Bild und Fall Ophthalmologe 2014 · 111:970–972 DOI 10.1007/s00347-014-3099-8 Online publiziert: 25. Juni 2014 © Springer-Verlag Berlin Heidelberg 2014

A. Mößner1 · D. Jurisch2 · P. Meier1 1 Klinik und Poliklinik für Augenheilkunde, Universitätsklinikum Leipzig 2 Klinik für Innere Medizin, Abteilung für Kardiologie und Angiologie, Universitätsklinikum Leipzig

Beidseitige retinale Arterienverschlüsse Anamnese I Eine 26-jährige Patientin stellte sich samstags im augenärztlichen Notdienst mit einem Visusverlust links seit ca. 16 h vor. Bisher habe sie mit beiden Augen gut gesehen. Zum Zeitpunkt der Vorstellung erhielt die Patientin eine orale Antibiose mit Ciprofloxacin wegen eines Harnwegsinfekts. Weitere anamnestische Angaben waren erst durch gezieltes Nachfragen nach der Befunderhebung zu eruieren (s. unten).

Klinischer Befund Der Visus am rechten Auge betrug 1,0, am linken Auge positive Lichtscheinwahrnehmung, fraglich positive Handbewegungen. Die linke Pupille zeigte ein deutliches relatives afferentes Pupillendefizit. Funduskopisch zeigte sich links der typische Befund eines Zentralarterienverschlusses mit einer in toto abgeblassten, ödematösen, ischämischen Netzhaut mit kirschrotem Fleck der Makula. In den arteriellen Gefäßen waren zahlreiche Emboli erkennbar. Am rechten Auge zeigt sich ein Arterienastverschluss der oberen Hälfte mit ebenfalls abgeblasster ischämischer Netzhaut und streifigen intraretinalen Blutungen am Beginn der oberen temporalen Gefäßarkade (. Abb. 1). Perimetrisch korrespondierte ein Ausfall der unteren Gesichtsfeldhälfte. Der Blutdruck lag bei 115/75 mmHg.

Anamnese II Auf Nachfrage berichtete die Patientin nun, dass sie seit ca. 2 Wochen eine Gesichtsfeldeinschränkung rechts bemerkt

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habe. Des Weiteren ergab die gezielte Anamnese jetzt einen regelmäßigen Drogenabusus seit dem 17. Lebensjahr mit Cannabis, Kokain und vorrangig Crystal.

Verlauf Bei dringendem Verdacht auf eine kardiovaskuläre Ursache wurde die Patientin unverzüglich in der kardiologischen Abteilung der Klinik für Innere Medizin aufgenommen. Die noch am Aufnahmetag durchgeführte transthorakale Echokardiographie zeigte eine floride Mitralklappenendokarditis mit einer Vegetation der Größe 13×18×4 mm und eine Mitralsegelperforation (. Abb. 2). Infolge der Mitralklappenendokarditis bestand eine mittel- bis hochgradige holosystolische Mitralklappeninsuffizienz. Ein Schädel-MRT ergab den Befund eines stattgehabten hirnembolischen Insultes im Gyrus frontalis inferior links.

Abb. 1 9 Fundusfotografie. a Rechter Fundus mit Arterienastverschluss, b linker Fundus mit Zentralarterienverschluss, c zahlreiche Mikroembolien in den retinalen Arterien

Abb. 2 8 Echokardiographie, 4-Kammer-Blick. a, b Präoperativer Befund mit Vegetation an der atrialen Seite des Segels der Mitralklappe (Pfeile), c postoperativer Befund mit Bioprothese der Mitralklappe (Pfeil)

D Wie lautet ihre Diagnose?

Weiterer Verlauf Die Patientin erhielt eine systemische Antibiose mit Rifampicin, Gentamycin und Vancomycin. Die mikrobiologische Untersuchung per Blutkultur erbrachte den Nachweis von Viridans-Streptokokken. Bereits 4 Tage nach Erstvorstellung wurde in einem herzchirurgischen Eingriff eine Rekonstruktion mit einem biologischen Mitralklappenersatz durchgeführt (. Abb. 2). Postoperativ erfolgte für 3 Monate eine therapeutische Antikoagulation mit Phenprocoumon (Falithrom®); im Anschluss eine dauerhafte Antikoagulation mit 100 mg Acetylsalicylsäure. Weitere thrombembolische Ereignisse konnten im Zuge der Nachkontrollen nicht festgestellt werden. Im Rahmen der augenärztlichen Nachkontrollen entwickelte sich am rechten Auge eine partielle Optikusatrophie temporal oben und totale Optikusatrophie links. Fluoreszenzangiographisch konnten keine ischämischen Areale nachgewiesen werden. Es zeigte sich jedoch eine reduzierte Gefäßzeichnung im Ver-

schlussareal rechts und in der gesamten Netzhaut links (. Abb. 3). Der Visus lag rechts weiterhin bei 1,0 und links bei 1/35 exzentrisch. Der Gesichtsfeldausfall in der unteren Hälfte rechts blieb unverändert.

