Langenbecks Arch. Chir. 345 (KongreBbericht 1977)

• r • ~irgk~mArehht © by Springer-Verlag1977

7. Mamma-Carcinom Aufgaben und Miiglichkeiten der Nachsorge B. Henningsen Chirurgisches Zentrum der Universit/it (Direktor: Prof. Dr. F. Linder), Kirschnerstr., D-6900 Heidelberg

Breast Cancer: Postoperative Care Summary. Sixty percent of breast cancer patients show postoperative morbidity due to local recurrence or metastases. For these women and those who suffer from therapy-dependent somatic or psychologic disorders, organized postoperative care is necessary. Mode of action and organization of the Heidelberg postoperative care unit are described. An evaluation of postoperative care programs in Germany, Austria and Switzerland reveals the necessity of increasing our activities. An interdisciplinary approach in this field is of great importance.

Key words: Breast cancer, postoperative care - Edema, postmastectomy - Breast cancer, rehabilitation.

Zusammenfassung. 60% postoperative Morbidit~it in den ersten 5 Jahren nach Ablatio mammae durch Rezidive und Metastasen, dazu therapiebedingte Sch~iden, somatisch und psychisch, erfordern organisierte Nachsorge. Untersuchungsintervalle und Untersuchungsmethoden werden dargestellt. Umfrageergebnisse fiber den Stand der Nachsorgebemiihungen in Deutschland, Osterreich und der Schweiz mahnen zu gr613erer Aktivit~it. Wesentlich in der Nachsorge ist die interdisziplin~ire Denk- und Arbeitsweise.

Sehliisseiwiirter: Mamma-Carcinom, Nachsorge, Lymph6dem, Rehabilitation.

Aus der Analyse von mehr als 2000 dokumentierten Mamma-Carcinomf/illen unserer Klinik und den direkten Erfahrungen in einer seit 1963 bestehenden speziellen Nachsorge-Sprechstunde leiten wir die Festellung ab: Die Therapie des Mamma-Carcinoms ist mit der Operation nicht beendet. F/inf Jahre nach erfolgter Prim~irbehandlung sind 45 % der Brustkrebspatientinnen verstorben (Abb. 1). Wir k6nnen davon ausgehen, dab in nahezu all diesen

74

B. Henningsen MAMMA - CA

SCHICKSAL 5 JAHRE POSTOPERATIV(T x Nx Mx) verstorben

45 %

lebend

55 %

lebend ohne Rezidiv oder Metastasen

42 %

leber~d mit Rezidiv oder Metastasen

13%

Abb. 1

Das postoperative Schicksalder MammaCarcinompatientin (vgl. Henningsen,1975)

Fallen das Grundleiden in Form einer Metastasierung zum Tode fiJhrte. Weitere 13 % der Patientinnen leben zwar 5 Jahre postoperativ, mul3ten jedoch bereits wegen aufgetretener Tumorrezidive oder Metastasen behandelt werden. Lediglich 42 % der operierten Frauen lassen in den ersten 5 postoperativen Jahren keine Anzeichen fiir ein Fortbestehen oder Fortschreiten des Grundleidens erkennen. Die Folgerung aus den gegebenen Daten heiBt also: In den ersten 5 Jahren nach Brustkrebsoperation werden etwa 60 % der Patientinnen behandlungsbediirftig infolge ihres fortschreitenden Tumorleidens. Aufgabe der Nachsorge ist es, lokale Rezidive und Fernmetastasen so friihzeitig zu erkennen, dal3 sowohl durch lokal-chirurgische als auch systemische Therapie bei entsprechend geringerer Tumorzellzahl bessere Behandlungsergebnisse erzielt werden k6nnen. Die postoperative Morbidit~it der Brustkrebspatientinnen ist jedoch nicht nur durch das Grundleiden und seine Progredienz bedingt. Die erforderlichen operativen und ggf. auch strahlentherapeutischen MaBnahmen fiihren nicht selten selbst wiederum zu einer Belastung mit Krankheitswert. Als somatisch faBbare Therapiefolge steht hier das Lymph6dem an erster Stelle. Neben den ebenfalls nachweisbaren Einfliissen der postoperativen Strahlentherapie ist die H~iufigkeit des Lymph6dems wesentlich abh~ingigvonder praktizierten Operationstechnik. Wir beobachteten in unserem Patientengut in 13 % Lymph6deme, wobei auf eine schonende Pr~iparation der Axilla ganz besonderer Wert gelegt wurde. Die gefundenen Lymph6deme liegen sich alle in die Stadien I u n d II einordnen, wiesen also nicht mehr als 2 bzw. 6 cm Armumfangs-Differenz auf und sind damit noch einer konservativen Therapie zug~inglich (vgl. Henningsen et al., 1976, 1977). Neben den meBbaren somatisehen St6rungen kommt der psychischen Belastung nach Ablatio mammae besondere Bedeutung zu. St6rungen im Familienleben, Sexualleben und auch in der beruflichen Rehabilitation seien hier hervorgehoben (Henningsen et al., 1975). Wie sieht nun unser Modell der Naehsorge aus? Die organisierte Nachsorge beginnt 6 Wochen postoperativ. Zu diesem Zeitpunkt iiberweist der durch Arztbrief informierte Hausarzt die Patientin in die spezielle Nachsorge-Sprechstunde. Die erste ambulante Nachuntersuchung dient im wesentlichen zur Dokumentation des Befundes nach Abschlug der Wundheilung und einer ggf. durchzufiihrenden Strahlentherapie.Wesentlich ist eine Aufkl/irung der Patientin iiber den Sinn der weiter erforderlichen Untersuchungen sowie eine intensive Anleitung zur Selbstuntersuchung.

