Bundesgesundheitsbl - Gesundheitsforsch - Gesundheitsschutz 2002 · 45:527–523 DOI 10.1007/s00103-002-0429-9

Leitthema: Lebensmittel und Infektionsrisiken F. J. Conraths · T. Selhorst · M. H. Groschup Bundesforschungsanstalt für Viruskrankheiten der Tiere,Wusterhausen und Insel Riems

Bovine Spongiforme Enzephalopathie (BSE) bei in Deutschland geborenen Rindern

Zusammenfassung Wie kaum eine andere anzeigepflichtige Tierseuche zuvor hat die Feststellung der Bovinen Spongiformen Enzephalopathie (BSE) bei in Deutschland geborenen Rindern vor allem wegen des mutmaßlichen Zusammenhangs von BSE mit der beim Menschen auftretenden neuen Variante der CreutzfeldtJakob-Krankheit [1] zu einem starken öffentlichen Interesse geführt.Das Ziel dieser Übersicht besteht darin, den aktuellen Kenntnisstand zum Auftreten von BSE bei in Deutschland geborenen Rindern zusammenzufassen.Soweit möglich, werden die vermuteten Eintragsquellen und Übertragungswege dargestellt.

Mögliche Eintragsquellen für BSE Folgende Eintragsquellen für BSE kommen grundsätzlich in Betracht: ◗ Tiermehl, Fleischknochenmehl, Grieben, Blutmehl und Tierfett [2, 3, 4, 5], ◗ Einfuhr lebender BSE-infizierter Tiere [6], ◗ spontan in Deutschland entstandene BSE-Fälle, ◗ eventuell andere [7, 8, 9] oder bislang unerkannte Eintragsquellen. Als mögliche Eintragsquellen für BSE sind proteinhaltige, aus Säugetiergewebe gewonnene Erzeugnisse (Tiermehl, Fleischknochenmehl, Grieben, Blutmehl, Tierfett) in Betracht zu ziehen, die in Futtermitteln für Rinder verwendet wurden [2, 3]. Hierbei spielen neben möglichen illegalen Importen (insbesondere aus Drittländern) Futtermittel aus Mitgliedsstaaten der EU eine Rolle, die aufgrund der Umstellung vom so genannten Batch-Verfahren zu kontinuierlichen Verfahren mit reduzierten Temperaturen und einer verminderten Extraktion von Fett mit Lösungsmitteln hergestellt wurden. Nach dem Fütterungsverbot proteinhaltiger Erzeugnisse aus Säugetiergewebe an Wiederkäuer (ab Juni 1994) lag das Infektionsrisiko bis 1996 in erster Linie in Verschleppungen beim Mischfutterherstellungsprozess bzw. der versehentlichen oder gezielten Verfütterung von Mischfutter-

mitteln mit proteinhaltigen Erzeugnissen begründet [10]. Unabhängig hiervon war die Verwendung von tierischen Fetten aus BSE-Risikoorganen (bis September 2000) mit einem zunächst unerkannten, hohen potenziellen Kontaminationsrisiko behaftet, da diese Produkte ausschließlich aus Schlachtkörperteilen lebensmitteltauglicher Gewebe gewonnen wurden und damit mit Ausschmelztemperaturen von weniger als 80°C hergestellt werden durften. Da es sich hierbei um keine proteinhaltigen Erzeugnisse aus Säugetiergeweben im Sinne der Futtermittelverordnung handelte, durften diese auch bei Wiederkäuern bis Ende 2000 eingesetzt werden und wurden vorwiegend zur Herstellung von Milchaustauschern verwendet. Es wird allgemein angenommen, dass eine horizontale Ausbreitung von BSE (außer über kontaminiertes Tierfutter) nicht stattfindet.Ob BSE vertikal (von der Kuh auf das Kalb) übertragen werden kann,ist nicht unumstritten.Einigkeit besteht jedoch darin, dass dieser Übertragungsweg epidemiologisch allenfalls eine geringe Bedeutung haben kann. Die getroffenen Maßnahmen (Import- und Verfütterungsverbot von Knochen- und Fleischmehl) sind bei entsprechender Kontrolle ausreichend, um