Diskussion Crystal ist kristallisiertes Methamphetaminhydrochlorid, das wie Eis oder Glassplitter aussieht. Die Einnahme kann inhalativ, intranasal, oral, intravenös oder rektal erfolgen. Die Wirkungen sind ähnlich dem Kokain, jedoch wesentlich ausgeprägter. Durch die verstärkte Ausschüttung der beiden Neurotransmitter Noradrenalin und Dopamin [1] kommt es zu einer Reduktion des Appetit- und Durstgefühls, Müdigkeit wird unterdrückt, und euphorische Zustände mit gesteigerter motorischer Aktivität und Steigerung der Libido treten auf. Das Angstgefühl wird gedämpft [2]. Methamphetamin wurde erstmals 1893 in flüssiger Form synthetisiert und 1938 unter dem Handelsnamen Pervitin auf den Markt gebracht. Es fand millionenfache Anwendung während des

2. Weltkriegs zur Steigerung der Leistungs- und Konzentrationsfähigkeit der Soldaten [3]. Im Jahr 1988 wurde das Präparat vom Markt genommen; der Wirkstoff wurde wegen seines hohen Abhängigkeitspotenzials bereits 1939 rezeptpflichtig und unterliegt heute dem Betäubungsmittelgesetz [1]. Die unerwünschten Wirkungen und Risiken liegen im Auftreten einer massiven Hypertonie bzw. von Herzrhythmusstörungen. Es kommt zu einer Hyperthermie mit Flüssigkeitsmangel, die eine Rhabdomyolyse mit Nierenversagen bedingen kann. Es resultiert eine herabgesetzte Immunantwort durch ein Absenken der IgG-Spiegel und Reduktion der Proliferation von B- und T-Zellen [2, 4]. Des Weiteren kann es zur Entstehung einer pulmonalen Hypertonie, zu embolischen Ereignissen, zu Krampfanfällen und Paranoia führen [2, 4]. Für die extreme zerstörerische Wirkung werden die Verunreinigungen aus der „UntergrundLabor-Herstellung“ verantwortlich gemacht [5]. Der Ophthalmologe 10 · 2014 

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Bild und Fall Korrespondenzadresse Dr. A. Mößner Klinik und Poliklinik für Augenheilkunde, Universitätsklinikum Leipzig Liebigstr. 10–14, 04103 Leipzig [email protected]

Einhaltung ethischer Richtlinien Interessenkonflikt.  A. Mößner, D. Jurisch und P. Meier geben an, dass kein Interessenkonflikt besteht.    Dieser Beitrag beinhaltet keine Studien an Menschen oder Tieren.

Literatur

Abb. 3 8 Verlaufskontrolle mit a, c Fundusfotografie und b, d Fluoreszenzangiographie (FAG) 10 Wochen nach Erstvorstellung. a Partielle Optikusatrophie temporal oben, c totale Optikusatrophie, b reduzierte Gefäßzeichnung im Verschlussareal rechts, d reduzierte Gefäßzeichnung der gesamten Netzhaut links, jedoch keine ischämischen Areale in der FAG

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Diagnose: retinale Arterienverschlüsse bei Mitralklappenendokarditis als Folgeereignis nach mehrjährigem Crystal-Abusus Das in der Literatur beschriebene und oben aufgeführte Wirkungs- und Nebenwirkungsprofil von Crystal bildet bei unserer Patientin sicherlich die Basis für die festgestellten Pathologien. Die erhöhte Infektionsgefahr aufgrund der herabgesetzten Immunantwort bedingte die durch Viridans-Streptokokken verursachte Mitralklappenendokarditis. Darüber hinaus haben möglicherweise etwaige Phasen von Hyperthermie, Hypertension und Herzrhythmusstörungen die embolischen Ereignisse begünstigt. Im Gegensatz zu einer Trikuspidalklappenendokarditis ist eine Mitralklappenendokarditis jedoch keine typische Folge einer Keim-

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verschleppung durch intravenöse Drogenapplikation [6]. Zudem wurde eine intravenöse Applikation von der Patientin glaubhaft verneint.

Fazit für die Praxis F Vor allem bei jungen Patienten mit retinalen Arterienverschlüssen sollte eine Drogenanamnese erfolgen. F Bei einer positiven Drogenanamnese mit der Designerdroge Crystal sind mannigfaltige Nebenwirkungen zu beachten. F Bei beidseitigen retinalen Arterienverschlüssen muss die Suche der Emboliequelle unverzüglich erfolgen, um weitere thrombembolische Ereignisse zu verhindern. Eine gute interdisziplinäre Zusammenarbeit ist essenziell.

1. Siebenand S (2005) Designerdroge „Crystal“ auf dem Vormarsch. Pharmazeutische Zeitung online, Ausgabe 46/2005 2. Cruickshank CC, Dyer KR (2009) A review of the clinical pharmacology of methamphetamine. Addiction 104(7):1085–1099 3. Schweim HG (2009) Aufputschmittel: Fertigarzneimittel zur illegalen Rauschmittelporduktion. Pharmazeutische Zeitung online, Ausgabe 31/2009 4. Yamamoto BK, Moszczynksa A, Gudelsky GA (2010) Amphetamine toxicities: classical and emerging mechanisms. Ann N Y Acad Sci 1187:101–121 5. Marshal BD, Werb D (2010) Health outcomes associated with methamphetamine use among young people: a systematic review. Addiction 105:991– 1002 6. Sousa C, Botelho C, Rodrigues D et al (2012) Infective endocarditis in intravenous drug abusers: an update. Eur J Clin Microbiol Infect Dis 31(11):2905– 2910

[Bilateral retinal artery occlusion].

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