoch entwickelt ein signifikanter Anteil der Patienten mit IC eine harnableitungsspezifische Komplikation wie beispielsweise parastomale Hernien, Urolithiasis, Harnleiterimplantations- und ICStenosen [4]. In der vorliegenden Studie berichten wir über harnableitungsspezifische Kom-

plikationen nach konventionell offener RC und IC-Anlage in einem aktuellen Kollektiv [12]. Wir untersuchen potenzielle Risikofaktoren für das Auftreten einer hochgradigen IC-Komplikation sowie für eine IC-Revision.

Studiendesign und Untersuchungsmethoden Präoperative Vorbereitung Zwischen Juni 2003 und Dezember 2010 wurden 471 konsekutive Blasentumorpatienten in unserer Klinik mittels RC therapiert. Die Harnableitung erfolgte in 305 Fällen (64,6%) durch ein IC, wohingegen in 162 Fällen (34,3%) eine Ileumneoblase und in 5 Fällen (1%) eine anderweitige Ableitung angelegt wurde. Präoperativ wurden die Vor- und Nachteile der Harnableitung mit jedem Patienten ausführlich besprochen. Um eine Harnableitung mittels IC durchzuführen, musste ausreichend intakter Darm vorhanden sein. Im Rahmen der präoperativen Diagnostik wurde jeder Patient internistisch (Elektrokardiographie, Ergometrie, Echokardiographie und Spirometrie) untersucht.

Intra- und postoperative Abläufe Die Patienten wurden von acht Operateuren operiert (n=3 erfahrene OperateuF. Roghmann und M. Gockel haben zu gleichen Teilen zu dieser Arbeit beigetragen. Der Urologe 4 · 2015 

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Originalien Tab. 1  Postoperative Komplikationen

der Blasentumorpatienten, nach RC und IC (6/2003–12/2010, n=305)   Gesamt 90d-Komplikation

IC-assoziierte   Komplikation Parastomale Hernie

Neuaufgetretene Niereninsuffizienz Fieberhafte HWI Peristomale Dermatitis Harnleiterstenose IC-Stenose Urolithiasis IC-Blutung

CDC   0 I–II III–V 0 I–II III–IV 0 I III 0 I IV 0 II 0 II 0 III 0 III 0 III 0 III

n 305 134 105 66 205 59 41 260 29 16 294 8 3 280 23 289 16 291 14 292 13 302 3 302 3

[%] 100 43,9 34,4 21,6 67,2 19,3 13,4 85,2 9,5 5,2 96,4 2,6 1,0 92,4 7,6 94,8 5,2 95,4 4,6 95,7 4,3 99,0 1,0 99,0 1,0

IC Ileumconduit; RC radikale Zystektomie; CDC Clavien-Dindo-Klassifikation.

re zu Studienbeginn, n=5 Junioroperateure, die im Rahmen des Studienzeitraums an die Operation herangeführt wurden). Junioroperateure wurden zumindest bis zur fünften Operation von einem erfahrenen Operateur supervidiert. Des Weiteren war jederzeit ein erfahrener Operateur im Hintergrund erreichbar. Die Operation begann mit einer 15 cm langen, infraumbilikalen Inzision, gefolgt von einer weiten Exzision des Peritoneums. Im Anschluss wurde bei männlichen Patienten Harnblase, Prostata, Samenbläschen und distale Ureteren und bei weiblichen Patienten Harnblase, Uterus, Adnexe und distale Ureteren entfernt. Die bilaterale pelvine Lymphadenektomie wurde in dem Bereich der A. und V. iliaca externa und interna sowie der A. iliaca communis bis zur Harnleiterüberkreuzung der iliakalen Gefäße durchgeführt. Die laterale Begrenzung war der N. cutaneus femoris lateralis. In 12/305 Fällen (3,9%) wurde von

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einer Lymphadenektomie abgesehen. Zur Harnableitung mittels IC wurde ein 15 bis 20 cm langes Ileumsegment ausgeschaltet, in das die Ureteren implantiert wurden und welches abschließend mittels Stoma in der Regel im rechten Unterbauch ausgeleitet wurde [3]. Die Ureteranastomose wurde größtenteils in der Technik nach Nesbit (Wallace 4,3%, 13/305) und die ileoileale Anastomose mittels Klammerautomat durchgeführt. Am Tag vor der Operation erhielten die Patienten zur Darmvorbereitung p.o. 2 l Elektrolytlösung. Perioperativ erfolgte eine Antibiotika-Einmalgabe mit Ceftriaxon und Metronidazol, eine gewichtsadaptierte Thromboseprophylaxe mit einem niedermolekularen Heparinanalogon (bis zum 28. postoperativen Tag), sowie die Anlage einer nasalen Magensonde, die am 1. Tag nach RC entfernt wurde, und eines thorakalen Periduralkatheters. Postoperativ wurden die Patienten routinemäßig auf der urologischen Observationsstation (Intermediate Care) überwacht. Das postoperative Standardinfusionsschema bestand aus Elektrolyt- und 10% Glukoselösungen. Zusätzlich wurden Metoclopramid, Pantozol und Ambroxol i.v. verabreicht. Ab dem 3. Tag nach RC wurde die Medikation durch Neostigmin i.v., Natriumpicosulfat p.o. und ein rektales Klistier ergänzt. Der orale Kostaufbau erfolgte stufenweise (Tee, Joghurt, Suppe). Die intraoperativ eingelegten Ureterschienen wurden gleichzeitig am 10. postoperativen Tag entfernt. Am 11. Tag erfolgte eine sonographische und falls erforderlich eine radiologische Kontrolle.

