Originalarbeit

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Botulinumtoxin-Injektionen bei chronischer Migräne im Jugendalter – eine frühzeitige Therapieoption in der Transition von der Neuropädiatrie zur Neurologie

Autoren

M. K. Bernhard, A. Bertsche, S. Syrbe, S. Weise, A. Merkenschlager

Institut

Klinik und Poliklinik für Kinder- und Jugendmedizin, Universitätsklinik, Leipzig

Schlüsselwörter

Zusammenfassung

Abstract

"

!

!

Hintergrund: Im Kindes- und Jugendalter beträgt die Prävalenz chronischer Kopfschmerzen bereits bis zu 2 %, so dass ein großer Teil der späteren „Kopfschmerzkarrieren“ Erwachsener in diesem Alter ihren Ausgang nimmt. Im Erwachsenenalter hat sich die Behandlung chronischer Migräne durch Botulinumtoxin-Injektionen als eine Therapieoption etabliert. Kaum Erfahrungen liegen bislang jedoch über die Anwendung an pädiatrischen Patienten vor. Methoden: 10 Patienten zwischen 13 und 17 Jahren, die an chronischer Migräne gemäß den IHSKriterien litten, erhielten in Anlehnung an die Zulassung von Botox® ab 18 Jahren 31 Injektionen in die Kopf- und Nackenmuskulatur mit insgesamt 150 Einheiten Botulinumtoxin A (Botox®). Die Änderung der Kopfschmerztage/Monat über die nachfolgenden 9 Monate sowie Nebenwirkungen wurden retrospektiv erfasst. Ergebnisse: Die Responder-Rate (Reduktion der Kopfschmerztage/Monat > 50 %) betrug drei Monate nach der Injektion 7/10. Durchschnittlich sank die Zahl der Kopfschmerztage/Monat von 19,2 Tage auf minimal 10,1 Tage. Nach drei bis sechs Monaten nahm bei allen Respondern die Kopfschmerzfrequenz wieder zu. Lokale leichte UAW (unerwünschte Arzneimittelwirkungen) wie Rötung oder vorübergehende Schmerzen berichteten alle Patienten, schwere UAW wie Infektionen, Fieber, Ptosis, allergische Reaktionen traten nicht auf. Diskussion: Diese kleine Fallserie zeigt, dass die Botulinumtoxin-A-Therapie bei chronischer Migräne auch bei Jugendlichen wirksam und sicher sein kann. Da viele Jugendliche auch als Erwachsene an Kopfschmerzen leiden, sind eine Schnittstelle zwischen Neuropädiatern und Neurologen sowie das Angebot einer frühzeitigen Botulinumtoxin-Therapie mit anschließender Transition der Adoleszenten sehr zu wünschen.

Background: The prevalence of chronic headaches in children and adolescents is up to 2 % resulting in the beginning of the later typical headache careers of adults. The therapy for chronic migraine with botulinum toxin is now established in adults. However, there is only limited experience in the use of botulinum toxin in paediatric patients. Methods: 10 patients aged 13 – 17 years who suffered from chronic migraine according to the IHS criteria were injected at 31 specific injection points of the head and neck muscles with a total amount of 150 IE of botulinum toxin A (Botox®) according to the approved scheme. The number of headache days per month over the following 9 months was recorded and side effects were retrospectively determined. Results: The responder rate (that is reduction of headache days per month more than 50 %) was 7/ 10 at three months after the injection. On average the number of headache days per month was reduced from 19.2 days to a minimum of 10.1 days. After three to six months the number of headache days increased again in all responders. Slight local side effects such as redness or temporary pain were observed in all patients, but severe side effects such as infections, fever, ptosis or allergic reactions did not occur. Discussion: This small case series shows that the therapy for chronic migraine with botulinum toxin A can also be effective and safe in adolescents. As many adolescents still suffer from headaches later as adults a link between neuropaediatricians and neurologists is justifiable. An early botulinum toxin therapy followed by the transition of the adolescents would be helpful.

