Originalarbeit

85

Ursachen und Prädiktoren eines Duchenne-Hinkens bei Jugendlichen und jungen Erwachsenen mit Zerebralparese Causes and Calculated Predictors of a Duchenne Gait in Adolescents and Young Adults with Cerebral Palsy Autoren

E. Klum 1, 2, H. Streicher 2, H. Böhm 1, P. Wagner 2, L. Döderlein 1

Institute

1

Schlüsselwörter " Duchenne‑Hinken l " Zerebralparese l " Gangstörung l Key words " Duchenne gait l " cerebral palsy l " gait disorder l

Bibliografie DOI http://dx.doi.org/ 10.1055/s-0034-1396186 Z Orthop Unfall 2015; 153: 85–92 © Georg Thieme Verlag KG Stuttgart · New York · ISSN 1864‑6697 Korrespondenzadresse Elisa Klum Ganglabor Behandlungszentrum Aschau GmbH Bernauer Straße 18 83229 Aschau i. Chiemgau Tel.: 0 80 52/1 71 20 16 [email protected]

Ganglabor, Behandlungszentrum Aschau GmbH Sportwissenschaftliche Fakultät, Universität Leipzig

Zusammenfassung

Abstract

!

!

Hintergrund: Patienten mit Zerebralparese (CP) leiden häufig unter dem auffälligen Gangbild des Duchenne-Hinkens, welches aufgrund einer vermehrten Wirbelsäulenbelastung und einem Verlust der Gangökonomie klinisch relevant ist. Worin die Ursachen dafür liegen, ist beim Krankheitsbild CP eher unklar. Zu vermuten ist, dass der massive Einbezug des Oberkörpers beim Gehen einer Generierung von Bodenfreiheit dient und so muskuläre Schwäche oder Gelenkkontrakturen in den unteren Extremitäten kompensiert. Ziel dieser Studie ist es, Ursachen und mögliche Prädiktoren eines Duchenne-Hinkens bei CP-Patienten zu untersuchen. Patienten, Materialien und Methoden: 50 CPPatienten im Alter zwischen 12 und 22 Jahren mit bilateraler spastischer Zerebralparese und einem GMFCS-Level II (GMFCS: Gross Motor Function Classification System) nahmen an dieser Studie teil. Während 25 Patienten bereits mit weichteiligen Operationen in Form von MuskelSehnen-Verlängerungen therapiert wurden (CP1), unterlagen weitere 25 Patienten bis dato keinen derartigen Voroperationen (CP-0). Die Daten von 20 gesunden Probanden dienten als Kontrollgruppe (TD). Der Gang wurde mittels instrumenteller Ganganalyse (Vicon, Oxford, UK) untersucht. Der Parameter „Ausmaß der Oberkörperseitneigung“ (TOR für „thorax obliquity range“) ermittelte das Ausmaß des Duchenne-Hinkens. Ergebnisse: Das Duchenne-Hinken zeigte sich mit einer Prävalenz von 72 % bei CP-0 und 66 % bei CP-1. TOR umfasste 5 ± 2°, 16 ± 8° und 16 ± 8° bei TD, CP-0 und CP-1. Sowohl CP-0 als auch CP-1 wiesen einen signifikanten Unterschied im TOR zu TD (jeweils p < 0,001) auf. Das Bewegungsausmaß (ROM) der passiven Hüftabduktion zeigte in beiden Gruppen keine signifikante Korrelation mit TOR, wohingegen die Kraft der Hüftabduktoren innerhalb von CP-0 signifikant mit TOR korre-

Background: Adolescents with cerebral palsy often complain about a Duchenne gait, which increases the load on the spine, the energy consumption and therefore decreases gait efficiency. However the underlying causes of a Duchenne gait in patients with CP are not clearly researched yet. Nevertheless there is an assumption that excessive trunk lean might assist foot clearance to compensate for muscle weakness or contractures of the legs. In particular weakness, secondary to surgical soft tissue muscle tendon lengthening in childhood, might predispose patients to greater compensatory movements of the trunk. Therefore the aim of this study was to estimate the prevalence, underlying causes and calculated predictors for a Duchenne gait on CP patients with and without previous muscle tendon lengthening. Patients, Materials and Methods: 50 CP patients between 12 and 22 years with diplegia and GMFCS II (GMFCS: Gross Motor Function Classification System) participated in this study. 25 patients had no previous surgeries (CP-0). 25 patients had previous calf, hamstrings and/or adductor muscle tendon lengthening surgeries (CP1). Data of 20 typically developed adolescents served as controls (TD). Gait was analysed using an instrumented gait analysis system (Vicon, Oxford, UK) The parameter “thorax obliquity range” (TOR) investigated the dimension of Duchenne gait. Results: CP-0 showed a prevalence of 72 %, CP-1 of 66 % for Duchenne gait. TOR was 5 ± 2°, 16 ± 8° and 16 ± 8°, for TD, CP-0 and CP-1, respectively. CP-0 and CP-1 showed significant differences in TOR between TD (both p < 0.001), but not between CP-0 and CP-1 (p = 1.0). Passive hip abduction range of motion (ROM) showed no significant correlation to TOR in both groups, whereas hip abduction muscle strength revealed significant correlation (rs = − 0.37) in CP-0. Best gait predictors in

Klum E et al. Ursachen und Prädiktoren …

Z Orthop Unfall 2015; 153: 85–92

Heruntergeladen von: University of British Columbia. Urheberrechtlich geschützt.

2

Originalarbeit

lierte (rs = − 0,37). Als beste Prädiktoren bei CP-0 zeigten sich eine erhöhte Generierungsarbeit der Hüfte während der Standphase (st) sowie eine erhöhte Dorsalflexion des Sprunggelenks im Schwung (sw), welche insgesamt 47 % der Varianz des TOR erklären. Bei CP-1 wurden eine erhöhte Generierungsarbeit der Hüfte (st) sowie eine verringerte Knieflexion (sw) und Generierungsarbeit des Sprunggelenks (st) als aussagekräftige Prädiktoren ermittelt. Zusammen erklären sie 31% der Varianz des TOR. Schlussfolgerung: Die Prävalenz von über 66 % zeigt auf, dass das Duchenne-Hinken eine ernst zu nehmende Gangstörung bei CPPatienten darstellt. Weder die Vermutung, dass Muskel-SehnenVerlängerungen noch dass eine Hüftadduktorenkontraktur ein vermehrtes Duchenne-Hinken verursachen, konnte belegt werden. Lediglich die Hüftabduktorenschwäche zeigte sich innerhalb der Gruppe CP-0 als Ursache. In beiden Gruppen wies der Prädiktor der Hüftgenerierungsarbeit den stärksten Vorhersagewert für ein Duchenne-Hinken auf. Bestimmte Hüftabduktoren (M. gluteus medius ventral; M. gluteus minimus; M. tensor fasciae latae) wirken in ihrer anatomischen Funktion zugleich als Hüftflexoren und ‑innenrotatoren. Dies führt zur Annahme, dass ein Duchenne-Hinken die Muskulatur der Hüftabduktoren während der Standphase entlastet und damit ihre zusätzliche Wirkung zur Innenrotation und Flexion der Hüfte reduziert, woraus eine höhere Kraft zum Vortrieb resultiert. Folglich steigt das Hüftextensionsmoment im Gelenk an, indem das Flexionsmoment reduziert wird. Einen ursächlichen Einfluss auf dieses Phänomen übt vermutlich die gestörte selektive Kontrolle bei CP-Patienten aus. Bei CP-Patienten werden damit die für das Krankheitsbild typischen negativen Effekte von Beckenvorkippung und Hüftinnenrotation beim Gehen vermindert.

