Leitthema Urologe 2014 · 53:1146–1149 DOI 10.1007/s00120-014-3599-9 Online publiziert: 7. August 2014 © Springer-Verlag Berlin Heidelberg 2014

R. Berges1 · A. Schroeder2 1 Urologische Abteilung, PAN-Klinik, Köln 2 Urologische Praxis Neumünster, Neumünster

Zertifizierungssysteme in der urologischen Versorgung Eine berufspolitische Bewertung

Seit beinahe 10 Jahren gibt es in der Urologie funktionsbezogene (z. B. Kontinenz) und organbezogene (Prostata) Zertifizierungssysteme. Ziel dieser Zertifikate ist die Optimierung der Patientenversorgung über die Definition von Mindeststandards und die Intensivierung der interdisziplinären Kooperation. Ob dieses Ziel erreicht wurde, kann bisher von keinem der Zertifikatgeber nachgewiesen werden. Weder die Anzahl der in Zentren behandelten Patienten, noch die Anzahl der zertifizierten Zentren ermöglicht darüber eine Aussage. Ein Beweis über den Nutzen hinsichtlich des Behandlungsoutcome dürfte ohnehin schwierig werden, denn die direkte Vergleichsgruppe (Behandlungsdaten aus den vielen nicht zertifizierten Einrichtungen) würde fehlen. Dennoch hält auch der Berufsverband die in den Zertifikaten abgebildeten Qualitätsinitiativen prinzipiell für einen richtigen Ansatz, wenn auch mit Potential zur Verbesserung. Dass die Urologie mit diesen Systemen richtig liegt, zeigt die parallel entstandene Gesetzgebung des Gemeinsamen Bundesausschusses (G-BA) der letzten Jahre, deren Richtlinien bindend sind für Klinik und Praxen. Aus der Liste der GBA-Richtlinien (s. unten) für die Urolo-

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gie mit direkter Relevanz lassen sich inhaltliche Qualitätssicherungsmaßnamen entnehmen, die den bisher existierenden Zertifikaten in der Struktur sehr ähnlich sind: Man schreibt Mindestmengen fest und setzt fachliche und bauliche Mindeststandards, immer das Ziel vor Augen, die Qualität der Versorgung zu verbessern. So wird es zumindest kommuniziert. Die berufspolitische Brisanz erkennt, wer an solchen Richtlinien mitgearbeitet hat. Man lernt schnell, dass andere Interessen als alleine die Qualität über solche Richtlinien in die Versorgung einfließen. Über die intentions-, nicht aber evidenzgesteuerte Modulation solcher Qualitätsstandards, z. B. der Mindestmengen, gelingt es z. B. schnell, neue Therapieverfahren aus dem Markt zu halten (ein aktuelles Beispiele hierzu findet sich in den Richtlinien zur Holmium- oder Thullium-Laserablation oder zu den Richtlinien zur LDR-Brachytherapie). Auszug aus G-BA-Richtlinien mit Implikationen in der Urologie (Quelle: http://www.G-BA.de): F  Qualitätsmanagementrichtlinie Krankenhäuser – KQM-RL, F  Qualitätsmanagementrichtlinie vertragsärztliche Versorgung, F  Qualitätsprüfungsrichtlinie vertragsärztliche Versorgung, F  Regelungen zum Qualitätsbericht der Krankenhäuser,

F  Regelungen zur Fortbildung im Krankenhaus, F  Richtlinie über Maßnahmen der Qualitätssicherung in Krankenhäusern – QSKH-RL, F  Richtlinie zur einrichtungs- und sektorenübergreifenden Qualitätssicherung. Qualitätssicherungsmaßnahmen bei nichtmedikamentösen lokalen Verfahren zur Behandlung des benignen Prostatasyndroms: F  Qualitätssicherungsmaßnahmen bei der Enukleation der Prostata mittels Holmium-Laser (HoLEP) zur Behandlung des benignen Prostatasyndroms (BPS), F  Qualitätssicherungsmaßnahmen bei der Enukleation der Prostata mittels Thulium-Laser (ThuLEP) zur Behandlung des benignen Prostatasyndroms (BPS), F  Qualitätssicherungsmaßnahmen bei interstitieller Low-dose-rate-Brachytherapie zur Behandlung des lokal begrenzten Prostatakarzinoms. Mit Argwohn betrachten viele Kollegen zudem die um solche Initiativen herum gewachsene Qualitätsindustrie. Zu nennen sind die Anbieter von Qualitätsmanagementsystemen (z. B. ISO-9001, KTQ, QWEB) und ihre „Beratungs-“ und „Au-