© Springer-Verlag 2002 Franz J. Conraths Bundesforschungsanstalt für Viruskrankheiten der Tiere, Seestraße 55, 16868 Wusterhausen E-Mail: [email protected]

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Leitthema: Lebensmittel und Infektionsrisiken Tabelle 1

Anzahl der BSE-Fälle bei in Deutschland geborenen Rindern [Quelle: Bundesministerium für Verbraucherschutz, Ernährung und Landwirtschaft (BMVEL), Stand: 28.2.2002] Bundesland

Baden-Württemberg Bayern Berlin Brandenburg Bremen Hamburg Hessen Mecklenburg-Vorpommern Niedersachsen Nordrhein-Westfalen Rheinland-Pfalz Saarland Sachsen Sachsen-Anhalt Schleswig-Holstein Thüringen Bundesrepublik Deutschland

Anzahl

Gesamt

2000

2001

2002

– 5 –

12 59 – 3 – – 3 2 17 2 4 1 4 4 12 2 125

2 8 – 1 – – – 1 7 – 2 – 2 – 5 – 28

– – – – 1 – – – – – 1 – 7

einen weiteren Eintrag von BSE aus dem Ausland über diesen Weg zu verhindern. Es sollte geprüft werden, ob die Maßnahmen ausreichen, die zur Verhinderung einer Verbreitung des BSE-Erregers über tierische Fette getroffen wurden. Die Aufklärung der tatsächlichen Eintragsquellen ist erforderlich, um ◗ das Zustandekommen des BSE-Geschehens in Deutschland möglichst lückenlos wissenschaftlich nachvollziehen zu können,

◗ die ergriffenen Maßnahmen wissenschaftlich abzusichern, ◗ die BSE-Freiheit von Exporten (Rinder, Fleischwaren) abzusichern. Das unter Federführung des Bundesministeriums für Forschung und Bildung (BMBF) entstandene Forschungskonzept „transmissible spongiforme Enzephalopathien (TSE)" weist in dieser Hinsicht Defizite auf [11]. Die epidemiologische Erforschung animaler TSE ist dort

Abb.1  Anzahl der in Deutschland festgestellten BSE-Fälle pro Monat

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14 72 – 4 – – 3 3 25 2 6 1 6 4 18 2 160

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auf die Surveillance von BSE und Scrapie reduziert.

Zeitliche Entwicklung des BSEGeschehens in Deutschland Zur zeitlichen Entwicklung des BSEGeschehens in Deutschland lassen sich folgende Fragen formulieren: ◗ Seit wann kommt BSE autochthon (einheimisch) bei in Deutschland geborenen Rindern vor? ◗ Wo befinden wir uns in der epidemischen Kurve des BSE-Geschehens? ◗ Welche Vorhersagen können unter Berücksichtigung der getroffenen Maßnahmen zur Entwicklung des BSE-Geschehens getroffen werden? Alle genannten Fragen lassen sich zum gegenwärtigen Zeitpunkt noch nicht abschließend beantworten, obwohl insbesondere die letzte Frage bei der Bewertung der zur BSE-Bekämpfung getroffenen Maßnahmen eine entscheidende Bedeutung hat. Es wird allgemein davon ausgegangen, dass die Zahl der Neuinfektionen von Rindern mit dem BSEErreger zurzeit gegen null geht.

Deskriptive Statistik der BSE-Fälle Bis Ende Februar 2002 wurde bei 160 in Deutschland geborenen Rindern BSE festgestellt, 72 Fälle traten bei Rindern auf, die zum Zeitpunkt der Feststellung in Bayern gehalten worden waren. Die räumliche Verteilung der BSE-Fälle auf die Länder ist in Tabelle 1 dargestellt. Auf der Basis des Feststellungsdatums ergibt sich eine monatliche Häufigkeitsverteilung für BSE-Fälle im Zeitraum von November 2000 bis Februar 2002,die der Abb. 1 zu entnehmen ist. Aus dieser Häufigkeitsverteilung kann ein Trend für eine fallende Inzidenz von BSE-Fällen nicht sicher abgeleitet werden. Im Jahr 2001 wurden in Deutschland knapp 2,86 Mio. Rinder auf BSE getestet (Tabelle 2). In Deutschland werden alle über 24 Monate alten für den menschlichen Verzehr geschlachteten Rinder, aus besonderem Anlass geschlachtete Rinder, die über 24 Monate alt sind, sowie verendete Rinder nach den Vorgaben der TSE-Überwachungsverordnung untersucht. Im Hinblick auf die Untersuchung von not- oder krank geschlachteten Rindern sowie von ver-

