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Ein chronisches Subduralhämatom als Erblindungsursache L. Russegger. J. 1. Langmayr. K. Twerdy Univ.-Klinik für Neuroc hirurgie . Inn sbruck (Vor stand : Univ.-Prof. Dr. K. Twerdy

Die se ltene Komplikation der beids eitigen Erblindung nach einem dru ckentlast end en neuro chirurgischen Eingriff wird anhand eines 51jährigen Patienten mit eine m traumati sch bedingten chronische n Subduralhä ma tom geschildert. Als Ursac he für die Erblindung wird ein Versagen der im Rahmen einer Stauungspapille gestörten Vaso regulation der Nn. optici zum Zeitpunkt der intrakraniellen Drucksenkung angenommen. Im präsenti ert en Fall wird auf die Unfallkausalität der Amaurose hingewiesen.

Bilateral Amaurosis due to ach ro nic Subd ural Haematoma The uncommon complication of bilateral blindn ess resulting from a decompressive neur osurgical procedure is presented by th e ease of a 51-yea r old patient sufTering from a traumatic chronic suhdural haematoma. A breakdo wn of the altere d vasoregulation of the optic nerves due to papilledem a at the time of intracranial pressure drop is supposed to be the etiological background of optic atrophy and conse quent arnau rosis. The causa l relationship of accident traum a and blindness in the presented case is pointed out. Key-Words Papilledema - Optic nerve atrophy - decompression - Intracranial hematoma - Amauro sis Subdural hematoma

Einleitung Die unmittelbar nach einer dru ckentla stenden Kraniotomi e auftre tende beidseitige Erblindung stellt eine schwerwi egende neuroc hir urgische Komplikation dar, deren Bedeutung sich in der bisherigen Literatur ver gleichsweise spä rlich niedergeschlagen hat. Es sind dies Fälle, bei den en eine intrakran ielle Raumfordereung komplikationslos entfernt wir d, der Patient jedoch beidseits amaurotisch au s der Narkose erwacht. obwohl präoperativ nicht der geringste Hinweis für eine Visusbeeintr ächtigun g vorgelegen war und anderers eits die Operation fernab von

Neurochirurgia 35 (199 2) 207 - 209 © Georg Thieme Verlag, Stuttgart . New York

den für das Sehen verantwortliche n ana tomischen Stru ktu ren erfolgte. Im folgenden soll der Fall eines chronischen Subduralhäm atom s geschildert werden, nac h dessen Ent leerung sich eine beidseitige komplette Amaurose einstellte. Auf die gutachterliehe Problematik des Falls wird hingewiesen . Fa llbericht Ein 51jähr iger Skilehrer stü rzte wä hren d der Ausübung seines Berufes und zog sich dabei eine Bagatelltrauma des Schä dels zu. Letzteres veru rsac hte zunächst nur Kopfschmerzen, die sich in weiterer Folge verstärkten. Laut Anga ben der Angehörigen wäre a uch eine psychische Veränderung des Patienten a ufgefallen. der sch lußen dlich 4 Wochen nac h dem Tra uma mor gens bewußtl os im Bett aufgefunden wurde . Die im nah egelegenen Krank enhaus durchgeführte Computertomographie zeigte ein a usgedehntes linkshemisphär ielles chronisches Subdural hä matom in annähe rn d isodenser Phase. Während des Tran sp orts zum nächstgelegen en neur ochir urgischen Zentrum, näm lich unse re Klinik, ka m es zu einem Atems tillsta nd, weswegen Intubation und kün stliche Beatmung notwend ig wurde n . Unmittelba r präop er ativ bot der Patient eine ma ximal weite und lichtstarre Pupille linksseitig , die rechte Pupille wa r mittelweit und reagierte auf Licht. Eine weitere neuro logische Beurteilung war infolge der Relaxierung nicht möglich. Das Häm atom wurde über eine erweiterte Bohrlochrepanation komplikations los entfern t. Am nä chsten Tag bot sich das folgende neurol ogische Bild: Somno lenz , keine sichere Hem ipa rese, Anisoko rie mit links weiterer Pup ille als rechts. beidsei ts keine Lichtreaktion.

An den da rauffolgend en Tagen ka m es zu einer steten Vigilanzs teige rung. am 5. postoperativen Tag konnte mit einer Teilmobilisierung und ora ler Ernähru ng begon nen werden . Erst zu diesem Zeitpunkt wurde der Verdacht auf eine kom plette Ama urose laut, was hern ach ophth almologisch bestätigt wu rd e . Die Untersuch ung des Augenhinte rgrunds erga b vital gefär bte Papillen mit diskreter Promine nz, die komplette Erblind ung zeigte nicht die geringste Rückbildun gstend enz. Innerhalb der nä chsten drei Wochen wur de n infolge Wiederauffti llens der Häm atomh öhle zwei kleine Revisionseingriffe durchgeführt . ein Mona t nach der Erstoperation war der Patient wach, orientier t, er aß und tr ank ausreichend. es bestand ein psychoorgani sches Syndro m mit depress iver Färbu ng. Die jetzt erfolgte opth almologische Kontroll e zeigte nun eine beidseitige Pap illenatroph ie. Eineinhal b Ja hre späte r präsentier te sich der Patient wac h und orientiert. weinerlich-depressiv und in de n Denk vorgä ngen retardiert, an den Extre mitäte n ließen sich keine Ausfalle feststellen. weiter hin lag eine komplette Erblind ung vor, die Funduskontrolle bestätigte die beidseitige Papillenatr oph ie .

