übersicht Neuropsychiatr DOI 10.1007/s40211-014-0106-x

Burnout – eine sinnvolle Diagnose? Kritische Überlegungen zu einem populären Begriff Matthias Thalhammer · Klaus Paulitsch

Eingegangen: 4. September 2013 / Angenommen: 8. April 2014 © Springer-Verlag Wien 2014

Zusammenfassung  Bei Burnout handelt es sich um ein für die Psychiatrie relevantes Phänomen. Viele Menschen erleben sich in ihrer Arbeit als überfordert. Der Begriff Burnout ist nicht stigmatisierend und erleichtert Hilfesuchenden den Kontakt zur Psychiatrie. Das Burnout-Syndrom wurde 1974 erstmals beschrieben. Mittlerweile existieren zahlreiche, teilweise widersprüchliche Definitionen und Erklärungsansätze für Burnout bzw. das Burnout-Syndrom. Gemessen wird Burnout fast ausschließlich über das Maslach Burnout Inventory. Dieses eignet sich weder zur Unterscheidung von „krank“ und „nicht krank“ noch zur Abgrenzung von Burnout gegenüber psychischen Störungen wie der Depression. Aufgrund der mangelnden Abgrenzbarkeit und der konzeptuellen Widersprüche ist nicht davon auszugehen, dass das Burnout-Syndrom als eigenständiges Störungsbild Eingang in moderne Diagnosesysteme finden wird. Burnout gemäß dem Positionspapier der Deutschen Gesellschaft für Psychiatrie, Psychotherapie und Nervenheilkunde als längerfristige Arbeitsüberforderung und beachtenswerten Risikozustand für psychische und somatische Erkrankungen zu definieren, scheint wissenschaftlich konsequent und klinisch sinnvoll zu sein. Schlüsselwörter  Burnout · Definition · Diagnose · Längerfristige Arbeitsüberforderung · Risikozustand

Dr. M. Thalhammer () · Dr. K. Paulitsch Kaiser-Franz-Josef-Spital/SMZ-Süd, Kundratstraße 3, 1100 Wien, Österreich E-Mail: [email protected] Dr. K. Paulitsch E-Mail: [email protected]

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Burnout: a useful diagnosis? Summary  In psychiatry, burnout is a relevant phenomenon. A large number of individuals is feeling overburdened at work. In contrast to mental disorders, the term ‘burnout’ is not perceived as stigmatizing, making it therefore easier for afflicted persons to seek help. The term ‘burnout syndrome’ was mentioned 1974 for the first time in scientific literature. Today, there is a range of partially contradictory definitions and explanations for burnout and the burnout syndrome, respectively. In most studies, burnout is assessed by the Maslach Burnout Inventory, which is neither useful for determining the degree of pathology nor for distinguishing burnout from mental disorders such as depression. It is expected that the burnout syndrome will not be used in modern diagnostic classification systems, because of its unclear definition and conceptual contradictions. On these grounds, it appears reasonable to define burnout as longterm professional overload and a noteworthy risk factor for physical diseases and mental disorders. Keywords  Burnout · Definition · Diagnosis · Long-term professional overload · Risk factor

Einleitung Der Begriff Burnout erfuhr in letzter Zeit viel öffentliche Aufmerksamkeit – Magazine machten ihn zum Titelthema, Prominente gaben sich in Talkshows als Betroffene zu erkennen. Der bekannteste Fall in Österreich war vermutlich das „Burnout-Outing“ des oberösterreichischen Landesrats Rudolf Anschober im September 2012. Die Deutsche Gesellschaft für Psychiatrie, Psychotherapie und Nervenheilkunde (DGPPN) begrüßt diese Entwicklung der öffentlichen Diskussion in ihrem Positionspapier zum Thema Burnout [1]. Sie ist

