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Zerebrale Ischämien bei jungen Erwachsenen P. Berlit, B. Endemann, P. Vetter

Cerebral Iscbemia in Young Adults

An overview is given over etiology and prognosis of cerebral ischemias until the age of 40. In a time period of 19 years, 168 patients were diagnosed with cerebral ischemia until the age of 40 (91 females, 77 males). The most frequent etiology is premature atherosclerosis in patients with vascular risk factors (up to 50%). Cardiogenic embolism is responsible for I to 34 % of the cases: cardiac valve diseases and endocarditis being the most frequent sources. In 2 to 19% a vasculitis is diagnosed. While infectious arteritis is especially frequent in countries of the third world, immunovasculitides are common in Europe and the USA. Noninflammatory vasculopathies include spontaneous or traumatic dissection, fibromuscular dysplasia and vascular malformations. A migrainous stroke is especially frequent in female smokers with intake of oral contraceptives. During pregnancy both sinusthrombosis and arterial ischemia occur. Hematologic causes for ischemia are polycythemia, thrombocytosis and genetic diseases (sickle cell anemia, AT3-deficiency). Cerebral ischemia may occur in connection with the ingestion of ergot-derivates. The prognosis of cerebral ischemia in young adults is better than in older stroke-patients.

3% aller Hirninfarkte treten vor dem 40. Lebensjahr auf (Hart und Miller 1983). Die Inzidenz zerebraler Ischämien wird bis zum 45. Lebensjahr mit 14,4 pro 100.000 für Männer und 15,5 pro 100.000 für Frauen angegeben (Lidegaard et al. 1986). Einerseits haben flüchtige neurologische Symptome im jungen Erwachsenenalter eine günstige Langzeitprognose (Levy 1988), andererseits sind besonders in der Altersgruppe bis zum 45. Lebensjahr ernste Systemerkranlrungen und Herzerkrankungen häufiger Ursache einer neurologischen Symptomatik als jenseits des 50. Lebensjahres. Es gibt keine allgemein gültigen Richtlinien, in welchem Umfangjunge Erwachsene mit einer zerebralen ischämischen Symptomatik diagnostisch abgeklärt werden müssen - im Einzelfall ist es schwer, die Prognose einer flüchtigen neurologischen Symptomatik (transitorisch-ischämische Attacke, TIA) abzuschätzen.

Fortschr. Neurol. Psychiat. 59(1991) 322- 327 Cl GeorgThieme Verlag Stuttgart'New York

Zusammenfassung

Es wird eine Übersicht über die Diagnostik und die Prognose zerebraler Ischämien bei Patienten bis zum 40. Lebensjahr gegeben. In einem Zeitraum von 19 Jahren wurden im eigenen Krankenkollektiv 168 Patienten mit einer zerebralen Ischämie vor dem 40. Lebensjahr diagnostiziert. Ätiologisch spielen die risikofaktorassozüerten Ischämien die zahlenmäßig größte Rolle (bis zu 50%). Kardiogene Himembolien sind für I bis 34 % der Ischämien verantwortlich, wobei Herzklappenerkrankungen und Endokarditiden die wichtigsten Emboliequellen sind. In bis zu 19 % wird eine Vaskulitis diagnostiziert, wobei erregerbedingte ArtefÜtiden in der dritten Welt und Immunvaskulitiden in Europll und den USA die größere Rolle spielen. Zu den nicht entzündlichen Vaskulopathien zählen spontane oder traumatische Gefäßdissektionen, fibromuskuläre Dysplasie und Gefäßmalformationen. Eine zerebrale Ischämie in Verbindung mit einem Migräneanfall tritt gehäuft bei Raucherinnen auf, die Ovulationshemmer einnehmen. Während einer Gravidität bzw. in Verbindung mit der Einnahme von oralen Kontrazeptiva sind nicht nur Sinusthrombosen, sondem auch arterielle Durchblutungsstörungen häufiger. Hämatologische Ursachen sind Polyzythämie, Thrombozytosen und genetisch determinierte Erkrankungen (Sichelzellanämie, AT3Mangel). Die Einnahme von Ergotderivaten kann eine mögliche pathogenetische Rolle spielen. Die Prognose der zerebralen Ischämie ist bis zum 40. Lebensjahr besser als bei älteren Himinfarktpatienten.

