Bild und Fall Ophthalmologe DOI 10.1007/s00347-015-0069-8 © Springer-Verlag Berlin Heidelberg 2015

Anamnese Ein 72-jähriger Patient wurde an unsere Klinik mit Verdacht auf eine Skleritis posterior überwiesen. Er beklagte eine schmerzlose Visusverschlechterung auf dem rechten Auge seit 1 Monat. Die ophthalmologische Anamnese war bis dahin unauffällig. Als Allgemeinerkrankungen wurden eine medikamentös eingestellte Hypertonie und eine Struma nodosa angegeben.

V. Georgieva · C. Jochmann · P. Wiedemann Klinik und Poliklinik für Augenheilkunde, Universitätsklinikum Leipzig, Leipzig, Deutschland

Bilaterale zentrale Netzhautabhebung mit weißlichen chorioretinalen Herden Fluoreszenzangiographie.  Die weißlichen chorioretinalen Herde zeigten sich in der frühen Phase der Fluoreszenzangiographie (FAG) hypofluoreszent mit zunehmender Hyperfluoreszenz in der Spätphase durch Leckagen infolge der gestörten Funktion der äußeren Blut-Retina-Schranke. Die Grenzen der Netzhautabhebung waren beidseits gut darstellbar. Im Bereich der retinalen Hämorrhagien bestand eine Hypofluoreszenz durch Blockade (. Abb. 3).

Weitere Diagnostik und Verlauf Bei Verdacht auf eine Uveitis posterior erfolgte die stationäre Aufnahme des Patienten zur weiteren Diagnostik. Bei der spezifischen Uveitis-Labordiagnostik fielen leicht erhöhte Werte des löslichen IL2-Rezeptors und von Neopterin auf. Der ACE-Wert und der Rheumafaktor waren Dieser Fall wurde auf dem DOG-Kongress 2014 in Leipzig präsentiert.

Klinischer Befund Der bestkorrigierte Visus betrug rechts 0,8 und links 1,0. Der Augendruck lag beidseits im Normbereich (rechts: 16 mmHg, links: 15  mmHg). Der Amsler-Test war beidseits negativ. Die vorderen Augenabschnitte zeigten sich beidseits reizfrei mit einer leicht abgeflachten Vorderkammer und beginnender Katarakt. Funduskopisch war die Papille beidseits randscharf und vital. Am hinteren Pol zeigten sich mehrere konfluierende, weißliche chorioretinale Herde oberhalb der Makula. Beidseits waren auch perivasale prä- und intraretinale Blutungen sichtbar (. Abb. 1). Die periphere Netzhaut war unauffällig.

Abb. 1 8 Fundusbild bei der Erstvorstellung im Dezember 2012

Diagnostik Optische Kohärenztomographie.  In der OCT-Aufnahme zeigte sich beidseits eine Abhebung der gesamten neurosensorischen Netzhaut im Bereich der Makula (.  Abb. 2). Die weißlichen Herde konnten als Verdickungen des retinalen Pigmentepithels (RPE) und der darunter liegenden Aderhaut identifiziert werden.

Abb. 2 8 Die optische Kohärenztomographie zeigt eine Abhebung der neurosensorischen Netzhaut in der Makula Der Ophthalmologe

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Bild und Fall Varizella-Zoster-Virus (VZV), HepatitisB-Virus (HBV), Syphilis und Borreliose. Durch eine Vorderkammerpunktion wurde Kammerwasser zur PCR (Polymerasekettenreaktion)-Diagnostik für HSV gewonnen, die sich auch als negativ erwies. Weiterhin wurde eine Computertomographie des Thorax durchgeführt, bei der sich kein Anhalt für eine pulmonale Sarkoidose zeigte. Als Zufallsbefund fielen im Labor eine leichte Anämie (Erythrozyten 4,19 Gpt/l) und eine eingeschränkte Nierenfunktion (Kreatinin 141  μmol/l, glomeruläre Filtration 42,4 ml/min) auf. Der Blutdruck des Patienten lag wiederholt bei 220/123 mmHg bei subjektiver Beschwerdefreiheit, weshalb eine Umstellung der antihypertensiven Therapie durch den Hausarzt empfohlen wurde. Bei der Kontrolluntersuchung in unserer Klinik 2 Monate später sahen wir weiterhin eine Abhebung der neurosensorischen Netzhaut im Bereich der Makula sowie die weißlichen chorioretinalen Herde. Zusätzlich zeigten sich beidseits Cotton-wool-Herde und mehrere fleckund flammenförmige retinale Blutungen (. Abb. 4). Der bestkorrigierte Visus war beidseits 1,0. Der Blutdruck lag trotz maximaler antihypertensiver Therapie bei 220/130. Daraufhin erfolgte die stationäre Aufnahme in der Klinik für Innere Medizin zur weiteren Diagnostik und Therapieumstellung. Durch eine Nierenbiopsie wurde eine Amyloidose nachgewiesen, die infolge eines multiplen Myeloms mit Produktion von Bence-Jones-Proteinen entstanden war. Bei Multiorganbeteiligung des Myeloms wurde zunächst eine palliative Therapie durch Plasmapherese empfohlen.