CP-0 patients were increased hip generation work (stance = st) and ankle dorsi flexion (swing = sw), together explaining 47 % of the variance in TOR. In CP-1 best gait predictors were increased hip generation work (st) as well as reduced knee flexion (sw) and ankle generation work (st), explaining 31 % of the variance in TOR. Conclusion: With a prevalence of 66% or higher Duchenne gait is a serious gait pathology in CP. Neither the hypothesis that previous muscle tendon lengthening nor that hip adductor contractures increase Duchenne gait could be confirmed in this study. Weak hip abductor muscle strength only showed a small correlation in CP-0. Best predictor in both groups was hip generation work (st). Certain hip abductors (M. gluteus medius ventral; M. gluteus minimus; M. tensor fasciae latae) function also as hip flexors and internal rotators. This leads to the hypothesis that during stance the Duchenne gait unloads the hip abductor muscles and therefore decreases the effect of internal rotation and hip flexion which leads to improved dynamic power of the hip for propulsion. In consequence the resultant hip extension moment increases by reducing the hip flexion moment. Presumably this is due to the fact that patients with CP show a reduced selective muscle control. For CP patients the negative effects of the common pelvis drop and internal rotation of the hip during gait decrease.

Gegenwärtiger Wissensstand

nachgewiesen werden (vgl. [5]). Darüber hinaus untersuchte man die hüftentlastende Wirkung des Duchenne-Hinkens als konservative Therapiemethode bei Patienten mit Hüftschmerzen [4]. Es konnte konstatiert werden, dass das Erlernen des Gangbilds tatsächlich einen positiven Effekt auf das Schmerzverhalten bei Hüftdysplasiepatienten hat und zu einer Reduktion der Hüftbelastung von durchschnittlich 77 % führt (vgl. [4]). Studienergebnisse zur Beurteilung von Patienten mit Myelomeningozele zeigen [6], dass die Oberkörperbewegung mit dem Grad der Muskelschwäche, insbesondere in den Hüftabduktoren, zunimmt. Der kausale Zusammenhang zwischen einer Hüftabduktorenschwäche und dem Duchenne-Gang findet einen weit verbreitenden Anklang in der Literatur [7, 8]. Studienergebnisse zeigen [9], dass ein solcher Zusammenhang auch bei CP-Patienten zu verzeichnen ist. Einzuräumen ist jedoch, dass aufgrund einer eher schwächeren Korrelation auch andere Einflussfaktoren für die erhöhte Oberkörperseitneigung in Erwägung gezogen werden sollten. Betrachtet man die bisher durchgeführten Studien, so lassen sich folgende mögliche Ursachen für ein Duchenne-Hinken zusammenfassen: " muskuläre Schwäche oder Parese der Hüftabduktoren [5–8] " Kontraktur der Hüftadduktoren [8] " mangelnde Bodenfreiheit in der Schwungphase [8] " (Hüft-)Schmerzen oder spezielle Erkrankungen der Hüfte wie Morbus Perthes, Hüftdysplasie etc. [4, 5] " pathologische Befunde der Wirbelsäule wie Radikulärsyndrom, Skoliose etc. [10, 11] Über die genauen Ursachen des Duchenne-Hinkens bei CP besteht in der wissenschaftlichen Literatur jedoch noch lange kein

!

Die Zerebralparese (CP) ist mit einer weltweiten Prävalenz zwischen 1,5 und 2,5 Fällen pro 1000 Geburten eine der häufigsten neurologischen Erkrankungen bei Kindern und Jugendlichen [1, 2]. Einen essenziellen Anteil in der medizinischen Versorgung von CP-Patienten nimmt die Behandlung der motorischen Störungen ein, welche u. a. durch einen erhöhten Muskeltonus, eine Spastizität in den Muskeln sowie eine verminderte selektive Kontrolle und propriozeptiven Fähigkeit hervorgerufen werden. Dadurch entstehen veränderte Haltungs- und Bewegungsmuster, welche zu Einschränkungen der Gehfähigkeit führen (vgl. Newman 2006 [15]). Pathologische Bewegungsmuster sind nicht nur in den Extremitäten vorzufinden, sondern betreffen ebenfalls Oberkörper und Rumpf. Jugendliche und junge erwachsene Patienten mit CP empfinden dabei das Gangbild des Duchenne-Hinkens („… ist eine gegenüber der Norm verstärkte Verlagerung des Rumpfes zur Standbeinseite.“ [3] S. 9) als besonders störend, da sie sich im Gangmuster stark gegenüber gesunden Gleichaltrigen unterscheiden und der hinkende Gang besonders auffällig ist. Aus medizinischer Sicht ist es vor allem aufgrund einer vermehrten Wirbelsäulenbelastung, eines erhöhten Energieverbrauchs und dem damit verbundenen Verlust der Gangökonomie klinisch relevant. Untersuchungen über mögliche Ursachen des Duchenne-Hinkens wurden bereits bei unterschiedlichen Krankheitsbildern vorgenommen. So zeigt eine klinische Analyse [4], dass durch das Duchenne-Hinken das Moment der Hüftabduktoren reduziert wird und daher hüftentlastend wirkt. Beim alleinigen Trendelenburg-Gang konnte dieser biomechanische Vorgang nicht

Klum E et al. Ursachen und Prädiktoren …

Z Orthop Unfall 2015; 153: 85–92

Heruntergeladen von: University of British Columbia. Urheberrechtlich geschützt.

