Schwerpunkt Schmerz 2014 · 28:300–304 DOI 10.1007/s00482-014-1408-4 Online publiziert: 6. Juni 2014 © Deutsche Schmerzgesellschaft e.V.   Published by Springer-Verlag Berlin Heidelberg all rights reserved 2014

F. Siedentopf · M. Sillem

Der chronische Unterbauchschmerz der Frau stellt in der gynäkologischen Pra­ xis oft ein diagnostisches und therapeu­ tisches Problem dar. Der Schmerz hat Ein­ fluss auf Familie, Sexualität, Beruf, soziale Bezüge und andere Aktivitäten des täg­ lichen Lebens. Nach heutigem Verständ­ nis handelt es sich beim chronischen Un­ terbauchschmerz der Frau um ein Krank­ heitsbild an der Schnittstelle zwischen Gy­ näkologie, Psychosomatik und Psychia­ trie. Man geht davon aus, dass auf 60–80% der Patientinnen mit chronischem Unter­ bauchschmerz die Diagnosekriterien der somatoformen Schmerzstörung zutreffen. Inhaltliche Basis des vorliegenden Bei­ trags sind in weiten Teilen die S2k-Leitli­ nie zum chronischen Unterbauchschmerz der Frau, die 2009 publiziert wurde [3], und die S2k-Leitlinie zur Diagnostik und Therapie der Endometriose [4].

ist ein andauernder, schwerer und quä­ lender Schmerz der Frau mit einer Dau­ er von mindestens 6 Monaten. Er kann sich zy­k lisch, intermittierend-situativ oder nichtzyklisch-chronisch ausprä­ gen. Dieser Schmerz führt zu einer deut­ lichen Einschränkung der Lebensquali­ tät. Bei einem Teil der Patientinnen kön­ nen körperliche Veränderungen bzw. Stö­ rungen als überwiegend ursächlich anzu­ sehen sein. Bei anderen Patientinnen kön­ nen emotionale Konflikte oder psychoso­ ziale Belastungen als entscheidende ur­ sächliche Faktoren gelten.

Definition Eine einheitliche internationale Defi­ nition des chronischen Unterbauch­ schmerzes („chronic pelvic pain“) liegt derzeit nicht vor. Dies ist auf die Komple­ xität des Krankheitsbilds mit variierender Symptomatik je nach zugrunde liegender Ursache zurückzuführen. Zugleich ergibt sich die grundsätzliche Schwierigkeit, vom Symp­tom „anhaltender Schmerz im Unterbauch“ zu einer eindeutigen Dia­ gnose zu kommen. Diesem Beitrag wird die folgende in der Praxis sinnvolle Definition zugrun­ de gelegt, für die es jedoch keine ICD10- oder DSM-IV-Klassifizierung gibt. Der chronische Unterbauchschmerz

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Klinik für Gynäkologie und Geburtshilfe, Martin-Luther-Krankenhaus, Berlin

Chronischer Unterbauchschmerz der Frau

Epidemiologie Gemäß demografischen Studien scheint kein Zusammenhang zu Alter, Rasse oder ethnischer Zugehörigkeit, Familienstand und Erwerbstätigkeit zu bestehen. Kör­ perliche und sexuelle Gewalterfahrun­ gen sowie häusliche Gewalt stellen ohne Zweifel Risikofaktoren dar, sind aber nicht zwingend mit chronischem Unterbauch­ schmerz assoziiert [20]. Für das Risiko, an einer somatoformen Schmerzstörung zu erkranken, konnten Stresserfahrungen in der Kindheit als we­ sentliche Risikofaktoren herausgearbei­ tet werden: Besonders emotionale Ver­ nachlässigung, eine psychische Erkran­ kung beider Eltern (Alkohol, Depression, Psychosen), Armut und Gewalterfahrun­ gen führen zu einem unsicheren oder des­ organisierten Bindungstyp mit erhöhtem diesbezüglichem Risiko. Für die Entste­ hung einer somatoformen Schmerzstö­ rung sind diese Ergebnisse gut gesichert [10]. Mit hoher Wahrscheinlichkeit lässt

