Originalien Z Gerontol Geriat 2014 DOI 10.1007/s00391-014-0661-6 Received: 6 March 2014 Revised: 14 April 2014 Accepted: 23 April 2014 © Springer-Verlag Berlin Heidelberg 2014

J. Liesk1 · T. Hartogh2 · E. Kalbe1 1 Institut für Gerontologie & Center für Neuropsychologische Diagnostik und Intervention CeNDI,

Universität Vechta 2 Fach Musik, Universität Vechta

Kognitive Stimulation und Musikintervention bei stationär versorgten Menschen mit Demenz Eine Pilotstudie, Probleme und Perspektiven

Nichtpharmakologische Behandlungsansätze für demenzkranke Personen werden zunehmend als sinnvolle und in der Regel nebenwirkungsfreie Ergänzung zur pharmakologischen Therapie diskutiert [8].

Hintergrund und Ziele der Studie Aufgrund erster Evidenz für positive Effekte bei Demenzkranken wurden nichtpharmakologische Ansätze erstmalig in die aktuellen S3-Leitlinien zur Demenzdiagnostik aufgenommen und für die Therapie von Demenzen aller Schweregrade empfohlen [8]. Dort wird jedoch darauf hingewiesen, dass im Kontrast zur pharmakologischen Therapie nichtpharmakologische Therapieansätze weitaus weniger gut untersucht sind und viele Studien den erforderten Qualitätsmaßstäben nicht entsprechen. Daher wurde ein niedriger Empfehlungsgrad C gewählt. Aktuelle Arbeiten weisen tatsächlich auf positive Effekte kognitiver Stimulationsprogramme bei Demenzpatienten im leichten bis mittelschweren Stadium auf kognitive Funktionen hin [1, 10, 18, 19, 20, 24]. Teilweise ergeben sich Effektgrößen, die mit denen von Antidementiva mindestens vergleichbar sind [18]. In einer aktuellen Meta-Analyse [1] erfüllten von 94 Studien allerdings lediglich 15 die Einschlusskriterien (randomisiertes kontrolliertes Studiendesign, mindestens ein Messinstrument zur Erfassung kognitiver Leistungen, Interventionszeitraum von mindestens 4 Wochen). Hiervon wurden neun in stationären Pflegeeinrichtungen

durchgeführt, bei denen mit Ausnahme einer Studie methodische Mängel auffallen wie fehlende Angaben zur Verblindung oder Randomisierung sowie kleine Stichprobenumfänge. Hinsichtlich musikbasierter Interventionen liegen Hinweise darauf vor, dass musikalische Aktivität signifikant positive Effekte auf F das Depressionsniveau [5], F das subjektive Wohlbefinden [7] und F die Lebensqualität [11] bei Älteren haben kann. Speziell für Personen mit einer mittelschweren Demenz wurden Effekte insbesondere auf psychische, Verhaltens- sowie affektive Symptome berichtet [6, 12, 14, 22, 23]. In einer Meta-Analyse werden sogar mittlere bis große Effekte auf kognitive und verhaltensbezogene Zielgrößen sowie die physiologischen Parameter Blutdruck, Herzund Atemfrequenz berichtet [23]. Daher vermuten die Autoren ein Potenzial musikalischer Intervention zur Steigerung der Lebensqualität; hierfür liegt derzeit aber keine ausreichende Evidenz vor. Trotz dieser ersten positiven Befunde wird in allen Arbeiten auf die große Heterogenität sowie schwache methodische Güte vieler Studien hingewiesen, die die Übertragbarkeit der Ergebnisse schmälern. Es zeichnet sich also nach wie vor ein erheblicher Bedarf an qualitativ hochwertigen Forschungsarbeiten ab. Das Ziel dieser Pilotstudie war es, Effekte eines kognitiven Stimulationsprogramms (KS) sowie eines Musikpro-

gramms (MP) bei Menschen mit leichter bis mittelschwerer Demenz in stationären Pflegeeinrichtungen mit einer zwar kleinen Stichprobe, aber einem randomisierten kontrollierten Studiendesign (RCT) zu überprüfen. Vor dem Hintergrund des Kenntnisstands 2012 lag die explorative Annahme zugrunde, dass sich interventionsspezifische Effekte zeigen, und zwar Verbesserungen der kognitiven Leistungen nach KS, Verbesserungen der Lebensqualität und der Aktivitäten des täglichen Lebens (ADL) nach MP. Ein weiteres Studienziel war es, Rahmenbedingungen für eine weitere, groß angelegte RCT mit an Demenz erkrankten Personen im stationären Bereich zu definieren.

Studiendesign und Untersuchungsmethoden Für die Durchführung der Studie liegt ein positives Votum der Ethik-Kommission der Universität Vechta vor. Eingeschlossen wurden Menschen mit Demenz im leichten bis mittelschweren Stadium, die in stationären Pflegeeinrichtungen leben. Die Problematik unscharfer Demenzdiagnosen tritt häufig in stationären Pflegeeinrichtungen auf und erschwert die Operationalisierung des Einschlusskriteriums Demenz [3]. Um ein möglichst realistisches Abbild der Zielgruppe in stationären Einrichtungen zu erhalten, wurde dieses Einschlusskriterium breit formuliert (ICD-10-konforme Diagnosen, unscharfe Diagnosen ohZeitschrift für Gerontologie und Geriatrie 2014 