86

Originalarbeit

87

Tab. 1 Grundcharakteristik des Studienkollektivs mit Mittelwert und Standardabweichung. Gruppe

n

Alter (Jahre)

Größe (cm)

KM (kg)

BMI (kg/m²)

Geschlecht (m/w)

CP CP-0 CP-1 TD

50 25 25 20

15,5 ± 2,7 14,6 ± 2,5 16,4 ± 2,7 16,2 ± 3,8

160,6 ± 10,7 158,1 ± 9,3 163,0 ± 11,6 162,7 ± 8,2

51,4 ± 14,0 47,3 ± 9,9 55,5 ± 16,3 53,2 ± 10,3

19,7 ± 4,3 18,7 ± 3,0 20,7 ± 5,1 19,9 ± 2,5

34/16 17/8 17/8 7/13

Methoden !

Studienkollektiv Das Studienkollektiv setzte sich aus 2 Kohorten mit Studienteilnehmern im Alter zwischen 12 und 22 Jahren zusammen: der Patientengruppe (CP) mit dem Krankheitsbild CP und einer alters" Tab. 1). Die Normgerechten, gesunden Normgruppe (TD) (l gruppe bildeten 20 gesunde und normal entwickelte Probanden, welche keine orthopädischen Vorerkrankungen oder Operationen aufwiesen. Bei der Patientengruppe CP handelte es sich um Patienten mit bilateraler spastischer Zerebralparese, welche einem GMFCS-Level II (GMFCS: Gross Motor Function Classification System) entsprechen. Die CP-Gruppe teilte sich zusätzlich in 2 weitere Kollektive – der nicht voroperierten Patientengruppe (CP-0) und der voroperierten Patientengruppe (CP-1). Patienten der CP-1-Gruppe wurden bereits weichteilig an den unteren Extremitäten operiert. Es erfolgten folgende Eingriffe: Kniebeugesehnenverlängerungen (KBV), Adduktorentenotomien (ATTO) oder Verlängerungen der Wadenmuskulatur bzw. Achillessehne (ASV). Eine Kombination aus den einzelnen Eingriffen im Sinne einer Mehretagenoperation war außerdem möglich " Tab. 2). (l Als Ausschlusskriterien innerhalb der Studie galten eine Skoliose der Wirbelsäule, pathologische Veränderungen oder Schmerzen der Hüfte sowie Operationen, Botulinumtoxin- oder Gipsbehandlungen innerhalb der letzten 12 Monate.

Untersuchungsmethoden Die Studiendaten wurden retrospektiv im Zeitraum von 2007 bis 2012 im Ganglabor der orthopädischen Kinderklinik Aschau im Chiemgau erhoben. Mit allen Studienteilnehmern wurde eine instrumentelle Ganganalyse durchgeführt, bei der eine Strecke von 12 m barfuß und ohne Hilfsmittel bei selbst gewählter Geschwindigkeit absolviert wurde. Die Kinematik des Ganges erfolgte mithilfe eines Infrarotkamerasystems (200 Hz; Vicon MX®, Oxford, UK), bestehend aus 8 Kameras und passiven, lichtreflektierenden Oberflächenmarkern des Plug-in-Gait-Markersets. Das Plug-inGait-Modell ist für eine statische Messung im Hinblick auf eine präzisierte Datengenauigkeit in der transversalen Ebene (vgl. [12, 13]) durch 4 zusätzliche Marker erweitert worden. Diese wa-

Tab. 2 Häufigkeit von Voroperationsarten und ‑kombinationen in Prozent (n = 25). OP-Kombi-

KBV

ASV

ATTO

nationen KBV ASV

ASV + ATTO

7,7%

11,5 % 38,5 %

23,1% –

19,2 %

ren medial an beiden Beinen an der femoralen Kondyle und Malleolengabel zur gezielteren Gelenkachsenbestimmung fixiert. Zur kinetischen Analyse des Ganges wurden 2 in den Boden eingelassene AMTI®-Kraftmessplatten (1000 Hz; Advanced Mechanical Technology Inc., Watertown, USA) verwendet. Im Anschluss an die Ganganalyse erfolgte eine manuelle klinische Untersuchung zur Bestimmung des Bewegungsausmaßes (ROM in °) und der Kraftfähigkeit (Bewertungsskala 1–5) in den unteren Extremitäten sowie Hüfte und Rumpf nach Kendall et al. [14].

Datenauswertung Aus 5 konsistenten Gangzyklen pro Patient wurden die Gangparameter ermittelt und anschließend Mittelwerte gebildet. Die Berechnung der Gangparameter erfolgte mit MatLab 6.2® (The MathWorks Inc., Natick, USA). Für die anschließende statistische Auswertung wurde SPSS Statistics 20® (IBM Corp., USA) verwendet. Der Parameter „Ausmaß Oberkörperseitneigung“ (TOR) ermittelte das Ausmaß des Duchenne-Hinkens. TOR basiert auf der seitlichen Auslenkung des Thoraxes relativ zur Gangrichtung im Laborkoordinatensystem (Thorax Obliquity) gemäß dem Plugin-Gait-Modell (Vicon UK). Hierbei wird der Bereich zwischen minimaler (ipsilateraler) und maximaler (kontralateraler) Seitneigung berechnet und über mehrere Gangzyklen gemittelt. Eine Abweichung des TOR von über 3 Standardabweichungen gegenüber der Norm wurde als Kenngröße für das Vorhandensein eines Duchenne-Hinkens festgelegt und für die Berechnung der Prävalenz herangezogen. Statistisch sind mittels ANOVA bzw. Rangvarianzanalyse Gruppenunterschiede (CP-0, CP-1, TD) berechnet worden. Um mögliche statistische Zusammenhänge zwischen dem Ausmaß der Oberkörperseitneigung und einer Schwäche der Hüftabduktoren bzw. einer Adduktionskontraktur zu ermitteln, wurden Korrelationsanalysen nach Spearman bzw. Pearson durchgeführt. Zur Überprüfung des Zusammenhangs zwischen dem Ausmaß der Oberkörperseitneigung und der Generierung von Bodenfreiheit ist eine Prädiktorenanalyse in Form einer multiplen linearen Regression (schrittweise Methode) durchgeführt worden. Als abhängige Variable und Kriterium diente der Parameter TOR. Als unabhängige Variablen bzw. Prädiktoren wurden Parameter aus der Ganganalyse herangezogen, welche der Generierung von Bodenfreiheit beim Gehen dienen. Nach Perry und Burnfield [8] fallen darunter die Hüft-, Knie- und Dorsalflexion des Fußes in der

Klum E et al. Ursachen und Prädiktoren …

Z Orthop Unfall 2015; 153: 85–92

Heruntergeladen von: University of British Columbia. Urheberrechtlich geschützt.