sich dieses Modell der Chronifizierung auch auf den chronischen Unterbauch­ schmerz übertragen. Bindungstheoreti­ sche Ansätze liefern ebenfalls ein Modell zur Entstehung chronischer Schmerzen. Daher wird zunehmend eine multimoda­ le Betrachtungsweise unter Einbeziehung verschiedener Faktoren favorisiert. In der angloamerikanischen Litera­ tur wird davon ausgegangen, dass 15% al­ ler Frauen vom chronischen Unterbauch­ schmerz betroffen sind und dass etwa 10% aller gynäkologischen Konsultatio­ nen aufgrund solcher Beschwerden erfol­ gen [15, 21, 26]. Bei etwa 60% der Frau­ en, die nichtzyklische chronische Unter­ bauchschmerzen mit einer Dauer von >6 Monaten angaben, blieb die Ursache ihrer Schmerzen unklar. Für Deutsch­ land gibt es dagegen kaum epidemiologi­ sche Daten. Die einzige bisher in Deutsch­ land durchgeführte Prävalenzstudie zum chronischen Unterbauchschmerz ermit­ telte eine altersassoziierte Häufigkeit von 12% mit häufigerem Auftreten bei jünge­ ren Patientinnen [5]. Trotz der unbefrie­ digenden Studienlage wird jedoch davon ausgegangen, dass die Prävalenz weit hö­ her liegt, als gegenwärtige Studien bisher ermitteln konnten.

Pathophysiologie Untersuchungen zur Bedeutung der neuronalen Plastizität für die Chronifi­ zierung von Schmerzen, wie sie bei chro­ nischen Rückenschmerzpatienten durch­ geführt wurden, sind für die Entstehung chronischer Unterbauchschmerzen nicht bekannt. Man geht aber heute davon aus,

Tab. 1  Risikofaktoren des chronischen Unterbauchschmerzes der Frau Risikoerhöhung Lange Blutungsdauer Gesicherte Endometriose „Pelvic inflammatory disease“, Adhäsionen Zustand nach Sectio caesarea Zustand nach Abort Körperlicher oder sexueller Missbrauch in der Kindheit Sexueller Missbrauch im Erwachsenenalter Alkohol- und Drogenmissbrauch Angst, Depression Somatisierungsstörungen

Keine Risikoerhöhung Ausbildungsstand Erwerbstätigkeit Familienstand Parität Zyklusdauer Zustand nach Abruptio Zustand nach Sterilisation Infertilität Pelvine Varikosis Weitere psychologische Symptome und Erkrankungen

Die dargestellte Reihenfolge stellt keine Wertung der einzelnen Faktoren dar.

dass im Rahmen der Entstehung chroni­ scher Schmerzen das Nervensystem mit seinen Rezeptoren u. a. durch chemi­ sche und entzündliche Mediatoren sowie Hormone beeinflusst wird. Die Bedeu­ tung von Zytokinen und Prostaglandinen beim chronischen Unterbauchschmerz der Frau ist unklar. Es existieren wenige, z. T. widersprüchliche Studienergebnis­ se. Für Substanz P und das „calcitonin ge­ ne-related peptide“ wird eine bedeuten­ de Rolle als Entzündungsmediatoren ver­ mutet. Infrage kommt auch eine besonde­ re Art der Verarbeitung sensibler Afferen­ zen auf Rückenmarksebene sowie im Kor­ tex der betroffenen Frauen. Endokrinologische Veränderungen wurden als pathophysiologische Erklä­ rungsmodelle ebenfalls herangezogen. Die Ergebnisse zeigten nur teilweise eine Entsprechung. Geschlechtsspezifische Unterschiede in der Schmerzrezeption werden vermutet.

Risikofaktoren Im Rahmen einer Erhebung der Weltge­ sundheitsorganisation (WHO) zur Prä­ valenz des chronischen Unterbauch­ schmerzes [18] führten die Autoren eine Metaanalyse aller Studien durch, die Ri­ sikofaktoren für das Auftreten chroni­ scher Unterbauchschmerzen untersuch­ ten (. Tab. 1).