Abb. 3 8 Fluoreszenzangiographie

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Abb. 4 8 Fundusbild vom Februar 2013 mit retinalen Blutungen, Cotton-wool-Herden und ElschnigFlecken

Therapie und weiterer Verlauf

im Normbereich, die antinukleären und antineutrophilen zytoplasmatischen Antikörper erwiesen sich als negativ. Bei der

Nach erfolgter Plasmapherese und 2 Zyklen Chemotherapie stellte sich der Patient zur erneuten Kontrolluntersuchung in unserer Klinik vor. Der bestkorrigierte

Der Ophthalmologe

serologischen Diagnostik zeigte sich ein positives IgM für das Herpes-simplex-Virus (HSV) bei negativen IgM-Werten für

D Wie lautet Ihre Diagnose?

Visus lag weiterhin beidseits bei 1,0. Funduskopisch zeigte sich eine Befundbesserung mit vollständiger Resorption der retinalen Blutungen und der Cotton-woolHerde (.  Abb.  5). In der OCT war keine Netzhautabhebung mehr nachweisbar, es zeigten sich lediglich RPE-Verdickungen nach erfolgter Vernarbung der chorioretinalen Herde (.  Abb.  6). Der Blutdruck lag bei 150/80 mmHg.

Diskussion Die arterielle Hypertonie wird als dauerhaft erhöhter Blutdruck definiert, bei dem der systolische Wert über 140 oder der diastolische über 90 mmHg liegt. Etwa 1 % der hypertensiven Patienten erleidet auch akute Blutdruckanstiege über 200/140 mmHg, die als maligne Hypertonie bezeichnet werden [4]. Die dadurch entstehenden pathologischen Veränderungen am Augenhintergrund werden in

hypertensive Retinopathie, Chorioidopathie und Optikusneuropathie unterteilt. Klinische Zeichen für eine hypertensive Retinopathie werden bei ca. 8–14 % der nichtdiabetischen Bevölkerung über 40 Jahre festgestellt [2]. Die hypertensive Retinopathie wird in 3 Stadien eingeteilt (Klassifikation nach Wong und Mitchell): 55Stadium I (milde hypertensive Retinopathie): generalisierte oder fokale arterioläre Verengungen, Gefäßwandveränderungen und Kreuzungszeichen der Gefäße; 55Stadium II (fortgeschritten): zusätzlich retinale Hämorrhagien, Mikroaneurysmen, harte Exsudate und Cotton-wool-Herde; 55Stadium III (maligne Retinopathie): Stadium II und zusätzliches Papillenödem. Die Entwicklung einer hypertensiven Chorioidopathie wird öfter bei jüngeren Patienten mit akuten Blutdruckanstie-

