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Kinder mit Spezifischer Sprachentwicklungsstörung: Elektrophysiologische und pädaudiologische Befunde

Autoren

T. Rinker1, K. Hartmann2, E. Smith5, R. Reiter5, P. Alku3, M. Kiefer4, S. Brosch5

Institute

Die Institutsangaben sind am Ende des Beitrags gelistet

Schlüsselwörter ▶ Spezifische Sprachentwick● lungsstörung ▶ auditive Verarbeitung ● ▶ Mismatch Negativity ● ▶ Pädaudiologie ● ▶ Ereigniskorrelierte Potenziale ●

Zusammenfassung

Key words ▶ Specific Language ● impairment ▶ auditory processing ● ▶ mismatch negativity ●



Hintergrund: Auditive Defizite werden als mögliche Ursache für die Sprachstörung bei Kindern mit einer Spezifischen Sprachentwicklungsstörung (SSES) beschrieben. Daher wurde die Hypothese aufgestellt, dass Kinder mit SSES schlechter als Kontrollkinder in vier Tests abschneiden, die standardmäßig zur Testung auf eine zentralauditive Verarbeitungs- und Wahrnehmungsstörung (AVWS) verwendet werden sowie eine schwächere Verarbeitung in der Verarbeitung von Phonem- und Tonstimuli in einem elektrophysiologischen Experiment zeigen. Material und Methoden: 14 SSES-Kinder (durchschnittliches Alter: 61,7 Monate) und 16 Kinder ohne SSES (durchschnittliches Alter 64,9 Monate) wurden mit dem Nachsprechen von Pseudowörtern, einer Sprachaudiometrie im

Einleitung

▼ eingereicht 30. Juli 2013 akzeptiert 11. Dezember 2013 Bibliografie DOI http://dx.doi.org/ 10.1055/s-0033-1363691 Online-Publikation: 3.3.2014 Laryngo-Rhino-Otol 2014; 93: 521–527 © Georg Thieme Verlag KG Stuttgart · New York ISSN 0935-8943 Korrespondenzadresse Dr. Tanja Rinker Zukunftskolleg/Fachbereich Sprachwissenschaft Universität Konstanz Box 216 78457 Konstanz [email protected]

Kinder mit einer Spezifischen Sprachentwicklungsstörung (SSES) zeigen Einschränkungen ihrer linguistischen Fähigkeiten bei durchschnittlichem IQ und nach Ausschluss von neurologischen, sensorischen oder emotionalen Störungen [1]. Obwohl diese Kinder eine normale kognitive Entwicklung haben, kann das Sprachdefizit erhebliche Auswirkungen auf die Schulbildung und die sozio-emotionale Entwicklung haben [2]. Es gibt noch viele offene Fragen zur Entstehung einer SSES, die aber für die prognostische Einschätzung, die Diagnose und die therapeutische Intervention relevant sind. Im Besonderen ist noch unzureichend verstanden, welche Rolle mögliche Defizite in der auditiven Verarbeitung und Wahrnehmung beim Spracherwerb spielen und welche Tests geeignet sind, diese zu untersuchen [3–5]. Etwa 6–8 % aller Kinder sind von einer Spezifischen Sprachentwicklungsstörung betroffen [1, 6]. Dabei handelt es sich nicht um ein homo-

Störschall, einem Richtungshörtest und einem dichotischen Hörtest untersucht. Im Mismatch Negativity (MMN)-Experiment wurden Sinustöne (600 versus 650 Hz) und phonetische Stimuli (/ε/ vs. /e/) eingesetzt. Ergebnisse: Die Kontrollkinder und die SSESKinder unterschieden sich signifikant im Pseudowortnachsprechen und im dichotischen Hörtest. Nur den Kontrollkindern gelang die Frequenzunterscheidung im MMN-Experiment. Die Phonemunterscheidung wurde bei beiden Gruppen beobachtet, wobei der Effekt bei den Kontrollkindern länger nachzuweisen war. Gruppenunterschiede waren allerdings nicht signifikant. Schlussfolgerungen: Kinder mit SSES haben Schwierigkeiten, unbekannte bzw. Pseudo-Wörter nachzusprechen und zeigen subtile Defizite in der auditiven Verarbeitung auf neuronaler Ebene.

genes Störungsbild. Übergänge zu Auffälligkeiten in der zentralen Hör- bzw. Sprachverarbeitung sind zumindest für einen Teil dieser Kinder anzunehmen und im Rahmen einer therapiesteuernden Diagnostik abzugrenzen. Schon seit Jahren wird diskutiert, inwiefern eine SSES sowie eine Auditive Verarbeitungs- und Wahrnehmungsstörung (AVWS) möglicherweise unterschiedliche Ausprägungen derselben zugrunde liegenden basalen Störung sind [3, 7]. Konkrete Abgrenzungsmerkmale liegen bisher nicht vor, sodass das Verhältnis zwischen SSES und AVWS auch im Kontext der vorliegenden Studie offenbleibt. Eine ungestörte sprachliche Entwicklung setzt ausreichende Fähigkeiten im Entschlüsseln akustischer Informationen voraus. Dazu gehören u. a. die Fähigkeiten zu segmentieren, kategorisieren und diskriminieren. Beispielsweise ist das auditorische Kurzzeitgedächtnis nicht nur beim Abspeichern neuer Worte beteiligt, sondern wird auch für das Entschlüsseln grammatikalischer Strukturen und beim Textverständnis benötigt

