Leitthema Hautarzt 2014 · 65:10–14 DOI 10.1007/s00105-013-2635-9 Online publiziert: 15. Dezember 2013 © Springer-Verlag Berlin Heidelberg 2013

J. Dissemond Klinik und Poliklinik für Dermatologie, Venerologie und Allergologie, Universitätsklinikum Essen

Chronische Wunden und Bakterien Klinische Bedeutung, Nachweis und Therapie

Entsprechend aktueller Expertenempfehlungen werden Wunden als „chronisch“ bezeichnet, wenn diese seit mindestens 8 Wochen bestehen [2]. Chronische Wunden können grundsätzlich an jeder Stelle des Körpers auftreten. Mindestens 80% dieser chronischen Wunden manifestieren sich als Ulcus cruris, Dekubitus, diabetisches Fußsyndrom oder akrale Wunden im Rahmen einer peripheren arteriellen Verschlusskrankheit (pAVK). Darüber hinaus können zahlreiche weitere Faktoren wie beispielsweise Vaskulitiden, Lymphödeme oder Medikamente chronische Wunden verursachen oder deren Abheilung zumindest wesentlich behindern. Für Deutschland finden sich Angaben über die Anzahl der Patienten mit chronischen Wunden, die von 1 bis zu 4 Mio. Betroffenen reichen [9, 16].

Bakterien und chronische Wunden Auch wenn die Bedeutung von Bakterien in chronischen Wunden in den letzten Jahren zunehmend in den Fokus der Wundtherapie gerückt ist, bleibt es weiterhin wissenschaftlich umstritten, inwieweit Bakterien obligat zu einer Verzögerung der Wundheilung führen. Es ist jedoch unbestritten, dass durch den Nachweis von Bakterien und die hieraus ggf. resultierenden Krankheitsbilder zahlreiche Probleme für die Patienten und die behandelnden Institutionen resultieren können. So stellen chronische Wunden eine

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persistierende Eintrittspforte für Bakterien dar, die zu klinisch relevanten Infektionskrankheiten wie beispielsweise Erysipelen oder Phlegmonen bis hin zu einer Sepsis führen können.

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Chronische Wunden sind eine persistierende Eintrittspforte für Bakterien Der Bakteriennachweis bei Patienten mit chronischen Wunden kann sehr unterschiedlich sein und wird von zahlreichen weiteren Faktoren wie beispielsweise Genese, Bestanddauer, behandelnde Institution oder Vortherapien beeinflusst. In einer aktuellen eigenen Untersuchung haben wir die Resultate bakteriologischer Abstriche von 970 Patienten mit chronischem Ulcus cruris aus 10 dermatologischen Wundambulanzen ausgewertet und verglichen. Staphylococcus aureus fand sich bei 47,6% der Patienten; bei 8,6% zeigte sich eine Methicillin-Resistenz (MRSA). Pseudomonas aeruginosa wurde bei 31,1%, Enterobakterien bei 28,6% und Proteus mirabilis bei 13,7% der Patienten nachgewiesen. Bei dem regionalen Vergleich fand sich ein signifikantes Süd-Nord-Gefälle für Staphylococcus aureus, Pseudomonas aeruginosa und Enterobakterien. Zudem zeigte sich ein hochsignifikantes West-Ost-Gefälle für MRSA mit Nachweisraten von 13,5% im Westen gegenüber 4,0% im Osten von Deutschland [15].

Methicillin-resistenter Staphylococcus aureus Ein großes Problem für Patienten und medizinische Institutionen resultiert aus dem Nachweis von sog. „Problemkeimen“. Hierunter versteht man verschiedene multiresistente Erreger (MRE). Außer dem Methicillin-resistenten Staphylococcus aureus (MRSA) werden hier auch Glycopeptidresistente Enterokokken (GRE), Vancomycin-resistente Enterokokken (VRE) oder multiresistente Gram-negative Erreger (MRGN) zusammengefasst. Als Konsequenz des Nachweises von MRSA bei Patienten mit chronischen Wunden ergeben sich spezifische Probleme. Hierbei sind neben dem erhöhten nosokomialen Infektionsrisiko insbesondere die einzuleitenden Hygienemaßnahmen und die mit der Behandlung verbundenen Kosten zu berücksichtigen. D Bei fehlenden Anzeichen für

eine MRSA-Infektion sollte keine systemische antibiotische Therapie eingeleitet werden. Die notwendigen MRSA-spezifischen Hygienemaßnahmen leiten sich wesentlich von den bekannten Übertragungswegen ab, bei denen dem medizinischen Personal mit unmittelbarem Patientenkontakt als Vektor von MRSA eine wesentliche Bedeutung zukommt. Betroffene Keimträger sind nach Therapieabschluss als MRSA negativ zu betrachten, wenn mindestens 3 negative bakteriologische Abstriche aus zuvor positiven Arealen vorliegen und diese Abstriche in einem Ab-