● chronische Migräne ● Botulinumtoxin A ● Transition ● Jugendliche " " "

Key words

● chronic migraine ● botulinum toxin A ● transition ● adolescents " " " "

Bibliografie DOI http://dx.doi.org/ 10.1055/s-0033-1356312 Fortschr Neurol Psychiatr 2014; 82: 39–42 © Georg Thieme Verlag KG Stuttgart · New York · ISSN 0720-4299

Korrespondenzadresse Dr. Matthias K Bernhard Klinik und Poliklinik für Kinder- und Jugendmedizin, Universität Leipzig Liebigstr. 20 a 04105 Leipzig Matthias.Bernhard@medizin. uni-leipzig.de

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Botulinum Toxin Injections for Chronic Migraine in Adolescents – An Early Therapeutic Option in the Transition from Neuropaediatrics to Neurology

Originalarbeit

Einleitung !

Chronische Kopfschmerzen sind definiert als Kopfschmerzen, die an mehr als 15 Tagen im Monat für mehr als jeweils 4 Stunden über einen Zeitraum von mindestens 3 Monaten auftreten [1]. Gemäß den IHS-Kriterien liegt eine chronische Migräne vor, wenn mindestens 15 Kopfschmerztage mit mehr als 8 Migränetagen im Monat auftreten. Es wird häufig übersehen, dass Kopfschmerzen und Migräne kein isoliertes medizinisches, soziales und wirtschaftliches Problem des Erwachsenenalters sind, sondern die meisten Kopfschmerzhistorien bereits im Kindes- und Jugendalter beginnen. Bereits 2 % der weiblichen Jugendlichen und 0,8 % der männlichen Jugendlichen leiden an chronischen Kopfschmerzen [2]. Beeinträchtigung der Entwicklung, Leistungsprobleme in der Schule und vermehrte Beziehungsprobleme in der Familie und mit Freunden wurden gezeigt [3]. Bis zu 80 % der Patienten, die bereits als Kinder oder Jugendliche an Migräne litten, haben auch als Erwachsene Migränebeschwerden. Erschwerend für eine optimierte Betreuung und Therapie kommt hinzu, dass in Deutschland die ärztliche Behandlung bis zum 18. Lebensjahr in der Regel in den Händen des Kinder- und Jugendarztes oder Neuropädiaters liegt, oft ohne gemeinschaftliche Transition danach in die Hände des Neurologen oder Allgemeinmediziners. Zudem sind einzelne Therapien erst ab einem Alter von 18 Jahren zugelassen. Hierzu gehört die Behandlung der chronischen Migräne mit Botulinumtoxin A. Im Jahr 2010 wurde von der Food and Drug Administration in den USA Botulinumtoxin A für die Behandlung der chronischen Migräne basierend auf dem Evidenzlevel A zugelassen. Seit 2011 ist Botox® auch in Deutschland bei Patienten ab 18 Jahren für diese Indikation zugelassen. Die folgende Fallserie stellt Behandlungsverlauf, Outcome und UAW der Off-Label-Therapie von 10 Jugendlichen mit chronischer Migräne mit Botulinumtoxin A dar.

toxin A) an folgenden 31 Injektionsstellen (je Injektionsstelle 4,8 Einheiten): M. frontalis (4 ×), M. Corrugator (2 ×), M. Procerus (5 ×), M. Occipitalis (6 ×), M. Temporalis (8 ×), M. Trapezius (6 ×). Die Nachbeobachtungszeit betrug 9 Monate. Während dieser Zeit wurden UAW und Änderungen der Kopfschmerzhäufigkeit erfasst.

Ergebnisse !