Mamma-Carcinom

75 REGELM~,SSIGE NACHSORGE % der Kliniken

D .O"

Abb. 2

Umfrageergenisse: Durchfiihrung und Aufgabenteilung in der MammaCarcinomnachsorge (Signifikanz durch ~(2-Test gesichert). D = Deutschland, CH = Schweiz, A = Osterreich

CH

A

14

7

6

Klinikambulanz

29

18

48

Chef- Sprechst.

21

9

18

HA

12

23

4

HA + Klinikambulanz

10

15

12

HA + Chef Sprechst.

14

28

12

36

66

28

n-418

n-80

n-84

Beteiligungdes HA gesamt:

Die Untersuchungsintervalle betragen in der ersten Phase 3 Monate, da etwa 80% aller lokalen Rezidive in den ersten 2 postoperativen Jahren auftreten. Nach AbschluB des 2. postoperativen Jahres ohne Lokalrezidiv oder Metastasierung wird das Untersuchungsintervall auf 6 Monate verl~ingert. Erst nach dem 5. komplikationsfreien Jahr sollte der Untersuchungsabstand auf 1 Jahr ausgedehnt werden. Die Nachuntersuchung selbst wird folgendermaBen ausgefiihrt: Zun~ichst erheben wir eine Zwischenanamnese, um durch entsprechende Beschwerdebilder eine Metastasierung z. B. im Bereich der Wirbelsaule zu erfassen. Im Mittelpunkt der Nachsorge stehen Inspektion und Palpation des Operationsbereiches, der kontralateralen Mamma sowie der regionaren LymphabfluBgebiete beidseits. Die Umfangsmessung beider Arme mit Priifung der Konsistenz des subcutanen Gewebes dient der Erfassung von Lymph6demen. Routinem/iBig fiihren wir folgende R6ntgenuntersuchungen durch: Thoraxiibersicht in 2 Ebenen, Beckeniibersichtsaufnahme sowie Mammographie der verbliebenen Brust in 2 Ebenen. R6ntgenaufnahmen der Wirbels~iule, Lungendurchleuchtung, Tomographie und Szintigraphie geh6ren bisher nicht zur Routine. Besonders fiJr die Szintigraphie zur noch friiheren Erfassung von Skeletmetastasen ware dies jedoch zu diskutieren. Ein grol3er Aufwand von Laboruntersuchungen zur Erfassung einer Metastasierung hat bisher enttauscht. Das unspezifische Mittel der BKS kann Hinweise geben. Wo m6glich, sollten Bestimmungen der Hydroxyprolinausscheidung zur Erkennung und Verlaufskontrolle von Knochenmetastasen herangezogen werden. Calciumkontrollen sind vor allem bei Durchfiihrung von Hormon-TherapiemaBnahmen wegen Knochenmetastasierung anzuraten. Die Fiihrung der informierten Krebspatientinnen muB die vertrauensvolle Zusammenarbeit zum Ziel haben. Eine Vertrauensbasis mul3 geschaffen sein, bevor Problemsituationen entstehen, wie etwa bei eingetretener Metastasierung mit der Notwendigkeit eingreifender Therapiemal3nahmen.

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B. Henningsen THERAPIE DES NETASTASI ERENDENMAMMA -CA

PRAEMENOPAUSE

POSTMENOPAUSE Tamoxifen

Ovarektomie Remission

keine Remission

Remission

, I. Rezidiv lancjsam wachsend

schnell wachsend~

I Tamoxifen )

Polychemotherapie

I

I I. Rezidiv

/

keine Remission

Polychernotherapie

~ - ~ BEDEUTUNGDER METASTASEN- LOKALISATION

FOr jeden Fall zu prOfen:

Einsatzgezielter Strahlentherapie Kombination mit Strahlentherapie Kombination mit anabolen Steroiden Palliative Chirurgie (Hypophysenausschaltung)

Therapie-Entscheidung :