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der Ansicht, dass dadurch psychische Erkrankungen entstigmatisiert werden und es Menschen mit psychischen Problemen leichter fällt, Hilfe zu suchen. Die DGPPN warnt aber auch vor unwissenschaftlichem Gebrauch des Begriffs Burnout. Wird doch die Diskussion derzeit oft von Personen geführt, die sich ohne spezifische fachliche Kompetenz für psychische Befindlichkeitsstörungen zuständig fühlen. PsychiaterInnen stehen vor dem Dilemma, entweder die von den Hilfesuchenden als subjektives Krankheitsmodell präsentierte und als entlastend erlebte „Diagnose“ Burnout zu perpetuieren oder aber abzulehnen und somit einerseits die gesellschaftliche Relevanz des Phänomens zu negieren, andererseits den Erwartungen der PatientInnen nicht zu entsprechen, von denen sich die meisten zumindest gelegentlich als „ausgebrannt“ erlebt haben [1–5]. Hillert meint sogar, dass die „Karriere des Burnout-Begriffs“ Sinnbild für eine „Krise der Psychiatrie“ sei, die sich „erheblich von den Bedürfnissen der Patienten entfernt“ habe [2]. Das Wort Burnout entstammt der Alltagssprache, was vermutlich dazu beigetragen hat, dass ihm die etablierte Wissenschaft mit Skepsis begegnete und Burnout als Forschungsgegenstand nicht ernst nahm. Damit wurde allerdings auch die Deutungshoheit über den Begriff abgegeben [5–7]. Durch die Nähe zur Alltagssprache und die bildliche Qualität des Begriffs vermag sich fast jeder Mensch unter Burnout etwas vorzustellen. Was „ausgebrannt sein“ bedeutet, erklärt sich scheinbar von selbst. Mittlerweile ist der Begriff Burnout so etabliert, dass er – auch ohne medizinisch-wissenschaftliche Kriterien zu erfüllen – von vielen ÄrztInnen vergleichsweise unkritisch verwendet wird [2, 6, 8]. Simplifizierende und wissenschaftlich nicht haltbare Erklärungsmodelle zur Burnout-Entstehung sind weit verbreitet – z. B. das „Batteriemodell“: Durch hohe Anforderungen werde arbeitenden Menschen ständig Energie entzogen, was letztlich zu einem Stadium völliger Leistungsunfähigkeit führe. Burnout-Prävention und -Therapie müsse daher für einen ausgeglichenen „Energiehaushalt“ sorgen [5, 6]. Anti-Burnout-Angebote haben sich zu einem interessanten Geschäftsfeld entwickelt, in dem sich zahlreiche Berufsgruppen – mit teilweise fragwürdiger Qualifikation (Coaching, Alternativmedizin) – um KundInnen bemühen. Es besteht die Gefahr, dass Menschen, die sich als ausgebrannt erleben, von Personen ohne ausreichendes psychiatrisches und psychotherapeutisches Wissen behandelt und dadurch ernst zu nehmende psychische Störungen wie z. B. Depressionen übersehen bzw. unzureichend therapiert werden [1, 2, 9].

Prävalenz Rund zehn Millionen Krankenstandstage bzw. das Fehlen von 40.000 Arbeitskräften pro Jahr sollen nach Berechnungen der deutschen Techniker Krankenkasse (TKK) aktuell auf Burnout zurückzuführen sein [10]. Auf Österreich umgelegt, entspräche das in etwa einer

Million Krankenstandstagen bzw. jährlich 4000 fehlenden Arbeitskräften. Laut Angaben des Bundesverbands der deutschen Betriebskrankenkassen (BKK) gab es 2009 mehr als zehnmal so viele Arbeitsunfähigkeitstage aufgrund von Burnout wie noch 2004 [11]. Angesichts dieser Zahlen ist es nicht überraschend, dass von einer drohenden „Burnout-Epidemie“ gesprochen wird [1]. Bei genauerer Betrachtung zeigt sich jedoch, dass keine wissenschaftlich abgesicherte, allgemeingültige Aussage über Burnout-Prävalenzen getätigt werden kann, denn die Häufigkeitsangaben zu Burnout unterscheiden sich ebenso wie die jeweils angewandten Definitionskriterien, Messinstrumente oder untersuchten Bevölkerungsgruppen; selbst innerhalb gleicher Berufsgruppen schwanken die Prävalenzangaben stark [4, 12]. Ebenso unklar ist, wie groß der tatsächliche Anstieg von Burnout-Beschwerden ist und ob es nicht vielmehr zu einer Verschiebung von somatischen hin zu psychischen Diagnosen gekommen ist. Dafür spräche die kontinuierliche Abnahme von Krankenstandstagen und frühzeitigen Pensionierungen infolge körperlicher Erkrankungen [1, 13]. Allerdings schmälert dies die Relevanz des Phänomens Burnout nicht, wird doch die „Diagnose“ in der Praxis gestellt und als Grundlage für weiterführende Maßnahmen verwendet. Angesichts des Anstiegs von psychisch bedingten Arbeitsunfähigkeitstagen und der Zunahme von Psychopharmaka-Verschreibungen wird die Brisanz des Phänomens für Gesundheitswesen, Arbeitswelt und Politik deutlich – ebenso wie die Notwendigkeit, qualitativ hochwertige Forschung zu seiner inhaltlich-konzeptuellen Einordnung, Ätiologie, Diagnostik, Prävalenz und der bisherigen Versorgung von Menschen mit „Burnout-Erleben“ zu betreiben [1, 3, 4].

Werdegang eines Begriffs Bereits bei Shakespeare findet man „(to) burn out“ als Metapher für seelisches Ausbrennen. Um 1900 soll „burn out“ in der Bedeutung von „Überarbeitung“ Eingang in die englische Sprache gefunden haben [6]. Populär wurde der Begriff in den 1960er-Jahren, nicht zuletzt durch Graham Greenes Roman „A Burnt-Out Case“, der von einem erfolgreichen Architekten handelt, der seines Berufes überdrüssig wird und als Aussteiger im Kongo einen neuen Lebenssinn findet [14]. 1974 beschrieb der Psychoanalytiker Herbert Freudenberger erstmals umfassend die physischen, psychischen und interaktionellen bzw. sozialen Folgen von Überarbeitung, die er an mit hohem Engagement in Sozialberufen tätigen Personen beobachten konnte, und fasste sie unter dem Begriff „Burnout-Syndrom“ zusammen [15]. Das Thema Burnout wurde in den darauffolgenden Jahren immer populärer: Lagen Ende der 1980er-Jahre etwa 2500 Publikationen zum Thema Burnout vor [16], fanden Schaufeli und Enzmann Ende der 1990er-Jahre bereits mehr als 5500 Publikationen – wenn auch von dürftiger methodischer Qualität [17]. Rösing konstatierte