Die Aussagen zur erforderlichen Diagnostik bei zerebralen Ischämien im jungen Erwachsenenalter und zu deren Verlauf im Schrifttum sind variabel - in erster Linie stützen sie sich auf retrospektive Studien mit oder ohne katamnestische Nacherhebung an größeren Kollektiven (vergleiche Tab. I und 2). Die Ergebnisse dieser Untersuchungen sollen im folgenden mit eigenen Beobachtungen verglichen werden. Gemäß der zugrunde liegenden Ätiologie erfolgt bei den meisten Studien eine Zuordnung der Kranken zu 9 Untergruppen: - eine risikofaktorassozüerte zerebrale Ischämie wird diagnostiziert, wenn ein oder mehrere Gefaßrisikofaktoren (Hypertonus, Diabetes mellitus, Zigarettenrauchen, Hyperlipidämie) und/oder charakteristische arteriosklerotische Veränderungen in der Angiographie nachweisbar sind; - eine kardiale Embolie wird bei nachgewiesener kardialer Emboliequelle und embolietypischem Territorialinfarkt in

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Neurologische Klinik im Klinikum Mannheim der Universität Heidelberg

Zerehrale Ischämien heijungen Erwachsenen

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Patientenzahl und Sludiendauer verschiedener Untersuchungen zur jugendlichen zerebralen Ischämie

Patientenzahl

Allersgruppe

Sludiendauer

Autor(en), Jahr

Herkunftsland

386 233 184 183 168 144 64 61 60 58 18

15-50 15-50 10-49 0-40 14-40 15-45 16-40 16-49 0-45 15-40 15-44

5 Jahre 14 Jahre 19 Jahre 7 Jahre 19 Jahre 8 Jahre 9 Monate 11 Jahre 6 Jahre 5 Jahre 5 Jahre 3 Jahre

Alvarez et al. 1989 Ferro & Crespo 1988 Marshall 1982 Chopra & Prabhakar 1979 diese Studie 1991 Adams et al. 1986 Hindfelt & Nilsson 1977 Snyder & Ramirez-Lassepas 1980 Hilton-Jones & Warlow 1985 Grindal el al. 1978 Nencini et al. 1988

Spanien Portugal Großbritannien Indien

der zerebralen Computertomographie (CCT) bzw. emboIietypischem Befund in der Angiographie angenommen; eine Vaskulitis wird diagnostiziert. wenn eine entsprechende Systemerkrankung vorliegt bzw. die Angiographie einen vaskulitistypischen Befund ergibt; eine zerebrale Ischämie im Rahmen einer Migräne besteht, wenn andere Ursachen ausgeschlossen worden sind und die klinische Symptomatik in Verbindung mit einer typischen Migräneattacke auftrat; - zu den nicht entzündlichen Vaskulopathien werden die spontane und traumatische Gefäßdissektion, die fibromuskuläre Dysplasie, andere Gefäßmalformationen und Gefaßkompressionen von außen gerechnet; unter hämatologischen Ursachen werden Störungen der Blutzusammensetzung (Polyzythämie) und des Gerinnungssystems (Antithrombin3-Mangel) zusammengefaßt; zerebrale Ischämien während der Schwangerschaft und im Wochenbett (einschließlich der Sinusthrombosen) sowie in Verbindung mit der Einnahme von Ovulationshemmern werden in der Regel gesondert erfaßt; - weitere seltene Ursachen werden unter der Rubrik ..Andere" erfaßt; Patienten, bei denen keine Zuordnung in einer der vorgenannten Gruppen gelingt, werden in der Rubrik ..unbekannt" eingeordnet. Im Zeitraum von 1970 bis 19S5 wurden in der Neurologischen Klinik Mannheim 168 Kranke behandelt, bei denen eine zerebrale Ischämie bis zum 40. Lebensjahr aufgetreten war. Dies entspricht 12,2'% aller in diesem Zeitraum behandelten Patienten. Bei den Kranken handelt es sich um 91 Frauen und 77 Männer. Der jüngste Patient war 14 Jahre, der älteste 40 Jahre alt; nahezu die Hälfte aller Kranken (n = S6) entfiel auf die Altersgruppe vom 31. -40. Lebensjahr. 51'% der Patienten waren zum Zeitpunkt des Auftretens der zerebralen Ischämie älter als 30 Jahre, lediglich 6,5'% waren jünger als 20 Jahre. Von den 168 Kranken erlitten 117 (69,6 '%) einen Hirninfarkt, wobei es sich in 76 Fällen um einen supratentoriellen und in 31 Fällen um einen infratentoriellen Infarkt handelte. Reversible zerebrale Ischämien bestanden bei 40 Kranken (23,S '%); eine Sinusthrombose lag in II Fällen (6,5 'X») vor. Wie die Studien von All'ilre:: et al. (1989) sowie Ferro und Cre.lpo (1988) zeigen, werden auch in wesentlich kürzeren Zeiträumen erheblich mehr Patienten mit zerebraler

