Bild und Fall Ophthalmologe 2015 · 112:64–66 DOI 10.1007/s00347-014-3113-1 Online publiziert: 10. Januar 2015 © Springer-Verlag Berlin Heidelberg 2015

I. Marjanovic · B. Seitz · B. Käsmann-Kellner Klinik für Augenheilkunde, Universitätsklinikum des Saarlandes, Homburg

Heller Augenhintergrund  bei ausgeprägter Cutis laxa  und großen Fontanellen

Anamnese Der 6 Tage alte Säugling wurde erstmalig in der kinderophthalmologischen Ambulanz der Klinik für Augenheilkunde des Universitätsklinikums des Saarlandes zur Mitbeurteilung vorgestellt. Bei multiplen Anomalien bestand der Verdacht auf eine zugrunde liegende Syndromerkrankung. In der Kinderklinik fielen bei der Geburt eine Brachydaktylie aller Extremitäten, eine partielle Syndaktylie, eine ausgeprägte Cutis laxa, eine abnormal breite Kopfform mit überweiter Fontanelle und eine Nierenhypoplasie auf (. Abb. 1b, . Abb. 3).

Klinische Befunde Bei dem Säugling zeigte sich eine auffallende Facies mit einem ausgepräg-

ten Hypertelorismus, überweiten Fontanellen, einer relativen Retrognathie und großen dysplastischen Ohren (. Abb. 1b, . Abb. 2). Bei der 1. ophthalmologischen Untersuchung fand sich ein unauffälliger vorderer Augenabschnitt mit klaren Medien. Ophthalmoskopisch war der Augenhintergrund hell mit altersentsprechender retinaler Vaskularistation. Die Papille war klein und altersentsprechend noch hell. Während des 1. Lebensjahrs wurde kein Nystagmus festgestellt; die orthoptischen Untersuchungen waren unauffällig. Ab der 2. Lebenswoche fiel eine inkomplette rechtsseitige Fazialisparese auf (. Abb. 1a). Ein unvollständiger Lidschluss wurde zur Vermeidung einer Keratopathie mit Augensalbe zur Nacht behandelt. Im Alter von 6 Monaten kennzeichnete sich der ophthalmologische Verlauf durch einen gleich-

Abb. 1 8 a,b Breite Kopfform mit überweiter Fontanelle, Hypertelorismus und Fazialisparese mit inkomplettem Lidschluss bei dem 6 Tage alten Säugling

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bleibenden Befund der Papille und einen beginnenden Makulawallreflex. In der unter Zykloplegie durchgeführten objektiven Refraktometrie ergaben sich folgende Werte: F rechtes Auge: sph: +5,0, cyl. −1,0 Achse 0°, F linkes Auge: sph: +4,25 cyl −1,5 Achse 0°.

Abb. 3 8 Brachydaktylie mit ausgeprägter Cutis laxa

Dem Patienten wurde eine Brille, abzüglich −1,0 dpt von der objektiven Refraktion, verordnet. Zu diesem Zeitpunkt konnte im orthoptischen Status ein Strabismus ausgeschlossen werden.

Abb. 2 8 Prominente Hautvenen im Kopfbereich, atypische Ohrmuschelkonfiguration

D Wie lautet Ihre Diagnose?

Therapie und Verlauf Bei den Verlaufskontrollen während des 1. bis 5. Lebensjahrs ergab die ophthalmologische Untersuchung einen weiterhin bestehenden hellen Fundus ohne Nachpigmentierung sowie eine kleine, physiologisch gefärbte Papille. Aufgrund des sehr hellen Augenhintergrunds und der bestehenden hohen Blendungsempfindlichkeit wurde im 3. Lebensjahr ein Albino-VEP (VEP: „visual evoked potential“) durchgeführt, das die für Albinismus pa-

thognomische atypische chiasmale Kreuzung der Sehnerven belegte. Die visuelle Funktion entsprach zunächst einem beidseitigen Visus von 0,5 (Lea-Test). Der Hypertelorismus nahm im Laufe der Jahre zu; das orbitale Fettgewebe reduzierte sich deutlich. Im Alter von 5 Jahren betrug die beidseitige Sehschärfe 0,25 (Landolt-Ringe einzeln). Ein Nystagmus wurde zu keinem Zeitpunkt festgestellt. Es entwickelte sich jedoch ein Strabismus convergens, der mit entsprechender Okklusionstherapie behandelt wurde. Trotz inspektorisch „großer“ Augen waren die Hornhautdurchmesser altersentsprechend. Der Augendruck befand sich immer im unteren Normbereich.