Tabelle 2

Untersuchungen auf BSE im Jahr 2001 (Datenquelle: BMVEL) Zielgruppe

Verendete Rinder Not-/krank geschlachtete Rinder Rinder mit klinischen Erscheinungen vor der Schlachtung Gesund geschlachtete Rinder Im Rahmen der BSE-Ausmerzung getötete Rinder Verdachtsfälle zur Bestätigung durch Laboruntersuchung Gesamt:

Anzahl Proben

Anteil der Proben der Zielgruppe [%]

BSE-positiv

BSE-positiv pro 100.000 untersuchte Rinder

BSE-negativ

Zweifelhaft

268.407 7.957 181

9,391 0,278 0,006

49 19 6

18,26 238,78a 3314,92a

268.354 7.936 175

4 2 0

2.567.427 13.850

89,832 0,485

36 4

1,40 28,88a

2.567.358 13.845

33 1

214

0,007

11

5140,19a

202

1

2.857.870

41

2.858.036

100,00

125

aHochgerechnet, da Gesamtzahl der untersuchten Fälle unter 100.000.

endeten oder getöteten Rindern geht das deutsche Recht über das EG-Recht [Verordnung (EG) Nr. 999/2001/EG des Europäischen Parlaments und des Rates vom 22. Mai 2001] hinaus. Den größten Anteil mit fast 2,57 Mio. Rindern (89,8%) machten die gesund geschlachteten Rinder aus. Die Größe dieser Gruppe ergibt sich aus der Untersuchungspflicht für alle Rinder ab einem Lebensalter von 24 Monaten, die für den menschlichen Verzehr geschlachtet werden. Betrachtet man die einzelnen Zielgruppen der Untersuchungen, fällt auf, dass die auf 100.000 untersuchte Rinder berechnete Inzidenz in der Gruppe der Verdachtsfälle zur Bestätigung durch Laboruntersuchung mit 5140,19 am höchsten lag, gefolgt von der Gruppe der Rinder mit klinischen Erscheinungen vor der Schlachtung (3314,92). Die niedrigste Inzidenz wiesen die gesund geschlachteten Rinder mit 1,40 BSE-positiven Tieren pro 100.000 untersuchten Rindern auf. Eine Statistik des Internationalen Tierseuchenamtes ermöglicht einen europäischen Vergleich der jährlichen BSE-Inzidenzen (Tabelle 3). Die Vergleichbarkeit wird allerdings dadurch eingeschränkt, dass die Vorgaben zur Untersuchung und die Untersuchungsmethoden in den betroffenen Ländern nicht einheitlich waren.Anhand der Untersuchungszahlen des Jahres 2001 ergibt sich für Deutschland in dem genannten Jahr eine durchschnittliche Inzidenz von 19,9 Fällen pro 1 Mio. Rinder,

die auf BSE getestet worden sind.Auf die Unterschiede der Inzidenz in einzelnen Gruppen von in Deutschland untersuchten Tieren wurde bereits hingewiesen (s. Tabelle 2).