Abb. 1 8 Durchführung eines bakteriologischen Abstrichs von einem Ulcus cruris venosum entsprechend der Technik „Essener Kreisel“

stand von mindestens 24 h entnommen wurden. Die Durchführung bakteriologischer Kontrollabstriche sollte frühestens 2 bis 3 Tage nach dem Absetzen der antimikrobiellen Maßnahmen erfolgen [8, 20].

Pseudomonaden Der derzeit bei Patienten mit chronischen Wunden am zweithäufigsten nachgewiesene Keim ist Pseudomonas aeruginosa. In aktuellen Untersuchungen konnte gezeigt werden, dass die Nachweisraten von Pseudomonas aeruginosa bei Patienten mit chronischem Ulcus cruris, die sich in einer dermatologischen Wundambulanz einer deutschen Universitätsklinik in Behandlung befanden, innerhalb eines Zeitraums von 5 Jahren um 10% auf über 30% gestiegen sind. Es wurde diskutiert, dass u. a. der weiterhin weit verbreitete Einsatz von ungefiltertem Leitungswasser und die zunehmende Durchführung einer feuchten Wundtherapie zu der Zunahme dieses Keimes, der ein feuchtes Milieu benötigt, geführt hat [17]. Die klinische Relevanz von Pseudomonaden als eigenständiger wundheilungsbehindernder Faktor konnte in verschiedenen klinischen Untersuchungen bereits aufgezeigt werden. So untersuchten Jacobsen et al. beispielsweise 44 Patienten mit klinisch nicht infiziertem Ulcus cruris venosum. Bei mehr als der Hälfte dieser Patienten konnte in der bakterio-

logischen Kultur Pseudomonas aeruginosa nachgewiesen werden. In Bezug auf die Abheilrate der Wunden konnte eine signifikante Korrelation lediglich zwischen dem Nachweis von Pseudomonas aeruginosa und den serologischen CRP (C-reaktives Protein)-Spiegeln gefunden werden. Entsprechend aktueller In-vitro-Daten entgeht Pseudomonas aeruginosa insbesondere bei dem Vorliegen innerhalb eines Biofilms auf Wunden durch die Sekretion von Virulenzfaktoren der Immunabwehr des Wirtes und behindert so die physiologische Wundheilung und insbesondere die Reepithelisation [12, 13]. Dieser Effekt konnte aktuell auch bei 82 Patienten mit einem Ulcus cruris venosum bestätigt werden. Die bei diesen Patienten durchgeführten Spalthauttransplantate zeigten sich lediglich bei einem Drittel der Patienten, auf deren Wunden Pseudomonas aeruginosa präoperativ nachgewiesen wurde, vital. Dahingegen waren in dem gleichen Nachbeobachtungsintervall von 12 Wochen bei fast drei Viertel der Patienten, bei denen kein Pseudomonas aeruginosa gefunden wurde, die Transplantate vital. Als einziger weiterer Risikofaktor für den Verlust der Transplantate konnte in dieser Studie das Rauchen identifiziert werden [12]. Als praktische Konsequenz aus den aktuellen Daten kann empfohlen werden, einen elektiven Eingriff wie beispielsweise eine Spalthauttransplantation erst nach Eradikation von Pseudomonas aeruginosa durchzuführen. Für den Versuch einer Eradikation sollten neben einem mechanischen Débridement Antiseptika mindestens 1-mal täglich über 1 Woche angewendet werden.