Gynäkologische Basisdiagnostik Beim Erstkontakt sollte zunächst eine aus­ führliche und genaue Anamnese erho­

ben werden. Hinsichtlich des Schmerz­ erlebens sollte diese u. a. über die in . Infobox 1 dargestellten Aspekte Aus­ kunft geben [1, 23]. Die Verwendung einer Schmerzskiz­ ze oder gezielte Fragen nach weiteren Schmerzsyndromen, z. B. Kopf- und Rü­ ckenschmerzen, sind sinnvoll, um den fachspezifischen Blick auf das mögliche Vorliegen einer multisymptomatischen Störung (Somatisierungsstörung) zu er­ weitern. Das zeitlich begrenzte Führen eines Schmerzkalenders kann bei der Dia­ gnosestellung hilfreich sein. Eine ausführliche Anamneseerhe­ bung ist unerlässlich. Nach weiteren Be­ gleitsymptomen und Beeinträchtigungen sollte aktiv gefragt werden. Neben dem Schmerz an sich muss die Anamneseerhe­ bung auch Fragen nach Vorerkrankungen und Voroperationen, Allgemeinerkran­ kungen, Erkrankungen in der Familie und dem sozialen Umfeld der Patientinnen enthalten. Die psychologische Diagnostik erfolgt dabei in der Regel im Rahmen der Gesprächsführung gemäß der psychoso­ matischen Grundversorgung. Eine Emp­ fehlung zur Anwendung spezieller Per­ sönlichkeitstests und psychiatrischer Fra­ gebogen kann derzeit aber nicht gegeben werden. Bei entsprechendem Verdacht sollte frühzeitig eine psychologische oder psychiatrische Intervention in Betracht gezogen werden [12]. Weijenborg et al. [33]. empfehlen ein strukturiertes Assess­ ment unter Verwendung eines kognitivbehavioralen Modells. Ein besonderes Augenmerk sollte auf entsprechende psychologisch-psychi­

atrische Risikofaktoren gelegt werden (s. oben). Ein validiertes Screeninginstru­ ment zur Abklärung psychosomatischer Ursachen des chronischen Unterbauch­ schmerzes liegt derzeit nicht vor. Die körperliche Untersuchung des Be­ ckens soll Bestandteil der Diagnostik sein. Laborchemische Untersuchungen sollen hauptsächlich zum Ausschluss entzünd­ licher Prozesse durchgeführt werden und die Bestimmung von Entzündungspara­ metern und einen Urinstatus umfassen. Eine vaginale Sonographie sollte im Rahmen der gynäkologischen Untersu­ chung durchgeführt werden. Bei unauf­ fälligem Ultraschallbefund liegt mit Aus­ nahme der Endometriose auch meist kei­ ne Organpathologie vor. Erhobene Befun­ de sind hinsichtlich ihrer Bedeutung für die Schmerzgenese stets kritisch zu hin­ terfragen. Andere bildgebende Verfahren bleiben speziellen Fragestellungen vorbe­ halten und spielen in der Routinediagnos­ tik keine Rolle. Die Laparoskopie spielt im diagnosti­ schen Stufenkonzept eine wichtige Rol­ le und sollte zur Abklärung durchgeführt werden. Ein besonderes Augenmerk ist allerdings auf die Vermeidung wiederhol­ ter operativer Interventionen, sowohl mit diagnostischer als auch therapeutischer Indikationsstellung, zu legen [3].

Therapie Die Therapie chronischer Unterbauch­ schmerzen erfordert eine individuell er­ stellte Behandlungsstrategie. In einem multimodalen Konzept sollten psychoso­ matische Therapieansätze eingeschlossen sein. Der primäre Behandler stellt im All­ gemeinen die langfristige, verlässliche und Halt gebende Arzt-Patientinnen-Bezie­ hung her, die als Voraussetzung für eine erfolgreiche Behandlung anzusehen ist. Man geht davon aus, dass eine rein so­ matische Behandlung die Überzeugung der Patientinnen stützt, dass die Sympto­ matik auch rein somatische Ursachen ha­ be, was die Implementierung psychoso­ matischer Behandlungsansätze erschwert [12]. Es liegen keine kontrollierten Stu­ dien zur Therapie des chronischen Unter­ bauchschmerzes mit steroidalen oder nichtsteroidalen Antiphlogistika, Opiaten oder anderen Analgetika vor. Eine Wirk­ Der Schmerz 3 · 2014 

