KNP/BMBF-Förderschwerpunkt Präventionsforschung – Wirksamkeit Kinder S49

Zusammenfassung

Gesundheitsbezogene Einstellungen und Verhaltensweisen formen sich bereits in den ersten Lebensjahren. Ansätze zur Prävention bei Kindern und Jugendlichen reichen von strukturierten Programmen zur Förderung gesunden Verhaltens und Stärkung der Lebenskompetenz über die Unterstützung von Eltern bis hin zur Qualifizierung von Professionellen zur Förderung kindlicher Ressourcen. Ein wesentlicher Ansatzpunkt ist die Gestal­ tung gesundheitsförderlicher Lebensver­ hältnisse in den Settings, in denen Kinder und Jugendliche viel Zeit verbringen. Ein wichtiges Ziel des BMBF-Förderschwer­ punktes „Präventionsforschung“ war der Erkenntnisgewinn, welche Programme, Maßnahmen und Konzepte wirksam sind und einen Transfer in die Praxis rechtfertigen. Im Rückblick auf die Pro­ jekte konnten übergreifende Faktoren für die Wirksamkeit der Maßnahmen identifiziert werden: Vorliegen einer Handlungsgründung, Kontextbezug, Pro­ grammangebot sowie Aktivierung aller Akteure. Die Forschungsprojekte belegen darüber hinaus einen Wissenszuwachs im Bereich der Wirkevaluation seit För­ derbeginn, wenngleich noch ein verbind­ licher Standard der Wirkevaluation, die Verständigung über relevante OutcomeMaße u. a. fehlen. Schlüsselwörter ▶ Wirksamkeit ● ▶ Kinder und Jugendliche ● ▶ Gesundheitsförderung ● ▶ Prävention ● ▶ Präventionsforschung ●

Einleitung

In den Lebensabschnitten Kindheit und Jugend, die durch eine Vielzahl an physi­ schen und psychischen Veränderungen charakterisiert sind, erfolgen wesentliche Weichenstellungen für die gesundheitli­ che Entwicklung im weiteren Lebensver­ lauf sowie die Prägung von gesundheits­ fördernden wie gesundheitsgefährden­ den Verhaltensweisen [1]. Gesundheitsbezogene Einstellungen und Verhaltensweisen formen sich jedoch be­ reits in den ersten Lebensjahren und ver­ festigen sich schließlich im Erwachsenen­ alter zu stabilem Verhalten [2–4]. Ge­

sundheitsrisiken, die zu chronischen Er­ krankungen führen können, zeigen sich bereits in der Kindheit und Jugend. Laut dem Kinder- und Jugendsurvey des Ro­ bert Koch-Instituts sind bundesweit etwa 15 % der Kinder und Jugendlichen im Al­ ter zwischen 3 und 17 Jahren überge­ wichtig; mehr als ein Drittel von ihnen leidet unter Adipositas [5]. Ein Teil dieser Kinder wird bis zum Erwachsenenalter übergewichtig bleiben und trägt damit ein erhöhtes Risiko unter anderem für ­Diabetes mellitus und Herz-Kreislauf-­ Erkrankungen. Vielfach belegt wurde auch der Einfluss der sozialen Herkunft auf die Gesundheit von Kindern und Jugendlichen. Kinder aus sozial benachteiligten Familien haben ein erhöhtes Risiko für gesundheitliche Einschränkungen, Entwicklungsauffällig­ keiten, chronische Erkrankungen und psychische Probleme wie z. B. Essstörun­ gen [6, 7]. Die Notwendigkeit von Prävention lässt sich aber nicht nur durch die besondere Vulnerabilität von Kindern und Jugendli­ chen gegenüber gesundheitlicher Schädi­ gung und deren Langzeitfolgen, sondern auch durch das günstige Gestaltungspo­ tenzial präventiver Maßnahmen, in den Lebenswelten von Kindern und Jugendli­ chen begründen. So zielt die WHO-Stra­ tegie „Health in all Policies“ darauf ab, durch die Zusammenarbeit der Akteure des Bildungs-, Sozial- und Gesundheits­ bereiches die Lebenswelt der Kinder und Jugendlichen nachhaltig zu verbessern. Profitieren können von diesem Vorgehen nicht nur die Kinder und ihre Familien, sondern auch Politik und Gesellschaft. Dabei sind die Herangehensweisen viel­ fältig. Sie reichen von der Entwicklung strukturierter Programme zur Förderung gesundheitsbewusster Verhaltensweisen und Stärkung der Lebenskompetenz bei Kindern und Jugendlichen über die Un­ terstützung und Schulung von Eltern bis hin zur Qualifizierung von Professionel­ len, Mentoren oder Peers zur Förderung kindlicher Ressourcen. Ein wichtiger Ansatzpunkt ist wie schon angesprochen die Gestaltung gesund­ heitsförderlicher Lebensverhältnisse in den Settings, in denen Kinder und Ju­ gendliche viel Zeit verbringen, wie z. B. in Kindergärten, in Schulen und im Wohn­