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2003, dass die Zahl der Publikationen die Marke von 6000 bereits überschritten hatte [7]. Derzeit soll es ca. 1000 Publikation pro Jahr über Burnout geben [1]. Etwa 130 Einzelsymptome werden dem BurnoutSyndrom mittlerweile zugeschrieben [6, 17]. Und nicht nur auf symptomatischer Ebene gewinnt der Begriff an Breite: Beschränkte Freudenberger das Burnout-Syndrom ursprünglich noch auf Sozialberufe, wurde es in späteren Jahren immer mehr zur typischen „KarrieristenErkrankung“ [18]. Inzwischen ist es bei 60 Berufs- bzw. Personengruppen beschrieben worden, es gibt offenbar keinen Beruf mehr, der nicht als potenziell betroffen gilt [6, 7]. Selbst hohes Engagement („Entflammtsein“) und berufliche Tätigkeit sind derzeit keine Burnout-Voraussetzungen mehr (z. B. „Ausgebranntsein“ von Arbeitslosen oder pflegenden Angehörigen) [12, 19]. Maslach verwies schon 1982 darauf, dass es mehr als 15 Definitionen von Burnout gibt und keine davon als Standard akzeptiert ist [20]. Rook stellte 1998 in einer Übersichtsarbeit 16 Definitionen von Burnout einander gegenüber [21]. Die aktuelle Anzahl an Definitionsversuchen dürfte deutlich höher liegen [1, 7], wobei die Begriffe „Burnout“ und „Burnout-Syndrom“ oftmals unklar getrennt bzw. synonym verwendet werden. Hillert meint in diesem Zusammenhang treffend, Burnout habe sich zu einem „bodenlosen Begriff“ entwickelt, und Burisch spricht gar von einem „begrifflichen Morast“ [5, 6]. Es scheint daher ratsam, den Blick auf das ursprüngliche Konzept zu lenken.

Freudenbergers Konzept Herbert Freudenberger engagierte sich neben seinem Beruf als Psychotherapeut ehrenamtlich in der Behandlung von Drogenabhängigen und soll bis zu 16 h täglich gearbeitet haben. Er beobachtete an sich selbst sowie an zahlreichen MitarbeiterInnen „alternativer“ Hilfseinrichtungen Symptome wie chronische Müdigkeit, Schlafstörungen, erhöhte Reizbarkeit und verminderte Flexibilität, aber auch somatische Reaktionen wie etwa Kopfschmerzen oder Magen-Darm-Beschwerden – und sah diese als Folge der Arbeitsüberlastung an. Er betonte, dass die Symptome dieses „Burnout-Syndroms“ vielfältig und bei jedem Menschen anders seien. Burnout sei weder eine psychische Erkrankung noch eine Neurose, sondern eine arbeitsbedingte Problematik. Gleichzeitig wies Freudenberger darauf hin, dass bestimmte Personengruppen besonders gefährdet seien, ein BurnoutSyndrom zu erleiden, und zwar Menschen mit großem Engagement und hohen Leistungserwartungen an sich selbst. Auch formulierte er Ratschläge zur Burnout-Prävention, die sowohl arbeits- und organisationsbezogene (Aufstockung des Personals, regelmäßiger Urlaub, konsequentes Einhalten der Arbeitszeit etc.) als auch personenbezogene bzw. interaktionelle Gesichtspunkte (z. B. Klärung der eigenen Ziele und Erwartungen, Abgrenzung gegenüber KollegInnen) zum Inhalt hatten [5, 6, 15, 22].

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Diagnostische Problematik des Konzepts Freudenberger geht vorwiegend von einem ätiologischen Konzept aus, wobei als Hauptursache die „Überarbeitung“ angesehen wird. Daneben schreibt er dem Syndrom vielfältige und interindividuell stark unterschiedliche Symptome zu. Beinahe jede Befindlichkeitsstörung, die in Zusammenhang mit erlebter Arbeitsüberforderung steht, kann dem Burnout-Syndrom zugeschrieben werden. Die Beschreibung von unterschiedlichen, nicht genau festgelegten Symptomkonstellationen widerspricht aber der psychiatrischen diagnostischen Vorgangsweise, die nicht das Individuelle einer Störung einer Person erfassen soll, sondern die Eigenschaften, die mit jenen anderer Betroffener übereinstimmen [23]. In modernen Diagnosesystemen wie der ICD-10 oder dem DSM-5 werden ätiologische Annahmen weitgehend ausgeklammert und stattdessen operationalisierbare und gut beschreibbare Symptomkonstellationen eingeführt, was die Reliabilität von Diagnosen erhöhen soll. Aus diesem Grund ist es sehr unwahrscheinlich, dass sich Freudenbergers Konzept in zukünftige Diagnosemanuale integrieren lassen wird [1, 4–6, 24, 25].