BSE in Deutschland auf dem „auf- oder absteigenden Ast“? Angesichts der bisher geringen Fallzahlen und dem im Vergleich zur Inkubationszeit der BSE kurzen Beobachtungszeitraum kann hier nur ein erster, vorläufiger Versuch einer epidemiologisch-statistischen Bewertung unternommen werden. Zu diesem Zweck wird davon ausgegangen,

dass die prinzipiellen Faktoren, die das Auftreten von BSE in der Rinderpopulation bestimmen, über längere Zeiträume konstant gewesen sind. Es ist jedoch ungewiss, ob diese Annahme berechtigt ist. Eine unter diesen Voraussetzungen durchgeführte epidemiologisch-statistische Analyse der BSE-Fälle bei in Deutschland geborenen Rindern zeigt, dass die betroffenen Tiere heute im Schnitt älter sind als vor einem Jahr (Abb.2).Das Ergebnis einer Regressionsanalyse verdeutlicht, dass die Modellierung der Beziehung zwischen BSE-Feststellungsdatum und dem Alter der BSETiere durch eine lineare Funktion zu ei-

Tabelle 3

Jährliche Inzidenz von BSE-Fällen pro eine Million Rinder (Alter >24 Monate) in betroffenen europäischen Ländern [Quelle für die Jahre 1995–2000: Office International de Épizooti (OIE), Stand 12.11.2001] Land

1995

1996

1997

1998

1999

2000

2001

Belgien Dänemark Deutschland Frankreich Irland Luxemburg Niederlande Portugal Schweiz Großbritannien

0 0 0 0,27 4,57 0 0 18,82 73,6 2954

0 0 0 1,09 20,28 0 0 38,90 48,5 1628,33

0,61 0 0 0,54 21,39 10 1 37,64 45,4 910,03

3,69 0 0 1,64 20,79 0 1,01 159,35 16,0 676,89

1,84 0 0 2,82 22,83 0 1,03 199,50 58,7 477,64

5,53 1 1,07 14,73a 37,15 0 1,07 186,95 40,6 288,64

30,7 6,7 18,9 24,9 72,4 0 11,1 144,3 46,7 220,6

aDie jährliche Inzidenz von BSE betrug in Frankreich bei euthanasierten oder gefallenen Rindern 5,45 und

bei Fällen mit klinischem BSE-Verdacht 9,27 Fälle pro eine Million Rinder.

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Leitthema: Lebensmittel und Infektionsrisiken

Abb.2  Beziehung zwischen dem Feststellungsdatum von BSE bei in Deutschland geborenen Rindern und dem Alter der betroffenen Tiere in Tagen

nem statistisch signifikanten Ergebnis führt (p=5,56014 E-05). Aus dieser Regressionsfunktion, die die Assoziation zwischen dem Datum der BSE-Feststellung und dem Alter der Tiere beschreibt, kann somit der Zeitpunkt der maximalen Exposition geschätzt werden. Dieser geschätzte Zeitpunkt lag bei Berücksichtigung aller deutschen BSE-Fälle der Jahre 2000 und 2001 unter Zugrundelegung der linearen Regressionsfunktion im Dezember 1996. Als obere Grenze des 95%Konfidenzintervalls für den Zeitpunkt der maximalen Exposition ergibt sich der Monat Mai des Jahres 1998.Schichtet man die Fälle nach den im Tierseuchennachrichtensystem (TSN) der Bundesrepublik Deutschland [12] erfassten Diagnosen, die zur Untersuchung auf BSE geführt haben, so bestätigt sich in den analysierbaren Strata (Fleischuntersuchung, klinischer Verdacht und sonstige Diagnose bei Tod/Tötung) der lineare Trend. Allerdings lässt sich lediglich die lineare Regressionsfunktion für die Schicht „sonstige Diagnose bei Tod/Tötung“ statistisch sichern (Daten nicht gezeigt). Wegen der vergleichsweise geringen Fallzahlen in den einzelnen Bundesländern wurden bei einer räumlichen Schichtung lediglich die im Freistaat Bayern aufgetretenen Fälle den im gesamten übrigen Bundesgebiet festgestellten BSE-Fällen gegenübergestellt. In beiden Strata konnten statistisch signifikante lineare Regressionsmodelle