Bakteriennachweis In mehreren klinischen Studien wurde bei Patienten mit chronischen Wunden aufgezeigt, dass die Resultate einer Biopsie im Vergleich zu einem bakteriologischen Abstrich keinen Einfluss auf die Wundheilung haben. Die Resultate waren bei beiden Nachweisverfahren nicht signifikant unterschiedlich [5, 11]. Es wird daher für Patienten, die keine klinischen Infektionszeichen haben, empfohlen, keine Biopsien für die mikrobiologische Diagnostik zu entnehmen. Sinnvoll kann die Biopsieentnahme aus einer Wunde für die mik-

robiologische Untersuchung aber sein, wenn ohnehin ein chirurgisches Débridement vorgenommen wird, wenn tiefere Wunden mit dem Verdacht auf Weichgewebeinfektionen untersucht werden sollen oder die vermuteten Erreger mit konventionellen Methoden wie beispielsweise bei Mykobakteriosen kaum nachgewiesen werden können.

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Ohne klinische Infektionszeichen sollten keine Biopsien für die mikrobiologische Diagnostik entnommen werden Entsprechend der Konsensusvereinbarung der Weltorganisation der Wundheilungsgesellschaften (WUWHS) wurde als Goldstandard für die Durchführung eines bakteriologischen Abstriches die LevineTechnik empfohlen. Hierunter versteht man die Abstrichentnahme unter leichtem Druck aus einem ca. 1 cm2 großen Areal aus dem Zentrum oder einem klinisch infiziert erscheinenden Areal der Wunde. Bislang sind zu dieser Untersuchungstechnik aber nur wenige wissenschaftliche Untersuchungen mit kleineren Patientengruppen publiziert worden. Eine in unserer Wundambulanz etablierte Weiterentwicklung dieser Technik wurde bereits als „Essener Kreisel“ prospektiv bei 50 Patienten mit chronischem Ulcus cruris evaluiert und publiziert. Es handelt es sich hierbei um eine bakteriologische Abstrichentnahme in Spiralform, die es dem Untersucher ermöglichen soll, das bakteriologische Keimspektrum von Wunden repräsentativ zu erfassen. Hierbei wird ein Abstrichtupfer, an dem äußeren Wundrand beginnend, kreisend unter Ausübung von leichtem Druck zu dem Zentrum der Wunde geführt (. Abb. 1). Der Essener Kreisel stellt somit eine leicht anwendbare sowie rasch durchzuführende Modifikation einer konventionellen Abstrichmethode dar, die nur unwesentlich mehr Aufwand für den Untersucher bedeutet und zu einem signifikant sensitiveren Nachweis der oberflächlichen Keimbesiedlung chronischer Wunden führt. Insofern eignet sich der Essener Kreisel insbesondere für Untersuchungen im Rahmen von Screenings beispielsweise für den Ausschluss von MRSA [1]. Der Hautarzt 1 · 2014 

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Zusammenfassung · Abstract

Wundreinigung und Débridement Die von Expertengremien aktuell empfohlenen Flüssigkeiten für die Wundreinigung sind sterile Ringer- oder physiologische Kochsalzlösung [9]. Nach Anbruch ist die Sterilität jedoch nicht mehr gewährleistet, sodass unkonservierte Spüllösungen für Wunden entsprechend den Empfehlungen des Europäischen Arzneibuchs für den sofortigen Verbrauch bestimmt sind und Reste verworfen werden sollen. Insbesondere im ambulanten Sektor kommt aber weiterhin Leitungswasser zum Einsatz, was in den verschiedenen Expertengremien aktuell sehr kontrovers diskutiert wird. So existiert eine Cochrane Metaanalyse, die kein erhöhtes Infektionsrisiko durch die Wundreinigung mit Leitungswasser zeigt [10]. Ein Kritikpunkt dieser Metaanalyse ist, dass viele dieser Untersuchungen in Ländern mit Leitungswasser durchgeführt wurden, dem Chlorverbindungen als Desinfektionsmittel zugesetzt waren. Insofern ist ein direkter Vergleich mit dem trinkbaren Leitungswasser in Deutschland nur unzureichend möglich. Ein weiterer Punkt ist die sehr unterschiedliche Wasserqualität, die aus den verschiedenen Leitungen entnommen werden kann. So wird zwar über staatliche Institutionen ein Mindeststandard für die ausgelieferte Wasserqualität definiert, jedoch kann durch den oft jahrzehntelangen Einsatz von Rohren und Perlatoren in Wasserhähnen in den jeweiligen Haushalten durch die Ablösung von Bakterien eine erhebliche Keimbelastung resultieren. Unbestrittene Vorteile des Einsatzes von Leitungswasser sind die geringen Kosten, die ubiquitäre Verfügbarkeit sowie die mechanische Reinigungswirkung bei der Verwendung von Duschköpfen. Der Vorstand der Initiative Chronische Wunde (ICW) hat in einer aktuellen Stellungnahme zu dem Einsatz von Leitungswasser für die Wundsäuberung die aktuellen rechtlichen und hygienischen Aspekte zusammengefasst. So müssen entsprechend dem § 23 Abs. 23 des Infektionsschutzgesetzes medizinische Einrichtungen ihre Hygienepläne nach dem aktuellen Stand der Technik ausrichten. Dieser aktuelle Stand basiert wesentlich auf den Empfehlungen der Kommis-