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Zusammenfassung · Abstract samkeit im Vergleich zu Placebo ist nicht nachgewiesen. Deshalb soll beim chroni­ schen Unterbauchschmerz keine dauer­ hafte Analgetikatherapie erfolgen [3], auch um eine iatrogene Chronifizierung durch nichtindizierte Analgetika zu ver­ meiden. Zum Einsatz von Antidepressiva und Gabapentin beim chronischen Unter­ bauchschmerz führten Sator-Katzenschla­ ger et al. [25] eine 3-armige Studie durch (Amitriptylin-Monotherapie, Gabapen­ tin-Monotherapie, Kombination aus Ga­ bapentin und Amitriptylin). Im Ergebnis zeigte sich eine Schmerzreduktion in al­ len 3 Therapiearmen mit statistisch signi­ fikant besserer Schmerzreduktion, weni­ ger Nebenwirkungen und insgesamt guter Langzeitwirkung bei Verabreichung von Gabapentin. In einer Pilotstudie unter­ suchten Brown et al. [6] die Wirkung von Citalopram bei chronischem Unterbauch­ schmerz. Die Therapie resultierte in einer Verbesserung der depressiven Symptoma­ tik, ohne dass sich eine signifikante Wir­ kung auf die Schmerzsymptomatik ergab. Diagnostik und Therapie sind in die Arzt-Patientinnen-Beziehung eingebettet. Die Einbeziehung des biopsychosozialen Modells bildet dabei die Grundlage der therapeutischen Haltung für das ärztliche Handeln (Gesprächstherapie, operative Therapie, medikamentöse Behandlung). In diesem Rahmen wird geklärt, in wel­ chem Umfang die Schmerzen durch psy­ chische Faktoren beeinflusst sind oder ei­ ne psychische Komorbidität besteht. Er­ folgt durch den primären Behandler die Überweisung in ein spezialisiertes Zen­ trum, ist darauf zu achten, dass er in die weitere Behandlungsplanung und Thera­ pie einbezogen wird. In einem multidisziplinären Therapie­ konzept unter Einbeziehung psychoso­ matischer Faktoren bzw. psychischer Stö­ rungsbilder zeigten sich statistisch signi­ fikant bessere Therapieeffekte [24]. Frau­ en mit chronischen Unterbauchschmer­ zen zeigen außerdem Veränderungen in ihrem Körperbild [13].

Psychotherapie Es gibt nur wenige randomisierte, kon­ trollierte Studien zur Wirkung von Psy­ chotherapie bei chronischen Unterbauch­ schmerzen. Peters et al. [24] verglichen

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Schmerz 2014 · 28:300–304  DOI 10.1007/s00482-014-1408-4 © Deutsche Schmerzgesellschaft e.V.   Published by Springer-Verlag Berlin Heidelberg - all rights reserved 2014 F. Siedentopf · M. Sillem

Chronischer Unterbauchschmerz der Frau Zusammenfassung Hintergrund.  Der chronische Unterbauchschmerz der Frau stellt in der gynäkologischen Praxis ein schwieriges diagnostisches und therapeutisches Problem dar, das im Umgang mit den betroffenen Frauen eine stete Herausforderung ist. Gynäkologische Ursachen.  Mögliche gynäkologische Ursachen und Befunde sind Endometriose, Adhäsionen bzw. die „pelvic inflammatory disease“ (PID), pelvine Varikosis und das „ovarian retention syndrome/ovarian remnant syndrome“. Andere somatische Ursachen sind das Reizdarmsyndrom, das „bladder pain syndrome“ bzw. die interstitielle Zystitis sowie Erkrankungen des muskulo­ skeletalen Systems und des Bindegewebes. Psychosoziale Ursachen.  Gesicherte psychosoziale Ursachen sind eine hohe Komorbidität mit psychologischen Faktoren wie Angststörungen, Substanzabhängigkeit oder

depressiven Störungen, wobei eine eindeutige Zuordnung zu sozialen Faktoren nicht nachgewiesen ist. Auch ein Zusammenhang mit körperlichem und sexuellem Missbrauch kann nicht abschließend bewertet werden. Diagnostik und Therapie.  In der Diagnostik sind die Anamnese, gynäkologische Untersuchung und Durchführung einer Laparoskopie als wichtige Schritte zu nennen. Multidisziplinäre Therapieansätze sind als Erfolg versprechend anzusehen. Die psychosomatische Grundversorgung soll von Beginn an in das Behandlungskonzept integriert werden. Auch eine Psychotherapie ist frühzeitig einzuleiten. Schlüsselwörter Endometriose · Laparoskopie · Risikofaktoren · Psychosomatik · Multimodale Therapie