Stufenmodelle Ausgehend von Freudenbergers Konzept wurden mehrere Modelle entwickelt, denen zufolge Burnout in Phasen, Stadien bzw. stufenweise verläuft (Tab.  1). Jeder Phase oder Stufe werden typische Symptome zugeordnet. Je nach AutorIn verläuft Burnout in zwei, drei, vier, zehn oder aber zwölf Stufen [4–6]. Den meisten Modellen gemeinsam ist, dass es sich dabei um eine Entwicklung von „energiegeladen“ hin zu „energielos“ handelt [2]. Obwohl die Phasen- oder Stufenmodelle vordergründig plausibel erscheinen und weitgehend unkritisch übernommen wurden [1], lassen sich gleich mehrere wesentliche konzeptuelle Probleme aufzeigen: Die Phaseneinteilungen beruhen nicht auf Längsschnitt- oder Verlaufsstudien, sondern eher auf „intuitiven Typisierungsversuchen“ der jeweiligen AutorInnen [4, 6]. Zudem bleibt ungeklärt, wie sich die einzelnen Phasen konkret voneinander abgrenzen lassen und inwieweit es sich bei dem Verlauf um eine unabänderliche Entwicklung in eine Richtung handelt. Denn konsequent betrachtet, müsste sich dann jede besonders engagierte Person bereits in einer Burnout-Vorstufe befinden [2, 6]. Auch wäre davon auszugehen, dass Betroffene mit zunehmenden Berufsjahren immer höhere BurnoutStufen erreichen; Studien zu Burnout und Berufsjahren bzw. Lebensalter liefern allerdings höchst widersprüchliche Ergebnisse [3, 17, 26–28]. Die Phasen- oder Stufenmodelle haben sich als nicht ausreichend valide und verallgemeinerbar erwiesen, um von einem regelhaften Burnout-Verlauf sprechen zu können. Besonders kritisch anzusehen sind die von einigen AutorInnen konzipierten „Burnout-Spiralen“ oder

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Tab. 1  Burnout-Stufenmodelle (Auszug)

Tab. 2  Maslach Burnout Inventory (MBI)

Autor

Phasen/Stadien/Stufen

Dimensionen/Kategorien

Fragen (je zwei pro Dimension angeführt)

Freudenberger

1. Empfindendes Stadium

Emotionale Erschöpfung (emotional exhaustion)

„Ich fühle mich am Ende eines Arbeitstages geschafft“

2. Empfindungsloses Stadium Lauderdale

2. Frustration 3. Verzweiflung Cherniss

Depersonalisation (depersonalisation)

„Ich bin abgestumpfter geworden“

Persönliche Leistungsfähigkeit (personal accomplishment)

„Ich habe das Gefühl, dass ich durch meine Arbeit das Leben anderer Menschen positiv beeinflusse“

1. Berufsstress 2. Stillstand 3. Defensive Bewältigungsversuche

Edelwich

„Ich fühle mich durch meine Arbeit frustriert“

1. Verwirrung

1. Idealistische Begeisterung 2. Stillstand 3. Frustration

„Ich befürchte, dass die Arbeit mich emotional verhärtet“

„Ich fühle mich voller Energie“ Modifiziert nach Hillert [2], Rössler et al. [3] und Korczak et al. [4]

4. Apathie Fengler

1. Freundlichkeit und Idealismus 2. Überforderung 3. Geringer werdende Freundlichkeit 4. Schuldgefühle

verstanden wird) und persönliche Leistungsfähigkeit (Tab. 2). Dem MBI zufolge ist eine Person umso stärker von Burnout betroffen, je höher die Werte in den ersten beiden Kategorien und je niedriger sie in der dritten sind.

5. Vermehrte Anstrengung 6. Erfolglosigkeit 7. Hilflosigkeit 8. Hoffnungslosigkeit 9. Erschöpfung, Distanzierung, Wut 10. Burnout Modifiziert nach Hillert [2] und Korczak et al. [4]

„Burnout-Teufelskreise“, die schwerwiegende Symptome wie Suizidalität als Vorstufe des völligen Ausbrennens auflisten [1, 4, 27].

Das Burnout vermessen 1981 entwickelte die Sozialpsychologin Christina Maslach das auch heute noch am häufigsten verwendete Instrument zur Burnout-Messung, das Maslach Burnout Inventory (MBI) [29]. Maslach definierte Burnout als „a syndrome of emotional exhaustion, depersonalisation, and reduced personal accomplishment that can occur among individuals who do people work of some kind“ [30]. Das MBI wurde mehrfach überarbeitet. 1996 erschien eine neue Fassung [31], von der es wiederum drei Versionen für unterschiedliche Berufsgruppen gibt. Zudem liegen mittlerweile Modifikationen durch andere AutorInnen sowie Übersetzungen in mehrere Sprachen der unterschiedlichen Fassungen und Versionen des MBI vor; viele davon wurden von Maslach nicht autorisiert. In der derzeit wahrscheinlich gängigsten Form des MBI [4] gilt es 25 Fragen auf einer siebenstufigen Häufigkeitsskala (von „nie“ bis „täglich“) zu beantworten. Erfasst werden die drei oben angeführten Dimensionen, nämlich emotionale Erschöpfung, Depersonalisation (wobei diese nicht im psychiatrischen Sinne als Ich-Erlebnisstörung, sondern als „Abstumpfung“, „Dehumanisierung“