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Children with Specific Language Impairment: Electrophysiological and pedaudiological findings

[8, 9]. Das auditorische Kurzzeitgedächtnis wird üblicherweise über das Nachsprechen von Pseudowörtern überprüft. Dazu müssen Phoneme unterschieden und identifiziert werden. Der Test überprüft aber auch die kinästhetischen Fähigkeiten der Artikulationsorgane sowie das phonologische Kurzzeitgedächtnis. Das Pseudowortnachsprechen hat sich als zuverlässiges Messinstrument zur Identifikation von Kindern mit SSES herauskristallisiert. Diese zeigen typischerweise eine verminderte Merkspanne für Gehörtes [10, 11]. Auch Kinder mit AVWS haben in Untersuchungen verminderte Leistungen bei diesem Test gezeigt [12]. Defizite in der Analyse, Differenzierung und Identifikation von Zeit- und Frequenzunterschieden sowie von Intensitäten akustischer und auditorisch-linguistischer Signale beeinflussen das binaurale Zusammenspiel, überprüfbar anhand von Tests zur Geräuschlokalisation oder der Sprachdiskrimination im Störschall. Häufig zeigen sich Auffälligkeiten in der dichotischen Informationsverarbeitung. Weitere Teilfunktionen der zentralauditiven Verarbeitung sind die akustische Differenzierung (überprüfbar u. a. anhand der Fähigkeit zur Phonemunterscheidung), die auditorische Analyse und Synthese sowie die Qualität des auditiven Merkspeichers, auditorische Informationen abzuspeichern und daraus abzurufen. Dichotische Diskriminationstests überprüfen das Zusammenspiel und die Verbindung auditorischer Funktionen [13]. Kinder mit einer reinen SSES, Kinder mit einer reinen AVWS und Kinder mit Defiziten in beiden Bereichen haben in diesen Tests unterschiedlich abgeschnitten [5, 14]. Die Sprachdiskrimination im Störschall (mittels weißem Rauschen oder als Wörtergewirr in zeitversetzter Überlagerung, das sog. Döring Rauschen) und das Richtungshören sind 2 weitere Tests, die man häufig in AVWS-Testbatterien findet. Ein „Gold-Standard“ hierfür muss jedoch noch definiert werden [15]. In den letzten Jahren wurden zunehmend elektrophysiologische Methoden zur Untersuchung auditiver Prozesse eingesetzt. Mithilfe des Elektroenzephalogramms (EEG) können kortikale Prozesse im Millisekundenbereich dargestellt werden. Eine Komponente des Ereigniskorrelierten Potenzials ist die Mismatch Negativity (MMN) [16]. Sie ist geradezu ideal dazu geeignet, zentralauditive Abläufe darzustellen, besonders bei Kindern. Die MMN wird als das neurophysiologische Korrelat aktivierter, vorbewusster Vorgänge im auditorischen Kortex angesehen [17]. Sie entsteht aufmerksamkeitsunabhängig durch Veränderungen nach akustischer Stimulation im Anschluss an einen devianten Stimulus in einer Reihe repetitiver Standardstimuli. Die Komponente wird meistens als Differenzkurve zwischen gemittelten Standard- und Deviant-Stimuli dargestellt. Man geht davon aus, dass die MMN das Resultat eines vorbewussten Vergleichs zwischen ankommendem devianten Stimulus und einer neuronalen Gedächtnisspur ist, welche durch den Standardreiz vorgegeben wird [18]. In der Regel tritt die MMN als negativer Peak ca. 100– 250 ms nach Stimulusonset auf; sie kann aber in Abhängigkeit der Art des Stimulus, des Interstimulusintervalls und des Probandenalters, usw. in Latenz und Amplitude variieren [19, 20] oder auch aus mehreren kleineren Peaks bestehen [21]. Die MMN-Antwort ist ein Korrelat der Fähigkeit zur auditiven Diskrimination. Die Methode kann dazu verwendet werden, die Unterscheidungsfähigkeit von Tönen und Phonemen bei Kindern mit erschwertem Spracherwerb aufmerksamkeitsunabhängig im Vergleich zu einer Kontrollgruppe zu untersuchen. Frühere Studien haben gezeigt, dass Kinder mit einer SSES eine verminderte MMN-Antwort auf die Silben /da/ vs. /ga/ und /ba/ zeigten [22]. Ähnliche Ergebnisse bestätigten sich mit deutschen

