The Interesting Case

Binge Eating Disorder – eine seltene Differenzialdiagnose des akuten Abdomens

Einleitung !

Das akute Abdomen stellt in der Notfallmedizin eine häufige Symptomatik dar (Ditkofsky et al. Emerg Radiol 2014; 21: 615 – 624, Stoker et al. Radiology 2009; 253: 31 46). Differenzialdiagnostisch kommen in erster Linie Erkrankungen des Abdomens in Betracht (z. B. Appendizitis, Divertikulitis, Hohlorganperforation, Abszess). Vor allem typisch ist der akute Bauchschmerz, wie z. B. abdominale Abwehrspannung, veränderte Peristaltik bis hin zum Schock. Aufgrund von schwerwiegenden bis hin zu lebensbedrohlichen Differenzialdiagnosen des akuten Abdomens ist eine schnelle Diagnostik notwendig. Neben

der Anamnese, Klinik und Labor spielt die Bildgebung eine entscheidende Rolle. Sicherlich kommt der Sonografie, da schnell, kostengünstig und sehr gut verfügbar, eine führende Bedeutung zu (Testa et al. Intern Emerg Med 2010; 5: 401 – 409). Im Sinne der Stufendiagnostik werden viele Patienten mit akutem Abdomen einer Computertomografie zugeführt, insbesondere wenn eine chirurgische Therapie infrage kommt. Die Magnetresonanztomografie ist in einer kleineren Patientengruppe sehr von Nutzen (z. B. Schwangere, junge Patienten). Die hier vorgestellte Patientin leidet seit Jahren an einer Essstörung (Anorexie), die akut durch die Folgen einer ausgiebigen Essattacke („binge eating“) in der Ret-

tungsstelle vorstellig wurde. Es wird typischerweise in sehr kurzer Zeit sehr große Mengen an verschiedensten Lebensmitteln aufgenommen, oft von selbstinduziertem Erbrechen oder Medikamentenmissbrauch zur Gewichtsreduktion gefolgt. Eine differenzierte Unterscheidung der einzelnen Essstörungen bedarf einer ausgedehnten psychiatrischen Diagnostik und soll nicht vorranging in diesem Fallbericht behandelt werden (Voderholzer et al. Nervenarzt 2012; 83: 1458 – 1467, Smink et al. Curr Psychiatry Rep 2012; 14: 406 – 414). Wir möchten anhand dieses Fallberichtes eine wichtige Differenzialdiagnose des akuten Abdomens vorstellen, die sicherlich nicht sehr häufig in der Rettungsstelle anzutreffen jedoch nicht minder interessant ist.

Fallbeschreibung !

Es stellte sich eine 21-jährige Patientin mit akut aufgetretenen massiven Bauch-

Zimmermann E, Dewey M. Binge Eating Disorder … Fortschr Röntgenstr 2016; 188: 298–299 · DOI http://dx.doi.org/10.1055/s-0041-106537

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schmerzen in allen 4 Quadranten und vergrößertem Bauchumfang in der Rettungsstelle vor. Die Patientin gab an, seit ca. 3 Jahren an einer Essstörung (Anorexie, Bulimie) zu leiden. In der vorherigen Nacht habe sie innerhalb von 2 Stunden (24–2 Uhr morgens) eine Essattacke gehabt, und 1 Toastbrot, 3 Packungen Wurst, 2 Gläser Haselnussschokocreme, 2 Tüten Kartoffelchips/Flips gegessen sowie 3 – 4 Liter Wasser getrunken. Es folgte ein frustraner Versuch des selbstinduzierten Erbrechens. Seitdem bestanden die massiven Bauchschmerzen, die die Patientin sehr beängstigen und zur ärztlichen Vorstellung führten. Die klinische Untersuchung ergab ein deutlich geblähtes Abdomen mit gespannter Bauchdecke und diffusem Druckschmerz. Die Peristaltik war rege und es fand sich ein unauffälliges Labor, insbesondere keine erhöhten Entzündungsparameter. In der initialen Sonografie konnte freie intraabdominale Flüssigkeit sowie eine Appendizitis ausgeschlossen werden und eine differenzialdiagnostische Hohlorganperforation sowie ein Ileus wurde mittels stehender Abdomenübersichtsaufnahmen " Abb. 1A, B) ausgeschlossen. Die Hohlor(● ganperforation in Folge einer Magenentleerungsstörung bei Patienten mit einer Essstörung ist jedoch selten und wird anhand von Fallberichten in der Literatur belegt (Turan et al. Surg Today 2003; 33: 302 – 304, Tweed-Kent et al. J Emerg Trauma Shock 2010; 3: 403 – 405). Die Sonografie zeigte jedoch einen massiv vergrößerten Magen, der vom linken Oberbauch bis in das Becken reichte. Die Magenentleerung war bei reduzierter Peristalik deutlich verzögert. Deshalb wurde ein Abdomen-MRT zum Ausschluss einer Magenausgangsstenose durchgeführt, die die massive Magenfüllung mit Schichtung der unterschiedlichen Nahrungsbestandteile zeigte " Abb. 1C, D, die Pfeilspitzen weisen auf (● die Spiegel der unterschiedlichen Nahrungsbestandteile) (Ajaj et al. Gut 2004; 53: 1256 – 1261, Carbone et al. Eur J Rad 75 2010; 212 – 214). Mittels der MRI T2-CineSequenzen konnte nachgewiesen werden, dass der Speisebrei durch das immense Magenvolumen deutlich verlangsamt aus dem Magen in das Duodenum transportiert wird, jedoch keine Magenausgangsstenose vorlag ( Video). Per Magensonde wurde die akute Magenentleerung erreicht. Es verblieben keine organischen Folgeschäden. Die Patientin wurde auf Empfehlung des psychosomatischen Konsils stationär

Abb. 1 A Abdomenübersichtsaufnahmen und B fokussierte Aufnahme des Zwerchfells bei einer 21jährigen Patientin mit massiven Bauchschmerzen bei binge eating am Vorabend. Die T2-gewichteten MRT-Sequenzen in koronarer C und sagittaler Schichtführung D zeigen die massive Magenfüllung mit Video). Schichtung der unterschiedlichen Nahrungsbestandteile (

aufgenommen. Eine vertiefende 2-monatige ambulante psychosomatische Diagnostik und Behandlung wurde durchgeführt und die Patientin ist bis zum Zeitpunkt 3 Jahre nach dem MRT frei von einem Rückfall.

Diskussion !

Das akute Abdomen stellt immer wieder eine Herausforderung hinsichtlich der Diagnosefindung bei einem oft unspezifischen Symptombild dar. Sicherlich steht

eine Reihe von meist chirurgischen und internistischen Krankheitsbildern im Vordergrund. Nach Ausschluss von lebensbedrohlichen Erkrankungen, die eine sofortige Intervention bedürfen, jedoch müssen auch andere Erkrankungen in Betracht gezogen werden. Psychosomatische und psychiatrische Erkrankungen sollten in den differenzialdiagnostischen Überlegungen nicht fehlen. Hierbei kommt vor allem der Anamnese und auch der Bildgebung eine bedeutende Rolle zu, wie in diesem Fallbeispiel gut gezeigt werden kann. E. Zimmermann, M. Dewey, Berlin, Germany

Zimmermann E, Dewey M. Binge Eating Disorder … Fortschr Röntgenstr 2016; 188: 298–299 · DOI http://dx.doi.org/10.1055/s-0041-106537

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