Problematik des MBI Das MBI erfasst die Häufigkeit von arbeitsbezogenen Emotionen und Kognitionen, kann also Burnout im Sinne Freudenbergers gar nicht abbilden, da wesentliche Elemente seiner Konzeption keinen entsprechenden Niederschlag gefunden haben, etwa das notwendige hohe Engagement Mitmenschen gegenüber oder der in späteren Modellen postulierte Entwicklungsaspekt [2, 3, 8]. Unter testtheoretischen Gesichtspunkten ist zu kritisieren, dass der Fragebogen nicht durch externe Kriterien (Fremdbeobachtung, physiologische Parameter) validiert wurde und keine an repräsentativen Gruppen erhobenen, klinisch relevanten Schwellenwerte („Cutoff-Werte“) aufweist. Es ist nicht festgelegt, bis zu welchem Wert eine Person als gesund gelten kann und ab welchem Wert ein Burnout vorliegt bzw. ab wann eine Person als krank oder therapiebedürftig einzustufen ist. Werden in einzelnen Studien doch Cut-off-Werte angegeben, so ist ihre Festlegung weitgehend willkürlich und basiert nicht auf wissenschaftlichen Testkonstruktionen. Auch eignet sich das MBI nicht, um das Burnout-Syndrom von Störungen oder Erkrankungen mit ähnlicher Symptomatik abzugrenzen: Werden Personen zusätzlich zum MBI mit Fragebögen zu Depression oder Stressbelastung getestet, korrelieren die in den Tests erzielten Werte meist im mittleren Bereich. Trotz der mangelnden diskriminativen Validität (z. B. gegenüber depressiven Störungen) und der fehlenden Absicherung mittels Außenfaktoren wird das MBI sowohl in der klinischen Diagnostik als auch in der Forschung in 85 bis 90 % aller Fälle eingesetzt [2–8, 27]. Zugespitzt formuliert könnte man sagen: „Burnout ist, was das MBI misst.“ Diese Monopolfunktion findet Burisch angesichts der erwähnten Schwachstellen „erstaunlich“ [6].

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übersicht Differenzialdiagnose Für Burnout gibt es weder eine einheitliche Definition noch ein taugliches Diagnoseinstrument. Daher ist eine Abgrenzung gegenüber psychischen Störungen (z.  B. nach ICD-10), die in Zusammenhang mit einer (Arbeits-) Überforderung auftreten, nicht möglich. Es gibt für Burnout bzw. das Burnout-Syndrom weder Ein- noch Ausschlusskriterien, darüber hinaus sind Schweregrad und Dauer der Symptome – wie es in der psychiatrischen Diagnostik nach ihrem operationalisierten Ansatz verlangt wird – nicht definiert. Burnout ist somit für praktisch alle differenzialdiagnostischen Optionen offen [1, 2, 4, 32]. Berichten PatientInnen über Burnout-Beschwerden, sind zuerst körperliche Ursachen für die Symptomatik auszuschließen (vgl. Tab.  3), da Erschöpfung und Leistungsminderung unspezifische Symptome bei zahlreichen somatischen Erkrankungen sind [1, 4]. Aus psychiatrischer Sicht ist die Abgrenzung von Burnout gegenüber depressiven Störungen schwierig [4, 13, 33]. Die finnische Studie „Health 2000“ zeigt eine breite Überlappung zwischen Burnout und Depression, insbesondere in ausgeprägten Fällen [26]. In der aktuellen Diskussion wird Burnout oft mit einer Stress- oder Überlastungsdepression gleichgesetzt. Es ist davon auszugehen, dass die Unterscheidung zwischen einer „überarbeitungsbedingten“ und einer „normalen“ Depression keine höhere Reliabilität aufweisen wird als die zwischen einer neurotischen und einer endogenen – eine Unterscheidung, die ja genau aufgrund ihrer mangelnden

Krankheiten/Störungen

Somatisch

Anämien, Eisenmangel

Ursachen Schon Freudenbergers ursprüngliches Konzept beinhaltete sowohl personenbezogene als auch arbeitsbzw. organisationsbezogene Erklärungsansätze für das Burnout-Syndrom. In Anlehnung daran entwickelten mehrere AutorInnen Burnout-Modelle, wobei sie jeweils den einen oder anderen Ansatz stärker betonten [4–6]. Aktuell werden auch biologische und gesellschaftliche Gesichtspunkte in die Diskussion eingebracht.

Biologische Faktoren Dass die unterschiedliche Belastbarkeit von Menschen auch genetische Ursachen haben dürfte, ist wissenschaftlicher Konsens. Im Gegensatz zu psychischen Störungen wie der Depression fehlen bei Burnout eindeutige Belege für biologische Risikokonstellationen [1].

Personenbezogene Faktoren

Tab. 3 Differenzialdiagnosen Ursachen

Reliabilität in der ICD-10 fallen gelassen wurde. Ebenso schwierig ist die Abgrenzung gegenüber Störungsbildern, die mit Erschöpfung, Leistungsminderung und unspezifischen somatischen Beschwerden einhergehen, wie etwa die Neurasthenie oder das Chronic-FatigueSyndrom – Diagnosen, die zudem unpräzise Kriterien und damit eine niedrige Reliabilität und Validität haben [2, 24, 32].