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gefunden werden, die allerdings nur geringe Anteile der Variabilität (Bayern 7,12%, übriges Bundesgebiet 12,78%) erklären. Eine Analyse des Alters der in Deutschland geborenen Rinder, bei denen BSE in den Jahren 2000 und 2001 festgestellt wurde, ergab, dass bis auf drei Tiere (zwei unter 30 Monate alt, eines knapp vier Jahre alt) alle BSE-positiven Rinder älter als vier Jahre waren (Abb. 3). Das arithmetische Mittel lag bei

1968 Tagen (5,4 Jahre, Standardabweichung 377 Tage), das geometrische Mittel bei 1913 Tagen (5,2 Jahre). Diese Daten stehen in Einklang mit der angenommenen mittleren Inkubationszeit für BSE beim Rind [13], wenn man davon ausgeht, dass die Infektion meist im ersten Lebensjahr stattfindet. Aus verschiedenen Gründen (das ausgewählte Modell bestimmt den Verlauf, die bisherige Fallzahl ist zu gering) ist es derzeit noch nicht möglich, eine zuverlässige Prognose der zukünftig in Deutschland zu erwartenden BSE-Fälle auf der Basis der bisher beobachteten Fälle zu erstellen. Wir untersuchen hier zwei mögliche Verläufe des aktuellen BSE-Geschehens, die aufgrund der Anschauung plausibel erscheinen können. Die Darstellung der kumulierten BSEFälle in Deutschland (Abb. 4) lässt einen eher nichtlinearen, unterproportionalen Verlauf vermuten, der durch folgendes Modell 1 beschrieben werden kann: y(t)=a(1–exp(–r(t+b)))

(1).

Hier bezeichnet y(t) die kumulierte Anzahl an BSE-Fällen zum Zeitpunkt t (Monate). Modell 1 ist das klassische Mitscherlich-Modell [14] für abnehmende Zuwächse. Diesem Modell stellen wir einen linearen, proportionalen Verlauf gegenüber (Modell 2): y(t)=at+b

(2).

Abb.3  Altersverteilung der deutschen BSE-Rinder. In Deutschland geborene Rinder, bei denen BSE in der Zeit von November 2000 bis Dezember 2001 festgestellt wurde, wurden anhand ihres Lebensalters in Altersklassen zu je drei Monaten eingeteilt. Es wurde dabei eine durchschnittliche Monatslänge von 30 Tagen angenommen

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cher Risikofaktoren sind in den letzten Monaten Vermutungen angestellt worden. Die einzelnen Hypothesen erklären jedoch immer nur einen geringen Teil der tatsächlich beobachteten Fälle, so dass ihre Allgemeingültigkeit bezweifelt werden muss. Aus diesem Grund wird hier auf eine Erörterung dieser Thesen verzichtet.

Epidemiologische Aspekte der TSE-Diagnostik Klinische Untersuchungen

Abb.4  Kumulative Darstellung der bei in Deutschland geborenen Rindern festgestellten BSE-Fälle (Punkte) und Vorhersage der erwarteten Fallzahlen auf der Basis von Modellen für abnehmende (schwarz) und gleich bleibende (grau) Zuwächse. Die gestrichelten Linien geben die jeweiligen Vorhersagebereiche für die Modelle an. Die senkrechte Linie (Monat 24) weist auf den Zeitpunkt hin, zu dem mit einer statistisch zu sichernden Trennung der Vorhersagebereiche für die beiden Modelle gerechnet werden kann

Denkbar wäre auch ein Modell,das einen überproportionalen Anstieg der diagnostizierten Fälle annimmt. Anpassungen eines solchen Modells an die Daten weisen aber darauf hin,dass ein überproportionaler Anstieg mit der beobachteten Situation kaum in Einklang zu bringen ist (Anpassung nicht gezeigt). Die Anpassung der Modelle 1 und 2 an die Daten ergibt Bestimmtheitsmaße von 99,5% bzw. 98,8%, was darauf hindeutet, dass beide Modelle gut geeignet sind,um den bisherigen Verlauf der kumulierten BSE-Fälle darzustellen. Verwendet man das Bestimmtheitsmaß als Qualitätskriterium, passt Modell 1 besser zu den Daten als Modell 2. In der Abb. 4 sind beide Modelle mit den zugehörigen Vorhersagebereichen gezeigt. Es wird deutlich, dass sich diese Bereiche bis 24 Monate nach Erstentdeckung der Erkrankung überlappen. Bis zu diesem Zeitpunkt (Ende 2002) kann folglich nicht entschieden werden, ob die kumulierte Anzahl der diagnostizierten BSE-Fälle eher dem Modell 1 oder dem Modell 2 folgen wird. Die hier dargestellten Analysen liefern erste Hinweise darauf, dass sich Deutschland gegenwärtig eher im fallenden Teil der epidemischen Kurve des BSEGeschehens befinden könnte. Der Zeitraum der maximalen Exposition lag nach den Schätzungen,die sich aus der Regressionsanalyse ergeben,zwischen Ende 1996 und Anfang 1997 (obere Grenze des 95%-

