MMW-Fortschritte der Medizin 2015; 157 (S4): 12–21

Praxisdaten zur Behandlung starker chronischer Schmerzen mit Tapentadol retard Verbesserung von Analgesie, Funktionsfähigkeit und Lebensqualität insbesondere unter Tapentadol-Monotherapie Vo n T. L a n g e, D. K r i n g s, S . Wa l d m a n n - R ex

I

n Deutschland leiden ungefähr 17% aller Erwachsenen unter chronischen Schmerzen [1], wobei Rückenschmerzen (61%) und Arthroseschmerzen (28%) als häufigste Diagnosen gestellt werden [2]. Chronische Schmerzen belasten nicht nur die Betroffenen durch starke Einschränkungen in der Bewältigung des Alltags, des allgemeinen Wohlbefindens und der Lebensqualität, sie stellen wegen hoher Behandlungskosten, kurz- und langfristigen Arbeitsausfällen, Zahlung von Krankengeld und Frühberentung auch eine beträchtliche sozialökonomische Belastung dar [1, 3, 4]. In einer laufenden Patientenerhebung im Rahmen der „CHANGE PAIN“Initiative waren ungefähr 30% aller befragten chronischen Schmerzpatienten in Deutschland mit ihrer gegenwärtigen Therapie unzufrieden [2]. In den meisten Fällen (84%) wurde eine unzureichende Schmerzlinderung genannt, 29% der Patienten gaben aber auch medikamentös bedingte Nebenwirkungen als Grund an. Gerade bei einer Therapie starker chronischer Schmerzen, die nur mit opioidhaltigen Analgetika wirksam behandelt werden können, ist eine zufrieDr. med. Thomas Lange, Anästhesie und Schmerztherapie, Rudolstadt; Dr. Doris Krings, Dr. med. Susanne Waldmann-Rex, Medical Affairs, Geschäftsbereich Deutschland, Grünenthal GmbH, Aachen Palexia® retard; Grünenthal GmbH, Aachen This article is part of a supplement not sponsored by the industry.

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Z U S A M M E N F A S S U N G Ziel der Studie: Untersuchung der Wirksamkeit und Verträglichkeit von Tapentadol prolonged release (PR, Palexia® retard) in der routinemäßigen Behandlung starker chronischer Schmerzen im deutschen Praxisalltag. Methodik: In dieser prospektiven, nicht-interventionellen Studie wurden während des dreimonatigen Beobachtungszeitraums Daten zur analgetischen Vortherapie, Tapentadoldosierung, Begleittherapie, Schmerzintensität, Funktionsfähigkeit, Lebensqualität und Verträglichkeit von Tapentadol PR erhoben. Für die Wirksamkeitsanalyse lagen Daten von 5002 Patienten vor; in einer Subgruppenanalyse zur Wirksamkeit wurden alle Patienten mit Tapentadol-Monotherapie (n = 1476) ausgewertet. Ergebnisse: Fast alle Patienten des Gesamtkollektivs (95,9%) erhielten bereits vor Studienbeginn eine analgetische Dauertherapie, 31,7% davon starke Opioide. Die Therapie mit Tapentadol PR (durchschnittliche Dosis 216 ± 103 mg/ Tag zu Beobachtungsende) bewirkte eine Abnahme der Schmerzintensität von 7,2 ± 1,4 bei der Aufnahme um 3,9 Punkte (95%KI –3,93; –3,83; p ≤ 0,001; NRS-11); 65,1% der Patienten wiesen ei-

ne klinisch relevante Schmerzlinderung ≥ 50% auf. Alle vier abgefragten Aspekte bzgl. schmerzbedingter funktionaler Alltagskompetenz sowie die Lebensqualität der Patienten verbesserten sich signifikant. Verglichen mit dem Gesamtkollektiv wurde in der Subgruppe Tapentadol-Monotherapie bei vergleichbarer Ausgangsschmerzintensität eine stärkere Schmerzlinderung erzielt. Auch schmerzbedingte Funktionsstörungen nahmen etwas stärker ab und die Lebensqualität wurde bei Beobachtungsende positiver bewertet. Schlussfolgerungen: Die Schmerztherapie mit Tapentadol PR führte im Praxisalltag zu einer deutlichen Reduktion starker chronischer Schmerzen mit signifikanten Verbesserungen der funktionalen Alltagskompetenz und der Lebensqualität. Mit Tapentadol PR steht somit, auch auf Grund des günstigen Nebenwirkungsprofils, eine Alternative zu klassischen Opioiden bei der Behandlung starker chronischer Schmerzen zur Verfügung. Schlüsselwörter: Starke chronische Schmerzen – Praxisalltag – Tapentadol PR – Schmerztherapie – Funktionseinschränkung – Lebensqualität

Eingereicht am 22.1.2015 – Revision akzeptiert am 10.3.2015

MMW-Fortschr. Med. 2015; 157 (S4)

Lange T et al. Praxisdaten zur Behandlung starker chronischer Schmerzen mit Tapentadol retard

MMW-Fortschr. Med. 2015; 157 (S4)

10

Aufnahmeuntersuchung

Beobachtungsende

9

Mittlere Schmerzintensität (NRS)