Wörtern (“Bass“ vs. “Bus“) [23]. Eine experimentelle Untersuchung von Shafer und Mitarbeitern [24] ergab, dass Kinder mit SSES beim Phonemkontrast /ı/ vs. /ε/ eine schwächere frühe MMN-Antwort und nur eine robustere MMN-Antwort in einem späteren Zeitfenster aufwiesen. Die Kinder mit SSES zeigten bei längeren Vokalen robustere MMN-Antworten [25]. Zusammenfassend konnte gezeigt werden, dass Kinder mit SSES im Vergleich mit gleichaltrigen Kontrollkindern darin unterlegen sind, sprachliche Stimuli zu diskriminieren. Im Rahmen der vorliegenden Untersuchung wurde der phonetische Kontrast (/ε/ vs. /e/) gewählt, um die Repräsentation und Verarbeitung relevanter linguistischer Stimuli im Deutschen zu überprüfen. Was die Unterscheidungsfähigkeit von Sinustönen, also nichtsprachlichen Stimuli, anbelangt, ist die Datenlage weitaus komplexer: Es fanden sich Gruppenunterschiede bei der Frequenzdifferenz 500 vs. 553 Hz [26–28], ebenso bei 700 vs. 750 Hz [29] und 1 000 vs. 1 040, jedoch nicht 1 080 Hz [30]. Ein Frequenzkontrast von 1 000 vs. 1 200 Hz hingegen ließ keine Gruppenunterschiede erkennen [22]. Aus diesen Resultaten wurde geschlussfolgert, dass ein spezifisches Defizit in der Unterscheidungsfähigkeit von Tonhöhen bei Kindern mit SSES vorliegt, das die Frequenzen unterhalb von 1 000 Hz und Frequenzkontraste unterhalb von 50 Hz betrifft [23]. Daher wurde im Rahmen dieser Untersuchung ein Frequenzkontrast von 600 vs. 650 Hz gewählt. Genaue Erkenntnisse darüber fehlen, welche Rolle der zentralauditiven Verarbeitung linguistischer und nicht linguistischer Stimuli bei Kindern mit verzögertem Spracherwerb zukommt. Dazu wurde in der vorliegenden Studie ein Vergleich hörverarbeitender Prozesse bei Kindern mit und ohne SSES angestellt. Zum einen wurde eine klassische pädaudiometrische Testbatterie zur Erfassung einer AVWS eingesetzt. Dazu wurde das Pseudowortnachsprechen verwendet, ein Richtungsgehörtest, eine Sprachaudiometrie (Göttinger Kindersprachtest bei 66 dB) im Störschall (60 dB als weißes Rauschen) und ein dichotischer Diskriminationstest (Uttenweiler Test) [31], der die beidohrige Signalverarbeitung erfasst. Es wurde erwartet, dass die Kinder mit SSES schlechter in dieser Testbatterie abschneiden würden. Wie bereits eingangs diskutiert, wird aber in dieser Studie aufgrund fehlender etablierter Abgrenzungsmerkmale das Verhältnis von SSES und AVWS nicht weiter spezifiziert. Zum anderen wurden 2 MMN-Experimente mit sprachlichem und nicht-sprachlichem Material eingesetzt. Anhand früherer sprachgebundener Experimente bei den SSES Kindern wurde eine schwächere MMN-Antwort auf den phonetischen Kontrast (/ε/ vs. /e/) erwartet. Ebenfalls wurden für die SSES-Kinder schwächere MMN-Antworten auf den Frequenzkontrast (600 versus 650 Hz) erwartet, entsprechend der Hypothese einer schwächeren Tonfrequenzunterscheidung in dieser Gruppe.

Material und Methodik



Probanden 14 einsprachig deutsche SSES Kinder (mittleres Alter 61,7 Monate, 6 Mädchen, 8 Jungen) und 16 einsprachig deutsche Kinder mit altersgerechter Sprachentwicklung (mittleres Alter 64,9 Monate, 7 Mädchen, 9 Jungen) wurden über Kindergärten, Logopäden und die Sprechstunden der Universitätsklinik Ulm rekrutiert. Die Studie erfüllte die Kriterien der Deklaration von Helsinki. Ein positives Ethikvotum lag vor. Ausschlusskriterien waren eine Intelligenzminderung (IQ < 85), sprachfrei getestet anhand des non-verbalen IQ-Tests Coloured Progressive Matrices

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Anzahl Alter in Monaten Nonverbaler IQ (CPM) VS (T-Wert) IS (T-Wert)

Kinder mit SSES

Kontrollkinder

Vergleich

14 61,7 (SD ± 5,6) 104,4 (SD ± 11,5) 43,9 (SD ± 5,7) 30,8 (SD ± 2,3)

16 64,9 (SD ± 4,3) 106,4 (SD ± 12,3) 52,1 (SD ± 7,6) 54,4 (SD ± 7,4)

p = 0,086 p = 0,659 p < 0,000 p < 0,000

Tab. 2 Ergebnisse der pädaudiometrischen Testung (HASE, Richtungshören, Hören im Störschall und Dichotischer Hörtest [jeweils Mittelwert, Standardabweichung und Gruppenvergleich]). Kinder mit SSES

Kontrollkinder

Vergleich

HASE (T-Wert) 31,9 (SD ± 3,5) Richtungshören 7,4 (SD ± 1,6) (Absoluter Wert) Hören im Störschall ( %) 90,0 (SD ± 13,0) Dichotischer Hörtest ( %) 40,0 (SD ± 32,3)

45,5 (SD ± 7,4) 7,5 (SD ± 1,5)

p < 0,000 p = 0,880

83,1 (SD ± 15,5) 71,5 (SD ± 25,8)

p = 0,219 p < 0,010

(CPM) [32], eine sprachrelevante Hörschädigung ( > 20 dB Hörverlust im Hauptsprachbereich zwischen 250 Hz und 4 kHz, beidseits), eine Aufmerksamkeitsstörung und/oder das Vorliegen einer allgemeinen Entwicklungsstörung.

