Journal Club Anaesthesist 2014 · 63:793–794 DOI 10.1007/s00101-014-2367-y Online publiziert: 22. August 2014 © Springer-Verlag Berlin Heidelberg 2014

A. Höllig1, 2 · M. Coburn2 1 Klinik für Neurochirurgie, Universitätsklinikum RWTH Aachen 2 Klinik für Anästhesiologie, Universitätsklinikum RWTH Aachen

Kommentar zu: Erythropoetingabe und Transfusionsregime   nach Schädel-Hirn-Trauma

Originalpublikation Robertson CS, Hannay HJ, Yamal JM et al (2014) Effect of erythropoietin and transfusion threshold on neurological recovery after traumatic brain injury: a randomized clinical trial. JAMA 312(1):36–47

Einführung zum Thema.  Für die Behandlung von Patienten nach SchädelHirn-Trauma (SHT) ist, abgesehen von der Akutbehandlung, die intensivmedizinische Betreuung prognostisch mitentscheidend. Viele Empfehlungen sind lediglich historisch basiert. Dies gilt insbesondere für die Transfusionsschwelle, die häufig bei einem Hämoglobin(Hb)-Wert von 6,2 mmol/l (10 g/dl) angesiedelt wird. Spezifische Richtlinien zur Transfusionsgrenze (z. B. „guidelines“ der Brain Trauma Foundation [1]) gibt es daher zurzeit nicht. Eine systematische Analyse der bisherigen Studien zu neurointensivmedizinischen Transfusionsregimes konnte keine der beiden gängigen Transfusionsstrategien (liberal: 6,2–7,4 mmol/l, 10–12 g/dl; restriktiv: 4,3–5,6 mmol/l, 7–9 g/dl Hb) bestätigen oder widerlegen [2]. In der im Juli 2014 im Journal of the American Medical Association veröffentlichten prospektiven, randomisierten Studie von Robertson et al. wurde nun die Gabe von Erythropoetin (EPO), das in experimentellen Studien zusätzlich neuroprotektive Eigenschaften zeigte, mit 2 Transfusionsstrategien (Hb-Grenze: 4,3 vs. 6,2 mmol/l, 7 vs. 10 g/dl) verglichen. Material und Methode.  Von Mai 2006 bis August 2012 wurden an 2 amerikanischen Level-I-Trauma-Zentren 200 Pa-

tienten mit geschlossenem SHT rekrutiert. Mit einem faktoriellen Studiendesign wurde untersucht, ob die Gabe von EPO (500 IU/kgKG pro Dosis im Vergleich zu Placebo) die Anzahl der Patienten mit gutem Outcome [Glasgow Outcome Score (GOS) 4 oder 5] 6 Monate nach Trauma um 20% erhöhen und ob ein Hb-Transfusion-Schwellenwert von 6,2 mmol/l (10 g/ dl) im Vergleich zu 4,3 mmol/l (7 g/dl) das Outcome ohne Zunahme der Komplikationsrate verbessern könnte. Aufgenommen wurden Patienten mit einem geschlossenen SHT [Glasgow Coma Scale Score (GCS) >3; nichtkooperativ, maximal 6 h nach Trauma]. Die Patienten erhielten nach Randomisierung entweder Placebo oder EPO (500 IU/kgKG) als initiale Dosis und dann einmal/Woche für 2 Wochen. Die initiale Dosis wurde entweder innerhalb der ersten 6 h nach Trauma und dann alle 24 h gegeben (für 2 Tage; „EPO 1“; 74 Patienten) oder nur innerhalb der ersten 6 h („EPO 2“, 126 Patienten). Das Regime musste auf Initiative der Food and Drug Administration (FDA) geändert werden, da sich bei der multizentrischen EPO-Stroke-Studie eine erhöhte Letalität bei einem „EPO 1“ ähnlichen Regime ergeben hatte. Bei Erreichen der Transfusionsschwelle wurden Erythrozytenkonzentrate verabreicht. Sechs Monate nach dem Trauma wurde von verblindeten Untersuchern der GOS, als Parameter für das Outcome, erhoben, und diverse sekundäre Parameter (pulmonale Komplikationen, Thrombosen etc.) wurden dokumentiert. Ergebnisse.  Es nahmen 200 Patienten an der Studie teil; bei 17 Patienten konnte

kein GOS nach 6 Monaten ermittelt werden. Da zwischen den beiden EPO-Regimes und der Placebogruppe keine Interaktionen bestanden, wurden die Gruppen für die Analyse des Schwellenwerts kombiniert. Zwischen der Placebo- und den EPO-Behandlung-Gruppen konnte nach 6 Monaten kein Unterschied im Outcome festgestellt werden. Ebenso konnte kein Zusammenhang zwischen Outcome und Transfusionsschwellenwert gefunden werden. Weder für die beiden Behandlungsgruppen noch für die Transfusionsschwellen bestand bezüglich der Letalität ein signifikanter Unterschied. In der Gruppe mit einem Schwellenwert von 6,2 mmol/l (10 g/dl) zeigte sich eine signifikant erhöhte Inzidenz für thrombembolische Ereignisse (21,8%) im Vergleich zur 4,3-mmol/l(7-g/dl)-Schwelle (8,1%; p=0,002). In der EPO-2-Gruppe traten gehäuft tiefe Venenthrombosen der oberen Extremitäten im Vergleich zur Placebogruppe auf (p=0,003); kardiovaskuläre Komplikationen fanden sich vermehrt in der EPO-2-Gruppe (p=0,002). Schlussfolgerung der Autoren.  Weder die Gabe von EPO noch der Hb-Transfusion-Schwellenwert von 6,2 mmol/l (10 g/ dl) verbessern das neurologische Outcome 6 Monate nach SHT. Gehäuft traten thrombembolische Komplikationen bei einem Schwellenwert von 6,2 mmol/l (10 g/dl) auf.