Konsens. Es lässt sich jedoch vermuten, dass der massive Einbezug des Oberkörpers beim Gehen der Generierung von Bodenfreiheit dient. So ließen sich muskuläre Schwächen oder Gelenkkontrakturen in den unteren Extremitäten kompensieren. In diesem Zusammenhang wäre besonders die durch weichteilige Muskel-Sehnen-Verlängerungen verstärkte muskuläre Schwäche als Ursache in Betracht zu ziehen. Ziel dieser Studie war es daher, Ursachen und mögliche Prädiktoren eines Duchenne-Hinkens bei CP-Patienten zu untersuchen. Dabei sollte der Einfluss von Voroperationen (weichteiligen Muskel-Sehnen-Verlängerungen) insbesondere betrachtet werden.

Originalarbeit

Abb. 2 Oberkörperseitneigung während eines Gangzyklus, unterteilt in CP-0 (gepunktete Linie) und CP-1 (durchgezogene Linie) sowie der Norm (graue Fläche).

Abb. 1 Gruppenmittelwerte und Standardabweichungen der Oberkörperseitneigung in frontaler Ebene beim Gehen, mit Kennzeichnung signifikanter Unterschiede.

kinematischen Analyse. Zusätzlich wurde die Beckenkippung in der Schwungphase als Parameter in der frontalen Ebene hinzugezogen, um einen möglichen Zusammenhang zwischen dem Duchenne-Hinken und einem Trendelenburg-Zeichen genauer zu untersuchen. Als kinetische Parameter wurden die Drehmomente, insbesondere von Hüfte und Sprunggelenk, einbezogen. Das Signifikanzniveau des Einschlusskriteriums ist bei p = 0,04 festgelegt worden, während das Ausschlusskriterium bei p = 0,05 lag. Innerhalb dieser Studie erfolgte eine Betrachtung der Körperhälften lateral getrennt voneinander, da eine vermehrte Oberkörperseitneigung hypothetisch gesehen auch nur auf einer Körperseite beobachtet werden kann. Jeder Parameter lieferte daher 2 Werte für die weitere Berechnung (einen für die linke und einen für die rechte Körperhälfte).

Ergebnisse !

Gruppenunterschiede (TD, CP-0, CP-1) Die Ergebnisse des Gruppenvergleichs (TD, CP-0, CP-1) zeigen, dass sich nahezu alle Parameter der Ganganalyse und klinischen Testung hoch signifikant gegenüber der Norm unterscheiden. Neben den Rangmittelwerten der Variablen des Muskelfunktionstests sind zusätzlich die üblichen Mittelwerte aufgelistet " Tab. 3). Auch wenn diese keine metrisch vergleichbaren Aus(l sagen liefern, dienen sie einer groben Einschätzung beim Vergleich der Gruppen.

Zusammenhang mit Abduktorenkraft Im Weiteren wurden mittels einer Rangkorrelationsanalyse die Variablen der vermehrten Oberkörperbewegung in frontaler Ebene mit der Hüftabduktorenkraft korrelativ betrachtet. Hier ergab sich ein signifikanter Zusammenhang (p = 0,009) mit dem Korrelationskoeffizienten nach Spearman-Rho von rs = −0,368 für die Gruppe CP-0; keine signifikante Korrelation (p = 0,220; rs = −0,177) konnte zwischen den beiden Variablen in der CP-1 Gruppe festgestellt werden. " Abb. 3 verdeutlicht nochmals grafisch den Zusammenhang l zwischen dem Ausmaß der Oberkörperseitneigung und der Kraft der Hüftabduktoren mit Unterscheidung zwischen den Patientengruppen.

Prävalenz und Ausmaß des Duchenne-Hinkens Zunächst wird das Ausmaß der Oberkörperseitneigung in Form " Abb. 1). eines Duchenne-Gangbilds beim Gehen betrachtet (l Das Duchenne-Hinken zeigte sich mit einer Prävalenz von 72 % (n = 36/50) bei CP-0 und 66 % (n = 33/50) bei CP-1. TOR umfasste 5 ± 2°, 16 ± 8° und 16 ± 8° bei TD, CP-0 und CP-1. Sowohl CP-0 als auch CP-1 wiesen einen signifikanten Unterschied im TOR zu TD (jeweils p < 0,001) auf, jedoch nicht untereinander (p = 1,0). " Abb. 2 zeigt die gemittelten Bewegungsgrade des Oberkörpers l in frontaler Ebene (y-Achse) während eines Gangzyklus in Prozent (x-Achse). Dabei ist ein vollständiger Gangzyklus mit 100 % gekennzeichnet, wobei der Anteil von 0–60 % des Gangzyklus der Standphase und 60–100 % der Schwungphase zugeordnet wird. Die gepunktete Linie zeigt die Bewegungsgrade der Gruppe CP-0, während die durchgezogene Linie die der Gruppe CP-1 darstellt. Das grau hinterlegte Band stellt die Normstichprobe dar. Zu erkennen ist, dass beide Patientengruppen bez. ihrer Oberkörperseitneigung stark von der Norm abweichen, aber dennoch vom generellen Bewegungsverlauf her der Norm ähneln. Das Maximum der Bewegungsausrichtung wird auf gleicher Körperhälfte erreicht, mit einer leichten Zeitpunktverzögerung der Patientengruppen.

Klum E et al. Ursachen und Prädiktoren …

Z Orthop Unfall 2015; 153: 85–92

Zusammenhang mit Adduktionskontraktur Um eine mögliche Korrelation zwischen existierenden Hüftadduktorenkontrakturen und erhöhter Oberkörperseitneigung in frontaler Ebene beurteilen zu können, wurde eine Korrelationsanalyse nach Pearson zwischen dem Ausmaß der Oberkörperseitneigung und der maximalen Hüftabduktion vorgenommen. Hierbei lässt sich weder bei CP-0 (p = 0,162; r = − 0,201) noch bei CP-1 (p = 0,933; r = 0,012) ein signifikanter Zusammen" Abb. 4). hang ableiten (l

Zusammenhang mit fehlender Bodenfreiheit Die Prädiktorenanalyse zeigte auf, dass ein Zusammenhang zwischen einer vermehrten Oberkörperseitneigung und der Generierung von Bodenfreiheit beim Gehen besteht und vornehmlich durch 4 Prädiktoren beeinflusst wird. Innerhalb beider Patientengruppen verweist die Analyse auf einen Zusammenhang mit einer vermehrten Generierungsarbeit in der Hüfte während der Standphase. In beiden Gruppen hat diese Variable aufgrund der hohen Beta-Werte außerdem den größten Einfluss auf die Vorhersage eines Duchenne-Hinkens. Innerhalb der CP-0-Gruppe konnte außerdem eine erhöhte Dorsalflexion in der Schwungphase als Prädiktor ermittelt werden. Dieser Prädiktor ist jedoch für weitere Erklärungsansätze zu ver-

Heruntergeladen von: University of British Columbia. Urheberrechtlich geschützt.