gebiet. Das Geschlecht oder der Migra­ tionsstatus bilden dabei bedeutsame Ein­ flussfaktoren für die Lebensbedingungen von Kindern. Präventive Maßnahmen sollten zielgruppenspezifisch vorgehen und unter dem wichtigen Aspekt der ge­ sundheitlichen Chancengleichheit die Re­ duktion von sozial oder geschlechtsbe­ zogener gesundheitlicher Ungleichheit ­anstreben [8, 9]. Zieldimensionen der Präventionsmaß­ nahmen und -kampagnen sind – unab­ hängig von Setting oder Thema – das Ge­ sundheitswissen, die Einstellung zu ge­ sundem Verhalten und das Risiko- und Gesundheitsverhalten der Eltern, Famili­ en und/oder Kinder und Jugendlichen.

Ansätze in Deutschland

Innerhalb der vergangenen 10 Jahre wur­ den durchaus Erfolge im Bereich der Prä­ vention und Gesundheitsförderung in Deutschland erzielt: Nationale Gesund­ heitsziele wurden fixiert und als Hand­ lungsleitthemen in den Bundesländern durch Projekte bearbeitet [10], der Ko­ operationsverbund „Soziale Ungleich­ heit“ zur Vernetzung von Akteuren konn­ te etablierte werden und vereinzelt die­ nen gesetzliche Regelungen wie das Bun­ deskinderschutzgesetz der Struktur­ schaffung wie bspw. durch den Aufbau von Kompetenzzentren wie dem Natio­ nalem Zentrum Frühe Hilfen. Darüber hinaus führte die Initiative der Förderung der Präventionsforschung des BMBF zu einer Forschungsaktivierung besonders im Bereich der Kinder- und Jugend­ gesundheit [11, 12]. Primärprävention bei Kindern- und Ju­ gendlichen in Deutschland sieht sich da­ bei auch ernst zu nehmenden Schwierig­ keiten gegenüber, wie bspw. der Hetero­ genität der Kostenträger und der Vielzahl von Akteuren unterschiedlichster Diszip­ linen und Professionen. Diese reichen von Kindertagesstätten, Schulen, Freizeithei­ men, Krankenkassen, Wohlfahrtsverbän­ den, Gesundheitsämtern, Kommunen über Sportvereine bis hin zu kirchlichen Einrichtungen. So ermittelte die Recher­ che im Auftrag des Sachverständigenrates in 2009 rund 420 Programme zur Primär­ prävention bei Kindern und Jugendlichen [13]. Deren Heterogenität hinsichtlich der Art der Interventionen (von hoch­

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Kinder und Jugendliche – Präventive Maßnahmen wirken

strukturierten verhaltensbezogenen Pro­ grammen bis offenen Settingansätzen in Lebensräumen), der Vielfältigkeit der Be­ reiche (Bewegung, Ernährung, psychische Gesundheit usw.) mit den ihnen eigenen Ansätzen sowie spezifischen zielgrup­ penbezogenen Herangehensweisen bei insgesamt einer Vielfalt an Akteuren er­ schwert vergleichende Aussagen hin­ sichtlich der Wirksamkeit der Maßnah­ men. Hinzu kommt die finanzielle und personelle Diskontinuität, die eine länger­ fristige Verankerung von primärpräventi­ ven Interventionen unabhängig einer Wirksamkeitsprüfung erschwert [11].