Chronic pelvic pain in women Abstract Background.  Chronic pelvic pain in women represents a difficult diagnostic and therapeutic problem in the gynecological practice which is always a challenge when dealing with affected women. Gynecological causes.  Possible gynecological causes are endometriosis, adhesions and/ or pelvic inflammatory disease (PID), pelvic varicosis and ovarian retention syndrome/ ovarian remnant syndrome. Other somatic causes are irritable bowel syndrome, bladder pain syndrome, interstitial cystitis and fibromyalgia. Psychosocial factors.  Psychosocial causes contributing to chronic pelvic pain are a high comorbidity with psychological factors, such as anxiety disorders and substance abuse or

eine Patientinnengruppe, die eine gynä­ kologische Standardtherapie erhielt, mit einem multidisziplinären Therapiekon­ zept. In dem multidisziplinären Thera­ piekonzept unter Einbeziehung psycho­ somatischer Faktoren bzw. psychischer Störungsbilder zeigten sich statistisch si­ gnifikant bessere Therapieeffekte. Albert et al. [2] konnten nachweisen, dass eine Gruppentherapie zu einer Abnahme der Schmerzen, zur Reduktion der Analge­

depression but the influence of social factors is less certain. The association with physical and sexual abuse also remains unclear. Diagnostics and therapy.  Important diagnostic steps are recording the patient history, a gynecological examination and laparoscopy. Multidisciplinary therapeutic approaches are considered to be very promising. Basic psychosomatic care and psychotherapy should be integrated into the therapeutic concept at an early stage. Keywords Endometriosis · Laparoscopy · Risk factors · Psychosomatic medicine · Multimodal treatment

tikaeinnahme, zu weniger Arztbesuchen und zur Zunahme der Arbeitstätigkeit führte.

Operative Therapie Die minimal-invasive Chirurgie oder La­ paroskopie wird als operatives Therapie­ instrument der Wahl zur Behandlung der möglichen Ursachen von chronischem Unterbauchschmerz empfohlen, auch

Infobox 1  Inhalte des Erstgesprächs beim chronischen Unterbauchschmerz F  Schmerzlokalisationen (Verwendung

einer Schmerzskizzenkarte nach der Deutschen Schmerzgesellschaft) F  Schmerzintensität (visuelle Analogskala) F  Schmerzdauer F  Schmerzqualität F  Wann tritt die Symptomatik auf? F  Besteht ein Bezug zur Menstruation? F  Wann hat die Symptomatik begonnen? F  Liegt eine auslösende Situation vor? F  Wann in der Biographie war der Schmerz besser, wann schlimmer (Lebenszeitkurve des Schmerzes)? F  Welche Aktivitäten und Medikamente beeinträchtigen (verbessern, verschlimmern) die Beschwerden? F  Wie wird die Lebensqualität beeinträchtigt (Partnerschaft, Sexualität, Arbeit, Freizeit)? F  Subjektive Krankheitstheorie

wenn die eingeschränkte Datenlage be­ züglich definierter Maßnahmen zu be­ rücksichtigen ist. Eine besonders kritische Abwägung ist bei Indikationsstellung zu wiederholten laparoskopischen Eingriffen erforderlich. Zur Bewertung der kompletten oder partiellen laparoskopischen Adhäsioly­ se existieren zahlreiche Studien. Die Li­ teraturangaben bewegen sich zwischen keinem Effekt auf die Schmerzsituation [32] und einer 88%igen postoperativen Schmerzfreiheit [11]. Ein Cochrane-Re­ view zur Therapie des chronischen Unter­ bauchschmerzes hat den Nutzen einer Adhäsiolyse nicht bestätigt [27]. Somit ist die Bedeutung von Adhäsionen in der Schmerzentstehung weitgehend unklar. Sie wird in der Literatur kontrovers dis­ kutiert [7]. Auch in diesem Zusammen­ hang wird die Physiologie der Schmerz­ entstehung durch die derzeitigen Model­ le nicht hinreichend erklärt. Am Tiermo­ dell konnte nachgewiesen werden, dass Nerven in Adhäsionsgewebe einspros­ sen. Diese Fasern sind Synaptophysin-, Calcitonin-gene-related-peptide- und Substanz-P-immunreaktiv, weshalb eine sensorische Afferenz und damit Weiter­ leitung von Schmerz denkbar ist [30]. Auch in menschlichem Adhäsionsgewe­