Konfidenzintervalls: Mai 1998).Selbstverständlich kann wegen der langen BSE-Inkubationszeit zurzeit nicht ausgeschlossen werden, dass diesem Expositionsschub weitere Schübe gefolgt sein könnten.Unter den bereits dargelegten Annahmen weisen die Berechnung darauf hin, dass sich der Verlauf des BSE-Geschehens voraussichtlich erst gegen Ende des Jahres 2002 klarer abzeichnen wird. Über die Effizienz der im letzten Jahr zur Bekämpfung von BSE in den deutschen Rinderbeständen getroffenen Maßnahmen können keine Aussagen getroffen werden, da der Höhepunkt der Exposition der jetzt analysierbaren BSEFälle zu dem Zeitpunkt, als die Maßnahmen ergriffen wurden, bereits vorüber war. Der sich jetzt andeutende Rückgang wäre also, wenn er so eintritt, wie vorhergesagt, möglicherweise auch ohne die im letzten Jahr getroffenen Maßnahmen erfolgt.

Räumliche Entwicklung des BSE-Geschehens in Deutschland Knapp die Hälfte aller in Deutschland aufgetretenen BSE-Fälle fand sich in Bayern. Selbst wenn man berücksichtigt, dass in Bayern die größte Rinderpopulation gehalten wird, ist zu fragen, ob gegebenenfalls regional unterschiedliche Risikofaktoren existieren, und um welche es sich handelt. Über die Natur sol-

Die Untersuchung von Rindern auf BSEtypische Krankheitssymptome kann nur Hinweise auf das mögliche Vorliegen der Erkrankung liefern, jedoch keine Laboruntersuchungen ersetzen. Es ist aber festzustellen, dass für Rinder, die im Labor positiv auf BSE getestet wurden, im Nachhinein vielfach Krankheitssymptome beschrieben werden. Da jedoch in der Regel unklar bleibt, ob die beschreibenden Personen ihre Einschätzung abgaben, nachdem sie wussten, dass das Tier den Erreger trug, muss bei den Angaben über die klinischen Symptome mit einem erheblichen „information bias“ gerechnet werden.

Post-mortem-Testsysteme Die bisher verfügbaren Testsysteme gestatten eine Diagnostik nur am toten Tier. Die so genannten „Schnelltests“ wurden anhand von Proben evaluiert, die von Tieren mit klinisch manifester BSE oder – im Fall der Negativkontrollen – von Rindern stammten, die mindestens vier Jahre alt waren [15, 16]. Für jüngere Tiere liegen keine publizierten Validierungsdaten vor. Das Alter der in Deutschland geborenen Rinder, bei denen BSE festgestellt wurde, liegt bis auf zwei sehr junge Tiere, die in den Tests positiv reagierten, in einem Bereich, der mit dem Alter der BSE-positiven Tiere in den Validierungsdaten in Einklang steht (positive Testergebnisse ab etwa einem Lebensalter von vier Jahren). Da nicht bekannt ist, wie sensitiv und spezifisch die Tests bei jüngeren Tieren reagieren, bieten sie bei diesen Rindern weder ein Mehr an Sicherheit, noch gestatten sie den Aufbau eines „Frühwarnsystems“, wie von der Europäischen Kommission angekündigt. Der hohe negative Vorhersagewert (Wahrscheinlichkeit,