Materialien zur Sprachtestung Der Sprachentwicklungsstand wurde anhand zweier Untertests des Heidelberger Sprachentwicklungstests [33] (H-S-E-T) untersucht. Der H-S-E-T besteht aus 13 Untertests, wobei ein Untertest zum Sprachverständnis (VS) und einer zur Sprachimitation (IS) verwendet wurde. Die Kinder wurden bei einem T-Wert < 35 in mindestens einem der beiden Untertests (IS/VS) in die Studie aufgenommen und der SSES-Gruppe zugeteilt. Die Kontrollkinder mussten einen T-Wert > 40 bei beiden Untertests des HSET (VS/ IS) erreichen, um an der Studie teilnehmen zu können.

Pädaudiometrische Tests „Nachsprechen von Kunstwörtern“ (HASE) [34]. Eingesetzt wurde das „Heidelberger Auditive Screening in der Einschulungsuntersuchung“ und hiervon der Untertest „Nachsprechen von Kunstwörtern“ (HASE-NK) [34]. Dabei wurden 10 Pseudowörter in ansteigender Silbenlänge präsentiert. Das Kind sollte diese nachsprechen. In die Testung fließen sowohl das phonologische Kurzzeitgedächtnis als auch die Fähigkeit zur Sprachperzeption und artikulatorische Fähigkeiten mit ein. Die Ergebnisse sind als T-Werte dargestellt, wobei T-Werte zwischen 40– ▶ Tab. 1, 2). 60 als normgerecht gelten (● Die Sprachdiskrimination im Störschall misst, wie viele Wörter im Göttinger Sprachtest in normaler Sprachlautstärke (65 dB) vor fast ebenso lautem Störschall (weißes Rauschen; 60 dB) verstanden werden. Das Kind muss dazu 10 Wörter nachsprechen. Die Ergebnisse werden in Prozent dargestellt. Wir haben uns an einer älteren Klassifikation [35] orientiert, bei der die untere Normgrenze 70 % verstandener Worte war. Der Vorteil dabei ist, dass man mehr Kinder herausfiltert, die eine auditive Filterschwäche im Störschall haben als nach der neueren Klassifikation, bei der schon < 80 % verstandener Worte als auffällig anzusehen sind [12].

Bei der Testung des Richtungsgehörs werden Geräusche im freien Schallfeld angeboten, die das Kind möglichst exakt lokalisieren muss. Dazu wird es einen Meter vor dem Untersucher platziert. Klickreize werden aus 8 Richtungen im Raum, welche gleiche Abstände zueinander haben, präsentiert. Das Kind muss mit dem Finger in die Richtung zeigen, aus welcher der Klick kommt. Als falsch wurde gewertet, wenn das Kind die Richtung nicht innerhalb des entsprechenden Winkels angeben konnte. Als Bestleistung wurden 8 von 8 richtig erkannter Richtungen gewertet.

Dichotischer Diskriminationstest (Uttenweiler, 1980) [31]. Hier werden dem Kind 10 dreisilbige Wortpaare, die sich auch im Artikel unterscheiden, simultan präsentiert. Das Kind muss diese beidohrig entschlüsseln, abspeichern und dann wiedergeben. In diesen Test fließen die Hörmerkspanne und die Fähigkeit, akustische Informationen beidohrig zu entschlüsseln, mit ein. Die maximal zu erreichende Leistung lag bei 100 % (alle 10 Wortpaare korrekt nachgesprochen), wobei jeweils 10 % vergeben wurden, wenn ein Wortpaar korrekt richtig nachgesprochen wurde (inklusive der Artikel). Teilantworten wurden nicht gewertet. Als Normgrenze wurden 70 % verstandener Worte festgelegt.