be konnten Nervenfasern gefunden wer­ den [17]. Die Hysterektomie ist eine radikale therapeutische Option, die nur bei deut­ licher Organveränderung unter Berück­ sichtigung aller histologischen, psycho­ logischen und sozialen Faktoren in Erwä­ gung gezogen werden sollte. Obwohl die Datenlage zur Hysterektomie im Zusam­ menhang mit chronischem Unterbauch­ schmerz begrenzt ist, scheint es, dass sie bei Beachtung der o. g. strengen Indi­ kationsstellung in 70–90% der Fälle mit einer dauerhaften Schmerzreduktion ein­ hergeht [1]. Bei Frauen mit einer Adeno­ myosis uteri oder symptomatischem Ute­ rus myomatosus kann bei abgeschlosse­ ner Familienplanung eine Hysterektomie empfohlen werden. Die Wirksamkeit der präsakralen Neurektomie mit oder ohne Durchtren­ nung der Sakrouterinbänder („laparosco­ pic uterosacral/uterine nerve ablation“) bei chronischem Unterbauchschmerz ist nicht bewiesen. Neben der Neuroly­ se kann zur Therapie chronischer pelvi­ ner Schmerzen die laparoskopische Im­ plantation von sog. Neuroprothesen zur Neuromodulation erfolgen. Diese Techni­ ken sind als experimentell zu betrachten.

Schmerztherapie bei Endometriose Endometriose, definiert als das Vorkom­ men von endometrialen Zellverbän­ den außerhalb des Cavum uteri, gilt als schmerzhafte, die Fertilität beeinträchti­ gende Erkrankung. Die definitive Diagno­ se erfordert in der Regel eine Laparosko­ pie und wo immer möglich eine histolo­ gische Sicherung [4]. Zwischen erstem Auftreten und defi­ nitiver Diagnose vergehen oft viele Jahre, insbesondere bei Patientinnen mit dem Leitsymptom Schmerz [14]. Allerdings ist die Endometriose nicht immer schmerz­ haft, was die Zahlen von Moen u. Mu­ us [22] eindrucksvoll belegen. Sie könn­ ten bei 22% der Frauen, die sie wegen ab­ geschlossener Familienplanung laparos­ kopisch sterilisierten, Endometriose his­ tologisch nachweisen. Dem entspricht auch die klinische Erfahrung, dass bei Ste­ rilitätspatientinnen oft eine leichte, gele­ gentlich sogar eine schwerste infiltrieren­