Hypothyreose, Diabetes, Nebenniereninsuffizienz Herzinsuffizienz, Niereninsuffizienz Chronisch obstruktive Lungenerkrankung (COPD) Borreliose, Tuberkulose, HIV-Erkrankung Krebserkrankungen (z. B. Leukämie)

Bestimmte Persönlichkeitsmerkmale sowie berufsbezogene Einstellungen gelten als Burnout-Risikofaktoren. Genannt werden u.  a. externe Kontrollüberzeugung, Perfektionismus und das Streben nach Bestätigung und Anerkennung in der Arbeit. Empirische Belege für diese individualpsychologischen Erklärungsansätze existieren allerdings kaum [3, 5, 6, 12, 13, 33].

Entzündliche Systemerkrankungen Degenerative ZNS-Erkrankungen

Arbeitsplatzbezogene Faktoren

Obstruktives Schlafapnoe-Syndrom (OSAS) Restless-Legs-Syndrom (RLS) Medikamentennebenwirkungen Psychiatrisch/Psychosomatisch

Depressive Störungen Anpassungsstörung mit depressiver Reaktion Neurasthenie Chronic-Fatigue-Syndrom (CFS) Dyssomnien Somatoforme Störungen Angststörungen Posttraumatische Belastungsstörung (PTBS) Substanzmissbrauch

ZNS Zentralnervensystem, HIV Humanes Immundefizienz-Virus (modifiziert nach Korczak et al. [4])

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Es gibt gut evaluierte arbeitspsychologische Modelle, um berufsbezogene Überlastung zu erklären, wie das Modell der beruflichen Gratifikationskrise (effort-reward imbalance) nach Siegrist [34] oder das AnforderungsKontroll-Modell nach Karasek [35], denen zufolge hohe Anforderungen bei gleichzeitig geringer Kontrolle und Belohnung zu psychosozialem Stress führen. Vermutet wird, dass arbeitsbedingter Stress von den Betroffenen häufig als Burnout erlebt wird [2, 13, 33]. Zahlreiche Studien weisen darauf hin, dass eine hohe Arbeitsintensität, ein als gering wahrgenommener Handlungsspielraum, geringe Anerkennung bei hoher Anforderung sowie mangelnde soziale Unterstützung und Rollenstress in der Arbeit das Risiko für psychische Beeinträchtigungen bis hin zu Erkrankungen erhöhen können [36, 37].

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übersicht Gesellschaftliche Faktoren Wenn gewisse menschliche Erfahrungen von der Gesellschaft als medizinische Probleme – üblicherweise als Syndrom, Krankheit oder Leiden – definiert werden, bezeichnen dies SozialkonstruktivistInnen als „Medikalisierung“. Medikalisierung führt dazu, dass medizinische Lösungen für komplexe Probleme gesucht werden, während deren sozialer Kontext vernachlässigt wird [38] – also etwa „Ausgebranntsein“ durch Arbeitsüberforderung als primäres Problem des medizinischen Versorgungssystems angesehen wird, anstatt den Wandel der Arbeitswelt (Beschleunigung, Termin- und Konkurrenzdruck, permanente Erreichbarkeit, Überstunden, Arbeitsplatzunsicherheit etc.) dafür verantwortlich zu machen und nach politischen Lösungen zu suchen [1, 13, 33]. Viel Beachtung hat die Arbeit des Soziologen Alain Ehrenberg gefunden, der die Zunahme von Erschöpfung und Depression auf die sich ausbreitende „Kultur der Autonomie“ zurückführt, die Eigenverantwortung und Selbstverwirklichung verlangt – ein Anspruch, an dem viele Menschen scheitern [39].

Das DGPPN-Konzept Um nicht jede psychische Krise oder Erkrankung in zeitlichem Zusammenhang mit einer Arbeitstätigkeit einem Burnout gleichzustellen, schlägt die DGPPN folgende Vorgangsweise zur Kategorisierung von Burnout-Erleben vor [1].

Vorübergehende Arbeitsüberforderung Eine Arbeitsüberforderung kann mit Stresssymptomen wie Angespanntheit, verminderter Schlafqualität oder Erschöpfung einhergehen. Sind diese vorübergehend oder absehbar zeitlich begrenzt und bilden sich in Erholungsphasen zurück, sollte nicht von Burnout gesprochen werden, um diesen Zustand nicht in die Nähe von Erkrankungen zu rücken.

Burnout als längerfristige Arbeitsüberforderung Dauert der Zustand der Überforderung längere Zeit – also mehrere Wochen bis Monate – an, ist sein Ende nicht absehbar und führen Erholungsphasen nicht zur Rückbildung der oben beschriebenen Symptomatik, sollte von Burnout gesprochen und dieses gemäß dem Anhangskapitel der ICD-10 (Kapitel  XXI) mittels Z73.0 codiert werden. Z73 entspricht „Problemen mit Bezug auf Schwierigkeiten bei der Lebensbewältigung“ [24]. Der Begriff „Burnout-Syndrom“ sollte nicht verwendet werden, da er suggeriert, dass die vielfältigen Beschwerden, die die Betroffenen als Folge einer Arbeitsüberforderung erleben, einer einheitlichen Erkrankung entsprechen.

Burnout ist ein beachtenswerter Risikozustand für psychische und körperliche Erkrankungen. Psychosozialer Stress am Arbeitsplatz kann das Risiko für psychische Erkrankungen erhöhen [36, 37]. Zudem besteht eine Assoziation zwischen Burnout und kardiovaskulären, muskuloskelettalen, kutanen und allergischen Erkrankungen [40]. Die zugrunde liegenden Mechanismen sind noch nicht vollständig geklärt [4].