Datenakquise Ein Ethikvotum für die Analyse der RCDatenbank unserer Klinik ist vorhanden. Präoperative Charakteristika wie Alter, Geschlecht, Body-Mass-Index (BMI), die Durchführung einer neoadjuvanten Chemotherapie und Komorbiditäten, klassifiziert nach dem Charlson-Komorbiditätsindex (CCI) sowie dem ASA-Score [16], wurden erhoben. Das Tumorstadium nach RC wurde nach der TNM-Klassifikation von 2002 eingeteilt (. Tab. 1, [15]). Darüber hinaus wurden perioperativ Blutverlust, Operationszeit und die

Notwendigkeit einer intensivmedizinischen Überwachung erfasst. Nach Entlassung wurde ein Großteil der Patienten einer Anschlussheilbehandlung zugeführt oder es wurde je nach histologischem Befund eine adjuvante Chemotherapie innerhalb von 2 Wochen nach Entlassung in unserer Klinik eingeleitet. Alle Komplikationen, die sich im Rahmen des stationären Aufenthalts postoperativ ereigneten, wurden prospektiv erfasst. Chemotherapie assoziierte Komplikationen wie z. B. Emesis, Nausea oder neutropenes Fieber wurden nicht berücksichtigt. Zudem wurden alle Berichte der Anschlussheilbehandlung, ein schriftliches Follow-up mit den Patienten selbst sowie die Korrespondenz mit den behandelnden niedergelassenen Urologen retrospektiv ausgewertet. Allgemeine postoperative Komplikationen wurden standardisiert nach der Clavien-Dindo-Klassifikation (CDC, I: nicht-invasiv, orale Medikamente; II: nicht-invasiv, erweiterte Medikamente inklusive Bluttransfusion; III: invasive Maßnahmen erforderlich; IV: lebensbedrohliche Situation, inklusive Rückverlegung auf die Intensivstation; V: Tod) 90 Tage postoperativ erhoben [16]. Des Weiteren wurden conduitspezifische Komplikationen wie parastomale Hernien (Prolaps von Darm-/Stomaanteilen neben der Stomaschlinge in das subkutane Gewebe), IC- und Ureterimplantationsstenosen (Verengung des Harnleiterlumens definiert, welche eine funktionelle Abflussbehinderung darstellte), Urolithiasis, rezidivierende IC-Blutungen, rezidivierende fieberhafte Harnwegsinfekte, eine neu aufgetretene Niereninsuffizienz sowie die Durchführung einer IC-Revision ausgewertet.

Statistische Datenanalyse Kontinuierliche Variablen wurden mittels Median und Interquartilenabstand (IQA) dargestellt, kategorielle als Häufigkeiten. Die statistische Analyse der Daten erfolgte univariabel sowie multivariabel mittels Cox’scher Regressionsanalyse (Alter, Geschlecht, BMI, CCI, ASA, Operationszeit, Operationsjahr, vorherige Operation im Abdomen/Becken, vorherige Radiatio im Abdomen/Becken, adjuvante/neoadjuvante Chemotherapie, Tumorstadium).

Originalien Im Rahmen einer rückwärtsgerichteten Selektion, basierend auf dem Aikaike-Informationskriterium (AIC), wurden die Regressionskoeffizienten zur Auswahl der informativsten Charakteristika zur Vorhersage einer IC-Revision und einer hochgradigen IC-Komplikation verwendet [17]. Zudem wurden Kaplan-MeierÜberlebenskurven zur graphischen Darstellung der Komplikationsraten verwendet. Falls Patienten mehr als eine Komplikation erlebten, wurde für die Berechnung der Komplikationsraten nur der höchste Grad nach CDC berücksichtigt. p-Werte werden als zweiseitige Testung aufgeführt. Ein p-Wert

[Complications after ileal conduit: Urinary diversion-associated complications after radical cystectomy].

We analyzed complications associated with urinary diversion after radical cystectomy (RC) and ileal conduit (IC) for bladder cancer (BCa)...
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