10 Patienten (8 weiblich und 2 männlich) im Alter zwischen 13 und 17 Jahren (Durchschnitt: 15,4 Jahre) wurden aufgrund chronischer Migräne gemäß IHS-Kriterien jeweils 150 Einheiten Botox® injiziert. Alle Patienten hatten zuvor bereits eine medikamentöse Dauertherapie über mindestens 3 Monate erhalten (9/ 10 Topiramat, 2/10 Metoprolol, 4/10 TENS-Therapie (Transkutane Elektrische Nervenstimulation)). Die durchschnittliche Häufigkeit von Kopfschmerztagen/Monat vor der Botox®-Therapie betrug 19,2 Tage (15 – 30). Die Responder-Rate betrug einen Monat nach der Behandlung (definiert als Reduktion der Kopfschmerztage um > 50 %) 7/10, nach drei Monaten 6/10, nach sechs Monaten 5/10 und nach neun Monaten 3/10. Einen Monat nach der Behandlung sank die Häufigkeit der Kopfschmerztage/ Monat signifikant auf durchschnittlich 10,3 Tage (3 – 19). Drei Monate später lag die durchschnittliche Kopfschmerzhäufigkeit bei 10,1 Tagen/Monat (2 – 22). Sechs Monate nach Injektion kam es wieder zu einem leichten, nicht signifikanten Anstieg auf 11,4 Tage (5 – 20), der sich bis zum Ende der Beobachtungszeit neun Monate nach der Botulinumtoxin-Injektion fortsetzte: Zu diesem Zeitpunkt fanden sich 12,7 Kopfschmerztage/Monat (5 – 18). Alle Patienten berichteten von UAW durch die Botox®-Therapie: 10/10 Patienten hatten eine lokale Rötung, die mehrheitlich nur einen Tag, maximal drei Tage anhielt. Weiterhin im Vordergrund standen lokale Schmerzen, (subjektive) Unsicherheit und Instabilität in der Nackenmuskulatur und eine Verstärkung der Kopf" Tab. 1). Es schmerzen. Eine Patientin klagte über Übelkeit (vgl. ● traten keine lokalen Infektionen, keine Ptosis, kein Fieber oder andere länger anhaltende oder schwerere UAW auf.

Methoden !

Diskussion

Alle in die Fallserie eingeschlossenen Patienten waren zwischen 13 und 17 Jahren alt und litten gemäß den IHS-Kriterien an chronischer Migräne (mehr als 15 Kopfschmerztage pro Monat, davon mehr als 8 mit Migränesymptomatik). Die Daten wurden therapiebegleitend und retrospektiv erhoben. Alle Patienten hatten zuvor erfolglos beziehungsweise mit unzureichender Wirkung mindestens ein Medikament als Migränedauertherapie erhalten. Alle oralen medikamentösen Kopfschmerzprophylaxen waren zwischen 6 und 24 Monaten vor der Botulinumtoxin-Therapie wieder beendet worden. Die Kopfschmerzhäufigkeit war über mindestens 6 Monate zuvor dokumentiert worden. Als Vorlage des Kopfschmerztagebuchs wurde bei allen Patienten die Empfehlung der Deutschen Migräne- und Kopfschmerzgesellschaft (DMKG) genutzt. Die Patienten wurden darüber informiert, dass die Behandlung mit Botulinumtoxin A als individueller Therapieversuch gilt und außerhalb der Zulassung („off-label“) ist. Es wurde das schriftliche Einverständnis sowohl von den Sorgeberechtigten als auch von den minderjährigen Patienten eingeholt. Sofern gewünscht, bekamen die Patienten vor der Behandlung eine Anxiolyse mit 2,5 mg Lorazepam (Tavor expidet®) per os. In Anlehnung an die Fachinformation Botox® [4] erhielt jeder Patient eine Gesamtmenge von 150 Einheiten Botox® (Botulinum-

!