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Originalien

Prätest

Programmdurchführung

Posttest Datenauswertung

Einrichtungsgewinnung Screening Teilnehmerrekrutierung

Kognitiver Status Lebensqualität Alltagsfunktionen

Zeitraum: 6 Wochen Intensität: 12x 90 Min

Kognitiver Status Lebensqualität Alltagsfunktionen

Vergleich: Prä- Posttest

In Kleingruppen mit jeweils 3-5 Personen

Kognitive Stimulation

Musik

Abb. 1 8 Studiendesign

ne Bestimmung der Ätiologie, Einschätzungen der Pflegekräfte). Es wurden keine Einschränkungen hinsichtlich der Demenzätiologie vorgenommen. Operationalisiert wurde der Demenzschweregrad über die kognitiven Screeningverfahren F DemTect (1–8 Punkte) und F Mini-Mental-Status-Test (MMST; 15– 25 Punkte). Weitere Einschlusskriterien waren: F uneingeschränkte oder korrigierte Seh- und Hörfähigkeit, F Teilnahme an ≥8 Veranstaltungen (von insgesamt 12), F schriftliche Einwilligung in die Teilnahme bei vorhandener Einwilligungsfähigkeit durch die Person selbst, im Falle eingeschränkter Einwilligungsfähigkeit durch einen gesetzlichen Vertreter (Betreuer) oder einen gewillkürten Vertreter (Bevollmächtigter). Ausschlusskriterien waren aktueller oder früherer Substanzabusus und das Vorliegen einer lebensbedrohlichen Erkrankung.

Neuropsychologische Testbatterie Die untersuchten Domänen und Verfahren im Prä- und Posttest zeigt . Tab. 2. Die Testbatterie enthielt Tests zur Erfassung wesentlicher kognitiver Domänen sowie Selbst- und Fremdbeurteilungen zur Erfassung nichtkognitiver Domänen.

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Zeitschrift für Gerontologie und Geriatrie 2014

Interventionsprogramme Das kognitive Trainingsprogramm NEUROvitalis [2] wurde für gesunde Ältere, Menschen mit leichten kognitiven Beeinträchtigungen und Patienten mit beginnender Demenz erstellt, um die alterssensitiven Bereiche Gedächtnis, Aufmerksamkeit und exekutive Funktionen zu trainieren. In Teilen hat sich NEUROvitalis für stationär versorgte Menschen mit Demenz jedoch als zu anspruchsvoll herausgestellt. Das Programm wurde deshalb dahingehend modifiziert, dass die trainierten Domänen breiter angelegt waren und es eher einer allgemein anregenden kognitiven Stimulation zuzuordnen ist. Es wurden in jeder Sitzung Denkaufgaben in unterschiedlichen Schwierigkeitsgraden z. B. zur Wahrnehmungs- und Aufmerksamkeitsförderung sowie themenbezogene Gesprächsrunden durchgeführt. Leiterin war eine Gerontologin (Autorin JL) mit entsprechender Expertise. Konzeptuell ist das MP als aktive Therapieform angelegt. Es folgt einem musikgeragogischen Ansatz [9] und wird in zwei Bereiche gegliedert: F das Singen von Volksliedern und Kanones sowie F Instrumentalspiel. Der gemeinsame Gesang wurde durch unterschiedliche Elemente ergänzt, wobei verschiedene Funktionsbereiche der Teilnehmer (z. B. Aufmerksamkeit, Kreativität) angesprochen wurden. Zu den eingesetzten Instrumenten zählten z. B. Klanghölzer, Schellenkränze, Tambourin und Maracas. Die Teilnehmer wurden zur

Klangimprovisation aufgefordert, entweder in festgelegter Form nach bestimmten Textpassagen oder frei und spontan, um individuelle Impressionen beim Liederhören zum Ausdruck zu bringen. Das MP wurde durch eine ausgebildete Musikgeragogin durchgeführt.

Studiendesign Das Studiendesign zeigt . Abb. 1. Zunächst wurden Einrichtungen im Landkreis Vechta über die Studienziele und -inhalte informiert. Eine Vorauswahl von passenden und interessierten Bewohnern wurde durch den Sozialdienst getroffen. In Abhängigkeit von der rechtlichen Situation wurden die Bewohner bzw. ihre gesetzlichen Vertreter (Betreuer) oder gewillkürten Vertreter (Bevollmächtigter) in einem Aufklärungsgespräch über das Projekt informiert. Im Screening und einem Gespräch mit den Pflegekräften fand die Prüfung der Ein- und Ausschlusskriterien einschließlich kognitivem Screening statt. Mit den eingeschlossenen Personen wurde der Prätest durchgeführt. Die randomisierte Zuteilung der Programme auf die Einrichtungen fand computergestützt statt. Die Studienteilnehmer besuchten dann in Kleingruppen mit mindestens 3 Teilnehmern 6 Wochen lang 2-mal wöchentlich für je 90 Minuten entweder das KS oder das MP. Innerhalb von 1 bis 2 Tagen nach Besuch der letzten Sitzung wurde der Posttest durchgeführt.

Zusammenfassung · Abstract

Statistische Auswertung Die Analysen wurden mit SPSS (Version 22) durchgeführt. Zum Vergleich der Testwerte zu den verschiedenen Messzeitpunkten wurden Varianzanalysen mit Messwiederholung und dem Zwischensubjektfaktor Gruppe berechnet und nach Greenhouse-Geisser korrigierte Werte berichtet. Es wird das Effektstärkemaß η2partial (partielles Eta-Quadrat) berichtet (klein: η2>0,001; mittel: η>0,06; groß: η2>0,14) [4]. Als Post-hoc-Test für die signifikanten Zwischensubjektanalysen wurden paarweise Vergleiche durchgeführt. Das Signifikanzniveau wurde auf p

[Cognitive stimulation and music intervention for people with dementia in nursing homes: A pilot study, problems and perspectives].

Nonpharmacological interventions in people with dementia are becoming an increasingly important addition to pharmacological therapy. However, the curr...
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