denstellende Ausgewogenheit zwischen effektiver Schmerzlinderung und guter Verträglichkeit häufig durch das Nebenwirkungsprofil dieser Analgetika (gastrointestinale/zentralnervöse Störungen) nicht gegeben. Dies kann zu einer Einschränkung der Compliance bis hin zum Therapieabbruch führen [5]. Im Gegensatz zu klassischen Opioiden vereint das zentral wirksame Analgetikum Tapentadol zwei Wirkkomponenten in einem Molekül. Beide Wirkmechanismen – selektive Bindung an µ-Opioid-Rezeptoren (MOR) und Hemmung der Noradrenalinwiederaufnahme (NRI) – tragen synergistisch zur analgetischen Wirkung der Substanz bei, während gleichzeitig weniger opioidtypische Nebenwirkungen zu erwarten sind [6]. In einem umfangreichen klinischen Studienprogramm wurde sowohl für nozizeptive als auch für neuropathische Schmerzen eine wirksame Schmerzlinderung durch Tapentadol nachgewiesen [7]; im Vergleich zu Oxycodon traten unter Tapentadol bei vergleichbarer Analgesie signifikant seltener opioidtypische gastrointestinale Nebenwirkungen auf [8]. Seit August 2010 ist Tapentadol in seiner Retardform (Tapentadol PR; Palexia® retard) in Deutschland zur Behandlung von Erwachsenen mit starken chronischen Schmerzen, die nur mit Opioidanalgetika angemessen behandelt werden können, zugelassen. Seit der Markteinführung werden Daten zur Tapentadoltherapie im deutschen Praxisalltag in nicht-interventionellen Studien erhoben. Im Gegensatz zu randomisierten klinischen Studien mit bevorzugt homogenen Patientenkollektiven stammen die Daten einer nichtinterventionellen Studie aus dem Praxisalltag („real life“-Daten) und zeigen die übliche ärztliche Behandlungspraxis für ein meist breites Patientenspektrum. Dieses Design entspricht somit eher der Versorgungsrealität. Die Erkenntnisse aus diesen Studien ergänzen so die Ergebnisse der klinischen Zulassungsstudien. Die gute Wirksamkeit und Verträglichkeit von Tapentadol PR konnte durch nicht-interventionelle Studien für den

8 7

7,2

7,1

6

Verbesserung

5 4 3

Verbesserung

- 3,9* 3,3

2

- 4,2* 2,9

1 0

Gesamtkollektiv n = 4.871

Tapentadol-Monotherapie n = 1.474

Abb. 1: Veränderung der Schmerzintensität (in den letzten drei Tagen) unter Tapentadoltherapie. Es wurden nur Daten von Patienten mit Angaben zu beiden Untersuchungszeitpunkten berücksichtigt. NRS = Numerische 11-Punkte Skala; *p ≤ 0,001 (deskriptiv) verglichen mit der Aufnahmeuntersuchung (Wilcoxon-Rang-Test).

Praxisalltag (Beobachtungszeitraum drei Monate oder zwölf Monate) bestätigt werden [9–11]. Im Rahmen einer qualitätsgesicherten Schmerztherapie sollten neben der Dokumentation von Schmerzintensitäten auch die für die Patienten ebenso wichtigen Therapieaspekte der schmerzbedingten Beeinträchtigungen des täglichen Lebens und der Lebensqualität berücksichtigt werden [12]. In der hier vorgestellten, großangelegten, nichtinterventionellen Studie mit über 5000 chronischen Schmerzpatienten wurden Daten zu Veränderungen von Schmerzintensität, Funktionsfähigkeit im täglichen Leben und gesundheitsbezogener Lebensqualität unter Tapentadol-PR Therapie im Praxisalltag erhoben.

METHODIK Studiendesign und Patienten An der vorliegenden prospektiven, nicht-interventionellen Studie nahmen zwischen September 2011 und Mai 2013 niedergelassene Allgemeinmediziner, Praktische Ärzte und Internisten in Deutschland teil. Die geographische

Verteilung war ausgeglichen. Die Studie erhielt das Ethik-Votum von der Freiburger Ethik-Kommission International und wurde gemäß § 4, Absatz 23, Satz 3 und § 67, Absatz 6 AMG der Bundesrepublik Deutschland durchgeführt. Es erfolgte eine Anzeige beim Bundesinstitut für Arzneimittel und Medizinprodukte (BfArM), der Kassenärztlichen Bundesvereinigung (KBV) und den Spitzenverbänden der Krankenkassen. Ziel der Studie war die Untersuchung der Wirksamkeit von Tapentadol PR bei starken chronischen Schmerzen, die nach Ermessen des Arztes nur mit opioidhaltigen Analgetika angemessen behandelt werden können. Insbesondere zur Funktionsfähigkeit und der gesundheitsbezogenen Lebensqualität der Patienten wurden über einen Beobachtungszeitraum von drei Monaten Daten erhoben. Alle Behandlungsentscheidungen lagen allein im Ermessen des behandelnden Arztes. Es wurden nur Patienten zugelassen, für die unabhängig von der Durchführung dieser Studie eine Behandlung mit Tapentadol PR vorgesehen war. Alle Patienten mussten sprachlich und kognitiv in der Lage sein, Patientenfragebögen zu beantworten. 13

Lange T et al. Praxisdaten zur Behandlung starker chronischer Schmerzen mit Tapentadol retard

Die Dosierung von Tapentadol PR erfolgte gemäß Fachinformation je nach Vortherapie und Schweregrad der zu behandelnden Schmerzen. Bei nicht ausreichender Analgesie wurde eine Dosisanpassung innerhalb von drei Tagen empfohlen [13]. Datenerhebung Die Daten wurden vom Arzt in Konsultationsgesprächen mit dem Patienten während der Aufnahmeuntersuchung, der Therapieüberprüfung nach vier bis sechs Wochen, sowie zum Beobachtungsende nach ca. drei Monaten erhoben und in einem Beobachtungsbogen dokumentiert. Die Dokumentation der Aufnahmeuntersuchung umfasste demographische und sozialökonomische Daten, Schmerzdiagnose und Schmerztyp, bestehende Begleiterkrankungen, analgetische medikamentöse und nicht-medikamentöse Vortherapie sowie die Gründe für die Einstellung auf Tapentadol PR. Zu allen drei Erhebungszeitpunkten wurden Tapentadoldosierungen, analgetische und andere Begleitmedikationen, die

nicht-medikamentöse Begleittherapie, die durchschnittliche Schmerzintensität der vorangegangenen drei Tage und die Funktionsfähigkeit der Patienten im Alltag dokumentiert. Zur Erfassung der durchschnittlichen Schmerzintensität wurde eine 11-Punkte numerische Ratingskala (NRS-11; von 0 = kein Schmerz bis 10 = maximal vorstellbarer Schmerz) eingesetzt. Funktionseinschränkungen im täglichen Leben wurden ebenfalls mittels NRS-11 (von 0 = nie Schwierigkeiten bis 10 = immer Schwierigkeiten) in den folgenden vier Aspekten bewertet: Schwierigkeiten des Patienten (a) sich zu beugen, zu knien, zu bücken, (b) Einkäufe zu machen, (c) sich zu waschen oder anzuziehen, und (d) Freizeitaktivitäten auszuüben. Zur Einschätzung ihrer gesundheitsbezogenen Lebensqualität in den jeweils vorausgehenden vier Wochen wurden die Patienten bei der Aufnahmeuntersuchung und bei Beobachtungsende gebeten, den SF-12-Fragebogen, eine Kurzform des SF-36-Health Survey [14],