Elektrophysiologische Ableitungen – Stimuli und Vorgehen Als Stimuli wurden ein 600 Hz (Standard)-Ton und 650 Hz (Deviant)-Ton gewählt. Die Phonemstimuli waren /ε/ (Standard) und /e/ (Deviant). Die Sinustöne wurden mit Cool Edit Pro (2,0) generiert, das natürliche phonetische Material wurde anhand der „Semi-synthetic Speech Generation method (SSG)“ [36] nachbearbeitet. Die Dauer der Sinustöne war 150 ms und die Dauer der Phoneme war 250 ms. Ein 5 ms Hanning-Fenster wurde zum Beginn und zum Ende des Stimulus eingefügt. Standards /ε/ und 600 Hz traten mit einer Häufigkeit von p = 0,85 (n = 595) auf und die Devianten /e/ und 650 Hz mit einer Häufigkeit von p = 0,15 (n = 105). Die Stimuli wurden pseudorandomisiert in Blöcken von jeweils 700 Stimuli präsentiert und die Reihenfolge der Blöcke wurde zwischen den Probanden abgewechselt. Das Stimulusmaterial wurde mit einer Lautstärke von 90 dB SPL über Kopfhörer präsentiert. Das Interstimulus-Intervall (ISI) war bei 650 ms. Während des Experiments saßen die Probanden in einer elektrisch abgeschirmten Kabine und sahen sich Zeichentrickfilme ohne Ton an. Sie wurden angewiesen, sich auf das Video zu konzentrieren und sollten im Anschluss Fragen zum Film beantworten. Das Elektroenzephalogramm (EEG) wurde mit 39 Elektroden mit BrainAmp Verstärkern (Brain Products, Gilching, Ger▶ Abb. 1 sind die Grand Averages der many) aufgezeichnet. In ● MMNs als Differenzpotenzial (Standard minus Deviant) für den ▶ Abb. 2 die Grand Averages Phonemkontrast abgebildet und in ● des Differenzpotenzial für den Tonkontrast. Die MMN wurde anhand eines running t-test (Teil des Brain Vision Analyzers Version 1,05) als mittlerer Amplitudenunterschied zwischen Standard vs. Deviant 100–400 ms nach Stimulusonset quantifiziert. Da die MMN im Sinne einer Differenz zwischen Standard vs. Deviant über dieses große Zeitfenster signifikant war, wurde das Zeitfenster für die Analyse in 100 ms Abschnitte aufgeteilt. Das Vorhandensein der MMN wurde an der Fz überprüft.

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Tab. 1 Gruppenergebnisse des CPM, HSET-VS, HSET-IS Mittelwert und Standardabweichung und Gruppenunterschied, VS = Verstehen grammatischer Strukturformen; IS = Imitation grammatischer Strukturformen.

µV

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–4

kinder schnitten hingegen mit einem mittleren T-Wert von 45,5 (SD ± 7,4) innerhalb der Altersnorm ab. Auch dieser Gruppenunterschied war statistisch signifikant (t(28) = 6,566; p < 0,000).

–2

Sprachdiskrimination im Störschall

0

0

200

2

ms

400

600

Abb. 1 Mismatch Negativity (MMN) auf Phonemkontrast an Fz. Kontrollen: durchgezogene Linie, SSES-Kinder: gestrichelte Linie.

Die SSES-Gruppe verstand im Mittel 90 % der so angebotenen Worte (SD ± 13,0). Nur 2 Kinder lagen mit 70 % an der unteren Normgrenze. Auch die Kontrollkinder diskriminierten im Mittel > 80 % der Worte (SD ± 15,5). Somit war dieser Test nicht dazu geeignet, die beiden Gruppen voneinander zu unterscheiden (t(25) = − 1,261; p = 0,219).

µV

–4 –2 0

0

200

2

ms

400

600

Abb. 2 Mismatch Negativity (MMN) auf Sinustöne an Fz. Kontrollen: durchgezogene Linie, SSES-Kinder: gestrichelte Linie.

Ergebnisse



Coloured Progressive Matrices (CPM) Bei der nonverbalen Intelligenztestung anhand der Coloured Progressive Matrices (CPM) erreichte die SSES-Gruppe einen durchschnittlichen IQ von 104,4 (Standardabweichung (im Folgenden abgekürzt mit SD) ± 11,6) und die Kontrollgruppe von 106,4 (SD ± 12,3). Es wurde ein t-Test zur Überprüfung des Gruppenunterschiedes durchgeführt. Die Zahl in Klammern bezeichnet die Freiheitsgrade (Anzahl der Probanden minus 1). Die Gruppen unterschieden sich nicht signifikant hinsichtlich des sprachfreien IQ (t(28) = 0,446; p = 0,659).

H-S-E-T (IS) – Sprachproduktion Alle SSES-Kinder mussten in diesem Test unterdurchschnittlich abschneiden, um an der Studie teilnehmen zu können. Sie erreichten ein durchschnittliches Ergebnis von 30,8 (SD ± 2,3), die Kontrollkinder erreichten einen Wert von 54,4 (SD ± 7,4). Dieser Gruppenunterschied war statistisch signifikant (t(28) = 12,146; p < 0,000).

H-S-E-T (VS) – Sprachverständnis

Mit einem Mittelwert von 40 % (SD ± 32,3) beidohrig entschlüsselter Wortpaare schnitten die SSES-Kinder in diesem Test besonders schlecht ab. (Der maximal zu erreichende Wert lag bei 100 %). Die Kontrollkinder erreichten einen Mittelwert von 71,5 % (SD ± 25,8), was gerade noch im Bereich der definierten Norm (von 70 % oder mehr verstandener Worte) lag. 2 Kinder aus der SSES-Gruppe konnten keines der Wortpaare entschlüsseln. Der Gruppenunterschied war statistisch signifikant (t(25) = 2,788; p < 0,010).