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Zus amme nfassung

L. Russegger, J. J. Langmayr. K. Twerdy

Besond er e Bem erkun gen Bereits in der ersten postoperativen Cl-Kontrolle

(am 2. postoperativenTag) hatte sich ein Infarkt im Ausbreitungsge biet der A. cerebri pos terior sin istra abgezeichnet. der sich in weiterer Folge deutlicher darstellte bzw. demarkierte. In der ein-

einhalb Jahre später durchgeführten Computertomographie fand sich das Vollbild eines abge laufenen Postertor-Infark ts. Die zuständige Versicherun gsanstalt aner kannte

zwar das Subduralhäma torn als Unfallfolge. nicht jedoch die Erblindung. nachdem in einem tra uma telogischen Gutachten ein ursäc hliche r Zusamme nhang zwischen Trauma und Erblindung nicht festgeste llt werden konnte .

Disku ssion Die sehr seltene und daher wenig bekannte Komplikation der dramatischen Visusvenninderung oder komp letten Erblindung nach Senkung eines über län gere Zeit erhöhten intrakraniellen Drucks scheint nur ausnahmsw eise im Schrifttum auf. Die wenigen von uns recherchier ba ren und au sreichend gut dokume ntierten Fälle stimmen in folgenden Punkten völlig über ein: Stets handelte es sich um Patienten mit längerwährenden intrakraniellen Drucksteigerungen und stets trat unmittelbar postoperati v eine ho chgradige oder komplette Visuseinbuße auf. Soweit eruierbar, wurde in jedem Fall vor dem druckentlastenden Eingr ilT eine beidseit ige Stauungspapille, in weite rer Folge eine Papillen - bzw. Optiuksatrophie festg este llt. Die uns aus der Literatur bekannt gewo rdenen Fä lle sind in Tabelle 1 synoptisch aufgelistet, wobe i jedo ch kein Anspruch a uf Vollständigk eit erhoben wer den kann, zumal mit Sicherheit viele dieser Fälle nicht eigens publiziert wurden.

Die von Beck und Greenberg (1) als . Postdecompression optic neu ro pathy" bezeichn ete und offenba r nach jeder Form von intra kra nieller Dru cksteigerung

bzw. -entl astung mögliche Komplikation entbehrt in ihre r Path ogen ese bis dato einer schlüssigen Erklärung. Das alleinige Zusamme ntreffen von intrakranieller Drucksteigerun g, beids eitiger Stauungsp apille und Druckentl astung ist hierfür nicht ausreichend, da diese Konstellation ja sehr häufig vorliegt und es demzufolge viel häufi ger zu Visu sstörungen nach neurochirurgischen Eingriffen kommen rn üßte. Eine direkte - möglicherweise isch ämis ch-hypoxisehe Schädigung der Sehrinde, wie dies no ch Rinaldi et al. (5) angenommen haben, schließen wir in diesem Zusammenhan g aus, hatten allerdings in unserem Fall ur sprü nglich in diese Richtu ng gedacht , konnte doch comp utertomograph isch ein ausgedehnter Infa rkt der A. cere bri posteri or sinistra festgestellt werden. Ein solcher erklärt natürlich nicht eine beidseitige Amaurose mit Papillenatrophie. Aus pathogenetiscb er Sicht liegt nah e, daß es be i sämtlichen Fällen von ..post-decompression optic neuropathy", wie auch in unserem Fall, zu einer direkten Optikusschädigung gekommen ist. wobei eine vor der Dekompress ion bestehende Stauungs pa pille obligat zu sein scheint (eine solche wurde im beschriebenen Fall naturgemäß nicht verifiziert). Es ist also ein zusätzliche r Faktor zur Trias . Hirn druc k Stauungspapille - Druckentlastung" anzunehmen, wobei in unser em Fall der während des präoperativ en Tran sp ort s eingetretene Atemstillstand zumindest eine TeilroUe im Sinn e eines ischä misch-hypoxische n Geschehens gespi elt haben könnte. Andererseits wird in der relevanten Literatur über Blutdruckabfalle oder respir atorische Insuffizienz zum fragliche n Zeitpunkt nicht berichtet. Bemer kenswert erscheint auch, daß alle Patienten jüngeren bis mittler en Lebensalters waren, so daß also eine arteriosklerotisch bedingte Minderperfusion keine ätiologische Rolle spielen dürfte. Wir tendieren zur AulTassung, daß - unabhängig vom systemischen arteriellen Druck - bei einer plötzlichen intrakrani ellen Druckentl astun g die lokale, offenba r hypersensitive und durch die Stauungspapille ohn ehin strap azierte Vasor egulati on de r vermutlich vorgeschädigten Nn. optici eine weitere Dys- bzw. Minderperfusion verursacht, welche letztlich die Sehnerven irreversibel ischämisch