Wirksamkeitsfaktoren für den Erfolg

Ein wesentliches Ziel des BMBF-Förder­ schwerpunktes „Präventionsforschung“ war der Erkenntnisgewinn, welche Pro­ gramme, Maßnahmen und Konzepte zur Prävention wirksam sind und einen Transfer in die Praxis rechtfertigen. Im Rückblick auf die Projekte des Förder­ schwerpunkts, von denen eine Auswahl ▶  Tab. 1), im Folgenden dargestellt wird ( ● konnten einige übergreifende Faktoren für die Wirksamkeit der Maßnahmen identifiziert werden: Vorliegen einer Handlungsgründung, Kontextbezug, Pro­ grammangebot sowie Aktivierung aller Akteure. Handlungsbegründung  Die Notwen­ digkeit für die Ausgestaltung von Maß­ nahmen zur Prävention und Gesund­ heitsförderung und die Ausgestaltung entsprechender Maßnahmen muss ­sowohl theoretisch als auch praktisch ­begründet sein. Aus dem Bereich der ­Gesundheitspsychologie liegen dazu ­geprüfte Modelle zur Verhaltensände­ rung vor. Während Präventionsmaßnah­ men vor 10 Jahren noch auf die einfache, aber wissenschaftlich nicht geprüfte Trias der Pädagogik „Wissen – Einstellung – Handeln“ (bekannt als das KAP-Modell „knowledge – attitude – practice“) zu­ rückgriffen, dominieren heute Modelle, die ausdrücklich für die Veränderung von Gesundheitsverhalten entwickelt und evaluiert wurden [14]. In dem Prozess­ modell gesundheitlichen Handelns [14] bspw. nimmt die Selbstwirksamkeit, d. h. die Überzeugung der Zielperson, ein ge­ wünschtes Verhalten auch im Alltag selbst umsetzen zu können, eine zentrale Rolle ein. Zudem werden auch konkrete Ressourcen identifiziert, die dazu beitra­ gen, nicht nur eine Verhaltensabsicht zu formulieren, sondern ein gesundheits­ dienliches Verhalten durchzuführen und

als neue Alltags-Routine aufrecht zu er­ halten. Aus der Praxis gibt es z. B. für den Bereich des Ernährungs- und Bewegungs­ verhaltens im Setting Schule das aus dem betrieblichen Qualitätsmanagement ab­ geleitetes Beurteilungssystem „HEPS in­ ventory tool“, mit dem die Einbeziehung aller notwendigen Akteure auf einfach und transparent sichergestellt und im Verlauf der Maßnahmenumsetzung ste­ tig überprüft bzw. verbessert werden kann [15]. Kontextbezug  Viele Projekt-Teams ha­ ben zur Umsetzung ihrer präventiven Maßnahmen für Kinder und Jugendliche die Settings „Kita“ und „Schule“ gewählt und folgen damit den Empfehlungen der WHO zur optimalen Zielgruppenerrei­ chung. Die Settings Kita und Schule er­ möglichen es, Kinder und Jugendlichen unabhängig von Geschlecht (Gender), Herkunft, Sozialstatus und ohne zusätzli­ che Zugangsbarrieren (wie zusätzliche Wege, Zeit und Kosten) zu erreichen. Eine wirksame und passgenaue Prävention und Gesundheitsförderung erfordert da­ bei die Analyse und Optimierung der um­ gebenden strukturellen Bedingungen bspw. in Form verhältnispräventiver Maßnahmen oder durch organisatorische Flexibilität hinsichtlich der „Darrei­ chungsform“ präventiver Inhalte. Organi­ satorische Flexibilität kann bspw. erreicht werden, wenn Manuale in 2 Varianten so­ wohl für die Durchführung innerhalb des regulären Schulunterrichts als auch kom­ pakt in einer Projektwoche angeboten werden. Programmangebot  Für die Zielgruppe der Kinder und Jugendlichen liegen zahl­ reiche strukturierte Programme vor. Eine gute Wirksamkeit zeigen besonders Le­ benskompetenzprogramme, die nicht nur theoretisch fundiert sind, sondern die auch empirisch im Rahmen einer Evalua­ tion geprüft wurden [16, 17]. Hierzu zäh­ len eher unspezifische Programme wie Mind Matters aber auch fokussierte/spe­ zifisch/zielgerichtet Interventionen wie bspw. zur Verminderung von Gewalt (Faustlos), zur Prävention von Essstörun­ gen (PriMA, TOPP, TORERA) und Depres­ sion bzw. Angst (LARS & LISA). Erfolgrei­ che Programme sind umfassend mit Komponenten aus mehreren Lebensbe­ reichen, verfügen über eine Vielfalt an Methoden, fördern positive Beziehungen zu Gleichaltrigen und Erwachsenen, inte­ grieren Booster-Sessions und werden von qualifiziertem, gut geschultem Personal durchgeführt [17, 29]. Mehrere Projekte des Förderschwerpunktes greifen bereits