Richtungsgehör Beide Gruppen erreichten in diesem Test Normwerte. 2 Kinder aus der SSES-Gruppe und ein Kontrollkind verstanden die Testanweisungen nicht und mussten von der Auswertung dieses Studienteils ausgeschlossen werden. In der SSES-Gruppe wurden im Mittel 7,4 (SD ± 1,6) Richtungen (aus insgesamt 8) korrekt angegeben, in der Kontrollgruppe waren es 7,5 (SD ± 1,5). Dieser Unterschied war statistisch nicht signifikant (t(23) = 0,153; p = 0,880).

Elektrophysiologische Tests



In diesen Studienteil konnten 30 Kinder eingeschlossen werden (16 Kontrollkinder und 14 Kinder aus der SSES-Gruppe). Aufgrund von technischen oder anderen Problemen konnten bei diesen Kindern nicht immer alle Paradigmen ausgewertet werden, sodass sich bei den einzelnen Stimuli unterschiedliche Probandenzahlen wiederfinden.

Phonemkontrast /ε/ -/e/ 100–200 ms Beide Gruppen zeigten eine signifikante MMN bei Fz (Kontrollkinder: t(12) = 3,272, p < 0,007; SSES-Kinder: t(12) = 2,674; p < 0,020). In einer ANOVA mit Messwiederholung wurde keine Interaktion von Gruppe und Verletzung (Gruppe X Verletzung) beobachtet (F(1,24) = 1,049; p = 0,316).

Hier erreichten die SSES-Kinder einen T-Wert von durchschnittlich 43,9 (SD ± 5,7), während die Kontrollkinder auch hier mit einem durchschnittlichen T-Wert von 52,1 (SD ± 7,6) deutlich besser abschnitten. Auch wenn die sprachentwicklungsgestörten Kinder weitgehend im Bereich der Altersnorm lagen (nur ein Kind erreichte einen T-Wert von 35), erreichte der Gruppenunterschied statistische Signifikanz (t(28) = 3,265; p < 0,000).

200–300 ms

Pädaudiologische Tests

300–400 ms



Nachsprechen von Kunstwörtern (HASE) Die SSES Kinder erreichten hier einen mittleren T-Wert von 31,9 (SD ± 3,5), was deutlich unterhalb der Norm liegt. Die Kontroll-

Nur Kontrollkinder zeigten an Fz eine signifikante MMN (t(12) = 2,827; p < 0,015), aber nicht die Kinder mit SESS (t(12) = 1,910; p = 0,080). Ein signifikanter Gruppeneffekt lag nicht vor (F(1,24) = 0,758; p = 0,392).

Die Kontrollkinder zeigten eine signifikante MMN an Fz (t(12) = 2,279; p < 0,042), während die Kinder mit SSES keine signifikante MMN zeigten (t(12) = 0,441; p = 0,688). Gruppeneffekte wurden nicht statistisch signifikant (F(1,24) = 2,124; p = 0,158).

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Dichotischer Diskriminationstest

Originalie 525 Dichotischer Diskriminationstest

Weder Kontroll-Kinder noch Kinder mit SSES zeigten eine signifikante MMN in diesem Zeitfenster (Kontrollkinder t(15) = − 1,424; p = 0,175; SSES-Kinder: t(13) = 0,311; p = 0,761). Gruppeneffekte waren nicht zu beobachten (F(1,28) = 1,394; p = 0,248).

200–300 ms Nur Kontrollkinder zeigten eine signifikante MMN an Fz (t(15) = 2,237; p < 0,041), aber nicht die Kinder mit SSES (t(12) = 1,849; p = 0,089). Der Unterschied wurde nicht signifikant (F(1,27) = 0,353; p = 0,557).

300–400 ms Keine der Gruppen zeigte eine signifikante MMN bei Fz (Kontrollkinder t(15) = 1,476; p = 0,161; SSES-Kinder t(14) = − 0,752; p = 0,465). Ebenso wurden keine signifikanten Gruppeneffekte beobachtet (F(1,28) = 1,646; p = 0,210).

Diskussion



Ziel dieser Untersuchung war es zu überprüfen, welche Tests dazu geeignet sind, Kinder mit gestörtem und altersgerechtem Spracherwerb hinsichtlich ihrer auditiven Funktionen zu unterscheiden. Dazu wurden 4 pädaudiometrische Tests und 2 elektrophysiologische Tests angewendet. Als Vergleich dienten sprachlich unauffällige Kontrollkinder, die nach Alter und hinsichtlich ihrer nonverbalen kognitiven Fähigkeiten vergleichbar waren. 2 der pädaudiometrischen Tests erwiesen sich als geeignet, einen Gruppenunterschied zwischen Kindern mit und ohne SSES anzuzeigen: Das Nachsprechen von Kunstwörtern aus dem HASE und der dichotische Diskriminationstest [31]. Beim Test nach Uttenweiler ist zu bedenken, dass hier nicht nur rein auditive Funktionen überprüft werden, sondern Faktoren wie Wortschatz und Größe des auditiven Merkspeichers bei der Interpretation der Ergebnisse mitberücksichtigt werden müssen. Der Sprachdiskriminationstest im Störschall und der Richtungsgehörtest haben sich für unsere Fragestellung als ungeeignet erwiesen. Das Ergebnis ist gut mit der aktuellen Datenlage zu vereinbaren, nach der u. a. das Nachsprechen von Nichtwörtern (HASE oder Mottier-Test) und die Fähigkeit zur Phonemunterscheidung eine deutlich bessere Gruppenunterscheidung ermöglichen [37, 38]. Obwohl Gruppenunterschiede im EEG-Experiment anhand eines Phonemkontrastes und eines Sinustonkontrastes nicht beobachtet werden, zeigten getrennte Analysen in den einzelnen Gruppen, dass die Ausprägung der MMN bei den SSES-Kindern geringer war. Vermutlich ist das Ausbleiben signifikanter Gruppenunterschiede der kleinen Stichprobengröße geschuldet, sodass eine Replikation mit höherer Probandenzahl wünschenswert ist.

