Aktuelle Diagnostik & Therapie | Review article

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Chronisch entzündliche Darmerkrankungen: State of the Art Chronic inflammatory bowel diseases: state of the art

Autoren

Medizinische Klinik m. S. Gastroenterologie, Rheumatologie, Infektiologie, Campus Benjamin Franklin, Charité – Universitätsmedizin Berlin

Epidemiologie und Pathogenese ▼ Die beiden Hauptvertreter der chronisch entzündlichen Darmerkrankungen (CED) sind Morbus Crohn (MC) und Colitis ulcerosa (CU). Für beide Erkrankungen weisen epidemiologische Arbeiten der letzten Jahre auf eine zunehmende Inzidenz hin. Die mediane jährliche Inzidenz in Westeuropa beträgt für MC etwa 7, für CU etwa 11 pro 100 000 [5]. Die Zunahme der Inzidenz ist für Europa und Nordamerika über die letzten fünf Dekaden zu erkennen, dies führt zu der Frage welche Veränderungen in diesem Zeitraum diese Zunahme erklären. Vor 10 Jahren wäre bei der Frage der Pathogenese auf die genetische Prädisposition verwiesen worden. Mittlerweile wissen wir, dass nur etwa ein Viertel der Erkrankungen durch eine genetische Prädisposition erklärt werden kann [12]. Die oben genannte zunehmende Inzidenz beider Erkrankungen seit dem zweiten Weltkrieg lässt sich aufgrund der kurzen Zeitspanne nur durch nicht-genetische Ursachen erklären [23]. Bemerkenswert ist jedoch, dass die über die genomweiten Assoziationsstudien (GWAS) identifizierten Risikoloci die Rolle des angeborenen Immunsystems, der Barriere aber auch des erworbenen Immunsystems unterstreichen und zusätzlich zu den bislang bekannten Signalwegen den endoplasmatischen Retikulum-Stress sowie die Autophagie als zentrale Wege identifizieren konnten [16]. Diese Signalwege sind nicht nur für CED von Bedeutung , sondern vielmehr auch bei primären Immundefekten und anderen autoinflammatorischen Erkrankungen eine Rolle spielen. Diese Befunde sind im Einklang mit dem Konzept, dass CED sich nicht auf den Gastrointestinaltrakt beschränken, sondern vielmehr eine systemische Entzündungserkrankung darstellen [16].



In den Mittelpunkt rücken dann Überlegungen zu Veränderung der Ernährung, bessere Hygiene, Einsatz von Antibiotika. Wie können diese Veränderungen des Lebensstils Auswirkungen auf den Gastrointestinaltrakt ausüben? Die Antwort ist eigentlich einfach – durch die Zusammensetzung der Darmflora, die so genannte Mikrobiota. Arbeiten der letzten Jahre zeigen nicht nur, dass sich die Zusammensetzung der Mikrobiota verändert, wenn eine CED besteht [31], sondern zeigen vielmehr in experimentellen Systemen, dass durch Übertragung dieser Mikrobiota auch ein Phänotyp übertragen werden kann. Ein eindrucksvolles Beispiel ist der Transfer von Mikrobiota aus dicken Mäusen in keimfreie dünne Mäuse, die dann in der Folge dick wurden [32]. Analog kann aber auch eine Darmentzündung nur durch Transfer der Stuhlflora in eine andere Maus übertragen werden [6]. Daraus könnte man folgern, dass nur durch Transfer von Mikrobiota eines Gesunden in einen Patienten mit CED diese therapiert werden kann. Die hierzu vorliegenden Daten sind nicht schlüssig und weisen vielmehr die Komplexität dieser Interaktion zwischen Mikrobiota, der Barriere und dem Empfänger auf. Das bessere Verständnis der Mikrobiota, ihrer Zusammensetzung und der resultierenden Konsequenzen für das mukosale Immunsystem wird möglicherweise den Ansatz für zukünftige Therapien bilden. Mit der vorliegenden Arbeit soll ein fokussierter Überblick über die etablierten Diagnostik- und Behandlungswege basierend auf den Leitlinien der Deutschen Gesellschaft für Gastroenterologie, Verdauungs- und Stoffwechselerkrankungen (DGVS) sowie der European Crohn’s and Colitis Organisation (ECCO) gegeben werden [1, 14, 15, 19]. Besonders hervorgehoben wird die postoperative Rezidivprophylaxe bei MC sowie Therapien, die in naher Zukunft Einzug in den klinischen Alltag haben werden.