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standarisierte kognitiv-behaviorale Pro­ gramme wie z. B. zur Prävention von Übergewicht und Essstörungen auf und überprüfen ihre Anwendbarkeit auf an­ dere Zielgruppen. Mit der hohen Standardisierung geht je­ doch das Problem geringer Flexibilität einher, sodass über 50 % der Programme in der Praxis verändert, nur teilweise im­ plementiert oder in einen anderen Kon­ text transferiert werden. Wobei die Miss­ achtung der Anwendungsbedingungen die Wirksamkeit dieser Interventionen beeinflusst. Eine zukünftige Herausforde­ rung ist daher, wesentliche Programm­ elemente zu identifizieren und leicht handhabbare Programme zu entwickeln, die hinreichend robust sind, um (be­ grenzte) Veränderungen bezüglich der Teilnehmerbedürfnisse und lokalen Be­ dingungen sowie die Entwicklung eige­ ner Materialien als Schlüsselelemente er­ folgreicher Implementation von Inter­ ventionen zu ermöglichen. Aktivierung aller Akteure  Innerhalb der „Präventionslandschaft“ zeichnet sich ein deutlicher Trend von rein verhaltens­ präventiven Ansätzen zu verhältnisprä­ ventiven bzw. kombinierten Maßnahmen ab. Dies zeigt sich u. a. darin, dass zuneh­ mend nicht nur die unmittelbaren Adres­ saten (z. B. Kinder und Jugendliche) ein­ bezogen werden, sondern auch eine Sen­ sibilisierung der Familien, der Erzieher und Lehrer angestrebt wird. So sind hin­ sichtlich des Ernährungs- oder Bewe­ gungsverhalten Verhaltensänderungen kaum zu erwarten, wenn die Eltern und Lehrer bzw. Erzieher kein entsprechendes Vorbild abgeben. Wünschenswert ist da­ mit in der Regel ein Einbezug der Eltern, um die Wirkung der Maßnahmen zu er­ höhen bzw. eine nachhaltige Wirkung zu erreichen. Allerdings sollten sich Pro­ gramme nicht vollständig von der Mit­ wirkung der Eltern abhängig machen, da spätestens im Jugendalter die Gleichaltri­ gen (Peers) zur vorrangigen „Sozialisa­ tionsinstanz“ werden und das Gesund­ heitsverhalten unabhängiger von der el­ terlichen Prägung wird. Ein wichtiger Aspekt der nachhaltigen Projektwirkung ist daher das sog. „Empo­ werment“, d. h. die Befähigung der Kinder und Jugendlichen zu eigenverantwortli­ chem Handeln, nicht nur der unmittelba­ ren Adressaten, sondern auch des erzie­ herischen Umfelds [18]. Hier zeigt sich in Bezug auf die Programmwirkung ein ge­ wisser Widerspruch zwischen der auf un­ mittelbare Wirksamkeit ausgerichteten Evaluation und der Betrachtung der

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S50 KNP/BMBF-Förderschwerpunkt Präventionsforschung – Wirksamkeit Kinder

KNP/BMBF-Förderschwerpunkt Präventionsforschung – Wirksamkeit Kinder S51

Tab. 1  Überblick über die Auswahl der dargestellten Projekte.

Übergewichtsprävention und Förderung gesunder Ernährung bei Kindern durch Verhältnisprävention: Evaluation eines institutionellen Verpflegungskonzeptes (Ahrens/Jahn) Evaluation des Programms „Obeldicks light“ für übergewichtige Kinder (Kolip/Reinehr)

soziokulturelle Faktoren und Essstörungen im Jugendalter – Evaluation eines schulbasierten Präventionsprogramms (POPS) (Warschburger)

Evaluation und Wirkungsnachweis der Programme „PriMa“ und „Torera“ zur Primär-Prävention von Ess-Störungen bei Schülerinnen ab dem 6. Schuljahr (Strauß/Berger)