Tab. 1: Analgetische Dauermedikation unmittelbar vor Therapiebeginn mit Tapentadol PR Gesamtkollektiv (n = 5002)

TapentadolMonotherapie (n = 1476)

Starke Opioide Transdermales Fentanyl Oxycodon/Naloxon Oxycodon Morphin Transdermales Buprenorphin Hydromorphon Andere Keine Daten

1587 (31,7%) 453 (9,1%) 382 (7,6%) 313 (6,3%) 214 (4,3%) 186 (3,7%) 123 (2,5%) 21 (0,4%) 65 (1,3%)

369 (25,0%) 106 (7,2%) 91 (6,2%) 70 (4,7%) 47 (3,2%) 38 (2,6%) 29 (2,0%) 4 (0,3%) 12 (0,8%)

Schwache Opioide Tilidin/Naloxon Tramadol Andere Keine Daten

2794 (55,9%) 1465 (29,3%) 1450 (29,0%) 21 (0,4%) 79 (1,6%)

735 (49,8%) 347 (23,5%) 418 (28,3%) 6 (0,4%) 22 (1,5%)

Nicht-Opioide Antirheumatika Metamizol Paracetamol Andere Keine Daten

4072 (81,4%) 3100 (62,0%) 2061 (41,2%) 395 (7,9%) 8 (0,2%) 34 (0,7%)

914 (61,9%) 719 (48,7%) 391 (26,5%) 96 (6,5%) 3 (0,2%) 11 (0,8%)

Anteil Patienten (%); Mehrfachnennungen zulässig

14

auszufüllen. Der SF-12 ist Bestandteil des in Deutschland häufig eingesetzten Deutschen Schmerzfragebogens [15]. Außerdem definierten Arzt und Patient gemeinsam zu Behandlungsbeginn zwei Therapieziele, die über den Behandlungszeitraum erreicht werden sollten. Neben der angestrebten Reduktion der Schmerzintensität wurde ein zusätzliches individuelles Behandlungsziel aus den Bereichen Lebensqualität, körperliche Funktionsfähigkeit, psychisches Wohlbefinden, Selbstständigkeit, soziale Aktivitäten, Arbeitsfähigkeit u. ä. ausgewählt und bei Beobachtungsende vom Patienten mit „viel besser als erwartet“, „besser als erwartet“, „wie erwartet“, „schlechter als erwartet“ und „viel schlechter als erwartet“ bewertet. Bei Beobachtungsende wurden vom Arzt außerdem verschiedene Aspekte der Tapentadoltherapie wie z. B. Analgesie, allgemeine Verträglichkeit, Lebensqualität mit „sehr gut“, „gut“, „mäßig“ oder „schlecht“ bewertet. Zur Bewertung der Wirksamkeit von Tapentadol PR wurden neben der Verbesserung der Funktionsfähigkeit im Alltag und der gesundheitsbezogenen Lebensqualität folgende Responsekriterien für einen Therapierfolg verwendet: zu Beobachtungsende (a) Erreichen einer mindestens 50%igen Schmerzreduktion (im Vergleich zum Ausgangswert), (b) Erreichen der angestrebten Schmerzreduktion, (c) Erreichen des zusätzlichen individuellen Therapieziels (Bewertung „wie erwartet“ oder besser), (d) kombinierte Responserate (Erreichen von (b) und/oder (c)). Unerwünschte Arzneimittelwirkungen (UAWs) wurden vom Arzt über den gesamten Beobachtungszeitraum dokumentiert. Statistische Methoden Die von den Ärzten erhobenen Daten wurden mittels doppelter Dateneingabe von der factum GmbH (Offenbach) mit dem Datenmanagement-Programm MMW-Fortschr. Med. 2015; 157 (S4)

Lange T et al. Praxisdaten zur Behandlung starker chronischer Schmerzen mit Tapentadol retard

DMSys® (Version 5.1) erfasst und auf Vollständigkeit, Konsistenz und Plausibilität überprüft. In die Wirksamkeitsanalyse, die von der factum GmbH mit dem Statistikprogramm SPSS (Version 15.0.0) durchgeführt wurde, gingen alle prospektiv dokumentierten Patienten ein. Deskriptive p-Werte und 95% Konfidenzintervalle (95%KI) für Veränderungen von Schmerzintensität, Funktionseinschränkungen und Lebensqualität im Studienverlauf wurden mithilfe von Wilcoxon-Rang-Tests berechnet. In einer zusätzlichen Wirksamkeitsanalyse wurden die Daten von Patienten ausgewertet, die während der Beobachtungsperiode ausschließlich Tapentadol als analgetische Dauertherapie erhalten hatten (Tapentadol-Monotherapie), d. h. diese Patienten hatten keine zusätzlichen Opioide oder Nicht-Opioide als Dauertherapie erhalten. Analgetische Bedarfsmedikation und co-analgetische Begleitmedikationen wurden jedoch in dieser Analyse nicht berücksichtigt. Die Sicherheits- und Verträglichkeitsanalyse wurde von der PHARMSOFT Dr. B. Rodust GmbH (Ascheberg) durchgeführt; Daten aller prospektiv dokumentierten Patienten sowie Patienten mit retrospektiver Dokumentation oder ausschließlicher UAW-Dokumentation wurden ausgewertet. Die Kodierung der UAWs erfolgte mit dem „Medical Dictionary for Regulatory Activities“ (MedDRA®, Version 16.0).