Gastroenterologie, Viszeralmedizin Aktuelle Diagnostik & Therapie | Review article

Schlüsselwörter Colitis ulcerosa Morbus Crohn chronisch entzündliche Darmerkrankungen Immunsuppression

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Keywords colitis, ulcerative colorectal Surgery Crohn’s disease drug therapy endoscopy, gastrointestinal immunosuppression inflammatory bowel disease

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eingereicht 07.04.2014 akzeptiert 17.07.2014 Bibliografie DOI 10.1055/s-0034-1370229 Dtsch Med Wochenschr 0 2014; 1390 0:1771–1775 · © Georg Thieme Verlag KG · Stuttgart · New York · ISSN 0012-04721439-4 13 Korrespondenz Prof. Dr. med. Britta Siegmund Medizinische Klinik m.S. Gastroenterologie, Rheumatologie, Infektiologie Charité – Universitätsmedizin Berlin Campus Benjamin Franklin Hindenburgdamm 30 12200 Berlin Tel. 030/450 514 342 Fax 030/450 514 990 eMail [email protected]

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Institut

J. Maul1 B. Siegmund1

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Abb. 1 Typisches endoskopisches Bild bei Morbus Crohn (links) und Colitis ulcerosa (rechts).

Diagnostik ▼ Die Diagnosestellung einer CED erfolgt in Zusammenschau des klinischen Erscheinungsbildes und Verlaufs sowie der endoskopischen, histologischen, radiologischen bzw. sonografischen und laborchemischen Befunde. Es fehlen bislang validierte Studien zu genetischen, serologischen oder mikrobiotischen Markern, die eine Prädiktion des individuellen Krankheitsverlaufs erlauben. Fäkale Entzündungsmarker wie das Leukozyten-Protein Calprotectin eignen sich bei der Primärdiagnostik zur Abgrenzung von funktionellen Beschwerden, da eine Differenzialdiagnose zur infektiösen Diarrhoe naturgemäß nicht gelingt. Sie können zudem bei der Verlaufsuntersuchung zusammen mit dem klinischen Bild zur Beurteilung eines Rezidivs hilfreich sein [30]. Die klinische Unterscheidung infektiöser Darmentzündungen von einer CED kann schwierig sein. Bei der Erstdiagnose sollten daher gastrointestinale Infektionen (Stuhluntersuchung auf Durchfallerreger und Clostridien) ausgeschlossen werden. Bei schwerem oder therapierefraktärem Schub sollte diese Diagnostik durch eine Cytomegalievirus-Infektionsdiagnostik ergänzt werden [14, 24]. Bei Verdacht auf eine CED wird bei der Primärdiagnostik die Ausdehnung und Lokalisation endoskopisch und durch Stufenbiopsien bei der Ileokoloskopie bestimmt [13]. Die Ausbreitungsdiagnostik sollte durch eine ergänzende ÖGD (Ösophagogastroduodenoskopie) sowie zur Evaluation der Dünndarmausbreitung durch eine Magnetresonanztomografie(MRT)-Enterografie ergänzt werden [15] (q Abb. 1). Bei fehlenden Zeichen einer Stenosesymptomatik kann alternativ eine Kapselendoskopie erfolgen. Zur Aktivitätsbeurteilung im weiteren Verlauf der Erkrankung kann eine Ultraschalluntersuchung durch einen darin erfahrenen Untersucher als primäres bildgebendes Verfahren genutzt werden [22], bei V. a. Fisteln oder Abszesse ggf. auch eine MRT- bzw. eine Computertomografie (CT). Insgesamt muss die CT-Diagnostik aufgrund der Strahlenbelastung und der häufigeren Notwendigkeit einer Schnittbildgebung bei Patienten mit CED sehr zurückhaltend eingesetzt werden.

Überwachungskoloskopie CED-Patienten – auch Patienten mit Morbus Crohn – haben ein erhöhtes Risiko für ein kolorektales Karzinom. Risikofaktoren sind früher Krankheitsbeginn, lange Krankheitsdauer, ausgedehnter Befall und das Vorliegen einer primär sklerosierenden Cholangitis (PSC) [4]. Bei einer Colitis-Crohn gelten derzeit die gleichen Empfehlungen wie bei der CU: Bei ausgedehnter Colitis wird dabei eine Überwachungskoloskopie ab dem 8. Jahr, bei linksseitiger oder distaler CU ab dem 15. Erkrankungsjahr alle ein bis zwei Jahre empfohlen. Bei einer gleichzeitig bestehenden

PSC muss ab Erstdiagnose eine jährliche Untersuchung erfolgen. Dabei sollten sowohl ungezielte Biopsien (mindestens 4 alle 10  cm), als auch gezielte Biopsien entnommen werden. Auf die Biopsien kann verzichtet werden, wenn eine aussagekräftige Chromoendoskopie möglich ist. Bei Nachweise einer durch einen weiteren Pathologen bestätigten Colitis-assoziierten hochgradigen Dysplasie oder eines Adenokarzinoms sollte bei der CU eine Proktokolektomie erfolgen. Liegt – ebenfalls durch einen Referenzpathologen bestätigt – „nur“ eine niedriggradige Dysplasie in flacher Mukosa vor, besteht eine relative Operationsindikation. Alternativ kann eine endoskopisch-bioptische Kontrolle innerhalb von 3 Monaten mit engmaschigen Verlaufsuntersuchungen durchgeführt werden.

kurzgefasst Bei Erstdiagnose ist eine komplette Ausbreitungsdiagnostik zu empfehlen (ÖGD, Ileokoloskopie und Dünndarmdarstellung). Bei Schüben im Verlauf sind insbesondere auch Infektionen mit Clostridium difficile und CMV auszuschließen.