88

Originalarbeit

89

Tab. 3 Mittelwerte (M), u. U. Rangwert (R) und Standardabweichungen (SD) aller Variablen sowie Ergebnisse der ANOVA- und Post-hoc-Tests für die Gruppen TD (n = 40), CP-0 (n = 50) und CP-1 (n = 50). Parameter gemessen in der Schwungphase werden dabei mit (sw) abgekürzt bzw. mit (st) während der Standphase beim Gehen. M/SD

Gruppen

Post-hoc-Tests

TD (n = 40) vs. CP‑0

Raum-Zeit-Parameter (non dimensional nach [23]) Schrittgeschwindigkeit M (SD) Post-hoc-Tests Schrittlänge M (SD) Post-hoc-Tests Schrittdauer M (SD) Post-hoc-Tests Schrittbreite M (SD) Post-hoc-Tests Ganganalyseparameter Oberkörper Flexion [°] M (SD) Post-hoc-Tests Seitneigung [°] M (SD) Post-hoc-Tests Rotation [°] M (SD) Post-hoc-Tests Becken Flexion (st) [°] M (SD) Post-hoc-Tests Schiefstand (sw) [°] M (SD) Post-hoc-Tests Schiefstand (st) [°] M (SD) Post-hoc-Tests Rotation [°] M (SD) Post-hoc-Tests Hüfte Flexion (sw) [°] M (SD) Post-hoc-Tests Adduktion (st) [°] M (SD) Post-hoc-Tests Adduktion (sw) [°] M (SD) Post-hoc-Tests Generierungsarbeit (st) [mJ/kg] M (SD) Post-hoc-Tests Generierungsarbeit (sw) [mJ/kg] M (SD) Post-hoc-Tests Knie Flexion (sw) [°] M (SD) Post-hoc-Tests Fuß Dorsalflexion (sw) [°] M (SD) Post-hoc-Tests Generierungsarbeit (st) [°] M (SD) Post-hoc-Tests Parameter Bewegungsausmaß Hüfte Flexion [°] M (SD) Post-hoc-Tests Abduktion [°] M (SD) Post-hoc-Tests Adduktion [°] M (SD) Post-hoc-Tests Knie Flexion [°] M (SD) Post-hoc-Tests Fuß Dorsalflexion [°] M (SD) Post-hoc-Tests Muskelkraftparameter [Skala 1–5] Hüfte Flexion M/R (SD) Post-hoc-Tests Abduktion M/R (SD) Post-hoc-Tests Adduktion M/R (SD) Post-hoc-Tests Knie Flexion M/R (SD) Post-hoc-Tests Fuß Dorsalflexion M/R (SD) Post-hoc-Tests

CP-0 (n = 50) vs. CP‑1

vs. TD

CP-1 (n = 50) vs. CP‑1

vs. TD

vs. CP‑0

0,46 (0,04) *** *** 78,37 (6,14) *** *** 1,70 (0,10) *** ** 36,01 (11,22) *** ***

0,33 (0,07) *** 60,89 (10,53) *** ** 1,89 (0,24) *** 74,40 (23,32) ***

0,30 (0,09) *** 53,66 (12,28) *** ** 1,83 (0,24) ** 82,38 (29,81) ***

4,81 (4,05)

3,63 (8,75)

4,47 (8,00)

4,73 (2,11) *** *** 7,65 (2,41) *** *** 8,64 (4,76) *** *** −4,50 (2,22)

16,27 (8,02) *** 14,53 (6,33) *** ** 20,24 (7,16) *** −6,50 (5,00)

16,22 (8,22) *** 18,86 (7,06) *** ** 18,88 (8,03) *** −5,76 (5,17)

5,04 (2,18)

6,63 (5,00)

5,97 (5,23)

22,27 (10,89) *** 49,91 (7,07) *** 10,10 (5,04) *** 4,07 (5,59) *** 0,31 (0,16) *** 0,19 (0,06) * 59,75 (9,43)

21,36 (7,20) *** 47,08 (9,76) *** 8,56 (6,26)

12,76 (7,05) *** 34,34 (5,52) *** 6,47 (3,34) *** 0,28 (2,98) *** 0,15 (0,05) *** 0,16 (0,04) * 63,16 (5,64)

*** ***

*** *** *** ***

9,01 (3,28) 0,31 (0,08) *** 127,3 (5,1) *** 44,5 (4,8) *** 33,5 (5,8) *** 142,0 (4,1)

* 7,94 (7,56)

***

*** *** ***

0,22 (0,08) ***

***

4,8/93,4 (0,4) *** *** 4,9/111,8 (0,3) *** *** 4,9/100,5 (0,4) *** *** 4,9/107,0 (0,3) *** *** 5,0/112,6 (0,1) *** ***

0,17 (0,07) ***

**

111,9 (11,3) *** 19,5 (7,3) *** 24,0 (7,1) *** 140,2 (9,5)

**

0,2 (5,7) ***

106,3 (14,9) *** 23,0 (11,1) *** 25,4 (9,5) *** 126,8 (21,3) *** *** 1,9 (6,5) ***

4,3/67,4 (0,8) *** 3,5/46,8 (0,8) *** * 3,9/59,7 (1,0) *** 4,0/61,5 (0,8) *** 3,6/52,8 (1,2) ***

4,1/55,3 (0,6) *** 3,8/61,2 (0,8) *** * 3,7/64,2 (1,0) *** 3,7/50,3 (0,9) *** 3,7/54,5 (0,9) ***

*** 19,8 (2,8) ***

2,99 (5,89) *** 0,26 (0,13) *** 0,20 (0,06) *** 53,96 (13,42) *** * 8,21 (6,71)

***

Signifikanzstärke: * bedeutet 0,01 < p ≤ 0,05 knapp signifikant; ** bedeutet 0,001 < p ≤ 0,01 signifikant; *** bedeutet p ≤ 0,001 hoch signifikant.

Klum E et al. Ursachen und Prädiktoren …

Z Orthop Unfall 2015; 153: 85–92

Heruntergeladen von: University of British Columbia. Urheberrechtlich geschützt.