Ziel der Studie ist die Evaluation einer Verhältnispräventionsmaßnahme im Rahmen eines Verpflegungskonzeptes in Kindertageseinrichtungen. Geprüft wurde, inwieweit sich die präventive Maßnahme in der Übergewichtsprävention und Förderung gesunder Ernährung von Kindern als wirksam und effektiv erweist. Von besonderem Interesse war dabei, ob die Maßnahme in unterschiedlichen sozialen Gruppen unterschiedlich wirksam ist. Bestehende Maßnahmen zur Prävention von Übergewicht setzen entweder bei der Adipositasprävention bei normalgewichtigen oder bei Gewichtsreduktion bei bereits deutlich übergewichtigen Kindern an. Im Unterschied dazu richtet sich das Programm „Obeldicks light“ an übergewichtige, aber nicht adipöse Kinder und Jugendliche und bietet ernährungs-, bewegungs- sowie verhaltenstherapeutische Maßnahmen an. Im Rahmen der Studie wurde „Obeldicks light“ in seiner Struktur-, Prozess- und Ergebnisqualität evaluiert. Kindliche Adipositas ist ein weitreichendes/wesentliches Gesundheitsrisiko, von dem Kinder übergewichtiger oder sozial benachteiligter Eltern besonders stark betroffen sind. Das Forschungsvorhaben analysiert Barrieren und Hinderungsgründe zur Inanspruchnahme von Präventionsangeboten seitens der genannten Risikogruppe. Auf der Basis dieser Erkenntnisse wurde ein zielgruppenspezifisches Elternschulungsprogramm entwickelt und hinsichtlich seiner Akzeptanz und Durchführbarkeit evaluiert. Ein Viertel der 12-jährigen Mädchen weist ein problematisches Essverhalten auf. Zur Prävention von Magersucht (Pri-Ma) sowie von Bulimie und Adipositas (Torera) bei Mädchen werden in der Studie primärpräventive Programme zum Einsatz in der Schule ab der 6. Klasse entwickelt und evaluiert. Ziel der Programme ist es, positive Veränderungen bei den Schülerinnen bzgl. des Wissens über Essstörungen, gesunde Ernährung und Bewegung sowie ihrer Einstellungen gegenüber Figur und Gewicht zu erreichen.

Seelische Gesundheit Prävention zur Verhinderung von Exklusion – Förderung der seelischen Gesundheit in Einrichtungen der Kindertagesbetreuung in Quartieren mit besonderen Problemlagen (Fröhlich-Gildhoff)

Prävention der familialen Transmission von Depres­ sionen bei Kindern depressiver Mütter (EFFEKT-­ Training) (Bühringer)

Gesundheitsförderung und Kompetenzsteigerung zur Prävention depressiver Störungen bei Jugendlichen – Eine Effectiveness Studie zur schulbasierten, universalen Primärprävention (Lars & Lisa) (Hautzinger) Stressprävention im Jugendalter: Evaluation und Optimierung eines settingbasierten Programmangebots (SNAKE) (0401, Lohhaus)

Das Präventionsprogramm „Kinder stärken“ zielt auf die Verbesserung der (seelischen) Gesundheit von Kindern, ihrer Eltern sowie der Kita-Fachkräfte in Stadtgebieten mit besonderen Problemlagen ab. Das Programm umfasst die Qualifizierung von Kita-Fachkräften sowie Angebote für Eltern und Kinder. Die Evaluation des Projekts „Kinder stärken in Quartieren mit besonderen Problemlagen“ prüft, ob durch das systematische Programm Resilienz gefördert und Kinder mit besonderen Problemlagen, deren Eltern sowie Erzieherinnen und Erzieher erreicht werden. Kinder depressiver Eltern unterliegen einem deutlich erhöhten Risiko, im Laufe ihrer Entwicklung selbst an einer Depression zu erkranken. Im Rahmen des Forschungsvorhabens wird ein erprobtes, primärpräventives Programm (EFFEKT-Training) für die Risikogruppe „Kinder depressiver Eltern“ adaptiert und in Mutter-Kind-Kliniken implementiert. Die Wirksamkeits- und Prozessevaluation des Präventionsprogramms gibt darüber Aufschluss, ob eine Übernahme des Programms in den Regel­ betrieb sinnvoll ist. Das für Realschulen entwickelte Präventionsprogramm „Lebenslust mit LARS& LISA“ wurde an die Besonderheiten von Hauptschulen angepasst, um zu überprüfen, ob durch die Maßnahme auch dort depressive Störungen vorgebeugt werden können. Geklärt wurde, ob Risikofaktoren minimiert und Schutzfaktoren, wie die seelische Widerstandsfähigkeit, gestärkt werden. Jugendliche sind eine besonders anspruchsvolle Zielgruppe bei der Implementierung präventiver Trainingsprogramme. An der Universität Bielefeld wurde deshalb ein auf die Lebenswelten von Jugendlichen abgestimmtes Stressmanagementprogramm für Schüler der 8. und 9. Klasse entwickelt. Die zentrale Fragestellung war dabei, ob es mit dem Programm gelingt, die Stressbewältigungskompetenzen von Jugendlichen zu verbessern. Darüber hinaus wurde geklärt, ob sich mit einem zusätzlichen begleitenden Onlineangebot (E-Learning) stärkere Effekte erzielen lassen.