Therapie ▼ Colitis ulcerosa Die milde bis mäßige Proctitis ulcerosa wird topisch mit 5-Aminosalicylat (5-ASA) behandelt (1 g/Tag), zur Therapieeskalation erfolgt eine Kombinationstherapie mit topischen Steroiden oder oralem 5-ASA. Die milde bis mäßige linksseitige und extensive Colitis ulcerosa sollte von Anfang an mit einer kombinierten topischen (Einlauf/Schaum) und oralen 5-ASA Therapie behandelt werden. Dabei ist eine orale Einmalgabe zu bevorzugen. Bei Versagen der 5-ASA-Therapie wird eine orale SteroidSchubtherapie (0,5–1 mg/kg Körpergewicht Prednisolonäquivalent) eingeleitet. Bei der schweren Colitis (blutige Stühle > 6 /Tag, Tachykardie, Fieber, Hb unter 10,5 mg/dl) sollte eine stationäre Aufnahme zur Überwachung und intravenösen-Steroidtherapie (mind. 60 mg/Tag Prednisolonäquivalent) erfolgen. Dort kann in diesem Fall auch eine Zweitlinien-Therapie in Abhängigkeit der klinischen Gesamtsituation mit Ciclosporin, Tacrolimus oder einem Antikörper gegen Tumor-Nekrose-Faktor α (TNFα) eingeleitet werden. In dieser Situation ist eine enge interdisziplinäre Evaluation der Patienten zusammen mit einem Viszeralchirurgen entscheidend. Führt das Vorgehen innerhalb von 4–7 Tagen zu keiner wesentlichen Verbesserung, wird eine Kolektomie empfohlen. In dieser therapierefraktären Situation sollten die Patienten wenn möglich in einem darin erfahrenen Zentrum behandelt werden.

Dtsch Med Wochenschr 2014; 139: 1771–1775 · J. Maul u. B. Siegmund, Chronisch entzündliche Darmerkrankungen: …

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milde/mäßige Proktitis 5-ASA topisch

milde/mäßige Colitis 5-ASA topisch + oral

Therapie-Eskalation: + Steroide topisch oder + 5-ASA oral

schwere Colitis: Hospitalisierung: Ciclosporin oder Tacrolimus oder anti-TNF oder Proktokolektomie

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Abb. 2 Therapie-Algorithmus bei Schub einer Colitis ulcerosa. 5-ASA: 5-Aminosalicylate KG: Körpergewicht PSL: Prednisolon TNF: Tumor-Nekrose-Faktor-α

Therapie-Eskalation: Steroide oral 0,5 – 1 mg/kg KG PSL-Äquivalent Steroid-refraktär oder Thiopurin-refraktär anti-TNF oder Proktokolektomie

Bei Patienten mit einer steroidabhängigen aktiven CU sollte eine Immunsuppression mit Thiopurinen eingeleitet werden, bei Steroid- oder Thiopurin-refraktärer Erkrankung empfiehlt sich eine Anti-TNF-Strategie. Hier sind inzwischen drei Substanzen – Infliximab, Adalimumab und Golimumab – zugelassen. Für alle Patienten in Remission wird eine Erhaltungstherapie, in Abhängigkeit des Verlaufes mit 5-ASA (minimale effektive Dosis oral 1,2 g/Tag; rektal 3 g/Woche), Thiopurinen und/oder Anti-TNF-Antikörpern, empfohlen. Steroide sollten in der Dauertherapie keine Rolle spielen. In einer therapierefraktären Situation sollte die Proktokolektomie als Alternative diskutiert werden. Normalerweise erfolgt die Kolektomie mit dem Ziel, einen ileoanalen Pouch anzulegen. Dies sollte in einem ausgewiesenen Zentrum durchgeführt werden und erfolgt normalerweise in mindestens zwei Schritten mit temporärem Ileostoma.

Morbus Crohn Patienten mit leichter bis mäßiger Schubaktivität und ileozökalem oder rechtsseitigen Befall eines MC werden initial mit oralem Budesonid behandelt. Die Datenlage zur Mesalazin-Therapie bei leichter Aktivität ist weiterhin, auch in den inzwischen vorliegenden Metaanalysen, uneinheitlich [11, 21]. Patienten mit hoher Entzündungsaktivität, Befall des oberen Gastrointestinaltraktes oder ausgedehntem Dünndarmbefall sollten von Anfang an mit systemischen Glukokortikoiden behandelt werden. Wie schnell und wie „stark“ sollte nun beim akuten Schub beziehungsweise in der Remissionserhaltung eine immunsuppressive Therapie eingeleitet werden? Insbesondere bei MC sind inzwischen Risikofaktoren für einen komplizierten Krankheitsverlauf definiert (langstreckiger Dünndarmbefall, Alter 

[Chronic inflammatory bowel diseases: state of the art].

Chronic inflammatory bowel diseases are mainly represented by Crohn's disease and ulcerative colitis. Current epidemiological data indicate a rise in ...
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