Zusammenfassung · Abstract ditierungsmachinerie“. Darauf aufgesetzt sollen Zertifikatgeber bedient werden, die zu erheblichen Zusatzkosten in der Versorgung führen. Wir leben also in einer Welt der Qualitätsinitiativen, deren intrinsische Qualität selber Partikularinteressen unterliegt. Ein Ausweg wäre, diese Qualitätsinitiativen aus der eigenen Mitte zu steuern. Unter diesen Aspekten sollten auch die bestehenden Zertifikate in der Urologie betrachtet werden. Klarer Markführer ist auf diesem Gebiet OnkoZert, welches sich als Unternehmen in einer aktuellen Stellenausschreibung (http://www.onkozert.de) wie folgt darstellt: OnkoZert ist das unabhängige Zertifizierungsinstitut der Deutschen Krebsgesellschaft (DKG)…Hauptaufgabe von OnkoZert ist die Betreuung des Zertifizierungssystems für onkologische Zentren sowie für Organkrebszentren …, dem sich über 400 Kliniken im In- und Ausland angeschlossen haben.… Aufgrund der engen Verzahnung mit der DKG, steht OnkoZert zu den wichtigsten medizinischen Fachgesellschaften sowie gesundheitspolitischen Institutionen in ständigem Kontakt. Gewachsen ist OnkoZert in der Tat schnell, denn OnkoZert lässt Kliniken, die ein ebenfalls DKG-eigenes Siegel wie „Cancer Center“ oder „Comprehensive Cancer Center“ tragen wollen, keine Wahl: Die drei dafür erforderlichen Organzertifikate müssen von OnkoZert stammen, andere Zertifikate [z. B. das des DVPZ e. V. (Dachverband der Prostatazentren Deutschland e. V.)] werden nicht anerkannt (obwohl sie im Prostatakarzinombereich nahezu inhaltsgleich sind). Das gesundheitspolitische Konstrukt dahinter heißt „nationaler Krebsplan“ und macht OnkoZert quasi zum Monopolisten. Der Berufsverband hat dies wiederholt angemahnt, ist aber nicht durchgedrungen. Im OnkoZert-Zertifikat wurden Mindestmengen und andere „Richtlinien“ durch die Abstimmungsmehrheit fachfremder Kollegen erwirkt – ein Umstand, den der Berufsverband als wenigstens qualitätsmindernd einstuft – und (leider erfolglos) ebenfalls wiederholt angemahnt hat. Aus berufspolitischer Sicht erscheint somit die Steuerungsmöglichkeit eines solchen Zertifikats eher gering. Der direkte Einfluss auf Inhalte in einem

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Urologe 2014 · 53:1146–1149  DOI 10.1007/s00120-014-3599-9 © Springer-Verlag Berlin Heidelberg 2014 R. Berges · A. Schroeder

Zertifizierungssysteme in der urologischen Versorgung. Eine berufspolitische Bewertung Zusammenfassung Seit längerem gibt es in der Urologie funktions- und organbezogene Zertifizierungssysteme. Ziel dieser Zertifikate ist die Optimierung der Patientenversorgung über die Definition von Mindeststandards und die Intensivierung der interdisziplinären Kooperation. Ob solche Zertifikate zu einer besseren Patientenversorgung geführt haben, blieb bisher unbewiesen. Die in diesen Zertifikaten bestehende Pflicht zur Verlaufsdokumentation wurde inzwischen durch den Gesetzgeber aufgegriffen und wird über die in Zukunft entstehenden klinischen Krebsregister ab-

gebildet werden. Mit diesen Registern kann dann die Qualität der onkologischen Versorgung zwischen den einzelnen Einrichtungen verglichen werden. Eine Abbildung der Versorgungsdaten außerhalb der Onkologie wurde bisher vernachlässigt. Die Urologie täte gut daran, auch für diese Patienten die Versorgungsqualität abzubilden. Schlüsselwörter Patientenversorgung · Mindeststandard ·   Interdisziplinäre Kooperation · Krebsregister, klinisches · Behandlungsoutcome

Certification system in urological healthcare. A professional political evaluation Abstract There have been function and organ-related certification systems in urology for a long time. The aim of such certificates is the optimization of patient care above the defined minimum standards and intensification of interdisciplinary cooperation. Whether such certificates have led to better patient care has not been proven. The obligatory documentation in epidemiological cancer registries, which has been taken up by legislature, will in future lead to so-called clinical cancer registries in which the complete course of treat-

solchen Zertifikat lässt sich somit wohl allein über die Gewichtung der urologischen Tumorentitäten erzielen, die aber (auch) prozedurenabhängig sind. Schnell könnte die Gewichtung sich innerhalb der DKG verschieben, wenn die Zahl der radikalen Prostatektomien weiter sinkt. > Als Problem der Zertifikate

wird ein überbordender   Dokumentations- und   Verwaltungsaufwand empfunden. Vorgeschrieben sind die Dokumentation der Primärfälle (PCA bei der DKG, zusätzlich operative BPS-Fälle und Prostatitisfälle beim DVPZ) und deren Verläufe. Die DKG schreibt bei Rezeritifizierung eine nahezu lückenlose Dokumentation vor, der DVPZ ist hier weniger strin-

ment must be entered. With these registries the quality of oncological healthcare can be compared between individual institutions. Until now, quality of care data outside oncology are lacking. Urology would also benefit from a registry with quality of care data for these patients. Keywords Patient care · Minimum standard ·   Interdisciplinary cooperation · Cancer   register, clinical · Treatment outcome