Zahngesundheit Evaluation und Optimierung eines zahnmedizinischen Präventionsprogramms für Kinder mit erhöhtem Kariesrisiko (Pieper)

Der Arbeitskreis „Jugendzahnpflege“ des Fachdienstes Gesundheit des Landkreises Marburg-Biedenkopf hat in Zusammenarbeit mit den Krankenkassen eine Gruppenprophylaxe für Schüler aus sozialen Brennpunkten organisiert, die auf dem sogenannten „Marburger Modell“ aufbaut. Im Mittelpunkt des Forschungsprojekts stand die Frage, ob sich die Selektive Intensivprophylaxe in sozialen Brennpunkten positiv auf die Mundgesundheit der beteiligten Kinder und Jugendlichen auswirkt. Überprüft wurde unter anderem, ob die Jugendlichen nach der Maßnahme ein besseres Verhalten bei der Mundhygiene, mehr Gesundheitswissen und weniger Angst vor einer Zahnbehandlung zeigen.

Bewegung Effektivität und Kosteneffektivität täglichen Schulsports in der Grundschule – Das Projekt „Fit für Pisa“ (Walter)

Das interdisziplinäre Präventionsprogramm „fit für pisa“ für mehr Bewegung in der Grundschule wurde im Rahmen einer Interventionsstudie hinsichtlich der Frage geprüft, inwieweittäglicher Sportunterricht in der Grundschule die Gesundheit, das Körpergewicht, das Bewegungsverhalten und das Lernvermögen der Kinder langfristig fördern kann. Zudem ging man der Frage nach, wie sich täglicher Schulsport auf den Umgang der Kinder mit Medien und auf aggressives Verhalten auswirkt.

Sucht Randomisiert-kontrollierte Multicenter-Studie zur Evaluation der deutschen Adaptation des US-amerikanischen „Strengthening Families Program 10–14“ zur familienbasierten Suchtprävention (Thomasius/ Wendell)

Suchtstörungen bei Jugendlichen gehören zu den häufigsten entwicklungsbezogenen Störungen. Als Risikofaktoren für jugendlichen Substanzkonsum gelten familiäre Faktoren sowie Armut und soziale Ausgrenzung. Ziel der Studie ist u. a. die Evaluation der Adaptation eines in den USA gut untersuchten Programms zur familienbasierten Prävention von Suchtstörungen in Deutschland. Zielgruppe sind insbesondere Familien in schwierigen sozialen Lagen.

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Ernährung – Essstörungen

S52 KNP/BMBF-Förderschwerpunkt Präventionsforschung – Wirksamkeit Kinder

Tab. 1  Fortsetzung. Überblick über die Auswahl der dargestellten Projekte. Gesundheitskompetenz allgemein

gesundes Lernen – Zukunft meistern: Evaluation eines bevölkerungsbezogenen Programms zur Stärkung der gesundheitsbezogenen Kompetenzen für die Jahrgangsstufe 5/6 (Gekokids) (Splieth)

Nachhaltigkeit. So erhöht der Einsatz von externen Fachkräften (z. B. Psychologen und Pädagogen) zur Durchführung von Präventionsmaßnahmen die unmittelba­ re Wirksamkeit [19], jedoch erwies sich die Fortbildung von Lehrern zu Multipli­ katoren für die Programmimplementie­ rung, Nachhaltigkeit und flächendecken­ de Verbreitung als wirksamer/effektiver.