Parameter

Originalarbeit

Abb. 3 Streudiagramm mit Regressionsgeraden der Variablen „Ausmaß Oberkörperseitneigung“ und „Kraft der Hüftabduktoren“ mit Unterscheidung der Gruppen CP-0 (n = 50) und CP-1 (n = 50).

Abb. 4 Streudiagramm mit Regressionsgeraden der Variablen „Ausmaß Oberkörperseitneigung“ und „max. Hüftabduktion“ mit Unterscheidung der Gruppen CP-0 (n = 50) und CP-1 (n = 50).

Tab. 4 Ausgewählte Prädiktoren Hüft-, Knie- und Dorsalflexion (Schwungphase), Hüft- und Sprunggelenksgenerierungsarbeit (Standphase), Hüftgenerierungsarbeit (Schwungphase). CP-0

CP-1

Sign. Prädiktoren

p

r² [%]

β

Sign. Prädiktoren

p

r² [%]

Hüftgenerierungsarbeit (Standphase) Dorsalflexion (Schwungphase)

< 0,001 0,002

33 46

0,49 0,37

Sprunggelenksgenerierungsarbeit (Standphase) Hüftgenerierungsarbeit (Standphase) Knieflexion (Schwungphase)

0,007 0,024 0,028

15 20 27

nachlässigen, da das Messergebnis durch eine verbliebene und für das Krankheitsbild typische Spitzfußstellung beim nicht operierten Patienten hervorgerufen wurde. Patienten mit einer solchen Fußfehlstellung haben ohnehin Probleme mit der Koordination und posturalen Stabilität während der Schwungphase, da das kontralaterale Standbein in Spitzfußstellung nicht genügend Sicherheit bietet. Mit einer weiteren Belastung in Form eines Duchenne-Hinkens würden sie vermutlich nicht gehfähig bleiben. Aus diesem Grund zeigen in dieser Studie diejenigen Patienten, die einen Spitzfußgang aufweisen (und damit verbunden eine allgemein verminderte Dorsalflexion in der Schwungphase) ein weniger hohes Duchenne-Ausmaß. Innerhalb der CP-1-Gruppe zeigt die Prädiktorenanalyse auf, dass eine vermehrte Oberkörperseitneigung neben der Hüftgenerierungsarbeit durch 2 weitere Prädiktoren vorhergesagt werden kann: einer verminderten Knieflexion während der Schwungphase sowie einer verminderten Generierungsarbeit im Sprung" Tab. 4). gelenk (l

β −0,38 0,43 −0,32

Oberkörperbewegung in frontaler Ebene an. Bei der Generierungsarbeit der Hüfte handelt es sich aufgrund des positiven Vorzeichens um eine Extensionsarbeit. Den Ergebnissen nach zu urteilen, nehmen durch die vermehrte Oberkörperbewegung die Nettomomente in der Extension zu, da weniger Flexoren dagegen spannen. Damit hindert die vermehrte Oberkörperseitneigung scheinbar die Hüfte daran, in eine stärkere Flexionshaltung zu fallen. Einen direkten Einfluss kann die in der frontalen Ebene stattfindende Oberkörperseitneigung jedoch nicht auf die in der sagittalen Ebene befindenden Hüftflexion haben. Aus biomechanischer Sicht muss das Duchenne-Hinken primär einen Einfluss auf die Hüftabduktoren ausüben. Güth et al. [16] konstatieren, dass durch den Duchenne-Gang der Körperschwerpunkt zum belastenden Hüftgelenk verschoben wird, wodurch eine Reduktion der benötigten Hüftabduktorenkraft erzeugt wird. Damit kommt es zu einer Entlastungssituation im Hüftgelenk (vgl. [17]).

Diskussion Generierungsarbeit der Hüfte

!

Die Prädiktorenanalyse gibt sowohl innerhalb der Gruppe CP-0 als auch der Gruppe CP-1 eine gesteigerte Generierungsarbeit der Hüfte in der Standphase als Prädiktor für eine vermehrte

In Hinblick auf vorliegende Gangstörungen nimmt das DuchenneHinken bei CP-Patienten mit einem GMFCS-Level II bei einer Prävalenz von über 66 % und einer 4-fachen Erhöhung der durch-

Klum E et al. Ursachen und Prädiktoren …

Z Orthop Unfall 2015; 153: 85–92

Heruntergeladen von: University of British Columbia. Urheberrechtlich geschützt.

90

schnittlichen Oberkörperseitneigung (gegenüber der Norm) einen hohen Stellenwert ein. Die Ergebnisse dieser Studie belegen markant, dass bei diesem Krankheitsbild ein stark pathologisches Gangbild vorliegt, da sich annähernd alle Parameter der Ganganalyse hoch signifikant gegenüber der Norm unterscheiden. Anhand der Mittelwerte lässt sich feststellen, dass die Parameter der Patientengruppen im negativen Sinne gegenüber der Norm verändert sind. Insbesondere die signifikant unterschiedlichen Mittelwerte der Raum-Zeit-Parameter geben Aufschluss über eine verminderte Ökonomie des Ganges bei CP. Dies äußert sich in einer reduzierten Ganggeschwindigkeit und Schrittlänge im Mittel um ca. 30%, einer erhöhten Schrittdauer um ca. 10 % und einer verdoppelten Schrittbreite gegenüber üblicher Normen. Die Beurteilung des Ausmaßes an Oberkörperseitneigung (frontale Ebene) ergab zwischen voroperierten und nicht voroperierten Patienten keinen Unterschied. Allerdings zeigen sich signifikante Unterschiede in der Oberkörperrotation zwischen beiden Patientengruppen, welche vermutlich im Zusammenhang mit der gegenüber CP-0 signifikant verminderten Schrittlänge sowie einer generell vermehrten Beckenrotation bei CP steht. Um die stark verminderte Schrittlänge zu kompensieren, werden Oberkörper und Becken vermehrt rotiert. Die Studienergebnisse lassen weiterhin erkennen, dass hinsichtlich der Hüftabduktorenschwäche innerhalb der Gruppe CP-0 ein schwacher Zusammenhang messbar ist. Diesen Ergebnissen nach zu diskutieren, kann eine Hüftabduktorenschwäche bedingt als Ursache für eine vermehrte Oberkörperbewegung in der frontalen Ebene bei CP-Patienten angenommen werden und unterstützt damit die Studienergebnisse von Krautwurst et al. [9]. Vergleichend den Ergebnissen von Feldkamp [18] zeigen die Ergebnisse bei CP-Patienten gegenüber der Norm verminderte Kraftwerte in den Hüftabduktoren, die allerdings nicht in einen eindeutigen und direkten Zusammenhang zum Duchenne-Hinken gebracht werden können. Beide CP-Gruppen weisen in dieser Studie ein nahezu identisches Maß an Oberkörperseitneigung auf, teilen aber keine Gemeinsamkeit im Zusammenhang mit einer Hüftabduktorenschwäche. Daraus lässt sich schlussfolgern, dass der Duchenne-Gang zwar eine ähnliche Pathologie und Prävalenz bei beiden Patientengruppen aufweist, aber auf unterschiedliche Ursachen zurückgeführt werden muss. Eine Hüftadduktorenkontraktur als Ursache eines DuchenneHinkens kann nach den Ergebnissen dieser Studie nicht belegt werden. Es zeigte sich, dass weder in der CP-0- noch in der CP1-Gruppe ein signifikanter Zusammenhang zwischen der Oberkörperseitneigung und dem Bewegungsausmaß der passiven Hüftabduktion besteht. Damit stehen diese Studienergebnisse im Widerspruch zu den Aussagen von [18, 19], wobei [19] ihre Aussage nicht generell auf das klinische Bild der CP bezogen hat. Bezüglich der Generierung von Bodenfreiheit zeigt sich ein kausaler Zusammenhang mit einem Vorkommen eines DuchenneGangbilds, mit Unterschieden zwischen den Patientengruppen. Innerhalb der CP-0-Gruppe konnte eine erhöhte Dorsalflexion in der Schwungphase als Prädiktor ermittelt werden. Der positive Zusammenhang scheint zunächst im Kontrast zu stehen. Schließlich würde eine vermehrte Dorsalflexion des Fußes die Bodenfreiheit während der Schwungphase deutlich verbessern, was sich wiederum positiv auf die Oberkörperbewegung auswirken sollte. Es lässt sich jedoch vermuten, dass einige Patienten der CP-0-Gruppe einen latenten Spitzfußgang aufweisen, vor allem, da diese chirurgisch weder am Wadenmuskel noch an der Achillessehne verlängert wurden. Ein Spitzfußgang kostet den Patien-