gent, den Zentren wird dies aber nahe gelegt, was ein Potential zum Bias beinhaltet. Dokumentation der Versorgungsdaten ist ein Schlüsselfaktor innerhalb der Zertifikate aber auch von übergeordneter Wichtigkeit für die Urologie, wenn in Zukunft Forderungen für die Versorgung unserer Patienten geltend gemacht werden sollen. Deshalb ist ein Ansatz der Fachgesellschaft richtig, Dokumentationsplattformen zu definieren, in denen alle ihre Versorgungsdaten eingeben können. Dies ist aus berufspolitischer Sicht zu unterstützen und wir sollten uns auch außerhalb der Onkologie dringend darum bemühen. Dies geschieht bisher nur beim DVPZ und dort nur für ein Organ. Es fehlt die Abbildung der gesamten Bandbreite der Urologie, ein Umstand der sich einmal nachteilig auswirken könnte.

Die Pflicht zur Dokumentation in den epidemiologischen Krebsregistern zeigt, wo die Reise hin gehen wird. Aus diesen Registern werden in Zukunft sog. „klinische Krebsregister“ entstehen, in die ganze Behandlungsverläufe eingegeben werden müssen. Mit diesen Registern kann dann die Qualität der Versorgung zwischen den einzelnen Einrichtungen verglichen werden, ein Umstand, der bei einigen Unbehagen erzeugen könnte. Zertifikatgeber in der Onkologie könnten dann im Übrigen langsam an Bedeutung verlieren, die Krebsregister erheblich gewinnen. Die Berufspolitik muss dies mit Ernst begleiten und dafür Sorge tragen, dass die Primärdaten im „eigenen Haus“ anfallen, hier einer Bewertung unterliegen werden und erst dann an Dritte weitergegeben werden.

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Ein weiterer Aspekt der Qualitätsverbesserung ist die engere Verzahnung von ambulanter und stationärer Versorgung

Neben der Dokumentation und der interdisziplinären Versorgung, und da wären wir wieder beim Thema der Zertifikate, steht ein weiter Aspekt der Qualitätsverbesserung ganz aktuell zur Debatte, nämlich die engere Verzahnung von ambulanter und stationärer Versorgung. Die anstehende Einführung der „ambulanten spezialfachärztlichen Versorgung – ASV“ zwingt die beiden Sektoren in der Krankenversorgung zur engeren Zusammenarbeit als bisher über die Bildung von Kernteams. Diese Zusammenarbeit wurde beim DVPZ seit jeher im Zertifikat implementiert, hier stehen zumindest die Kernteams bereits, zumindest formal. Hinsichtlich der ASV können DVPZZentren somit als Blaupause in der Urologie gelten. Über Kosten und Bürokratie haben andere in diesem Heft berichtet, manche Kliniken möchten nun die Reißleine ziehen und ihr Zertifikat abgeben oder wechseln, auch wegen der Beobachtung, dass nicht zertifizierte Einrichtungen kaum erkennbare Nachteile erleben.

Ein Ausweg aus der Problematik könnte eine Vereinheitlichung und v. a. eine Vereinfachung der Zertifikate mit Beschränkung auf das Wesentliche sein. Dies sind sicher v. a. Versorgungsfragen, für die man aber kaum einen überbürokratisierten Zertifizierungsapparat benötigt. Ein einfaches Qualitätsmanagementsystem, zugeschnitten auf die Erfordernisse einer Einrichtung zur Sicherstellung geordneter Abläufe, in Kombination mit dem Nachweis (der Dokumentation) patientenorientierter Qualitätsparameter, die von der Fachgesellschaft festgelegt werden und die wichtigsten urologischen Krankheitsbilder abbilden, das wäre ein Weg, den der Berufsverband für zielführend hält. Volkmer et al. haben in der AKVersorgungsforschung solche Modelle entwickelt. Aus Sicht des Berufsverbands haben sie die volle Unterstützung verdient. Auch ein DGU-Vorstand sollte solche Initiativen nicht aus Angst vor noch mehr Zertifikaten hinten anstellen. Sie könnten ein Schlüssel zum Erfolg der Urologie schlecht hin werden, wenn man sie richtig einsetzt!

Einhaltung ethischer Richtlinien Interessenkonflikt.  R. Berges und A. Schroeder geben an, dass kein Interessenkonflikt besteht. Dieser Beitrag beinhaltet keine Studien an Menschen oder Tieren.

Fazit für die Praxis F  Bisher haben Zertifizierungssysteme in der Urologie nicht bewiesen, ob sie zu einer besseren Patientenversorgung führen. Ohne diesen Beweis wird es in Zukunft schwer fallen, den resultierenden bürokratischen Mehraufwand zu rechtfertigen F  Die Urologie hätte in diesem Szenario die Chance die bestehenden Systeme zu modifizieren und in einem urologischen Gesamtkonzept zu integrieren, in dem mit erheblich geringerem Aufwand Qualitätssicherung und Versorgungsabbildung erfolgen könnten.

Korrespondenzadresse Dr. R. Berges Urologische Abteilung, PAN-Klinik, Zeppelinstraße 1, 50667 Köln [email protected]

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