Ausblick für künftige Forschung

Die Forschungsprojekte des BMBF-För­ derschwerpunkts belegen den Wissens­ zuwachs im Bereich der Wirkevaluation und Praxistransfer seit Förderbeginn (Projektauswahl siehe ●  ▶  Tab. 1). Den­ noch konnten bei weitem nicht alle As­ pekte und Forschungsfragen geklärt wer­ den. Es fehlt z. B. noch an einem verbind­ lichen Standard der Wirkevaluation, der Verständigung über relevante OutcomeMaße, Methoden zur Evaluation sog. komplexer Interventionen und die Erhe­ bung von Nebenwirkungen sowie FollowUp-Analysen zur Transferforschung. Weitere Standardisierung der Wirkevaluation  Im Vergleich zur Therapiefor­ schung steckt die Präventionsforschung in Deutschland noch in den Anfängen. Während es für die nachgewiesene Wir­ kung von Medikamenten und anderen Therapien mit den randomisiert kontrol­ lierten Studien (RCT) einen sog. Gold­ standard gibt, sind für Präventionsfor­ schung in Deutschland bisher kaum Stan­ dards etabliert. Randomisiert-kontrollierte Studien (RCT) können häufig nicht direkt auf den sozial­ wissenschaftlichen Bereich übertragen werden [20–22]. Aus ethischen und prak­ tischen Gründen ist die Nutzung einer Kontrollgruppe nicht immer möglich [23]. Auch können RCTs die Komplexität und die Veränderungsprozesse der Le­ benswelt oft nicht hinreichend abbilden; umweltbedingte Störfaktoren sind nur schwer kontrollierbar. International wur­

Die Wirksamkeit schulischer Programme zur Gesundheitsförderung wurde gezielt für sozial benachteiligte Schüler/-innen und Migrantenpopulationen untersucht. Effekte auf die Zielgrößen Lebenskompetenzen, Suchtmittelgebrauch und seelische Gesundheit wurden in einem Kontrollgruppendesign ermittelt. Erfahrungs- und ergebnisgestützt können nunmehr Empfehlungen für ein zielgruppeangemessenes Instrumentarium zur Evaluation von Maßnahmen der Gesundheitsförderung im Setting Schule gegeben werden. Mit der Evaluation des Präventionsprogramms GeKoKidS wurde u. a. überprüft, ob sich durch die Maßnahme gesundheitsgefährdende Verhaltensweisen vermeiden lassen, ob die Schülerinnen und Schüler zu mehr Bewegung und einer gesünderen Ernährung motiviert werden können und inwieweit sich durch ein Mehr an Gesundheitskompetenz die Zahngesundheit verbessern lässt.

den ein Standard von der Society for Pre­ vention Research (SPR) [24] formuliert, mit dessen Hilfe die Wirksamkeitsprü­ fung einer Präventionsmaßnahme in 3 Phasen erbracht werden kann. Verständigung über Wahl der OutcomeMaße  Die Wahl von aussagekräftigen, maßnahmenrelevanten Outcome-Maßen entscheidet letztlich auch über die Aussa­ gekraft der Evaluation und den Nutzwert der Maßnahme selbst. Es bestehen jedoch Schwierigkeiten bei der Definition einzel­ ner Outcomemaße: Die angestrebte Ver­ änderung bezieht sich häufig nicht nur auf eine Größe beim Individuum (z. B. BMI, Gewicht), sondern umfasst das ge­ samte Individuum, seine Lebenswelt (z. B. KITA, Schule, Kommune) und auch seine soziodemografische Lage (z. B. soziokul­ turelle Einflüsse). Dabei wird in den Projekten zur Kinderund Jugendgesundheit die Stabilisierung gesundheitsrelevanter Verhaltensweisen in der Kindheit und Jugend als wesentli­ ches, übergeordnetes Ziel verstanden. Als Outcome-Maße müssen zwingend kurz­ fristige wie auch nachhaltige Maße ein­ bezogen werden. Als ein nachhaltiger Zielfaktor wird häufig die Erhöhung bzw. Stabilisierung der Selbstwirksamkeit ge­ nutzt und mittlerweile im Sinne eines Generalfaktors diskutiert. Ein Konsens über verlässliche und aussagekräftige Outcome-Parameter in den Evaluations­ studien muss weiterhin angestrebt wer­ den, um eine Vergleichbarkeit der Aussa­ gen zur Wirksamkeit präventiver Maß­ nahmen zu gewährleisten. Zudem müs­ sen Nebenwirkungen der Interventionen routinemäßig im Rahmen von Evaluatio­ nen berücksichtigt und geprüft werden. Katamnesen und Transferforschung  Programme und Maßnahmen, die in der Evaluation als wirksam bewertet wer­ den, müssen kritische, wesentliche Ele­ mente identifizieren, die robust genug sind, um spezifischen Teilnehmerbe­ dürfnissen und lokalen Bedingungen ge­