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Hautarzt 2014 · 65:10–14  DOI 10.1007/s00105-013-2635-9 © Springer-Verlag Berlin Heidelberg 2013 J. Dissemond

Chronische Wunden und Bakterien. Klinische Bedeutung, Nachweis und Therapie Zusammenfassung Die Bedeutung von Bakterien ist in den letzten Jahren zunehmend in den Fokus der Behandlung von Patienten mit chronischen Wunden gerückt. Für den Nachweis ist es im klinischen Alltag meist ausreichend, einen bakteriologischen Abstrich von der Wundoberfläche entsprechend der Technik „Essener Kreisel“ zu entnehmen. Bei Patienten mit chronischem Ulcus cruris können in Deutschland derzeit Staphylococcus aureus bei ca. 50%, Pseudomonas aeruginosa und Enterobakterien bei ca. 30% und Methicillin-resistenter Staphylococcus aureus bei ca. 10% der Patienten nachgewiesen werden. Meist handelt es sich bei den Patienten um klinisch unkritische bakterielle Kolonisationen, sodass eine systemische Gabe von Antibiotika nur selten erforderlich ist. Für die Wundreinigung

sollten ausschließlich sterile Lösungen wie beispielsweise Ringer- oder physiologische Kochsalzlösung verwendet werden. Bei dem Einsatz von Leitungswasser sollten unbedingt Sterilfilter genutzt werden. Für Patienten mit erhöhtem Infektionsrisiko, kritischer Kolonisation oder lokalen Infektionszeichen stehen aktuell mit Polihexanid oder Octenidin moderne Wundantiseptika zur Verfügung. Der Einsatz von systemischen Antibiotika sollte strikt auf Patienten mit systemischen Infektionszeichen beschränkt bleiben. Schlüsselwörter Ulcus cruris · MRSA · Infektion · Bakteriologischer Abstrich · Wundreinigung

Chronic wounds and bacteria. Clinical relevance, detection and therapy Abstract The importance of bacteria in the treatment of patients with chronic wounds has been a focus of attention in recent years. A bacteriological swab taken from the wound in a Essen rotary technique is usually adequate for the diagnosis. The current detection rate of bacteria in patients with chronic leg ulcers in Germany is about 50% for Staphylococcus aureus, 30% for Pseudomonas aeruginosa and Enterobacteriaceae and approximately 10% for MRSA. Most of these patients have a clinically unimportant bacterial colonization, so that systemic administration of antibiotics usually is not required. For wound cleansing

sion für Krankenhaushygiene- und Infektionsbekämpfung (KRINKO) am Robert Koch-Institut (RKI). Hier wurde aktuell festgelegt, dass für „offene Wunden Verbandwechsel nur unter aseptischen Vorsichtsmaßnahmen … durchgeführt werden. Auch jede Spülflüssigkeit muss steril sein …“ Der Einsatz von Leitungswasser ist entsprechend dieser Empfehlungen nur statthaft, wenn es mit einem Filter mit einer Porengröße von maximal 0,2 μm filtriert wird. Wenn nun also Sterilfilter eingesetzt werden, ist Leitungswasser für die Wundbehandlung insbesondere auch im Hinblick auf die weitere Verbreitung von

only sterile solutions such as Ringer’s or physiological saline solution should be used. If tap water is used, then the use of sterile filters is strongly recommended. In patients with increased risk of infection, a critical colonization or local signs of infection, modern wound antiseptics using polyhexanide or octenidine are available. The use of systemic antibiotics should be strictly limited to patients with systemic signs of infections. Keywords Leg ulcer · MRSA · Infection · Bacteriological swab · Wound care

Pseudomonaden sicher unproblematisch [24]. Aufgrund der nicht unerheblichen Kosten von ca. 70 EUR/Monat werden diese Sterilfilter aber nur selten von Patienten angeschafft – stellen aber zumindest für Arztpraxen oder Wundambulanzen eine gute Alternative dar.