Burnout als Auslöser psychischer und somatischer Erkrankungen Tritt infolge einer längerfristigen Arbeitsüberforderung im Sinne eines Burnouts eine Erkrankung wie Depression, Angststörung oder arterielle Hypertonie auf, ist zuerst diese Erkrankung gemäß ICD-10 zu codieren, zusätzlich ist die Codierung Z73.0 vorzunehmen. Diese Vorgehensweise entspräche insofern dem Konzept Freudenbergers, als er Burnout selbst keine Krankheitswertigkeit zuschrieb, wohl aber in der Überarbeitung die Ursache für diverse somatische und psychische Beschwerden sah [15]. Durch die Zusatzcodierung ließe sich darstellen, dass eine längerfristige Arbeitsüberforderung eine entscheidende Rolle bei der Entstehung und/oder Aufrechterhaltung einer Erkrankung gespielt hat, und könnte so dem „multiaxialen Verständnis“ des Diagnostikers Ausdruck verleihen [32]. Durch eine systematische Zusatzcodierung könnte arbeitsbedingte Überforderung in individuellen Behandlungsstrategien zukünftig besser berücksichtigt werden.

Krankheiten als Ursache Burnout-ähnlicher Beschwerden Erkrankungen wie etwa Anämien, Tumoren oder Depressionen können zu Erschöpfung führen und ein Gefühl der Überforderung am Arbeitsplatz zur Folge haben [13, 33, 41]. Entscheidend ist in solchen Fällen eine genaue medizinische Diagnostik und rasche Therapie der Grunderkrankung. Es ist davon auszugehen, dass durch deren erfolgreiche Behandlung auch das „sekundäre Burnout“ behoben wird und die Arbeitsanforderung wieder gut bewältigt werden kann.

Prävention und Therapie Aus dem bisher Beschriebenen geht hervor, dass es sich bei Burnout bzw. dem Burnout-Syndrom nicht um eine eigenständige Erkrankung handelt, es also auch keine spezifische „Burnout-Therapie“ geben kann. Verwenden PatientInnen den Begriff Burnout, gilt es zu überprüfen, ob die geschilderten Beschwerden in Zusammenhang mit einer längerfristigen Arbeitsüberforderung – also Burnout im Sinne des DGPPN-Konzepts – zu bringen sind. Trifft dies zu, sollte analysiert werden, ob personenbezogene Faktoren („Verhalten“) oder arbeitsplatzbezo-

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gene Faktoren („Verhältnis“) zur erlebten Überforderung beigetragen haben – in vielen Fällen wird eine Mischung aus beiden Faktoren vorliegen [1, 3, 33, 42]. Eine Therapie mit Psychopharmaka ist nur bei eindeutig diagnostizierten psychiatrischen Störungen indiziert. Ziel einer medikamentösen Behandlung oder Psychotherapie ist nicht, dass unerträgliche Arbeitsbedingungen vorübergehend wieder toleriert werden können [1–3, 33].

Verhaltensprävention Es gibt zahlreiche Ratschläge und Empfehlungen, wie Menschen ihre individuelle Belastbarkeit erhöhen und ihr Stressmanagement effizienter gestalten können – z. B. durch Erholung (Entspannung, Schlaf ), Gesundheitsverhalten (Ernährung, Sport), Reduktion überhöhter Leistungserwartungen an sich selbst, Aufspüren individueller Stressoren und einen verbesserten Umgang damit etc. [1, 5, 6, 43]. Die Wirksamkeit derartiger Interventionen konnte in Studien bisher nur teilweise belegt werden. Als effektiv haben sich beispielsweise kognitivbehaviorale und achtsamkeitsbasierte Stressmanagement-Programme erwiesen, weniger effektiv waren Entspannungstrainings [4, 5, 7, 43–45].

Verhältnisprävention Viele AutorInnen teilen die Meinung, dass verhältnisorientierte Maßnahmen in der Burnout-Prävention einen höheren Stellenwert haben sollten als bisher. Haben doch Veränderungen der Arbeitsbedingungen eine nachhaltige und breite Wirkung auf alle Personen an einem Arbeitsplatz, während verhaltenspräventive Maßnahmen oft nur einzelne MitarbeiterInnen erreichen – und vermutlich eher solche, die sich bereits gesundheitsbewusst verhalten. Auch wird sich selbst eine in ihrer individuellen Stressbewältigungs- und Widerstandsfähigkeit gestärkte Person an bestimmten Arbeitsplätzen nicht vor den negativen Beanspruchungsfolgen durch die dort herrschenden Arbeitsbedingungen schützen können. Eine Änderung der Arbeitsbedingungen ist allerdings nicht primär Aufgabe des Gesundheitssystems, sondern nur gesamtgesellschaftlich zu erreichen (Politik, Arbeitsrecht, Sozialpartnerschaft, Betriebsrat, Krankenkassen etc.) [1, 2, 33, 42]. Die Umsetzung verhältnispräventiver Maßnahmen ist aufgrund der unterschiedlichen Interessen und Erwartungen der betroffenen Personen nicht einfach [46]. Als mögliche Interventionen werden Gesundheitszirkel im Rahmen des betrieblichen Gesundheitsmanagements, Supervisionen und „gesundheitsorientiertes Führen“ genannt. Die Wirksamkeit derartiger Maßnahmen wird in Studien allerdings höchst unterschiedlich beurteilt [4, 33, 42, 43].

