18 K/in. Mbl. Augenheilk. 197 (1990)
VEP-Latenzveränderungen nach abgelaufener Retrobulbärneuritis H. Gruber
Palienten und Methoden Zusammenfassung
Nach abgelaufener unilateraler Retrobulbarneuritis bleibt die VEP-Latenzzeit kein stabiler Parameter: Bei 7 von 9 Patienten wurden nach einem Intervall von 15—35 Monaten signifikante Veranderungen der Latenzzeit gemessen: In 6 der 9 Fälle wurde eine Verkurzung der Latenzzeit festgestellt — davon in 2 Fällen eine vollige Normalisierung. Bei einem Patienten wurde eine weitere Verlangerung der Latenzzeit gegenuber der Erstuntersuchung gemessen. Die Ergebnisse zeigen unter anderem, dalI em normaler VEP-Befund nicht den sicheren AusschluB einer abgelaufenen Retrobulbärneuritis erlaubt.
Changes in VEP Latency After Retrobulbar Neuritis After unilateral retrobulbar neuritis, VEP latency time does not remain stable: in 7 out of 9 patients, significant changes in latency time were recorded after intervals of 15 to 35 months. In 6 of the 9 cases a reduction in latency time was observed, in 2 of them complete normalization. In one patient it increased further as compared to the initial examination. One conclusion from these findings is that optic neuritis in remission cannot be ruled out by normal VEPs.
Angeregt durch einige jetzt normale VEP-Befunde bei Patienten mit typischer Anamnese einer vor langerem abgelaufenen Neuritis optica und mit seinerzeit an anderen Instituten erhobenen pathologischen Latenzwerten, fUhrten wir folgende Studie durch: 9 Patienten, die wegen einer unilateralen Neuritis retrobulbaris an der Klinik behandelt worden waren, wurden nach 13—35 Monaten einberufen und erneut untersucht, wobei vor allern die VEP-Latenzzeiten mit den Ergebnissen der Erstuntersuchung verglichen wurden.
Auswahlkriterien: Alter: 24—39 Jahre. Zum Zeitpunkt der Erstuntersuchung: Unilaterale Visusreduktion mit typischen computerperimetrischen Defekten (Gruber, 1987), kein Hinweis auf ischärnische Opticusneuropathie oder Opticuskompression. Besserung der Sehscharfe innerhaib von Tagen bis 2 Wochen auf wenigstens 0,6; VEP-Erstuntersuchung zu diesem Zeitpunkt, urn vergleichbare Amplituden und Potentialkonfigu-
rationen zu erhalten. Latenzverlngerung unilateral auf > 120 msec bzw. urn mehr als 20% im Vergleich zum Partnerauge bei der Erstuntersuchung. VEP-Registrierung: 1 -Kanalableitung, Mel)elektrode 3 cm oberhalb des Inions; Erdungselektrode: Stirnmitte; Referenzelektrode in der Mitte zwischen Mel3elektrode und Erdungselektrode (bipolare Ableitung). Konsekutive getrennte Sti-
mulation beider Augen: Monitor (Grundig) in 1 rn Abstand
= 300 x 24°; Schachbrettrnuster: Einzelfeld = 0,45 ox 0,30°; ma-
einstellbarer Fixationspunkt. ximal
Kontrast;
zentraler,
0,5 °
groller
Averaging (Nicolette Compact Four) aus jeweils 100 reversals, Umkehrfrequenz 3,3/sec; Analysezeit: 200 msec.
Einleitung Eine grob verlangerte Latenzzeit für P2 bei der VEP-Registrierung gilt als verlalllicher Hinweis auf ei-
Ergebnisse Bei der Kontrolluntersuchung — Visus in a!len Fallen 0,8 oder besser — wurde eine signifikante Latenz-
ne mit Demyelinisierung einhergehende Opticusneuro- verkurzung gegenuber dem Erstbefund am ursprünglich pathie. erkrankten Auge bei 6 der 9 Patienten festgestellt. Bei 2 der 6 Patienten kam es zu einer volligen Normalisierung der Nach JOrg u. Hielscher (1984) sowie Vogel Latenz. (1981) ist in der Remissionsphase eine vollige Normalisierung der VEP nur in 3—5% der Falle zu erwarten. Diener Eine Latenzverlangerung fand sich bei ei(1982) fand bei 2% der Patienten in der Remissionsphase nem Patienten, keine Anderung bei zwei Patienten (Tolepathologische Latenzdifferenzen zwischen rechts und links ranz: 4 msec). ohne absolute P2-Latenzverzogerung.