Antimikrobielle Therapie Im Rahmen der Behandlung von Patienten mit chronischen Wunden sind Wundinfektionen gefürchtete Komplikationen. Es wird von einer Wundinfektion gesprochen, wenn es nach dem Eindringen

von Bakterien in Gewebe zu einer lokalen oder systemischen Wirtsreaktion bis hin zu einer Sepsis kommt. Bei Wundinfektionen stagniert die Wundheilung; oft kommt es sogar zu einer Größenzunahme. Da bei nahezu allen Wunden Bakterien nachgewiesen werden können, muss aber der unkritische Nachweis einer bakteriellen Besiedelung oder Kontamination von der klinisch relevanten Infektion abgegrenzt werden. Als Basisdiagnostikkriterien können die klassischen klinischen Parameter der Entzündung Calor (Überwärmung), Dolor (Schmerz), Rubor (Rötung), Tumor (Schwellung) und Functio laesa (Funktionseinschränkung) verwendet werden. Zudem bestehen bei einer Wundinfektion u. a. oft auch eine Leukozytose und ein Anstieg des C-reaktiven Proteins [9]. In der aktualisierten Version einer Cochrane Metaanalyse zu dem Einsatz systemischer Antibiotika und lokal applizierter Antiseptika konnte gezeigt werden, dass bei Patienten mit chronischem Ulcus cruris venosum ohne Vorliegen von systemischen Entzündungszeichen keine Beschleunigung der Wundheilung durch die Behandlung mit Antibiotika erzielt werden kann. Es wird in den Autorenempfehlungen klar herausgestellt, dass die routinemäßige Gabe von Antibiotika bei diesen Patienten nicht sinnvoll ist [21]. Somit sollte sich der Einsatz systemischer Antibiotika unabhängig von den mikrobiologischen Ergebnissen ausschließlich an der Klinik des Patienten orientieren. Wenn also der Patient keine klinischen Infektionszeichen und insbesondere weder Fieber noch Leukozytose aufweist, dann sollte im Regelfall auch keine Antibiotikatherapie eingeleitet werden.

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Der Einsatz systemischer Antibiotika sollte sich ausschließlich an der Klinik des Patienten orientieren Die aktuell für den Einsatz bei Patienten mit beispielsweise kritisch kolonisierten oder infizierten chronischen Wunden empfohlenen Antiseptika enthalten meist Polihexanid (Polyhexamethylenbiguanid, PHMB) oder Octenidin. Für beide Substanzen wurde eine sehr effiziente antimi-

krobielle Potenz bei geringer Gewebetoxizität in mehreren Studien gezeigt. Der Stellenwert von Präparaten mit Jod wird aktuell sehr kontrovers diskutiert. In den letzten Jahren wurde die Verwendung von Jod durchaus bei Patienten mit akuten Wunden empfohlen. Bei Patienten mit chronischen Wunden sollten hingegen Jodverbindungen – wenn überhaupt – nur kurzzeitig eingesetzt werden [18]. Wegen einer immer wieder diskutierten, aber bislang wissenschaftlich noch unzureichend bestätigten Schwäche der modernen Antiseptika gegen Gram-negative Bakterien wie Pseudomonas aeruginosa kommt es aber wieder zunehmend zu dem Einsatz von potenziell zytotoxischen Präparaten mit beispielsweise PVP-Jod, Farbstoffen oder hypochlorigen Säuren. Diese Entwicklung ist im Hinblick auf die ohnehin verzögerte Wundheilung bei Patienten mit chronischen Wunden bedenklich. Früher war es notwendig PHMB als Magistralrezeptur zu verordnen, die nach Anbruch innerhalb von 8 h verwendet werden sollten. Es ist daher wesentlich unproblematischer, Fertigpräparationen einzusetzen, die nach Anbruch bis zu 8 Wochen angewendet werden können. In dem kommerziell erhältlichen Octenidin-haltigen Antiseptikum ist Phenoxyethanol enthalten. Das Produkt darf nicht unter Druck in Gewebe injiziert werden, da es sonst zu ausgeprägten Nekrosen kommen kann. Bei der Spülung von tiefen Wunden muss somit unbedingt der Abfluss gewährleistet sein. Entsprechend den aktuellen Herstellerangaben sollte die kontinuierliche Anwendung einen Zeitraum von 14 Tagen nicht überschreiten. Nach Anbruch kann das Präparat bis zu 3 Jahre genutzt werden. Da die empfohlenen Mindesteinwirkzeiten für Octenidin 2 min und PHMB 10 min sind, um eine zuverlässige antimikrobielle Wirksamkeit zu garantieren, kann alternativ auch die Applikation in Form eines Wundgels oder eingearbeitet in eine Wundauflage sinnvoll sein [9]. Entsprechend den aktuellen interdisziplinären Expertenempfehlungen sollte aber auch der Einsatz dieser wenig zytotoxischen Antiseptika spätestens nach 3 Wochen erneut kritisch hinterfragt werden. Bei Verschwinden der klinischen Infektionszeichen sollte auch