ten ein hohes Maß an Koordinationsvermögen und posturale Stabilität während der Schwungphase, da das kontralaterale Standbein in Spitzfußstellung nicht genügend Sicherheit bietet. Es ist also erheblich fraglich, ob Patienten mit einem Spitzfuß ebenfalls in der Lage wären, der weiteren Belastung eines Duchenne-Hinkens standzuhalten und dabei gleichermaßen gehfähig zu bleiben. Aus diesem Grund werden diejenigen Patienten, welche einen Spitzfußgang aufweisen (und damit verbunden eine allgemein verminderte Dorsalflexion in der Schwungphase) eine weniger hohe Oberkörperseitneigung aufweisen. Dieses Ergebnis unterstützt auch die Meinung von Güth et al. [16], dass ein Duchenne-Gang nur unter der Voraussetzung einer genügenden Koordinationskontrolle möglich sei. Innerhalb der CP-1-Gruppe verweisen die Resultate der Prädiktorenanalyse darauf, dass eine vermehrte Oberkörperseitneigung neben einer verminderten Knieflexion während der Schwungphase auch durch eine verminderte Generierungsarbeit im Sprunggelenk hervorgerufen wird. Die verminderte Generierungsarbeit im Sprunggelenk gibt Aufschluss darüber, dass sich die Abdruckleistung des Fußes verringert und damit der Vortrieb beim Gehen und die Bodenfreiheit in der Schwungphase behindert wird. Dies stellt wiederum den Bezug zu der verminderten Schrittlänge und Ganggeschwindigkeit dieser Gruppe im Vergleich zur Gruppe CP-0 her. Resultierend steht eine verminderte Generierungsarbeit des Sprunggelenks während der Standphase im Zusammenhang mit einer vermehrten Oberkörperbewegung in frontaler Ebene. Die voroperierten Patienten weisen außerdem eine verminderte Knieflexion in der Schwungphase sowie in der klinischen Beweglichkeitstestung auf, welche als ein negatives Resultat einer Kniebeugesehnenverlängerung zu bewerten ist [20, 21]. Diese verminderte Knieflexion verringert die Bodenfreiheit des Schwungbeins während der Schwungphase. Damit begründet wird der Oberkörper kontralateral vermehrt zur Seite geneigt, um diese fehlende Bodenfreiheit zu kompensieren und dadurch gehfähig zu bleiben. Somit stellt eine verringerte Bodenfreiheit eine Ursache für das Duchenne-Hinken bei voroperierten CP-Patienten dar. Den größten Einfluss, der bei beiden Patientengruppen nachzuweisen ist, hat der Duchenne-Gang auf die Generierungsarbeit der Hüfte. Es kann vermutet werden, dass das gemessene Hüftextensionsmoment im Gelenk zunimmt, da das Duchenne-Hinken die Muskulatur der Hüftabduktoren während der Standphase entlastet. Bestimmte Hüftabduktoren (M. gluteus medius ventral; M. gluteus minimus; M. tensor fasciae latae) sind neben der Abduktion auch an einer Innenrotation und Flexion der Hüfte beteiligt, zusätzlich verstärkt durch eine erhöhte Hüftflexionsstellung [14]. Durch die Entlastung der Abduktoren werden demnach vermutlich die für das Krankheitsbild CP typischen negativen Effekte von vermehrter Hüftflexion und ‑innenrotation beim Gehen reduziert. Dadurch wird eine höhere Kraft zum Vortrieb erzeugt. Einen ursächlichen Einfluss auf dieses Phänomen übt vermutlich die gestörte selektive Kontrolle bei CP-Patienten aus. Sowohl die voroperierten als auch die nicht voroperierten Patienten zeigen unabhängig voneinander diesen Zusammenhang zwischen dem Duchenne-Gang und der Generierungsarbeit der Hüfte. Aus diesem Grund lässt dieser sich vermutlich auf ein breites Spektrum von Patienten mit CP übertragen.

Klum E et al. Ursachen und Prädiktoren …

Z Orthop Unfall 2015; 153: 85–92

91

Heruntergeladen von: University of British Columbia. Urheberrechtlich geschützt.