Das Ausmal3 der Latenzverkurzung gegen-
Ober der Erstuntersuchung (Tab. 1) betrug in 2 Fallen 5—10%, in 2 weiteren Fallen 10—20% bei 2 Patienten
20%. (Am Partnerauge wurde bei jenen 2 Patienten eine Kim. Mb!. Augenheilk. 197 (1990) 18—19
1990 F. Enke Verlag Stuttgart
signifikante Latenzverkurzung gemessen, die bei der
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2. Univ.-Augenklinik Wien (Vorstand: Prof. Dr. H. Slezak)
Kim. Mb!. A ugenheilk. 197 (1990) 19
VEP-Latenzveranderungen nach abgelaufener Retrobulbarneuritis
Abb. 2 Normale
Abb. 1 Hochgradige unilaterale La-
20
100 msec
Tab. 1 VEP: (P21-Latenz in msec bei Stimulation des erkrankten Auges/Partnerauges; Erstuntersuchung bei unilateraler Re trobulbärneuritis, Kontrolluntersuchung in der Remissionsphase nach 13—27 Monaten. Geschlecht, Genurtsjahr
Latenz (P21 re/li
Latenz (P21 re/li
Erstuntersuchung
Kontrolluntersuchung
Intervall Mon.
W, 1948 W, 1964
114/ 94
102/ 96
27
128/118
119/103
M, 1955
152/125
120/ 95
W, 1967 W, 1950
120/ 96
133/ 98
15 35 13
139/111
108/108
26
M, 1951
W, 1956
126/106 132/100
125/106 122/115
18 18
W, 1956 W, 1962
155/107 125/103
158/117 107/107
24
15
100 msec
Diskussion Die Ergebnisse beweisen, daB die Latenzzeit kein stabiler Parameter nach Ablauf einer Retrobulbarneuritis bleibt. Die haufige Latenzverkurzung durfte Ausdruck einer Remyelinisierung sein.
Eine vollige Normalisierung des VEP-Befundes konnte immerhin bei 2 der 6 Fallen mit Latenzverkurzung registriert werden. Im Einzelfall kann somit trotz normaler VEPs eine vor langerem abgeiaufene Retrobulbärneuritis nicht ausgeschiossen werden. Ob die beschriebenen Langzeitveränderungen der VEP-Latenz (P2) hinsichtlich des Verlaufs einer Enzephalitis disseminata von prognostischer Bedeutung sind, läBt sich derzeit nicht sagen. Zu erwähnen ist aber, daB 2 der 3 Patienten ohne Latenzverkurzung uber passagere neurologische Symptome nach der abgelaufenen Opticusneuritis klagten.
Literatur Erstuntersuchung trotz normaler unilaterale Sehschärfe eine beidseits pathologische Latenz aufgewiesen hatten. Bei weiteren 2 Patienten kam es zu einer Latenzverlangerung Diener, H. C.: VisueH evozierte Potentiale (VEP). In: StOhr, M., Dich3., Diener, H. C., Buettner, U. W. (eds): Evozierte Potentiale, S. am ursprunglich unauffalligen Partnerauge — ohne subjek- gans, 233—323. Springer, Berlin-Heidelberg-New York 1982 tive Sehstorung — um 9o bzw. 15Po). Gruber, H.: Computerperimetrische Differenzierung und Typisierung der Neuritis optica. Spektrum Augenhlk. 1(1987) 195—196
Jorg, J., H. Hie/scher: Evozierte Potentiale in Klinik und Praxis, S. 43. Springer, Berlin-Heidelberg-New York-Tokio 1984 Vogel, P.: Die Bedeutung evozierter Potentiale für die neurologische Diagnostik. Nervenarzt 52 (1981) 565—573
Manuskript erstmals eingereicht 19. 7. 1989, zur Publikation in vorliegender Form angenommen 31. 7. 1989.
Dec. Dr. H. Gruber 2. Univ.-Augenklinik Alserstrasse 4 1090 Wien
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Latenz 26 Monate später
tenzverlängerung bei Retrobulbärneuritis