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Leitthema: Lebensmittel und Infektionsrisiken dass ein negativ auf BSE getestetes Rind tatsächlich nicht infiziert ist), den die verwendeten Schnelltests bei den niedrigen BSE-Fallzahlen in der deutschen Rinderpopulation aufweisen, bildet die Grundlage für ein hohes Maß an Verbraucherschutz.Allerdings hat der niedrige positive Vorhersagewert der Schnelltests in der gegenwärtigen epidemiologischen Situation zur Folge, dass mit einer großen Zahl falsch-positiver Ergebnisse gerechnet werden muss. Daher ist es erforderlich, die Ergebnisse der Schnelltests mittels Verfahren zu überprüfen, die sich hinsichtlich des Nachweisprinzips vom ersten durchgeführten Test unterscheiden. Dieses serielle Testen wird durch das von der Bundesforschungsanstalt für Viruskrankheiten der Tiere betriebene Nationale Referenzzentrum für BSE durchgeführt.

Testsysteme zur Diagnostik am lebenden Tier Zurzeit werden mehrere interessante Forschungsprojekte durchgeführt, die zur Entwicklung von Testsystemen zur Erkennung von BSE am lebenden Tier führen könnten. Marktreife Produkte, für die nachgewiesen ist, dass sie den Anforderungen an Sensitivität und Spezifität genügen, sind aber noch nicht verfügbar. Tests zur Diagnostik am lebenden Tier wären wertvolle Hilfsmittel zur BSE-Früherkennung. Neben den bereits getroffenen Maßnahmen zur Erkennung von BSE-Fällen durch die Untersuchung gefallener, krank getöteter und geschlachteter Rinder sind Maßnahmen zur Standardisierung der Schnelltests erforderlich (Bereitstellung von Referenzmaterial etc.). Ein umfassendes Qualitätsmanagementsystem für die Überwachung der BSE-Situation durch Schnelltests wird dringend benötigt. Das System muss alle Schritte von der Probenahme über die Untersuchung im Labor bis zur Befundmitteilung lückenlos erfassen. Um vergleichbare Daten für epidemiologische Bewertungen zu erhalten, ist weiterhin ein einheitliches diagnostisches Vorgehen in den EU-Mitgliedsstaaten zu fordern. Stichprobenartige TSE-Untersuchungen von kleinen Wiederkäuern und Wildtieren erlauben höchstens eine grobe Aussage über die Häufigkeit dieser Erkrankungen in der Population. Sofern für die Untersuchung einer Tierart validierte

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Tests zur Verfügung stehen, lässt sich aus positiven Testergebnissen schließen, dass die Erkrankung in der Population auftritt. Aus negativen Befunden kann jedoch nicht zwangsläufig auf die Abwesenheit der Infektion geschlossen werden. Generell gilt, dass die Prävalenz seltener Krankheiten anhand von Stichprobenuntersuchungen nur unzureichend geschätzt werden kann. Grundsätzlich sind zur Entwicklung von Tests zum Nachweis von TSE am lebenden Tier und hinsichtlich der Validierung der verfügbaren und der in Entwicklung befindlichen Nachweissysteme in der präklinischen Phase weitere umfangreiche Forschungsarbeiten erforderlich. Zur Gewährleistung einer maximalen Lebensmittelsicherheit und zur Verhinderung der Übertragung auf andere Tiere bleibt der frühestmögliche bzw. wahrscheinlichste Zeitpunkt für eine Übertragung nach erfolgter Infektion zu klären.