de Endometriose bekannt ist, ohne dass über Schmerzen geklagt würde. Ob für die geklagten Schmerzen tat­ sächlich die Endometriose als kausal oder nur koinzident anzusehen ist, muss also – wie eingangs in dieser Arbeit beschrie­ ben – im Einzelfall entschieden werden. Neben dem zyklischen Charakter der Be­ schwerden kann hier die Frage wegwei­ send sein, ob Maßnahmen, die bei Endo­ metriose erwiesenermaßen wirksam sind, in der Vergangenheit bei der betreffenden Patientin auch geholfen haben. Auch pro­ spektiv ist ein solcher Ansatz beschrie­ ben: Ling [19] behandelte jeweils 44 Pa­ tientinnen mit Schmerzen über 3 Mona­ te randomisiert entweder mit Leuprore­ lin oder mit Placebo. Führte Leuprorelin zu einer Schmerzreduktion, so fand sich in 61% laparoskopisch eine Endometrio­ se, ebenso hatten 51% der Patientinnen, bei denen Placebo wirkungslos war, eine Endometriose. Zur Therapie der Endometriose ist in Deutschland neben den GonadotropinReleasing-Hormon(GnRH)-Analoga nur das Gestagen Dienogest in einer Dosie­ rung von 2 mg/Tag zugelassen. Diese Sub­ stanz zeigte im Vergleich zu Placebo eine signifikant höhere [28] und im Vergleich zu Leuprorelin eine äquivalente Wirksam­ keit bei allerdings geringeren Nebenwir­ kungen [29]. Orale Kontrazeptiva werden ebenfalls oft mit Erfolg eingesetzt, wobei ihre spezifische Wirksamkeit auf die En­ dometriose nur in kleinen Studien un­ tersucht wurde. Das Kardinalsymp­tom der Erkrankung, die Dysmenorrhö, ist durch diese Substanzen allerdings gut be­ herrschbar, insbesondere, wenn sie ohne Pause eingenommen werden [8]. Ein Review [34], das den Einsatz von Akupunktur bei endometriosebedingten Schmerzen evaluiert, kommt wie auch weitere Quellen [3, 27] zum dem Schluss, dass die unzureichende Datenlage eine abschließende Beurteilung der Wirksam­ keit nicht zulässt. Operative Maßnahmen, idealerwei­ se in Kombination mit der zur Diagno­ sesicherung erforderlichen Laparoskopie, führen häufig zu einer Schmerzreduktion. Für die Laservaporisation bei peritonea­ ler Endometriose konnte dies sogar in einer doppelblinden, randomisierten Stu­ die mit 1-jähriger Nachbeobachtung be­ Der Schmerz 3 · 2014 

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Schwerpunkt wiesen werden [31], für chirurgische The­ rapien ist dies ungewöhnlich. Ovarialen­ dometriome selbst sind möglicherweise nicht schmerzhaft, vielmehr scheint die meist begleitende Peritonealendometriose für die Schmerzen verantwortlich zu sein [16]. Die chirurgische Therapie der tief in­ filtrierenden Endometriose ist oft erfolg­ reich, stellt jedoch höchste Anforderun­ gen an die operierende Person und soll­ te daher in spezialisierten Zentren erfol­ gen. Die Morbidität der radikalen Resek­ tion ist dennoch erheblich [9]. Als Indika­ tion gelten der anders nicht beherrschbare Schmerz und die Harnstauungsniere (ab­ solute Indikation; [4]). Bei noch bestehen­ dem Kinderwunsch kann die Gebärmut­ ter durchaus erhalten werden.

Fazit für die Praxis Der Krankheitsverlauf beim chronischen Unterbauchschmerz der Frau stellt an alle Beteiligten hohe Herausforderungen bezüglich des Zeitmanagements sowie im Hinblick auf die Bewältigung von Rückschlägen und Frustration. Die dabei ausgelösten, oft unbewussten emotionalen Empfindungen können schwerwiegende Auswirkungen auf die Arzt-Patientinnen-Beziehung haben und im ex­ tremen Fall von vernachlässigender Dia­ gnostik und Therapie bis hinzu ungerechtfertigten invasiven Eingriffen und iatrogener Chronifizierung durch eine nichtindizierte Analgetikatherapie führen. Besondere Beachtung gebührt in diesem Kontext dem Phänomen der Gegenübertragung und dadurch möglicherweise verursachten Behandlungsfehlern. Eine Hilfestellung zum Vorgehen in Diagnostik und Therapie kann die Leitlinie der Arbeitsgemeinschaft der Wissenschaftlichen Medizinischen Fachgesellschaften (AWMF) zum chronischen Unterbauchschmerz der Frau [3] geben.

Korrespondenzadresse PD Dr. F. Siedentopf Klinik für Gynäkologie und Geburtshilfe,   Martin-Luther-Krankenhaus Caspar-Theyß-Str. 27–31, 14193 Berlin [email protected]

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Einhaltung ethischer Richtlinien Interessenkonflikt.  F. Siedentopf und M. Sillem geben an, dass kein Interessenkonflikt besteht. Der Beitrag enthält keine Studien an Menschen oder Tieren.

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[Chronic pelvic pain in women].

Chronic pelvic pain in women represents a difficult diagnostic and therapeutic problem in the gynecological practice which is always a challenge when ...
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