ERGEBNISSE Patienten Insgesamt 1664 Arztpraxen beteiligten sich an der Studie; 68,2% waren Praxen von Allgemeinmedizinern bzw. Praktischen Ärzten, 18,1% waren internistische Praxen. Die Daten von 5002 prospektiv dokumentierten Patienten (59,6% davon Frauen) konnten in die Wirksamkeitsanalyse des Gesamtkollektivs einbezogen werden. Das mittlere Alter betrug 66,8 ± 13,4 Jahre; 19,6% der Patienten waren berufstätig. Häufigste MMW-Fortschr. Med. 2015; 157 (S4)

Tab. 2: Anteil der Patienten mit Therapieerfolg bzgl. verschiedener Responsekriterien am Ende der dreimonatigen Beobachtungszeit Kriterium

Gesamtkollektiv

TapentadolMonotherapie

a) Schmerzreduktion ≥ 50% gegenüber dem Ausgangswert

65,1% (n = 4871)

75,3% (n = 1474)

b) Erreichen der angestrebten Schmerzintensität

59,8% (n = 4863)

69,7% (n = 1472)

c) Erreichen des zusätzlichen individuellen Behandlungsziels

89,4% (n = 4823)

96,2% (n = 1470)

d) kombinierte Responserate: b) und/oder c)

90,3% (n = 4887)

96,7% (n = 1476)

n = Anzahl Patienten mit vorliegenden Daten

Begleiterkrankungen waren kardiovaskuläre Erkrankungen (55,6%) und Stoffwechselerkrankungen (36,1%); für 23,7% der Patienten wurden Depressionen dokumentiert. Die meisten Patienten (83,1%) litten unter chronischen Rückenschmerzen, häufig in Verbindung genannt mit Bandscheibendegeneration (50,2%), Spondylarthrosen (36,9%), Spinalstenosen (27,8%) und Osteoporose (21,3%). Weitere häufige Schmerzursachen waren Gonarthrosen (24,5%), Coxarthrosen (20,1%) und diabetische Polyneuropathien (9%). Auf die Frage nach dem Schmerztyp gaben die Ärzte für 71,9% der Patienten einen gemischten, für 13% einen vorwiegend nozizeptiven und für 11,5% einen vorwiegend neuropathischen Schmerztyp an. Bei 30,4% der Patienten betrug die Schmerzdauer mehr als sechs Monate bis zu zwei Jahre und bei 41,7% bestanden die Schmerzen bereits länger als zwei Jahre. Insgesamt 21,8% aller Patienten wurden in den letzten sechs Monaten vor Behandlungsbeginn mit Tapentadol PR aufgrund ihrer Schmerzen stationär behandelt. Fast alle Patienten (95,9%) erhielten in Vorbehandlung eine analgetische Dauertherapie, oft bestehend aus mehreren Analgetika. Dabei wurden 31,7% mit starken Opioiden, 55,9% mit schwachen Opioiden und 81,4% mit Nicht-Opioiden vortherapiert (Tab. 1). Zusätzlich erhielten 34,9% Antidepressiva, 17,6%

Antiepileptika, 14,8% Laxativa, 9,2% Antiemetika und 21% Muskelrelaxantien. Die Einnahme einer Bedarfsmedikation (hauptsächlich Nicht-Opioide) zusätzlich zur Dauertherapie wurde für 23,9% aller Patienten dokumentiert. Therapie mit Tapentadol PR Die Einstellung auf Tapentadol PR erfolgte hauptsächlich aufgrund unzureichender Schmerzlinderung (92,7%) oder mangelnder Lebensqualität (71,3%) unter Vortherapie (Mehrfachnennungen zulässig). Verträglichkeitsprobleme mit der Vormedikation (30,8%), unzureichende Ausgewogenheit zwischen Wirksamkeit und Verträglichkeit (26,7%), mangelnde Compliance (8,9%) sowie Interaktionen mit der Begleitmedikation (6,6%) waren weitere Gründe. Die Therapie wurde bei 65,9% der Patienten mit 2 × 50 mg Tapentadol PR/Tag initiiert; 24,3% erhielten eine Anfangsdosis von 2 × 100 mg/Tag und 8,1% von mindestens 2 × 150 mg/Tag. Die mittlere Tagesdosis betrug bei Therapiebeginn 143,8 ± 72,6 mg, lag bei der Therapieüberprüfung nach vier bis sechs Wochen bei 198,8 ± 91,7 mg und nach dreimonatiger Beobachtungszeit bei 216 ± 102,9  mg. Im Durchschnitt wurden die Patienten 93,3 ± 28 Tage behandelt; 85,9% der Patienten setzten die Therapie fort. Häufigste Gründe für eine Beendigung der Therapie waren eine nicht zufriedenstellende Analgesie (3,9%), eine nicht mehr notwendige Schmerzthera15

Lange T et al. Praxisdaten zur Behandlung starker chronischer Schmerzen mit Tapentadol retard

pie (3,8%), eine Einweisung ins Krankenhaus (1,9%) und Nebenwirkungen (1,8%). Analgetische Zusatztherapie Bei Therapiebeginn mit Tapentadol PR erhielten 63% der Patienten eine zusätzliche analgetische Dauertherapie (3,5% starke Opioide, 9,3% schwache Opioide, 59,4% Nicht-Opioide; Mehrfachnennungen möglich). Dieser Anteil konnte im Verlauf der Tapentadolbehandlung auf 47,6% (2,6% starke Opioide, 5% schwache Opioide, 44,6% Nicht-Opioide) reduziert werden. Zum Beobachtungsende erhielten 39,9% der Patienten ausschließlich Tapentadol PR zur analgetischen Dauerbehandlung und 9% Tapentadol PR plus Bedarfsmedikation (keine Angabe bei 3,4%). Der Anteil der Patienten mit Verordnung von Antidepressiva als „Co“-Analgetika (34,9% in Vortherapie) reduzierte sich von 33,9% bei Therapiebeginn mit Tapentadol PR auf 30,9% bei Beobachtungsende. Auch die Verordnung von Antiepileptika als „Co“-Analgetika (17,6% Vortherapie) war rückläufig: 13,2% bei Therapiebeginn, 11,2% bei Beobachtungsende.