gen beobachtet. Beschrieben wurde sie bisher bei Patienten mit renaler Hypertonie, Phäochromozytom, Präeklampsie und maligner Hypertonie [1]. Die Effekte der Hypertonie auf die Aderhaut sind durch die anatomischen Besonderheiten der chorioidalen Gefäße erklärbar. Wegen der fehlenden Autoregulation werden die Aderhautgefäße vermehrt durch Schwankungen im Perfusionsdruck beeinflusst, und durch die Fenestration der Kapillare ist auch ein Austritt von Makromolekülen aus den Gefäßen möglich [3]. Die hypertensive Chorioidopathie äußert sich typischerweise durch Elschnig-Flecken und Siegrist-Streifen [1, 5]. Die Elschnig-Flecken stellen ischämische Veränderungen im RPE dar, die infolge von Hypoperfusion der Choriokapillaris entstehen. Sie sind meist scharf begrenzt, mit einer gelb-weißlichen Farbe und weisen nach erfolgter Vernarbung eine zentrale Hyperpigmentierung auf. Die SiegristStreifen sind dunkelfarbig und befinden sich entlang der sklerosierten Aderhautgefäße [1]. Durch eine Nekrose des retinalen Pigmentepithels und den dadurch entstehenden Zusammenbruch der äußeren Blut-Retina-Schranke kann es auch zu einer exsudativen Netzhautablösung kommen, die meistens im Bereich der Makula liegt, wie es bei unserem Patienten der Fall war.

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Abb. 5 8 Befundbesserung mit Resorption der retinalen Blutungen und der Cotton-wool-Herde (Juli 2013)

Abb. 6 8 OCT-Befund vom Juli 2013

Diagnose: Hypertensive Retinopathie bei sekundärer Hypertonie infolge von Amyloidose mit Multiorganbeteiligung Die hypertensive Optikusneuropathie ist ein Zeichen für maligne Hypertonie und präsentiert sich durch beidseitiges Papillenödem, dessen genauer Entwicklungsmechanismus noch umstritten ist. Es wird vermutet, dass durch den Gefäßspasmus eine Ischämie des Sehnerven entsteht, die zur Verlangsamung des axoplasmatischen Transports und dadurch zum Papillenödem führt [4].

Der Ophthalmologe

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Bild und Fall Die Patienten mit hypertensiven Fundusveränderungen sind sehr oft asymptomatisch, weshalb die Diagnosestellung gelegentlich als Zufallsbefund erfolgt. Die Behandlung besteht in kontrollierter Blutdrucksenkung, die den Endorganschaden verhindern soll. Die maligne Hypertonie stellt einen medizinischen Notfall dar und muss aufgrund der schwerwiegenden systemischen Komplikationen und der hohen Mortalitätsrate in Zusammenarbeit mit den Internisten unverzüglich behandelt werden. Dabei kommt den Ophthalmologen bei der Diagnosestellung der hypertensiven Veränderungen eine wichtige Rolle zu.

Fazit für die Praxis 55Die hypertensiven Fundusveränderungen können vielfältig sein und sind bei der Erstmanifestation manchmal nicht eindeutig zuzuordnen. 55Bei Verdacht auf solche Veränderungen sollte gezielt nach einer Hypertonie gefragt werden. Eine simple Methode zur Diagnosesicherung ist die Blutdruckmessung, die bereits in der augenärztlichen Praxis erfolgen sollte. 55Die erfolgreiche Therapie der Hypertonie erfordert die enge Zusammenarbeit zwischen Ophthalmologen und Internisten.

Korrespondenzadresse V. Georgieva Klinik und Poliklinik für Augenheilkunde Universitätsklinikum Leipzig Liebigstr. 10–14, 04103 Leipzig [email protected]

Einhaltung ethischer Richtlinien Interessenkonflikt.  V. Georgieva, P. Wiedemann und C. Jochmann geben an, dass kein Interessenkonflikt besteht. Dieser Beitrag beinhaltet keine Studien an Menschen oder Tieren.

Literatur 1. Bourk K, Paten M, Prisant LM et al (2004) Hypertensive choroidopathy. J Clin Hypertens 6:471–472

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2. Klein R, Klein B, Moss SE et al (1994) Hypertension and retinopathy, arteriolar narrowing and arteriovenous nicking in a population. Arch Ophthalmol 112(1):92–98 3. Oh KT, Monfair N et al Ophthalmologic manifestations of hypertension; Medscape reference: drugs, diseases & procedures. http://emedicine.medscape.com/article/1201779-overview Zugegriffen: 01.09.2014 4. Rogers A (2009) Ophthalmology, 3. Aufl. Hypertensive Retinopathy. S. 584–588 5. Walsh B, Rosen R et al (2006) Duane’s ophthalmology; systemic hypertension and the eye. http:// www.eyecalcs.com/DWAN/pages/v3/v3c013.html Zugegriffen: 01.09.2014

[Bilateral central retinal detachment with whitish chorioretinal foci].

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