Kommentar Die gut konzipierte Studie spricht gegen die bisher i. Allg. eingehaltene Transfusionsgrenze von 6,2 mmol/l (10 g/dl; höDer Anaesthesist 10 · 2014 

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Journal Club here Nebenwirkungsrate). Auch konnte kein positiver Effekt der EPO-Behandlung nachgewiesen werden. Einschränkend ist zu bemerken, dass die Autoren das EPO-1-Regime als vorteilhafter in Bezug auf das neurologische Outcome beschreiben, jedoch keine belastbaren Daten aufgrund der geringen Fallzahl (Regimeänderung durch Initiative der FDA) vorlegen können. Insofern kann die Therapie mit EPO in höherer Dosierung nicht abschließend beurteilt werden. Auch der experimentell nachgewiesene neuroprotektive Effekt von EPO wurde präklinisch nur in deutlich höheren Dosierungen erzielt. Bei der Bewertung der Studienergebnisse ist zu beachten, dass das Outcome durch den recht groben GOS beurteilt wurde, der dann nochmals in lediglich 2 Outcome-Gruppen („gut“ und „schlecht“) eingeteilt wurde. Somit ist das Ergebnis der Studie valide in Bezug auf eine grobe neurologische Abstufung des Outcome, graduelle Veränderungen gehen jedoch durch das Studiendesign verloren. Sollte also eine Verbesserung der zerebralen Oxygenierung durch Transfusion von Erythrozytenkonzentraten (bekanntes Phänomen: [3, 4]) eine funktionelle Verbesserung ergeben, auch wenn sie nur marginal sei, wird diese aufgrund der Konzeption der Studie nicht abgebildet. Somit bietet die Studie verlässliche Daten zum Effekt der EPO-Behandlung bzw. der Transfusionsschwellenwerte in Bezug auf das grobe neurologische Outcome, eine potenzielle schrittweise Besserung kann jedoch nicht beurteilt werden.

Korrespondenzadresse Dr. A. Höllig Klinik für Neurochirurgie, Universitätsklinikum RWTH Aachen Pauwelsstr. 30, 52074 Aachen [email protected]

Einhaltung ethischer Richtlinien Interessenkonflikt.  A. Hoellig und M. Coburn geben an, dass kein Interessenkonflikt besteht.

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Fachnachrichten

Literatur 1. Brain Trauma Foundation, American Association of Neurological Surgeons, Congress of Neurological Surgeons (2007) Guidelines for the management of severe traumatic brain injury. J Neurotrauma 24(Suppl 1):1–106 2. Desjardins P, Turgeon AF, Tremblay MH et al (2012) Hemoglobin levels and transfusions in neurocritically ill patients: a systematic review of comparative studies. Crit Care 16(2):R54 3. Smith MJ, Stiefel MF, Magge S et al (2005) Packed red blood cell transfusion increases local cerebral oxygenation. Crit Care Med 33(5):1104–1108 4. Zygun DA, Nortje J, Hutchinson PJ et al (2009) The effect of red blood cell transfusion on cerebral oxygenation and metabolism after severe traumatic brain injury. Crit Care Med 37(3):1074–1078

Wissenschaftlicher Vortragswettbewerb – Research-forSafety An dem wissenschaftlichen Vortragswettbewerb Research-for-Safety nehmen automatisch alle für den DAC eingereichten und angenommenen Poster teil. Die Poster werden in einer separaten Postersitzung mittels PC-Projektion des Posters von 3 Minuten zzgl. 2 Minuten Diskussion präsentiert. Darüber hinaus wird an dem jeweiligen Präsentationstag das Poster in der Postergalerie ausgehängt. Da nur eine begrenzte Anzahl von Postern akzeptiert werden kann, wird das Wissenschaftliche Komitee eine Auswahl nach Qualitätskriterien treffen. Die aufgenommenen Abstracts werden veröffentlicht. Die Anmeldung von Postern ist ab sofort online möglich:   www.dac2015.de > Abstracteinreichung. Es werden die jeweils zwei besten wissenschaftlichen Beiträge in den Bereichen „Klinische Forschung“ und „Grundlagenorientierte Forschung“ prämiert. Die von der Firma abbvie GmbH & Co. KG, Wiesbaden, gestifteten Preise für die besten Poster-Präsentationen und / oder die besten freien Vorträge sind wie folgt dotiert: 1. Preis - 1.000 Euro 2. Preis - 500 Euro Die Preisträger werden in der Zeitschrift Anästhesiologie & Intensivmedizin ver­ öffentlicht.

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