Die Therapie chronischer Migräne im Erwachsenenalter mit Botulinumtoxin A gehört mittlerweile zu den etablierten Behandlungsmethoden [5 – 8]. Im Kindes- und Jugendalter stellen Kopfschmerzen und Migräne bereits einen erheblichen Morbiditätsfaktor dar. Hinzu kommt, dass Kopfschmerzanamnesen und Chronifizierungen im Erwachsenenalter häufig ihren Beginn bereits im pädiatrischen Alter nehmen. Es gibt Hinweise, dass chronische Kopfschmerzen bei jüngerem Manifestationsalter therapierefraktärer werden [9]. Das Zulassungsalter von 18 Jahren, geringe bisherige Erfahrungen über Dosis und Sicherheit im Kindes- und Jugendalter und fehlende Schnittstellen zwischen Pädiatern und Neurologen erschwerten bislang die Anwendung der Botulinumtoxin-A-Therapie bei pädiatrischen Kopfschmerzpatienten. Die umfassendste Studien über die Wirkung von Botulinumtoxin A bei chronischer Migräne wurden nur bei Erwachsenen durchgeführt. Diese PREEMPT-Studien mit insgesamt 1.384 Studienteilnehmern wiesen gegenüber dem Plazebo zu allen Zeitpunkten (von der 4. bis zur 24. Woche nach Injektion) sowohl eine signifikante Reduktion der Häufigkeit der Kopfschmerztage als auch der Anwendung von akuten Kopfschmerzmedikationen nach. Über unerwünschte Arzneimittelnebenwirkungen, die jedoch überwie-

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Tab. 1 Übersicht über Alter, Geschlecht, bisherige Therapien, Kopfschmerztage/Monat vor, 1 Monat, 3 Monate, 6 Monate und 9 Monate und UAW der 10 jugendlichen Patienten nach erstmaliger Botox-Therapie.

Alter in Geschlecht

Vorherige medika-

UAW der

vor Botox®-

1 Monat

3 Monate

6 Monate

Jahren

mentöse Dauerthe-

Botox®-Therapie

Therapie1

nach

nach

nach Botox®-

nach Botox®-

Botox®-

Botox®-

Therapie

Therapie

Therapie

Therapie

rapien

1

9 Monate

1

13

W

Topiramat 25 mg/d

Lokale Rötung < 1 Tag Unsicherheit in Nackenmuskulatur < 3 Tage

15

8

7

7

8

2

14

W

Topiramat 50 mg/d TENS

Lokale Rötung 1 – 3 Tage Lokale Schmerzen

21

10

8

14

15

3

15

W

Topiramat 50 mg/d

Lokale Rötung < 1 Tag Unsicherheit in Nackenmuskulatur < 3 Tage Lokale Schmerzen

17

8

7

5

5

4

15

W

Topiramat 25 mg/d TENS

Lokale Rötung < 1 Tag Unsicherheit in Nackenmuskulatur < 3 Tage Kopfschmerzen

16

7

6

15

15

5

15

M

Topiramat 50 mg/d TENS

Lokale Rötung < 1 Tag Unsicherheit in Nackenmuskulatur < 3 Tage Kopfschmerzen Lokale Schmerzen

15

8

13

10

13

6

16

M

Topiramat 75 mg/d

Lokale Rötung < 1 Tag Unsicherheit in Nackenmuskulatur < 3 Tage

22

14

16

20

16

7

16

W

Metoprolol 50 mg/d

Lokale Rötung < 1 Tag

17

19

22

20

18

8

16

W

Topiramat 50 mg/d TENS

Lokale Rötung 1 – 3 Tage Unsicherheit in Nackenmuskulatur < 3 Tage Kopfschmerzen Lokale Schmerzen

24

8

6

6

10

9

17

W

Metoprolol 75 mg/d Topiramat 50 mg/d

Lokale Rötung 1 – 3 Tage Unsicherheit in Nackenmuskulatur 3 < 7 Tage Übelkeit Lokale Schmerzen