die Behandlung mit einem Antiseptikum beendet werden [6, 7]. Als Alternativen werden seit mehreren Jahren Wundauflagen mit verschiedenen Silberzubereitungen eingesetzt. Bei diesen Silberprodukten gestaltet sich eine einheitliche Einschätzung nahezu unmöglich, da das Silber nicht nur in verschiedenen Verbindungen und sehr unterschiedlichen Konzentrationen vorliegt, sondern auch sehr unterschiedlich in den Wundprodukten gebunden und z. T. nicht abgegeben wird [4]. Obwohl diese Produkte sehr weit verbreitet eingesetzt werden, ist die wissenschaftliche Datenlage hierzu unzureichend, sodass aktuell keine verbindliche Empfehlung für deren Einsatz erfolgen kann [25]. Ein weiteres Problem kann sich aus der erhöhten Inzidenz der Kontaktsensibilisierungsraten von bis zu 80%, die bei Patienten mit chronischen Wunden und insbesondere mit chronischem Ulcus cruris venosum gefunden werden, ergeben [9]. So konnten in einer retrospektiven Auswertung von Calow et al. [3] bei 251 Patienten, die mit Octenisept behandelt wurden, bei 11 Patienten klinische Zeichen eines allergischen Kontaktekzems gefunden werden. Bei 8 Patienten konnte in der Epikutantestung eine Kontaktsensibilisierung auf das Antiseptikum bestätigt werden. In einer prospektiven Untersuchung zu den Kontaktsensibilisierungen auf PHMB konnten bei 1975 Patienten bei der höchsten getesteten Konzentration von 5,0% insgesamt 16 positive Reaktionen gefunden werden, sodass die Autoren auch im Vergleich zu historischen Daten zu der Aussage kommen, dass die Rate von Kontaktsensibilisierungen gegen PHMB trotz des weit verbreiteten Einsatzes dieses Antiseptikums als Konservierungsstoff für Kosmetika weiterhin gering ist [23]. Ganz andere Ergebnisse zeigten 2 in Deutschland durchgeführte prospektive Studien auf Präparate mit PVP-Jod. Hier fanden sich bei Patienten mit chronischem Ulcus cruris bei 20 bzw. bei 15,8% der Patienten Kontaktsensibilisierungen [19, 22]. Nicht nur aufgrund dieser Tatsache kann daher propagiert werden, dass Antiseptika, die Octenidin oder PHMB beinhalten, heute bei Patienten mit chronischen Wunden bevorzugt eingesetzt werden sollten. Der Hautarzt 1 · 2014 

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Leitthema Fazit für die Praxis F Für den Bakteriennachweis und insbesondere für den Ausschluss von MRSA ist es meist ausreichend, einen bakteriologischen Abstrich von der Wundoberfläche entsprechend der Technik „Essener Kreisel“ zu entnehmen. F Neben den Staphylokokken können zunehmend auch Pseudomonaden bei Patienten mit chronischen Wunden nachgewiesen werden. F Die meisten Patienten mit chronischen Wunden haben klinisch unkritische Kolonisationen. F Für Patienten mit erhöhtem Infektionsrisiko, kritischer Kolonisation oder lokalen Infektionszeichen sind aktuell PHMB oder Octenidin die Antiseptika der ersten Wahl. F Bei dem Einsatz von Leitungswasser für die Wundsäuberung sollten unbedingt auch Sterilfilter verwendet werden. F Der Einsatz von systemischen Antibiotika sollte strikt auf Patienten mit systemischen Infektionszeichen beschränkt bleiben.