Begleitende nicht-medikamentöse Schmerztherapie In den letzten vier Wochen vor Behandlungsbeginn mit Tapentadol PR erhielten 72,2% aller Patienten eine begleitende nicht-medikamentöse Schmerztherapie, hauptsächlich Physiotherapie (57,9%) und Massage (24,8%; Mehrfachnennungen möglich). Zu Beobachtungsende (es wurden die letzten vier Wochen vor der Abschlussvisite abgefragt) hatte sich dieser Anteil auf 51,6% verringert (Physiotherapie 36,8%, Massage 11,4%). Schmerzreduktion Die durchschnittliche Schmerzintensität betrug bei der Aufnahmeuntersuchung 7,2 ± 1,4 und nahm im dreimonatigen Beobachtungszeitraum um 3,9 Punkte (95%KI –3,93; –3,83; p ≤ 0,001) auf 3,3 ± 1,7 ab (Abb. 1). Eine Schmerzlinderung wurde auch im tageszeitlichen Verlauf beobachtet. Weniger Patienten litten unter Dauerschmerzen mit Schmerzattacken (44,2% vor Therapiebeginn, 10% bei Beobachtungsende) und der Anteil an Patienten mit schmerzfreien Intervallen stieg von 7,2% auf 45,4%. Tabelle 2 zeigt den Anteil der Patienten mit Therapieerfolg bzgl. verschiedener

Responsekriterien bei Beobachtungsende. Die Mehrheit der Patienten (65,1%) erreichte eine klinisch relevante Abnahme ihrer Schmerzintensität von mindestens 50%. Die angestrebte Schmerzintensität betrug im Mittel 2,95 ± 1,3 und wurde von 59,8% der Patienten erreicht oder übertroffen. Die am häufigsten vereinbarten zusätzlichen individuellen Therapieziele stammten aus den Bereichen Lebensqualität (72,9%) und körperliche Funktionsfähigkeit (47,1%; Mehrfachnennungen möglich). Bei Beobachtungsende hatten 89,4% der Patienten dieses Therapieziel erreicht oder übertroffen. Die kombinierte Responserate betrug 90,3%. Funktionsfähigkeit Alle vier abgefragten Aspekte bzgl. schmerzbedingter Funktionsstörungen im Alltag verbesserten sich signifikant während des dreimonatigen Beobachtungszeitraums (Tab. 3). Es wurden durchschnittliche Verbesserungen um 3,6 Punkte für den Aspekt „Schwierigkeiten in der Ausübung von Freizeitaktivitäten“, um 3,4 Punkte für „Schwierigkeiten beim Beugen/Knien/Bücken“ und um 3,3 Punkte für „Schwierigkeiten, Einkäufe zu machen“ dokumentiert. Auch der bei der

Tab. 3: Verbesserung von schmerzbedingten Funktionseinschränkungen im täglichen Leben unter Tapentadoltherapie. Es wurden nur Daten von Patienten mit Angaben zu beiden Untersuchungszeitpunkten berücksichtigt. Schwierigkeiten des Patienten, ...

Gesamtkollektiv

N

Tapentadol-Monotherapie

... sich zu beugen, zu knien, zu bücken

Aufnahme Beobachtungsende Differenz

... Einkäufe zu machen

N

7,4 ± 2,1 4,0 ± 2,4 –3,4* (95%KI –3,48; –3,35)

4874

Aufnahme Beobachtungsende Differenz

7,2 ± 2,2 3,5 ± 2,3 –3,6* (95%KI –3,76; –3,53)

1474

Aufnahme Beobachtungsende Differenz

6,9 ± 2,2 3,6 ± 2,6 –3,3* (95%KI –3,39; –3,26)

4864

Aufnahme Beobachtungsende Differenz

6,6 ± 2,3 3,0 ± 2,4 –3,6* (95%KI –3,72; –3,49)

1470

... sich zu waschen oder anzuziehen

Aufnahme Beobachtungsende Differenz

5,8 ± 2,4 2,8 ± 2,2 –3,0* (95%KI –3,06; –2,93)

4873

Aufnahme Beobachtungsende Differenz

5,6 ± 2,4 2,4 ± 2,0 –3,2* (95%KI –3,32; –3,09)

1473

... Freizeitaktivitäten auszuüben

Aufnahme Beobachtungsende Differenz

7,2 ± 2,1 3,7 ± 2,4 –3,6* (95%KI –3,61; –3,48)

4868

Aufnahme Beobachtungsende Differenz

6,9 ± 2,1 3,1 ± 2,2 –3,8* (95%KI –3,90; –3,67)

1473

Daten sind Mittelwerte ± Standardabweichung sowie 95% Konfidenzintervalle für die Differenz zwischen Aufnahme und Beobachtungsende; *p ≤ 0,001 (deskriptiv) verglichen mit der Aufnahmeuntersuchung (Wilcoxon-Rang-Test); eine negative Differenz weist auf Verbesserungen in dieser Funktionseinschränkung hin.