30

18

14

12

13

10

17

W

Topiramat 50 mg/d

Lokale Rötung < 1 Tag

15

3

2

5

14

Kopfschmerztage pro Monat

gend nur leicht waren [5], berichteten 62,4 % der Patienten (51,7 % in der Plazebo-Gruppe). Bislang gibt es jedoch nur wenige Publikationen zur Anwendung von Botulinumtoxin A bei Kopfschmerzen in der Pädiatrie und keine einzige plazebokontrollierte Studie. Kabbouche und Brien analysierten retrospektiv 45 Patienten im Alter von 11 – 21 Jahren (Durchschnitt 16,8 Jahre). Eine signifikante Abnahme der Kopfschmerztage im Monat von durchschnittlich 27,4 auf 21,3 konnte beobachtet werden. Neben vorübergehenden und lokalen Nebenwirkungen trat einmal eine Augenlidinfektion auf, die antibiotisch behandelt werden musste. Da die Dosis je Patient zwischen 75 und 200 Einheiten Botox® variierte und den Patienten nur an durchschnittlich sechs verschiedenen Stellen injiziert wurde, sind diese Daten nur bedingt mit dieser Studie vergleichbar (in dieser Studie: standardisiert 150 IE Botox® an 31 Injektionsstellen) [10]. Ahmed et al. behandelten 10 Patienten zwischen 11 und 17 Jahren ebenfalls mit einer Gesamtdosis von 100 Einheiten Botox®, injizierten jedoch auch in den M. splenius capitis und den M. trapezius. Schwerere Nebenwirkungen traten nicht auf, jedoch berichteten nur 4/10 Patienten über eine subjektive Beschwerdebesserung [11]. Eine andere prospektive Studie mit 12 Patienten zwischen 14 und 18 Jahren

zeigte eine Verbesserung der Lebensqualität von durchschnittlich 33 – 75 %. Die Injektionen erfolgten nicht standardisiert, die Zahl der Injektionsstellen variierte zwischen 9 und 63 [12]. 5 jugendliche Patienten mit Chronic daily headache wurden nach lediglich 1 – 4 Botulinuminjektionen in die Nackenmuskulatur 8 – 10 Jahre nachbeobachtet. Bemerkenswert ist, dass keiner dieser Patienten in dieser Zeit nochmals eine Kopfschmerzhäufigkeit bekam, die die Kriterien der Chronic daily headache erfüllt [13]. Mehrere Studien zeigen keinen zusätzlichen Benefit von Botulinumtoxin-Injektionen gegenüber Plazebo-Injektionen. Die Untersuchung von Aurora et al. verglich unterschiedliche Dosierungen von Botulinumtoxin A [14]. Eine weitere Studie zeigt gegensätzliche Ergebnisse dahin gehend, dass die Gruppe der Patienten, die eine Gesamtdosis von 150 IE Botulinumtoxin A erhielten, der Plazebo-Gruppe unterlegen war. [15], Silberstein et al. konnten für die Behandlung chronischer Spannungstypkopfschmerzen ebenfalls keinen statistischen Unterschied zwischen der Botulinumtoxinund der Placebo-Gruppe feststellen [16]. Die vorliegende retrospektive Studie hat keine Plazebo-Kontrolle und umfasst nur eine geringe Patientenzahl. Die im Vergleich zu den anderen Studien hohe Responder-Rate von 7/10 mit einem Wirkmaximum drei Monate nach der Behandlung spricht dafür,