Die SSES-Kinder schnitten mit im Mittel nur 40 % verstandener Worte im Vergleich zu > 70 % verstandener Worte bei den Kontrollen signifikant schlechter ab. Dlouha et al. [14] berichten ähnliche Ergebnisse, jedoch wurden dort etwas ältere Kinder (6–7 Jahre) untersucht. Sie erreichten Werte zwischen 56–64 %, während die Kontrollkinder auf Werte zwischen 92–93 % kamen. Alterseffekte sind bei der Durchführung dieses Tests sicherlich mit zu berücksichtigen. Zudem ist zu bedenken, dass im dichotischen Diskriminationstest das phonologische Kurzzeitgedächtnis mit überprüft wird. Studien zeigen, dass dies bei Kindern mit SSES beeinträchtigt ist (siehe Ergebnisse beim HASE). Zudem stellt der Test hohe Anforderungen an Aufmerksamkeit und Vigilanz.

Sprachdiskrimination im Störschall Während Nickisch et al. [12] und Nickisch & Kiese-Himmel [38] über signifikante Gruppenunterscheide im Abschneiden dieses Tests bei Kindern mit bzw. ohne AVWS berichtet haben, trennte dieser die von uns untersuchten Kinder mit und ohne SSES nicht. Für SSES-Kinder ist es einfacher, sich reale Wörter zu merken und diese wiederzugeben als Pseudowörter nachzusprechen [11]. Zudem beeinträchtigt das Störgeräusch die Sprachdiskrimination bei einem reinen SSES-Kind im Gegensatz zu einem AVWS-Kind mit einer auditiven Filterschwäche nicht in dem Maße, was die unterschiedlichen Ergebnisse zwischen beiden Gruppen erklären könnte. Auch Kiese-Himmel & Nickisch [5] berichten in einer aktuellen Arbeit, dass sich AVWS-Kinder von Nicht-AVWS-Kindern durch 4 Merkmale unterscheiden ließen, von denen 2 die auditive Verarbeitung betrafen: das Wortverstehen im Störgeräusch und das dichotische Wortpaarverstehen. Kinder mit AVWS ließen sich diskriminanzanalytisch von solchen mit AVWS und SSES jedoch nur unter Hinzuziehung der Variable „Verstehen grammatikalischer Strukturformen“ signifikant trennen, nicht aber allein über die auditive Testbatterie.

Richtungshören In diesem völlig nonverbalen Test schnitten Kinder mit und ohne SSES gleichermaßen gut ab. Auch hier hätte man bei Kindern mit SSES und vermuteten Defiziten in der auditiven Verarbeitung Unterschiede im Vergleich zu Kindern ohne SSES erwarten können. In der Summe scheinen das Pseudowortnachsprechen und das dichotische Hören die höchsten Anforderungen an das phonologische Arbeitsgedächtnis von SSES Kindern zu stellen. Das reine Erkennen realer Einsilber im Störschall und das alleinige Identifizieren einer Schallrichtung bereiteten diesen Kindern keine Schwierigkeiten. Somit scheint es mit diesen beiden Tests möglich zu sein, SSES-Kinder und sprachlich normal entwickelte Kinder anhand auditiver Anforderungen zu unterscheiden.

Elektrophysiologische Untersuchung (EKP) Nachsprechen von Kunstwörtern



In diesem Test zeigten die Kinder mit SSES deutlich geringere Werte als die normal sprachlich entwickelten Kinder. Ein ähnliches Ergebnis wurde schon von diversen anderen Autoren berichtet [11, 15] und ein Zusammenhang zwischen generellen linguistischen Fähigkeiten und dem Abschneiden beim Pseudowortnachsprechen ist gut untersucht [39].