Diskussion

Abb. 4 8 Deutlich reduziertes orbitales Fettgewebe, Hypertelorismus und auffällig breite Kopfform (Makrozephalie) im Alter von 3 Jahren

Die Symptomenkombination des Patienten lässt sich am ehesten der von Lenz u. Majewski [2] beschriebenen kongenitalen, kraniofazialen Dysmorphie zuordnen. Differenzialdiagnostisch ist bei dem Hauptmerkmal Cutis laxa das von de Barsy et al. [5] 1968 beschriebene Progeroidsyndom zu berücksichtigen. Dieses Krankheitsbild ist durch progeroiden Aspekt, Cutis laxa, intrauterinen Minderwuchs und psychomotorische Retardierung charakterisiert. Ophthalmologisch sind jedoch bei diesem Syndrom vor-

wiegend die vorderen Augenabschnitte mit Hornhauttrübung und vorderem Polstar sowie einer Cataracta praematura betroffen. Diese Veränderungen konnten bei dem Patienten nicht nachgewiesen werden. Eine genetische Mutation in PYCR1, das beim Barsy-Syndrom nachgewiesen werden kann, lag bei dem Patienten nicht vor. In der genetischen Untersuchung stellten sich ein normaler Karyotyp und kein Hinweis auf eine chromosomale Aberration dar.

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Diagnose: Lenz-Majewski-Syndrom Bei bestehendem Hypertelorismus, Cutis laxa und den großen Fontanellen wurde bei dem Patienten der Verdacht auf ein Lenz-Majewski-Syndrom (LMS; . Abb. 1, 2, 3, 4) gestellt. Das LMS, erstmals 1974 beschrieben (OMIM 151050; [2]), ist charakterisiert durch syndromatischen Kleinwuchs mit progeroidem Aspekt. Es ist eine sehr seltene kongenitale kraniofaziale Dysmorphie, die mit zahlreichen Veränderungen der Haut sowie Hand- und Fußfehlbildungen einhergeht. Die Genese des LMS ist bisher noch unklar. Ähnliche Syndrome wurden bereits vor 1974 beschrieben, aber damals als Camurati-Engelmann-Syndrom geDer Ophthalmologe 1 · 2015 

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Fachnachrichten Tab. 1  Häufigste Merkmale bei Lenz-Ma-

jewski-Syndrom. (Nach [4]) Makrozephalie mit spätem Verschluss der Fontanelle Hypertelorismus Choanale Atresie Hypoplasie des Zahnschmelz Große Ohren Cutix laxa Hypermobile Gelenke Syndaktylie der Finger Mentale Retardation unterschiedlicher Ausprägung Progressive Osteosklerose Breites Schlüsselbein und Rippenbogen Brachydaktylie

6 von 7 7 von 7 5 von 7 4 von 4 6 von 6 7 von 7 6 von 6 7 von 7 7 von 7 6 von 6 7 von 7

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F Die Symptomenkombination des Patienten lässt sich am ehesten einem LMS zuordnen. F Differenzialdiagnostisch ist bei dem Hauptmerkmal Cutis laxa das Progeroidsyndom zu berücksichtigen.

Korrespondenzadresse I. Marjanovic Klinik für Augenheilkunde, Universitätsklinikum des Saarlandes Kirrbergerstr. 100, 66424 Homburg [email protected]

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deutet. Lenz u. Majewski [2] berichteten über 2 Patienten und postulierten ein unabhängiges Krankheitsbild. In einer von Majewski im Jahr 2000 durchgeführten Metaanalyse wurden die häufigsten Anomalien von insgesamt 7 Patienten mit diesem Symptomenkomplex zusammengefasst (. Tab. 1; [4]). Eine genetische Grundlage konnte noch nicht nachgewiesen werden. Auch bei der genetischen Untersuchung des vorgestellten Patienten war der Karyotyp numerisch und strukturell unauffällig. Eine mögliche Ursache für eine Neumutation mit autosomal-dominantem Erbgang wurde von Majewski [4] postuliert; er vermutete das fortgeschrittene Alter der Eltern könnte diese Genmutation verursachen. Die Eltern des vorgestellten Patienten waren jedoch bei der Zeugung beide unter 30 Jahre alt. Über die okulären Befunde gibt es in der Literatur bislang nur wenige Informationen. Der vorgestellte Patient zeigt bei LMS okulär einen Hypertelorismus, flache Orbitae und eine Fazialisparese, wie sie bereits 2004 von Wattanasirichaigoon et al. [3] publiziert wurden. Bislang wurden jedoch noch keine Funduspathologien oder ein albinismustypisches VEP beschrieben. Hier ergeben sich evtl. Hinweise auf eine molekulargenetische Grundlage des LMS, die bislang noch nicht eruiert werden konnten.