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Pat.ID

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auch bei Jugendlichen die Injektionsschemata entsprechend der Zulassungsstudien bei Erwachsenen anzuwenden. Bei drei Patienten nahm die Zahl der Kopfschmerztage/Monat bereits nach drei Monaten wieder deutlich zu. Die variierende Wirkdauer kann sowohl auf intraindividuellen Unterschieden als auch auf qualitativ unterschiedlichen Injektionsresultaten beruhen. Im Vergleich zu den großen Extremitätenmuskeln ist eine Fehlinjektion außerhalb des Muskels (z. B. subfaszial in die Galea) bei den Kopfmuskeln wahrscheinlicher. Die Dauer der maximalen Wirkung von drei Monaten entspricht der zu erwartenden Wirkdauer von Botulinumtoxin. Im Gegensatz zu anderen Studien (z. B. PREEMPT-Studie) erhielten die Patienten innerhalb der neun Monate post injectionem keine Wiederholung der Therapie. Die Kopfschmerzhäufigkeit nahm im Mittel ab dem vierten posttherapeutischen Monat wieder zu, die Zahl der durchschnittlichen Kopfschmerztage/Monat war jedoch weiterhin von 19,2 vor Therapie auf 12,7 nach neun Monaten reduziert. Leider wurde die Häufigkeit des Schmerzmittelgebrauchs nicht erfasst, was ein weiteres Maß für eine Reduktion oder Wiederzunahme der Beschwerden gewesen wäre. Grundsätzlich sind Daten über die Wirksamkeit von Kopfschmerztherapien mit einer gewissen Vorsicht zu genießen. Die Behandlung von Kopfschmerzen unterliegt einer hohen Subjektivität und Suggestibilität. Die wenigen vorhandenen Daten weisen auch auf einen relevanten Anteil einer natürlichen Abnahme der Kopfschmerzfrequenz bei chronischen Kopfschmerzen hin [9]. Schwere Nebenwirkungen traten nicht auf. Allerdings empfanden 5/8 der weiblichen Patienten die unvermeidbare Einschränkung der Mimik des M. frontalis zwar als tragbare „Nebenwirkung“, jedoch als störend. Die Möglichkeit einer leichten Sedierung mit einem oralen Anxiolytikum vor den Injektionen wurde von den Patienten sehr positiv aufgenommen. Im Jahr 2012 wurde in den USA eine bis 2016 geplante doppelblinde Studie begonnen, die Wirkung und Sicherheit von Botulinumtoxin A gegenüber Plazebo bei Jugendlichen zwischen 12 und 17 Jahren mit chronischer Migräne untersucht (NCT01 662 492; www.clinicaltrials.gov). Verfügbare und erprobte medikamentöse Dauerprophylaxen haben für das Adoleszenten- und junge Erwachsenenalter gelegentlich ungünstige Nebenwirkungsspektren. So haben zum Beispiel viele Jugendliche bereits eine Neigung zu orthostatischen Reaktionen, die durch Betablocker verstärkt werden kann. Appetitminderung und Konzentrationsprobleme infolge einer Topiramat-Therapie können einerseits anorektische Tendenzen verstärken, andererseits die schulische Lernfähigkeit beeinträchtigen. Ein Vorteil der Botulinumtoxin-Injektionen ist auch, dass das Problem mangelnder Adherence und daraus resultierenden Therapieversagens bei oraler Dauerprophylaxe umgangen werden kann [17]. Grundsätzlich ist es wichtig, dass die Therapie chronischer Migräne vor allem auch im Jugendalter ein multimodales Konzept umfassen sollte, das neben medikamentösen akuten und prophylaktischen Therapieverfahren auch nicht-medikamentöse Optionen wie zum Beispiel Verhaltenstherapie, Karenz von Auslösefaktoren oder auch TENS-Therapie einschließt.

Take Home Message Eine frühzeitige Therapie chronischer Migräne mit Botulinumtoxin A sollte auch im Kindes- und Jugendalter als Schmerztherapie und vor allem zur Reduktion sekundärer Krankheitsfolgen diskutiert werden. Es gibt bislang keine Hinweise darauf, dass die Anwendung von Botulinumtoxin A im Alter > 13 Jahren weniger sicher oder nebenwirkungsreicher wäre als im Erwachsenenalter. Kontrollierte Studien sind jedoch noch notwendig. Eine frühzeitige Involvierung der „Erwachsenenneurologen“ und Transition betroffener jugendlicher Migränepatienten stellen eine besondere Herausforderung an die Adoleszentenmedizin der kommenden Jahre dar.

Interessenkonflikt: Matthias K. Bernhard erhielt von der Firma Allergan ein Referentenhonorar für einen Vortrag über die Therapie der Spastik im Kindes- und Jugendalter.

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[Botulinum toxin injections for chronic migraine in adolescents - an early therapeutic option in the transition from neuropaediatrics to neurology].

The prevalence of chronic headaches in children and adolescents is up to 2 % resulting in the beginning of the later typical headache careers of adult...
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