Korrespondenzadresse Prof. Dr. J. Dissemond Klinik und Poliklinik für Dermatologie, Venerologie und Allergologie, Universitätsklinikum Essen Hufelandstr. 55, 45122 Essen [email protected]

Einhaltung ethischer Richtlinien Interessenkonflikt.  J. Dissemond hat als Referent von folgenden Firmen, die antimikrobielle Wundprodukte herstellen, Honorare für Vorträge und/oder Beratungen erhalten: 3M, B. Braun, Coloplast, Draco, Hartmann, Lohmann & Rauscher, Mölnlycke, Smith & Nephew, Systagenix, Urgo. Dieser Beitrag beinhaltet keine Studien an Menschen oder Tieren.

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  2. AWMF, S3-Leitlinie der Deutschen Gesellschaft für Wundheilung und Wundbehandlung, Lokaltherapie chronischer Wunden bei Patienten mit den Risiken periphere arterielle Verschlusskrankheit, Diabetes mellitus, chronische venöse Insuffizienz. http://www.awmf.org/uploads/tx_szleitlinien/ 091-001l_S3_Lokaltherapie_chronischer_Wunden_2012-06.pdf   3. Calow T, Oberle K, Bruckner-Tuderman L et al (2009) Contact dermatitis due to use of Octenisept in wound care. J Dtsch Dermatol Ges 7:759–765   4. Carter MJ, Tingley-Kelley K, Warriner RA (2010) Silver treatments and silver-impregnated dressings for the healing of leg wounds and ulcers: a systematic review and meta-analysis. J Am Acad Dermatol 63:668–679   5. Davies C, Hill K, Newcombe R et al (2007) A prospective study of the microbiology of chronic venous leg ulcers to reevaluate the clinical predictive value of tissue biopsies and swabs. Wound Repair Regen 15:17–22   6. Dissemond J, Assadian O, Gerber V et al (2011) Classification of wounds at risk (W.A.R. Score) and their antimicrobial treatment with polihexanide – a practice-oriented expert recommendation. Skin Pharmacol Physiol 24:245–255   7. Dissemond J, Gerber V, Kramer A et al (2009) Praxisorientierte Expertenempfehlung zur Behandlung kritisch-kolonisierter und lokal infizierter Wunden mit Polihexanid. Z Wundheilung 14:20– 26   8. Dissemond J (2009) Methicillin resistenter Staphylococcus aureus (MRSA): Diagnostik, klinische Relevanz und Therapie. J Dtsch Dermatol Ges 7:544– 553   9. Dissemond J (2012) Ulcus cruris – Grundlagen, Diagnostik und Therapie, 4. Aufl. UNI-MED, Bremen 10. Fernandez R, Griffiths R (2012) Water for wound cleansing. Cochrane Database Syst Rev 2:CD003861 11. Gjødsbøl K, Skindersoe ME, Christensen JJ et al (2012) No need for biopsies: comparison of three sample techniques for wound microbiota determination. Int Wound J 9:295–302 12. Høgsberg T, Bjarnsholt T, Thomsen JS, KirketerpMøller K (2011) Success rate of split-thickness skin grafting of chronic venous leg ulcers depends on the presence of Pseudomonas aeruginosa: a retrospective study. PLoS One 6:20492 13. Jacobsen JN, Andersen AS, Krogfelt KA (2012) Impact of Pseudomonas aeruginosa quorum sensing on cellular wound healing responses in vitro. Scand J Infect Dis 44:615–619 14. Jacobsen JN, Andersen AS, Sonnested MK et al (2011) Investigating the humoral immune response in chronic venous leg ulcer patients colonised with Pseudomonas aeruginosa. Int Wound J 8:33– 43 15. Jockenhöfer F, Klode J, Dissemond J (2012) Multizentrische Untersuchung zu dem Erregerspektrum von 970 Patienten mit chronischem Ulcus cruris. Vasomed 24:262–263 16. Körber A, Klode J, Al-Benna S et al (2011) Genese des chronischen Ulcus cruris bei 31.619 Patienten im Rahmen einer Expertenbefragung in Deutschland. J Dtsch Dermatol Ges 9:116–122 17. Körber A, Schmid EN, Buer J et al (2010) Bacterial colonisation of chronic leg ulcers: current results compared to data 5 years ago in a specialised dermatologic department. J Eur Acad Dermatol Venereol 24:1017–1025

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The importance of bacteria in the treatment of patients with chronic wounds has been a focus of attention in recent years. A bacteriological swab take...
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