INIERDISZI PLIN~R

Abb. 3. Arbeits-Schema zur Therapie des metastasierenden Mamma-Carcinoms

Nach dieser - in der K/irze der Zeit - nut skizzierenden Darstellung von Aufgaben und M6glichkeiten der Mamma-Carcinomnachsorge darf ich Ihnen nun einige Zahlen pr~isentieren, die aufzeigen sollen, wie weitgehend Nachsorgebemiihungen bereits existieren. Die Zahlen entstammen einer Umfrageaktion, die wir z. Z. zusammen mit Herrn Dr. K6hler vom Deutschen Krebsforschungszentrum in Heidelberg auswerten. Angeschrieben wurden hierzu 1495 chirurgische Chef~irzte in Deutschland, Osterreich und der Schweiz. Die Antwortquote betrug etwa 50%. Eine regelm~iSige Nachsorge f/ir Mamma-Carcinompatienfinnen ist offensichtlich in Deutschland, der Schweiz und Osterreich als Notwendigkeit erkannt worden und wird in verschiedener Form praktiziert (Abb. 2). Keine regelm~il3ige Nachsorge fiir Mamma-Carcinompatientinnen besteht im Bereich von 14~ der erfal3ten deutschen Kliniken, 7 ~o der Schweizer und 6~o der 6sterreichischen Kliniken. 50% der deutschen Kliniken ffihren Nachsorge teils in den Klinikambulanzen, teils in der Chefsprechstunde selbst durch. In 36 ~o der Kliniken wird die Nachsorge teils dem Hausarzt ganz iiberantwortet oder in Zusammenarbeit zwischen Hausarzt und Klinikambulanz sowie Hausarzt und Chefsprechstunde durchgefiJhrt. In der Schweiz liegt die Beteiligung des Hausarztes mit 66% wesentlich h6her, w~ihrend in Osterreich das umgekehrte Verhalten festzustellen ist. Dort wird an 66% der Kliniken die Nachsorge ohne Einschaltung des Hausarztes vorgenommen. Im Rahmen der Nachsorge stellt die Therapie des metastasierenden MammaCarcinoms im Einzelfall h~iufig ein besonderes Problem dar. Das Basis-Schema unseres Vorgehens (Abb. 3) sei nur als eines von verschiedenen m6glichen Arbeitsmodellen vorgestellt und soil vor allem dazu dienen, die Notwendigkeit der interdisziplin~iren Beratung in Anbetracht der vielen Erscheinungsformen des metastasierenden Carcinoms und der unterschiedlichen sich anbietenden Therapiem6glichkeiten darzustellen.

Mamma-Carcinom

77 ORGANISIERTE INTERDISZIPLIN~,RE ZUSAMMENARBEIT ( % der Kliniken )

Abb. 4

Umfrageergebnisse: Vorhandensein und Art interdisziplin~er Zusammenarbeit in der Mamma-Carcinomnachsorge(Signifikanzdurch z2-Test gesichert). D = Deutschland, CH = Schweiz, A = Osterreich

D

CH

A

g

34

13

31

mit Internisten

11

21

?

mit Radiologen

31

10

27

mit Internisten

24

56

35

n=80

n=84

und I~liologen

n.418

Da wir die Bedeutung der interdisziplin~en Arbeit insbesondere ffir die Indikationsstellung zu den verschiedensten Therapieformen beim metastasierenden Mamma-Carcinom hoch einsch~itzen, haben wir in unserer Umfrageaktion auch hierzu einige Daten erhoben (Abb. 4). Das Fehlen einer organisierten interdisziplin~iren Zusammenarbeit wird in Deutschland von 34% der antwortenden Klinikleiter angegeben. In Osterreich ist ein ~ihnlicher Prozentsatz mit 31% festzustellen. Dagegen behauptet die Schweiz mit der geringen Fehlzahl von 13% eine beachtliche Fiihrungsposition. In der interdisziplin~iren postoperativen Betreuung der Mamma-Carcinompatientinnen sollte das Gespr~ich nicht nur zwischen Chirurgen und Intemisten oder Chirurgen und Radiologen geffihrt werden, sondern ist zumindest das Dreiecksgespr~ich zwischen Chirurgen, Internisten und Radiologen zu fordern. W~ihrend in der Schweiz in 56% der antwortenden Kliniken dieses Modell verwirklicht ist, best~itigen die Osterreicher eine solche Zusammenarbeit in 35%. Die Zahl for Deutschland betfiigt lediglich 24 %. Es dr~ingt sich die SchluBfolgerung auf, dab hierzulande nicht nur die Quantit~it, sondern auch die Qualit~t der Nachsorgebem~ihungen hinter denen in der Schweiz zurficksteht. Abschliel3end ist festzustellen: Notwendigkeit und Aufgaben der Nachsorge ffir Mamma-Carcinompatientinnen sind erkannt. Die M6glichkeiten wachsen mit der Konsequenz in der Durchffihrung der geforderten MaBnahmen. Der Aufwand ffir Organisition und Untersuchungen ist im Verh~iltnis zum Nutzen ffir die Patientinnen und etwa im Vergleich zu ungezielten Vorsorgeuntersuchungen als gering zu veranschlagen. Nach den vorgelegten Daten fiber die tats/ichlich existierenden Nachsorgebemfihungen ist jeder verantwortlich leitende Chirurg dazu aufgerufen, in Zusammenarbeit mit den Haus~irzten und Krankenhaustr~igern nach Mitteln und Wegen zu suchen, um das erkannte Ziel zu erreichen. Literatur

beim Verfasser.

[Breast cancer: postoperative care (author's transl)].

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