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Therapie Bei Menschen, bei denen eine psychische oder somatische Erkrankung infolge einer längerfristigen Arbeitsüberforderung auftritt, gilt es begleitend zur erkrankungsspezifischen Therapie die Überforderung am Arbeitsplatz zum Gegenstand der Behandlung zu machen. Dieser Aspekt wird nach Ansicht der DGPPN bisher in Behandlungsstrategien – z.  B. von Depressionen – zu wenig berücksichtigt. Sie fordert daher, dass bei störungsspezifischen Therapien „Burnout-Zusatzmodule“ eingeführt werden [1]. So haben beispielsweise Schramm und Berger für Menschen, die in Zusammenhang mit arbeitsbezogenen Problemen eine depressive Störung entwickelt haben, die Interpersonelle Psychotherapie (IPT) um den Problembereich „arbeitsbezogener Stress und Burnout-Erleben“ erweitert [33]. Die IPT hat sich bereits bei anderen psychosozialen Problemfeldern (z.  B. Rollenwechsel, interpersonelle Konflikte, Isolation infolge sozialer Defizite) als wirksam erwiesen [47]; ein Wirksamkeitsnachweis der „modifizierten“ IPT steht bislang allerdings noch aus [33]. Laut Hillert sind die drei wesentlichen Bausteine („3 E“) der begleitenden Behandlung von durch Arbeitsüberforderung bedingten Erkrankungen: Entlastung von Stressoren, Erholung und Ernüchterung. Vor allem die Ernüchterung – also die Verabschiedung von Perfektionismus und die Akzeptanz der eigenen Grenzen – ist für langfristige Veränderungen unabdingbar und erfordert psychotherapeutische Kompetenzen. Sollen doch PatientInnen die eigenen Anteile an den Problemen am Arbeitsplatz erkennen, Selbstbeobachtung erlernen und biografisch angelegte Schemata modifizieren [2, 5, 6, 12]. Obwohl zahlreiche Einrichtungen mit der Behandlung von Burnout werben, gibt es bisher nur wenige spezifische (tages)stationäre Therapieprogramme. Eines der ersten differenzierten Behandlungssettings wurde am Klinikum Nürnberg entwickelt. Es handelt sich dabei um ein in der Regel sechswöchiges Programm mit gruppentherapeutischem Schwerpunkt. Ziel der Therapie ist es, Persönlichkeitsfaktoren zu reflektieren, Selbstwahrnehmung zu fördern, funktionale Stressbewältigungsstrategien zu erlernen und die erlebte Burnout-Symptomatik zu verstehen. Angeboten werden u.  a. Achtsamkeits-, Entspannungs-, Sport- und psychoedukative Gruppen sowie themenzentrierte Interaktionsgruppen und Stressbewältigungsgruppen auf Methode der Konzentrativen Bewegungstherapie (KBT) [45]. Erste Evaluationen des beschriebenen Behandlungssettings zeigen vielversprechende Ergebnisse, allerdings waren die Stichproben klein und es gab keine Kontrollgruppen [48].

Fazit Es existiert weder eine einheitliche Definition von Burnout (bzw. des Burnout-Syndroms) noch ein standardisiertes, allgemeingültiges Vorgehen, um es zu diagnostizieren [4]. Die oben skizzierten konzeptuellen

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Widersprüche und die Verankerung in einem subjektiven Krankheitsmodell dürften alle Versuche, das Burnout-Syndrom als eigene Störung im Sinne des Kapitels V der ICD-10 zu definieren, scheitern lassen. Nach derzeitigem Kenntnisstand ist nicht davon auszugehen, dass das Burnout-Syndrom als eigene Störung in die ICD-11 aufgenommen werden wird. Es hat auch keinen Eingang in das DSM-5 gefunden [1, 2, 4–8, 24, 25]. Hochwertige Studien könnten dazu beitragen, Burnout genauer zu definieren, valide Messinstrumente zu entwickeln und Wechselwirkungen bzw. Überlappungen mit Erkrankungen zu verstehen [4] – oder aber den Begriff fallen zu lassen. Zum derzeitigen Zeitpunkt scheint es wissenschaftlich konsequent und klinisch sinnvoll zu sein, Burnout gemäß dem DGPPN-Konzept als längerfristige Arbeitsüberforderung und Risikozustand für psychische und somatische Erkrankungen zu definieren und mittels Z73.0 (ICD-10) zu codieren. Interessenkonflikt  Die Autoren erklären, dass kein Interessenkonflikt besteht.

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8   Burnout – eine sinnvolle Diagnose? Kritische Überlegungen zu einem populären Begriff

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Burnout – eine sinnvolle Diagnose? Kritische Überlegungen zu einem populären Begriff  

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[Burnout: a useful diagnosis?].

In psychiatry, burnout is a relevant phenomenon. A large number of individuals is feeling overburdened at work. In contrast to mental disorders, the t...
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