Tab.l

Nr. 1 2 3 4 5

Jahr

Autor

1949 Sachs(61 1962 Rinaldil51

Alter Geschlecht 3m 21 m 47 m 25 w 4w

Diagnose

Eingrrff

32 w

7

1970 Obenchain et al. (41

7w 20 m

8 9 10 11

5m

1974 Keane (31 1985 Beck

16 w 20m

12

15 m

13

22m

Optikusatropbie

Visusremission

+ + + + +

++ +

+-

Stauungspapille Tu cerebelli

Extirpation

Tu 111. Ventrikel Pinealis-Iu Tu 111. Ventnkel

Shunt

Tu cerebelli

Torkildsen Ventrikulographie Ventrikulographie +

6

präo p,

+

Extirp.

Melanom-Meta frontal

Extepatiön

+

+

Hydrocephalus

Shunt

+

+

Extirpation Extirpation

+

+

Ventrikulographie Extirpation

+ +

+

frontal Meningeom parietal

Extirpation

+

+

Astrozytom

Extirpation

+

+

Extirpation

+ +

+ +

occlusus Tu cerebelli

Astrozytom frontal ?

Astrozytom

+-

+-

frontal

14 15

38w 9m

Astrozytom Astrozytom Pinealisgegend

Shunt

++-

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208 Neurochirurgia 35 (1992)

Neurochirurgia 35 (1992)

Ein chronisc hes Subdura lhämatom als Erblindungsu rsa che

Terminologisch wäre zu ergänzen. daß sich beim beschriebenen Phänom en der Begriff . dekompensierte Stauungspa pille" anbietet, da sich in allen bekannten Fällen die Stauungspapillen nac h der intrakraniellen Druckentlastung in eine Papillenatrophie bei gleichzeitigem Visusverlust umwandelten.

Was den von uns beobachteten Fall als gutachterliches Problem anlangt . nämli ch ob die Erblindung nun unfallbedingt ist oder nicht. dürft e - in Kenntnis des Krankh eitsbildes der . dekompensierte n Stauungspa pille" kein Zweifel über die Unfallkausalität der Amauro se bestehen. Das chronische Subduralhämatom kan n dabei als .Brückensymptom" aufgefaß t werd en.

Literatur 1 Beck. R. W , H. 5. Greenberg: Post-decompression optic neuro-

pathy. J. Neurosurg. 63 (1985) 196 - 199 2

Hayreh. S. 5.. J. Edwa rds: Ophthalmie arterial and venous pressures. Effects of acute intracranial hypertenslon. Br. J. Oph-

tha lmo!. 55 (1971) 649-663 Keane. J. R.: Sud de n blindness alter ventriculography. Bilateral retinal vascular occlusion superimposed papilledem a . Am . J. Ophthalmo!. 78 (1974 ) 275-278 4 Obenchain, T. G.. P H. Cranda ll. R. S. /Iepler: Blind ness follow ing relief of increased Intracranial pressure. A sequele to severe papilledern a. BuH Los Artg eles Neural. 50c. 35 (1970) 147 -1 52 5 Rinaldt. I.. J. E. Botton. C. E. Troland : Cortical visual disturbanees followiog ventrt culography aod/or ventrtc ula r decompression. J. Neurosurg. 19 (196 2) 568- 576 6 Sachs. E.: Diagnosis and Treatment of Brain Tumors and Care of the Neurosurgieal Pa tient., ed 2. St. Louis: CV Mosby (1949) pp 189 -1 90 3

Uniti- Doz. Dr. L. Rassegger Univ-Kliruk für Neurochirurgie Anichstraße 35 A-6020 Innsbruek

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schädigt. Hay reh und Edwa rds (2) konnten bei Rhesusaffen nach plötzlicher intrakranieller Druckentlastung eine Per fusionsminderung der A. ophthalmica feststellen. was für den oben geschildert en Mechanismus sprechen würde. Warum dies er nur ausnahmsweise manifest wird. bleibt natürlich spekulativ. aus nah eliegenden Gründen kann ihm au ch kaum prophylaktisch entgegengewirkt werd en.

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[Chronic subdural hematoma as a cause for blindness].

The uncommon complication of bilateral blindness resulting from a decompressive neurosurgical procedure is presented by the case of a 51-year old pati...
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