16

MMW-Fortschr. Med. 2015; 157 (S4)

Lange T et al. Praxisdaten zur Behandlung starker chronischer Schmerzen mit Tapentadol retard

Insgesamt 4012 Patienten füllten den SF12-Fragebogen zu den beiden Zeitpunkten Aufnahme- und Abschlussuntersuchung vollständig aus. Für die Analyse wurde der durchschnittliche physische und mentale Summenscore für beide Zeitpunkte berechnet und die Veränderung zwischen Aufnahme- und Abschlussuntersuchung evaluiert. Beide Scores verbesserten sich signifikant im dreimonatigen Beobachtungszeitraum (Abb. 2A). Verglichen mit der Aufnahmeuntersuchung nahm der physische Summenscore um durchschnittlich 11,7 Punkte (95%KI 11,45; 11,98; p ≤ 0,001) und der mentale Summenscore um durchschnittlich 11,9 Punkte (95%KI 11,59; 12,26; p ≤ 0,001) zu. Verträglichkeit Die Daten von 5293 Patienten konnten in der Verträglichkeitsanalyse ausgewertet werden. Bei 153 Patienten (2,9%) wurden insgesamt 306 unerwünschte Arzneimittelwirkungen dokumentiert. Die meisten UAWs (85%) waren bereits als bekannte Nebenwirkungen in der Fach-und Gebrauchsinformation zu Tapentadol PR enthalten. Eine UAW (hypertensive Krise) wurde wegen stationärer Behandlung der Patientin als schwerwiegend eingestuft. Die am häufigsten beobachteten UAWs (bei ≥ 10 Patienten; MedDra Preferred Term) waren Übelkeit (66 Patienten/1,3%), Schwindelgefühl (29/0,6%), Ermüdung und Erbrechen (jeweils 12/0,2%) sowie Somnolenz (10/0,2%). Therapiebeurteilung Die Mehrzahl der behandelnden Ärzte bewertete die verschiedenen Aspekte der Tapentadoltherapie als „gut“ bis „sehr gut“ (Tab. 4). Sie schätzten die Veränderung des Allgemeinzustandes der Patienten seit Therapiebeginn etwas positiver MMW-Fortschr. Med. 2015; 157 (S4)

A

60 50

Summenscore

Lebensqualität

Aufnahmeuntersuchung

40

Verbesserung + 11,7* 38,7

30 20

Beobachtungsende Verbesserung + 11,9* 47,8 35,9

27,0

10 0

B

Physischer Summenscore

60 50

Summenscore

Aufnahmeuntersuchung am wenigsten schmerzbedingt beeinträchtigte Aspekt (Schwierigkeiten, sich zu waschen oder anzuziehen) konnte von initial 5,8 ± 2,4 Punkten um durchschnittlich 3 Punkte reduziert werden.

Verbesserung + 12,9*

40

40,6

30 20

Mentaler Summenscore Verbesserung + 12,6* 49,1 36,5

27,7

10 0

Physischer Summenscore

Mentaler Summenscore

Abb. 2: Veränderung der SF-12 Summenscores (Zeitfenster letzte 4 Wochen) unter Tapentadoltherapie. A. Gesamtwirksamkeitskollektiv (n = 4012), B. Patienten unter TapentadolMonotherapie (n = 1256). Es wurden nur Daten von Patienten mit Angaben zu beiden Untersuchungszeitpunkten berücksichtigt. Für die deutsche Normstichprobe beträgt der durchschnittliche physische Summenscore 49,6 Punkte, der durchschnittliche mentale Summenscore 52,3 Punkte; *p ≤ 0,001 (deskriptiv) verglichen mit der Aufnahmeuntersuchung (Wilcoxon-Rang-Test).

ein als die Patienten: 76,4% bewerteten den Allgemeinzustand als „stark“ bis „sehr stark“ verbessert (verglichen mit 70,2% der Patienten). Eine Verschlechterung des Allgemeinzustandes wurde von 1,4% der Ärzte und 1,9% der Patienten dokumentiert (für 3,6%/4,1% der Befragten lagen keine Daten vor). Tapentadol-Monotherapie Die Daten von 1476 Patienten, die im Beobachtungszeitraum ausschließlich Tapentadol PR als analgetische Dauermedikation erhielten, konnten in einer Subgruppenanalyse zur Wirksamkeit ausgewertet werden. Alter und Schmerzdiagnosenprofil dieser Patienten waren mit dem Gesamtkollektiv vergleichbar. Die meisten Patienten (91,5%) erhielten in Vorbehandlung eine analgetische Dau-

ertherapie, oft bestehend aus mehreren Analgetika (Tab. 1). Verglichen mit dem Gesamtkollektiv erhielten weniger Patienten starke Opioide (25% vs. 31,7%), schwache Opioide (49,8% vs. 55,9%) und Nicht-Opioide (61,9% vs. 81,4%). Auch wurden weniger Antidepressiva (25,8% vs. 34,9%), Antiepileptika (14,6% vs. 17,6%), Muskelrelaxantien (15,7% vs. 21%), Laxantien (8,7% vs. 14,8%) und Antiemetika (6,2% vs. 9,2%) für diese Subgruppe verschrieben. Die Einnahme von Bedarfsmedikation zusätzlich zur Dauertherapie wurde für 20,2% aller Patienten dokumentiert. Die Tapentadoltherapie wurde bei 68,2% der Patienten mit 2 × 50 mg/Tag initiiert; 22,2% erhielten 2 × 100 mg/Tag und 7,6% mindestens 2 × 150 mg/Tag. Die mittlere Tagesdosis betrug bei Therapiebeginn 17

Lange T et al. Praxisdaten zur Behandlung starker chronischer Schmerzen mit Tapentadol retard

Tab. 4: Beurteilung verschiedener Aspekte der Tapentadoltherapie durch die behandelnden Ärzte bei Beobachtungsende Bewertung „sehr gut“ oder „gut“ Gesamtkollektiv

TapentadolMonotherapie

Analgesie

76,8% (n = 4812)

87,2% (n = 1468)

Allgemeine Verträglichkeit

88,8% (n = 4800)

93,8% (n = 1460)

Gastrointestinale Verträglichkeit

87,8% (n = 4802)

93,0% (n = 1458)

ZNS-Verträglichkeit

88,1% (n = 4785)

93,4% (n = 1456)

Ausgewogenheit zwischen Wirkung und Verträglichkeit

84,8% (n = 4778)

91,6% (n = 1455)