TSE-Bekämpfung und Verbraucherschutz Bei der BSE-Bekämpfung wird dem vorbeugenden Verbraucherschutz durch vier unabhängig voneinander wirkende und aufeinander folgende Maßnahmenbündel Rechnung getragen: 1. Die Herkunft von Rindern wird lückenlos erfasst (Herkunfts- und Identifikationssystem Tier, HIT). Die Tiere werden kontrolliert gefüttert (Verbot der Verfütterung von eiweißhaltigen Erzeugnissen und Fetten aus Gewebe warmblütiger Tiere und von Fischen). 2. Tiere, bei denen BSE durch Schnelltests nachweisbar sein könnte, werden nach dem Tode untersucht. Nur Fleisch von Tieren, die abschließend mit negativem Ergebnis getestet wurden, gelangt in die Nahrungskette. 3. Bei allen Tieren werden bei der Schlachtung grundsätzlich die spezifizierten Risikomaterialien entfernt. Sollte also ein TSE-positives Tier bei den Schnelltests nicht entdeckt werden, wird das Übertragungsrisiko durch diese Maßnahme in jedem Falle weiter reduziert. 4. Fertigerzeugnisse können daraufhin überprüft werden, ob sich in ihnen Gewebeanteile des zentralen Nervensystems nachweisen lassen [17, 18, 19].

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Bei der Bewertung der Maßnahmen im Hinblick auf den Verbraucherschutz und die Übertragung von BSE auf andere Tierarten ist jedoch grundsätzlich die Bedeutung der Speziesbarriere zu berücksichtigen [20, 21]. Um das Risiko der Übertragung besser quantifizieren zu können, besteht hier noch erheblicher Forschungsbedarf. Modelle, bei denen eine Speziesbarriere keine nennenswerte Bedeutung mehr hat, sind erforderlich, um die Nachweisgrenze für TSE-Erreger zu erniedrigen und damit z. B. Inaktivierungsverfahren besser in ihrer Wirksamkeit beurteilen zu können. Danksagung. Wir danken dem Präsidenten der Bundesforschungsanstalt für Viruskrankheiten der Tiere, Herrn Professor Dr. Thomas C. Mettenleiter, Herrn Dr. Matthias Kramer und Frau Dr. Kirsten Tackmann für kritische Anmerkungen und Anregungen zum Manuskript.

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Projektförderung Die H. W. & J.-Hector-Stitung, Weinheim, schreibt für 2002 Projektförderungen aus (Sachmittel/Personalkosten) zum Thema:

1.Vakzineherstellung zum Schutz vor der HIV-Infektion Dotation: EURO 256.000,– über 3 Jahre Förderungswürdig sind Projekte: ◗ die auf einer ausreichenden Anzahl von Vorarbeiten basieren, ◗ die multizentrisch angelegt sind, ◗ die in absehbarer Zeit klinische Relevanz erreichen können.

2. Pharmakogenetische Untersuchungen unter antiretroviraler Therapie Dotation: EURO 256.000,– über 3 Jahre

3. Untersuchungen zu Nebenwirkungen der HAART: Pathogenese, Diagnostik und Therapie Dotation: EURO 256.000,– über 3 Jahre Förderungswürdig sind Projekte: ◗ die auf einer ausreichenden Anzahl von Vorarbeiten basieren, ◗ die in näherer Zukunft eine klinische Relevanz zeigen können, ◗ die auf der Basis multizentrischer Kooperation beruhen. Bevorzugt werden Projekte, die eine Verbindung zwischen experimenteller Grundlagenforschung und klinischer Forschung darstellen. Bewerbungen sollen gemäß den aktuellen Richtlinien der Deutschen Forschungsgemeinschaft für Sachbeihilfen in vierfacher Ausfertigung bis zum 31.8.2002 an folgende Korrespondenzadresse eingereicht werden:

Förderungswürdig sind Projekte: ◗ Die auf einer ausreichenden Anzahl von Vorarbeiten basieren, ◗ die den genetischen Hintergrund verschiedener Metabolisierungswege bei der antiretroviralen Therapie untersuchen, ◗ die multizentrisch angelegt sind, ◗ die in absehbarer Zeit klinische Relevanz zeigen können.

Dr. R. Kleinschmidt, Medizinische Klinik I, Markus-Krankenhaus, Wilhelm-Epstein-Straße 2, 60431 Frankfurt/M.

Bundesgesundheitsbl - Gesundheitsforsch - Gesundheitsschutz 7•2002

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Bovine Spongiforme Enzephalopathie (BSE) bei in Deutschland geborenen Rindern.

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