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recht zu werden sowie die Entwicklung eigener Materialien zu ermöglichen [25]. Die Problematik einer „Programmtreue“, die häufig die regionale Anpassung er­ schwert, wird abgeschwächt, wenn über­ greifende Wirkmechanismen per Manual weitergegeben werden. Transferfor­ schung im Sinne von Follow-Up-Evalua­ tion ist bei komplexen und umfassenden Maßnahmen unerlässlich, um die Wirk­ samkeit auch nach der Implementierung gewährleisten zu können. Allerdings ist die Entscheidung zur Übernahme von Präventionsmaßnahmen häufig nicht al­ lein von der Evidenz der Forschung be­ stimmt, sondern von zahlreichen weite­ ren Faktoren abhängig: gesundheitspoli­ tischer Kontext, gesetzliche Vorschriften, Budgets, Ressourcen, Kompatibilität mit Gewohnheiten und Traditionen sowie Werten, mediale Aufmerksamkeit bzw. Verwertbarkeit oder die Vorerfahrungen der Akteure [26–30]. Ein Wirksamkeits­ nachweis stellt in diesem Zusammen­ hang jedoch immer eine wesentliche Vor­ bedingung für den Transfer dar. In den im Folgenden dargestellten Eva­ luationenstudien zu Programmen und Maßnahmen aus dem Bereich der Kin­ der- und Jugendgesundheit fanden die identifizierten Erfolgsfaktoren größten­ teils Anwendung. Die Auswahl der darge­ stellten Projekte soll den aktuellen Stand der Wirksamkeitsevaluation in Deutsch­ land unter den gegebenen Rahmenbedin­ gungen besonders deutlich widerspie­ geln. Damit verbunden ist keine Aussage über die Qualität der einbezogenen wie auch der nicht dargestellten Studien zur Kinder- und Jugendgesundheit im BMBFFörderschwerpunkt „Präventionsfor­ schung“.

Interessenkonflikt: S. Pawils gibt an, dass kein Interessenkonflikt besteht. Literatur Literatur finden Sie im Internet unter http:// dx.doi.org/10.1055/s-0033-1354400.

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Evaluation von Maßnahmen zur schulischen Gesundheitsförderung und Primärprävention bei Mädchen und Jungen in der Sekundarstufe I (5.–6. Jahrgang) unter besonderer Berücksichtigung von sozial benachteiligten Gruppen und Migranten (Thyen/Ravens-Sieberer)

KNP/BMBF-Förderschwerpunkt Präventionsforschung – Wirksamkeit Kinder S53

Institute 1  Institut und Poliklinik für Medizinische Psychologie, Universitätsklinikum HamburgEppendorf 2  Institut für Sozialmedizin und Gesundheitsökonomie, Otto von Guericke Universität 3  Institut für Psychosoziale Medizin und Psychotherapie, Universitätsklinikum Jena

Korrespondenzadresse Dr. phil. Dipl.-Psych Silke Pawils Institut für Medizinische Psychologie Universitätsklinikum Hamburg-Eppendorf Martinistraße 52, 20246 Hamburg [email protected]

Bibliografie DOI  http://dx.doi.org/ 10.1055/s-0033-1354400 Online-Publikation: 29.11.2013 Gesundheitswesen 2015; 77 (Supp. 1): S49–S53 © Georg Thieme Verlag KG Stuttgart · New York ISSN 0949-7013

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Autoren S. Pawils1, B.-P. Robra2, U. Berger3

Pawils S et al. Kinder und Jugendliche…  Gesundheitswesen 2015; 77 (Suppl. 1): S49–S53

[Children and Adolescents--Preventive Activities are Effective].

Health-related attitudes and behaviour are working already in the first years of life. Approaches of prevention for children and adolescents exist fro...
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