Lebensqualität

72,8% (n = 4799)

82,5% (n = 1461)

Compliance

87,3% (n = 4781)

92,2% (n = 1452)

Therapieerfolg insgesamt

80,0% (n = 4792)

88,6% (n = 1456)

Angaben sind Anteil Patienten (%); n = Anzahl Patienten mit vorliegenden Daten

140,9 ± 71,8 mg, lag bei der Therapieüberprüfung nach vier bis sechs Wochen bei 188,6 ± 88,2 mg und nach dreimonatiger Beobachtungszeit bei 206,6 ± 99,4 mg. Insgesamt 94,2% der Patienten setzten die Therapie fort. Die durchschnittliche Schmerzintensität bei der Aufnahmeuntersuchung war mit 7,1 ± 1,4 mit dem Gesamtkollektiv vergleichbar, konnte im Beobachtungsverlauf jedoch stärker reduziert werden (Abb. 1). Auch der Anteil der Patienten mit Therapieerfolg war bei allen vier Responsekriterien höher als im Gesamtkollektiv (Tab. 2). Bei der Aufnahme wurde eine durchschnittliche Schmerzintensität von 2,8 ± 1,4 als erstrebenswertes Therapieziel der Patienten dokumentiert; nach drei Monaten hatten 69,7% dieses Ziel erreicht. Scores für schmerzbedingte Funktionsstörungen und Lebensqualität waren mit dem Gesamtkollektiv bei der Aufnahmeuntersuchung vergleichbar. Alle vier Aspekte bzgl. schmerzbedingter Funktionsstörungen im Alltag verbesserten sich etwas stärker als in der Gesamtgruppe (Tab. 3) und auch die Lebensqualität wurde positiver bewertet (Abb. 2B). Verglichen mit der Aufnahmeuntersuchung nahm der physische Summenscore um durchschnittlich 12,9 Punkte (95%KI 12,42; 13,36; p ≤ 0,001) und der mentale Summenscore um durchschnitt18

lich 12,6 Punkte (95%KI 12,0; 13,2; p ≤ 0,001) zu. Die Therapiebeurteilung der Ärzte war ebenfalls positiver als beim Gesamtkollektiv (Tab. 4). Die Veränderung des Allgemeinzustandes der Patienten seit Therapiebeginn wurde von der Mehrzahl der Ärzte (85,1%) und der Patienten (79,6%) als „stark“ bis „sehr stark“ verbessert bewertet.

DISKUSSION Die meisten der hier dokumentierten, von Praktischen Ärzten, Allgemeinmedizinern und Internisten behandelten Patienten litten seit mehr als sechs Monaten unter starken chronischen Schmerzen; für 42% waren es bereits mehr als zwei Jahre. Trotz bestehender Dauertherapie mit mehreren, zum Teil starken Analgetika (32% der Patienten erhielten WHOIII-Analgetika) war die Schmerzbelastung bei der Aufnahmeuntersuchung hoch und Hauptgründe für einen Therapiewechsel waren eine nicht zufriedenstellende Analgesie sowie eine verminderte Lebensqualität der Patienten. Erfolgreiche Schmerzreduktion Die dreimonatige Therapie mit Tapentadol PR führte zu einer signifikanten Reduktion der durchschnittlichen Schmerzintensität; für 65% der Patienten wurde

bei Beobachtungsende eine klinisch relevante Schmerzlinderung um mindestens 50% dokumentiert. Darüber hinaus wurden die vorab definierten Therapieziele von der Mehrzahl der Patienten erreicht; die kombinierte Responserate betrug 90%. Zudem konnte die zusätzliche analgetische Dauertherapie deutlich reduziert werden; fast 50% der Patienten erhielten bei Beobachtungsende ausschließlich Tapentadol PR. Auch der Anteil an Patienten mit nicht-medikamentöser Begleittherapie war rückläufig. Ähnlich gute Ergebnisse konnten auch in der ersten nichtinterventionellen Tapentadol-Studie bei Allgemeinmedizinern und Internisten (NIS-1; n = 3134) gezeigt werden [9]. Bis auf einen größeren Anteil an Patienten mit starken Opioiden als Vortherapie in der NIS-1 (43% vs. 32% in dieser Studie), weisen die Patientenkollektive beider Studien vergleichbare Ausgangsdaten auf (Tab. 5). In beiden Studien wurde die Schmerzintensität um durchschnittlich 3,9 Punkte reduziert und die Mehrheit der Patienten erreichte die von ihnen angestrebte Schmerzintensität sowie ihr vorab definiertes individuelles Therapieziel. Die gute Wirksamkeit von Tapentadol PR in der dreimonatigen Behandlung starker chronischer Schmerzen in der allgemeinmedizinischen und Internistenpraxis wurde nunmehr durch Daten von mehr als 8000 Patienten belegt. Auch langfristig war Tapentadol PR erfolgreich: In einer Studie über zwölf Monate blieben die Tapentadoltagesdosen – anders als von den meisten anderen starken Opioidanalgetika bekannt – im Langzeitverlauf bei weiterhin guter Schmerzreduktion relativ konstant [11]. Breites Wirkspektrum Für die meisten Patienten dieses Kollektivs (72%) wurde ein gemischter Schmerztyp mit nozizeptiver und neuropathischer Komponente dokumentiert. Die dreimonatige Tapentadolbehandlung resultierte in einer wirksamen Schmerzreduktion bei sowohl nozizeptiven Schmerzen (verursacht z. B. durch Gonarthrose oder Coxarthrose), als auch MMW-Fortschr. Med. 2015; 157 (S4)