BRD USA Schweden USA Großbritannien USA Italien

Ischämie gesehen, wenn die Altersgrenze bei 50 Jahren angesetzt wird. Dies liegt in erster Linie daran, daß in der Altersgruppe vom 41. bis 50. Lebensjahr die risikofaktorassoziierten zerebralen Ischämien aufgrund einer Arteriosklerose sprunghaft zunehmen. Wird eine obere Altersbegrenzung von 40 Jahren zugrunde gelegt, so sind unsere Zahlen in etwa amerikanischen (Grindal et al. 1978) und anderen europäischen Studien (Hindfelt und Nilsson 1977) vergleichbar, während aus Indien (Chopra und Prahhakar 1979) wesentlich höhere Zahlen mitgeteilt werden (Tab. I). Dies könnte damit zusammenhängen, daß in Asien infektiöse Ursachen einer vorübergehenden oder persistierenden neurologischen Symptomatik wesentlich häufiger sind. In unserem Patientenkollektiv bestand am häufigsten eine risikofaktorassoziierte zerebrale Ischämie mit 55 Fällen (32,7%); lediglich bei IS Patienten lag jeweils nur ein Risikofaktor vor (Nikotinabusus n = 14, Hypertonus n = 3, Diabetes mellitus n = I). Im Gesamtkollektiv wurde ein Nikotinabusus in 77 Fällen angegeben, ein Hypertonus lag bei 29 Kranken vor, eine Hyperlipidämie in 15 Fällen, wobei die Fettstoffwechselstörung ausschließlich in Kombination mit anderen Ursachen auftrat. Ein Diabetes mellitus bestand zum Zeitpunkt der zerebralen Ischämie bei 9 Patienten; dabei handelte es sich in 3 Fällen um einen Diabetes Typ I, in 6 Fällen um einen Diabetes Typ 11. 15 Kranke wiesen eine positive Familienanamnese hinsichtlich kardiovaskulärer Erkrankungen auf. Bei Betrachtung der ätiologischen Zuordnung junger Erwachsener mit zerebralen Ischämien in den verschiedenen europäischen und amerikanischen Studien (Tab. 2) zeigt sich, daß in der Mehrzahl aller Untersuchungen die risikofaktorassoziierte Hirndurchblutungsstörung mit oder ohne Nachweis einer vorzeitigen Arteriosklerose die größte Rolle spielt. Der Prozentsatz ist um so größer, je höher die obere AItersbegrenzung des untersuchten Kollektivs gewählt wird. Werden lediglich junge Erwachsene bis zum 40. Lebensjahr berücksichtigt, liegt die Häufigkeit risikofaktorassoziierter zerebraler Ischämie zwischen 25 % und 50'% - in der vorliegenden Studie betrug sie 32,7%. Die wichtigsten Gef

[Cerebral ischemia in young adults].

An overview is given over etiology and prognosis of cerebral ischemias until the age of 40. In a time period of 19 years, 168 patients were diagnosed ...
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