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Fazit für die Praxis

Einhaltung ethischer Richtlinien Interessenkonflikt.  I. Marjanovic, B. Seitz und B. Käsmann-Kellner geben an, dass kein Interessenkonflikt besteht. Alle Patienten, die über Bildmaterial oder anderwei­tige Angaben innerhalb des Manuskripts zu identifi­zieren sind, haben hierzu ihre schriftliche Einwilligung gegeben. Im Fall von nichtmündigen Patienten liegt die Einwilligung eines Erziehungsberechtigten oder des gesetzlich bestellten Betreuers vor. Dieser Beitrag beinhaltet keine Studien an Menschen oder Tieren.

Literatur 1. Braham RL (1969) Multiple congenital anomalies with diaphyseal dysplasia (Camurati-Engelmann’s syndrome). Oral Surg Oral Med Oral Pathol 27:20– 26 2. Lenz WD, Majewski F (1974) A generalized disorder of the connective tissues with progeria, choanal atresia, symphalangism, hypoplasia of dentine and craniodiaphyseal hypostosis. Birth Defects Orig Artic Ser 10:133–136 3. Wattanasirichaigoon D, Visudtibhan A, Jaovisidha S et al (2004) Expanding the phenotypic spectrum of Lenz-Majewski syndrome: facial palsy, cleft palate and hydrocephalus. Clin Dysmorphol 13:137– 142 4. Majewski F (2000) Lenz-Majewski hyperostotic dwarfism: reexamination of the original patient. Am J Med Genet 93:335–338 5. De Barsy AM, Moens E, Dierckx L (1968) Dwarfism, oligophrenia and degeneration of the elastic tissue in skin and cornea. A new syndrome? Helv Paediatr Acta 23:305–313

Abstoßung der transplantierten Hornhaut vermeiden EU-Projekt Visicort zu geeigneten Biomarkern Die Hornhauttransplantation ist mit weltweit über 100.000 Eingriffen im Jahr die häufigste Transplantation menschlichen Gewebes. Wie bei allen Transplantationsarten kommt es bei einem Teil der Patienten zu einer Abstoßungsreaktion des Immunsystems auf das Transplantat. Bei etwa 20 bis 30 Prozent der Patienten treten solche Immunreaktionen innerhalb der ersten fünf Jahre auf. Wird diese Reaktion frühzeitig erkannt und eine intensive Behandlung durchgeführt, kann in der Regel eine dauerhafte Eintrübung des Transplantats verhindert werden. Um die Reaktion des Immunsystems nach einer Transplantation besser einschätzen und somit frühzeitiger reagieren zu können forschen nun im Rahmen des EU-geförderten Projekts Visicort Wissenschaftler um Prof. Dr. Uwe Pleyer von der Klinik für Augenheilkunde am Campus Virchow-Klinikum der Charité - Universitätsmedizin Berlin gemeinsam mit führenden europäischen Transplantationszentren zu klinisch anwendbaren Biomarkern. Diese charakteristischen biologischen Merkmale, die auf bestimmte Prozesse im Körper hinweisen können und zudem objektiv messbar sind, können frühzeitig einen Hinweis auf eine beginnende Immunreaktion geben und eine gezielte präventive Behandlung ermöglichen. In der Multicenter-Studie werden die klinischen Daten und das Probenmaterial von rund 700 Hornhauttransplantationen zusammengeführt. Die Wissenschaftler in Deutschland, Dänemark, Frankreich, Großbritannien und Irland arbeiten interdisziplinär zusammen und verbinden ihre Expertisen aus der Augenheilkunde, der Immunologie, dem Bio-Sampling, der Bio-Informatik sowie der klinischen Transplantation miteinander. Quelle: Charité - Universitätsmedizin Berlin (www.charite.de)

[Bright ocular background with profound cutis laxa and large fontanelles].

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