Lange T et al. Praxisdaten zur Behandlung starker chronischer Schmerzen mit Tapentadol retard

neuropathischen Schmerzen (z. B. durch postherpetische Neuralgie oder diabetische Polyneuropathie) und gemischten Schmerzen (Rückenschmerzen). In Tierversuchen konnte gezeigt werden, dass die MOR-Agonismus-Komponente im Tapentadolmolekül vorwiegend die Hemmung nozizeptiver Schmerzen vermittelt, während die NRI-Komponente vorwiegend neuropathische Schmerzen lindert [16]. In der Behandlung von Rückenschmerzen linderte Tapentadol PR die Schmerzen von Patienten mit und ohne neuropathische Komponente [17]. Außerdem konnte im Vergleich einer Tapentadol-Monotherapie zu einer Kombinationstherapie mit Pregabalin bei Rückenschmerz mit neuropathischer Komponente eine bessere zentralnervöse Verträglichkeit der Monotherapie bei vergleichbarer analgetischer Potenz zur Kombination gezeigt werden [18]. Funktionsfähigkeit im Alltag Neben der Schmerzlinderung ist die Wiederherstellung funktioneller Einschränkungen und damit eine Wiederherstellung der Selbstständigkeit ein wichtiger Therapieaspekt für die Patienten. Dies wurde bei der Bestimmung des zusätzlichen individuellen Therapieziels bei der Aufnahmeuntersuchung deutlich, da 47% der Patienten aus dem Bereich „körperliche Funktionsfähigkeit“ wählten. Die in dieser Studie abgefragten vier Aspekte zur körperlichen Funktionsfähigkeit konnten durch die Tapentadoltherapie signifikant um 46–52% verbessert werden und erlauben somit eine aktivere Teilnahme der Patienten am täglichen Leben. Dieses Ergebnis bestätigt eine frühere nicht-interventionelle Studie bei Orthopäden und Neurologen, in der mittels zweier Funktionsfragebögen für Patienten mit chronischen Rückenschmerzen und für Patienten mit Arthrose ebenfalls eine Verbesserung der funktionalen Alltagskompetenz durch Tapentadol PR dokumentiert wurde [10]. Verbesserung der Lebensqualität Chronische Schmerzen führen zu Belastungen im Alltagsleben wie EinschränMMW-Fortschr. Med. 2015; 157 (S4)

Tab. 5: Ausgewählte Vergleichsdaten von Schmerzpatienten in der Allgemeinarzt- und Internistenpraxis für die vorliegende Studie (NIS-4; n = 5002) und die erste nicht-interventionelle Studie (NIS-1 [9]; n = 3134); Beobachtungszeitraum 3 Monate NIS-4

NIS-1

Demographie Alter (Jahre) Männlich/Weiblich

66,8 ± 13,4 40,3% / 59,6%

66,8 ± 13,6 39,9% / 60,0%

Schmerzdauer > 2 Jahre

41,7%

47,5%

Hauptschmerzdiagnose Rückenschmerzen

83,1%

82,4%

Analgetische Vortherapie Starke Opioide Schwache Opioide Nicht-Opioide

31,7% 55,9% 81,4%

42,5% 53,1% 82,8%

Tapentadoldosis (mg/Tag) Bei Therapiebeginn Bei Beobachtungsende

143,8 ± 72,6 216 ± 102,9

131,6 ± 62,7 203,7 ± 102,4

Patienten mit analgetischer Zusatztherapie bei Behandlungsende

47,6%

48,4%

Schmerzintensität (NRS 0–10) Bei Aufnahmeuntersuchung Bei Beobachtungsende

7,2 ± 1,4 3,3 ± 1,7

7,0 ± 1,5 3,1 ± 1,8

Erreichte Behandlungsziele Schmerzreduktion bei Beobachtungsende ≥ 50% Angestrebte Schmerzreduktion Zusätzliches individuelles Behandlungsziel Kombinierte Responserate*

65,1% 59,8% 89,4% 90,3%

72,1% 65,8% 89,7% 89,4%

Angaben sind Mittelwerte ± Standardabweichung oder Anteil Patienten (%); *Erreichen der angestrebten Schmerzreduktion und/oder des zusätzlichen individuellen Behandlungsziels

kungen sozialer Aktivitäten, verminderte Schlafqualität, Angstzustände und Depressionen, und zu einem Verlust von Selbstständigkeit, und beeinträchtigen so die Lebensqualität der Betroffenen. Diese Belastungen steigen mit dem Grad der Schmerzchronifizierung [19]. Die Beeinträchtigung der Lebensqualität ist oft ausgeprägter als bei anderen chronischen Erkrankungen wie z. B. Hochdruck oder Diabetes [12]. Daten der „National Health and Wellness Survey“ für Deutschland zeigten, dass Befragte mit starken täglichen Schmerzen im Vergleich zu schmerzfreien Personen ein Defizit von 17,9 Punkten im physischen Summenscore und von 8,8 Punkten im mentalen Summenscore des SF-12 aufweisen [3]. Aus den durchgeführten Regressionsanalysen wurde dabei ersichtlich, dass die

Einflussgröße Schmerz die Lebensqualität deutlich stärker beeinträchtigte als soziodemographische Einflussgrößen, gesundheitliche Risikofaktoren oder der Komorbiditätsstatus. Die Wiederherstellung oder der Erhalt der Lebensqualität ist ein vorrangiges Therapieziel der Patienten [12]. Auch in dieser Studie wählten 73% ein zusätzliches individuelles Behandlungsziel aus diesem Bereich. Bei der Aufnahmeuntersuchung war die Lebensqualität bei den weitaus meisten Patienten stark eingeschränkt und 71% gaben die unzureichende Lebensqualität als Grund für einen Therapiewechsel an. Die durchschnittlichen Werte für den physischen und mentalen Summenscore betrugen 27 bzw. 36 Punkte und gelten laut Handbuch für den Deutschen Schmerzfragebogen 19

Lange T et al. Praxisdaten zur Behandlung starker chronischer Schmerzen mit Tapentadol retard

als problematisch (

[Clinical practice data regarding tapentadol prolonged release treatment for severe chronic pain - improvement of analgesia, functional competence and quality of life in particular under tapentadol monotherapy].

To assess effectiveness and tolerability of tapentadol prolonged release (PR, Palexia® retard) for the treatment of severe chronic pain under routine ...
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