In dieser Studie unterschieden sich die Kontrollkinder und die SSES-Kindern nicht im EKP-Paradigma mit Sinustönen und Phonemstimuli. Das war ein unerwartetes Ergebnis. Studien der Vergangenheit zeigten Gruppenunterschiede zwischen SSESKindern und Kontrollkindern für sprachliche Stimuli [22–24] oder Tonstimuli [27–30]. Betrachtet man aber die Daten an Fz, waren nur die Kontrollkinder in der Lage, Sinustöne zu unterscheiden. Dieses Ergebnis stimmt mit vergangenen Daten über-

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Sinustonparadigma 100–200 ms

ein und zeigt, dass für Kinder mit SSES möglicherweise ein Frequenzkontrast unter 1 000 Hz sowie ein kleiner Frequenzunterschied von 50 Hz problematisch ist. Obwohl der Phonemkontrast in beiden Gruppen eine MMN hervorgerufen hatte (im Zeitfenster 100–200 ms), war die MMNAktivität bei sprachlich normal entwickelten Kindern länger andauernd, d. h. die MMN war über ein größeres Zeitfenster signifikant als bei den Kindern mit SSES. Dies kann auf ein subtiles Defizit in der Phonemdiskrimination bei den SSES-Kindern hindeuten. Shafer und Kollegen [24] konnten zeigen, dass die Unterscheidung von /ı/ vs. /ε/ schwierig für Kinder mit SSES ist. Wurde hingegen bei diesem Paradigma die Vokallänge erhöht (von 50 auf 250 ms), wurde die Diskrimination bei Kindern mit SSES besser [25]. Da in der vorliegenden Studie eine Stimulusdauer von 250 ms eingesetzt wurde, hatten die Kinder mit SSES möglicherweise eine ausreichendende Präsentationsdauer. Dennoch zeigt die kürzere Ausprägung der MMN, dass möglicherweise Schwierigkeiten bei der Verarbeitung vorhanden sind. Zusammenfassend gelang es mit 2 auditiven Tests, Kinder mit einer gestörten Sprachentwicklung von normalsprechenden Kontrollkindern zu unterscheiden: dem Pseudowortnachsprechen und dem dichotischen Diskriminationstest. Möglicherweise liegt in der Tatsache, dass die Kinder mit SSES gerade bei diesen Tests Schwierigkeiten gezeigt haben, der Unterschied zu Kindern mit AVWS, da diese beim Richtungshören und Hören im Störschall üblicherweise unterdurchschnittlich abschneiden. Studien, die beide Gruppen einschließen, müssen dies weitergehend klären. Auch wenn beide MMN-Paradigmen die Gruppen aufgrund der kleinen Stichprobengröße nicht signifikant unterschieden haben, so zeichnen sich anhand der Auswertung der Daten doch weniger ausgeprägte MMN-Amplituden für beide Paradigmen bei den sprachgestörten Kindern ab. Was die Unterscheidung von Sinustönen anbelangt, so sprechen diese Ergebnisse für ein mögliches Defizit bei Kindern mit SSES in der Fähigkeit unterschiedliche Frequenzen zu verarbeiten. Weitere Untersuchungen müssen klären, welche Bedeutung diesen elektrophysiologischen Unterschieden in den zentralauditiven Verarbeitungsprozessen zwischen Kontroll- und SSES-Kindern zukommt.

Danksagung



Wir bedanken uns bei den teilnehmenden Kindern und ihren Familien. Unser Dank gilt auch Ingrid Stapf, Alexandra Aister, Sabine Gunter und Silvia Zischler für ihre Mitarbeit bei den Testungen. Die Studie und das Verfassen des Manuskripts wurden durch die finanzielle Unterstutzung des Transferzentrums für Neurowissenschaften und Lernen (ZNL) sowie des Zukunftskollegs der Universität Konstanz (Fellowship Tanja Rinker) ermöglicht.

Abstract

Children with Specific Language Impairment: Electrophysiological and pedaudiological findings



Background: Auditory deficits may be at the core of the language delay in children with Specific Language Impairment (SLI). It was therefore hypothesized that children with SLI per-

form poorly on 4 tests typically used to diagnose central auditory processing disorder (CAPD) as well in the processing of phonetic and tone stimuli in an electrophysiological experiment. Material and Methods: 14 children with SLI (mean age 61,7 months) and 16 children without SLI (mean age 64,9 months) were tested with 4 tasks: non-word repetition, language discrimination in noise, directional hearing, and dichotic listening. The electrophysiological recording Missmatch Negativity (MMN) employed sine tones (600 vs. 650 Hz) and phonetic stimuli (/ε/ versus /e/). Results: Control children and children with SLI differed significantly in the non-word repetition as well as in the dichotic listening task but not in the two other tasks. Only the control children recognized the frequency difference in the MMN-experiment. The phonetic difference was discriminated by both groups, however, effects were longer lasting for the control children. Group differences were not significant. Conclusions: Children with SLI show limitations in auditory processing that involve either a complex task repeating unfamiliar or difficult material and show subtle deficits in auditory processing at the neural level. Institute Zukunftskolleg/Fachbereich Sprachwissenschaft, Universität Konstanz, Konstanz 2 Transferzentrum für Neurowissenschaften und Lernen, Universitätsklinik Ulm, Ulm 3 Department of Signal Processing and Acoustics, Aalto University, Helsinki 4 Kognitive Elektrophysiologie/Abteilung Psychiatrie, Universitätsklinik Ulm, Ulm 5 Sektion für Phoniatrie & Pädaudiologie, Univ- HNO Klinik, Ulm 1

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