Originalarbeit

Originalarbeit

Therapieempfehlungen

Literatur

Aus vorliegenden Studienergebnissen können präventive Therapieempfehlungen für Patienten mit CP, oder jene, die bereits ein Duchenne-Hinken aufweisen, abgeleitet werden. Die Notwendigkeit der Stärkung des M. gluteus maximus und des M. gluteus minimus (dorsal) im Sinne einer Kräftigung wäre zunächst zu benennen, welche für die Aufrichtung des Beckens (Hüftextension) sowie die Außenrotation der Hüfte verantwortlich sind. Hierbei lässt sich vermuten, dass dadurch eine verbesserte Hüftextensionsarbeit geleistet werden kann, welche dem Patienten zum Vortrieb verhilft. Damit sollte die Gangökonomie gesteigert und ein Duchenne-Hinken möglicherweise verringert werden. Des Weiteren bietet sich ein therapeutisches Gangtraining (wenn möglich mithilfe einer Laufbandvorrichtung) an, bei dem körpergewichtsentlastend die unteren Extremitäten gezielt trainiert und einer muskulären Schwäche entgegengewirkt werden kann. Ein wichtiges therapeutisches Ziel sollte sein, dass der Patient mit CP einer ganzheitlichen und lebenslangen physio- und sporttherapeutischen Behandlung nachgeht. Dieses klinische Krankheitsbild ist von ständigen Veränderungen der orthopädischen Gesundheit mit einer Tendenz zur Verschlechterung im Erwachsenenalter gekennzeichnet [22]. Dem sollte durch geeignete Programme auch im späteren Lebensalter entgegengewirkt werden, sodass Betroffene zur gezielten körperlich-sportlichen Aktivität motiviert werden. Ein muskulärer Abbau kann so gehemmt werden und Kompensationsmechanismen, wie das besprochene Duchenne-Hinken, haben weniger Möglichkeiten aufzutreten.

1 Largo R. Frühkindliche Zerebralparese: Epidemiologische und klinische Aspekte. Dtsch Ärztebl 1991; 88: 1354–1360 2 Miller F. Cerebral Palsy. New York: Springer; 2005 3 Katthagen B, Buckup K. Klinische Untersuchung. In: Tschauner C, Hrsg. Orthopädie und orthopädische Chirurgie: Becken, Hüfte. Stuttgart: Thieme; 2004: 12–15 4 Schröter J, Güth V, Overbeck M et al. The ‘Entlastungsgang’. A hip unloading gait as a new conservative therapy for hip pain in the adult. Gait Posture 1999; 9: 151–157 5 Westhoff B, Petermann A, Hirsch M. Computerized gait analysis in Legg Calvé Perthes disease – analysis of the frontal plane. Gait Posture 2006; 24: 196–202 6 Bartonek A, Saraste H, Eriksson M et al. Upper body movement during walking in children with lumbo-sacral myelomeningocele. Gait Posture 2002; 15: 120–129 7 Duffy C, Hill A, Cosgrove A et al. Three-dimensional gait analysis in spina bifida. J Pediatr Orthop 1996; 16: 786–791 8 Perry J, Burnfield J. Gait Analysis: normal and pathological function. 2nd ed. Thorofare: Slack; 2010 9 Krautwurst B, Wolf S, Heitzmann D et al. The influence of hip abductor weakness on frontal plane motion of the trunk and pelvis in patients with cerebral palsy. Res Dev Disabil 2013; 34: 1198–1203 10 Kumar S. Ergonomics and biology of spinal rotation. Ergonomics 2004; 47: 370–415 11 Rohde J. Stand- und Gangstörungen (Hinken) beim lumbalen Radikulärsyndrom. Manuelle Medizin 2011; 49: 19–24 12 Böhm H, Stief F, Dussa C et al. Predictors of pelvis retraction in children with cerebral palsy derived from gait parameters and clinical testing. Gait Posture 2012; 35: 250–254 13 Böhm H, Stief F, Döderlein L. Accurancy of a new protocol for estimating joint derotation during gait in children with cerebral palsy. Deutscher Kongress für Orthopädie und Unfallchirurgie 2010, German Medical Science (GMS) Publishing House 14 Kendall F, McCreary E, Provance P, Rodgers M, Romani W. Muskeln: Funktionen und Tests. 5. Aufl. München: Urban & Fischer; 2009 15 Newman C. Betreuung der motorischen Störungen von cerebral gelähmten Kindern. Paediatrica 2006; 17: 24–27 16 Güth V, Abbink F, Cloppenburg E. Ganganalyse beim Cerebralparetiker – Beziehung zwischen Störung der Muskelkoordination und Ganganomalien. Z Orthop Ihre Grenzgeb 1985; 123: 306–311 17 Hüter-Becker A. Biomechanik, Bewegungslehre, Leistungsphysiologie, Trainingslehre. 2. Aufl. Stuttgart: Thieme; 2011 18 Feldkamp M. Ganganalyse bei Kindern mit zerebraler Bewegungsstörung. München: Richard Pflaum; 1979 19 Perry J. Ganganalyse: Norm und Pathologie des Gehens. Jena: Urban & Fischer; 2003 20 Damron T, Breed A, Cook T. Diminished knee flexion after hamstring surgery in cerebral palsy patients: prevalence and severity. J Pediatr Orthop 1993; 13: 188–191 21 Döderlein L, Metaxiotis D. Die Kniebeuge- und die Kniestreckspastik bei infantiler Zerebralparese. Orthopade 2004; 33: 1138–1151 22 Andersson C, Mattsson E. Adults with cerebral palsy: a survey describing problems, needs, and resources, with special emphasis on locomotion. Dev Med Child Neurol 2001; 43: 76–82 23 Hof A. Scaling gait data to body size. Gait Posture 1996; 4: 222–223

Schlussfolgerungen !

Diese Studie offenbart erneut, dass Bewegungen des Oberkörpers beim Gehen einen Einfluss auf die menschliche Lokomotion ausüben. Gemäß dem Vorbild des Spitzensports (beispielsweise beim Stabhochsprung) wird der Oberkörper vom Sportler bereits bewusst zur effektiven Leistungssteigerung eingesetzt. Über deren biomechanische Einflüsse und Wirkungen existieren mittlerweile Belege in zahlreicher Form. Demgemäß sollte in der klinisch-medizinischen Betrachtungsweise der Fokus ebenfalls vermehrt auf den Oberkörper und Rumpf gerichtet werden, um seinen Einfluss bei verschiedensten Ganganomalien klinischer Krankheitsbilder optimierter beurteilen zu können. Interessenkonflikt: Nein

Klum E et al. Ursachen und Prädiktoren …

Z Orthop Unfall 2015; 153: 85–92

Heruntergeladen von: University of British Columbia. Urheberrechtlich geschützt.

92

[Causes and calculated predictors of a Duchenne gait in adolescents and young adults with cerebral palsy].

Adolescents with cerebral palsy often complain about a Duchenne gait, which increases the load on the spine, the energy consumption and therefore decr...
193KB Sizes 0 Downloads 6 Views