Leitthema Bundesgesundheitsbl 2014 DOI 10.1007/s00103-014-2112-3 © Springer-Verlag Berlin Heidelberg 2014

Medizinprodukte gewinnen in vielen Bereichen der Gesundheitsversorgung zunehmend an Bedeutung. Insbesondere von innovativen Medizinprodukten verspricht man sich einen entscheidenden Beitrag zur Verbesserung der Patientenversorgung – beispielsweise durch eine bessere Diagnostik oder eine effektivere Therapie von Krankheiten. Meist fehlt jedoch der Nachweis, der die Wirksamkeit oder den patientenrelevanten Nutzen des Produkts in der klinischen Anwendung belegt. Ein Hauptgrund hierfür liegt in den im Vergleich zu Arzneimitteln deutlich niedrigeren Anforderungen für den Marktzugang. So durchläuft ein Medizinprodukt vor dem Inverkehrbringen anstelle eines behördlichen Zulassungsverfahrens lediglich ein Zertifizierungsverfahren („Konformitätsbewertungsverfahren“), das von einer in Europa frei wählbaren, privatwirtschaftlichen Institution („Benannte Stelle“) begleitet wird. Der erfolgreiche Abschluss des Verfahrens setzt keinen Nachweis der klinischen Sicherheit und Wirksamkeit des Produkts voraus, sodass viele Medizinprodukte – darunter Hochrisikoprodukte wie beispielsweise Implantate – auf den Markt gelangen, ohne dass sie im Vorfeld im Rahmen klinischer Studien erprobt wurden. Auch auf dem Weg in die Erstattung durch die gesetzliche Krankenversicherung (GKV) ist es in der Regel nicht erforderlich, den Nutzen einer medizintechnischen Intervention durch entsprechende klinische Studien nachzuweisen. Wie zeitnah ein Verfahren nach Markteinführung erstattungsfähig wird, hängt primär nicht von der vorhandenen Evidenz, sondern vom betroffenen Versorgungssektor ab. Die Chance, einen Nutzennachweis auf Produktebene – in Anlehnung an das Arzneimittelmarktneuordnungsgesetz im Arzneimittelbereich, jedoch mit einem Gel-

Yvonne Zens · N. Fujita-Rohwerder · J. Windeler Institut für Qualität und Wirtschaftlichkeit im Gesundheitswesen (IQWiG), Köln, Deutschland

Nutzenbewertung von Medizinprodukten tungsbereich für die stationäre wie ambulante Versorgung – als Voraussetzung für die Erstattungsfähigkeit im Rahmen der GKV-Versorgung regelhaft einzufordern, wird momentan noch nicht genutzt.

Aktuelle Marktzugangsbedingungen In Europa wird der rechtliche Rahmen zu Medizinprodukten durch drei europäische Richtlinien vorgegeben [1–3]. Diese sind von den Mitgliedsländern in nationales Recht umzusetzen. In Deutschland erfolgt dies durch das Medizinproduktegesetz (MPG) und eine Reihe von Verordnungen [4, 5]. Medizinprodukte durchlaufen vor dem Inverkehrbringen kein behördliches Zulassungsverfahren, sondern lediglich ein Konformitätsbewertungsverfahren, das die CE(Conformité Européenne)-Kennzeichnung zum Ziel hat. Zum einen erlaubt diese den freien Warenverkehr und die Inbetriebnahme im europäischen Wirtschaftsraum. Zum anderen soll gewährleistet sein, dass Medizinprodukte hinsichtlich ihrer Entwicklung und Herstellung den gemäß EU-Richtlinie grundlegenden Anforderungen an die Produktsicherheit und (technische) Leistungsfähigkeit innerhalb ihrer vorgesehenen Zweckbestimmung genügen. Aus der Zweckbestimmung leitet sich die Risikoklasse eines Medizinprodukts ab (.  Tab. 1). Diese wiederum bestimmt die Form des Konformitätsbewertungsverfahrens. Medizinprodukte mit geringem Gefährdungspotenzial für Patienten, Anwender oder Dritte werden der Klasse I zugeordnet. Für Medizinprodukte der Klasse I kann die Konformität mit den regulatorischen Anforderungen durch den Hersteller in der Regel selbst erklärt werden. Ab der Risikoklasse II ist

eine sogenannte „Benannte Stelle“ hinzuzuziehen, die verschiedene Prüfaufgaben übernimmt. Der Hersteller hat dabei je nach Produkt eine gewisse Wahlfreiheit, welche Bestandteile das Konformitätsbewertungsverfahren umfasst. Auch die Benannte Stelle ist vom Hersteller frei wählbar, sofern sie für das durchzuführende Verfahren akkreditiert ist. Die daraus resultierende Wettbewerbssituation zwischen den Benannten Stellen, die als privatwirtschaftliche Unternehmen europaweit agieren, birgt die Gefahr, dass es an der für den Zertifizierungsprozess notwendigen Neutralität und Sorgfalt zugunsten wirtschaftlicher Interessen mangeln kann – wie bereits eindrucksvoll in der Vergangenheit gezeigt wurde [6]. Im Rahmen des Konformitätsbewertungsverfahrens prüft die Benannte Stelle, ob der Hersteller für sein Produkt die Konformität zu den regulatorischen Anforderungen nachweisen kann – Art und Umfang der Prüfung hängen dabei von der Risikoklasse des Produkts bzw. den vom Hersteller gewählten Verfahrensbestandteilen ab. Die Bewertung der Konformität umfasst unter anderem auch eine klinische Bewertung. Ziel der klinischen Bewertung ist es, anhand klinischer Daten die Eignung des Medizinprodukts für den vorgesehenen Verwendungszweck zu belegen. Dies schließt auch die Bewertung unerwünschter Wirkungen und das Abwägen von Nutzen gegenüber Risiken in der Verwendung des Medizinprodukts mit ein. Allerdings sind gemäß aktuellem Rechtsrahmen keine klinischen Daten zum Nachweis des Nutzens (oder zumindest der Wirksamkeit), sondern lediglich zum Nachweis von technischer Sicherheit und Leistungsfähigkeit eines Produkts erforderlich. Außerdem ist es in der Praxis meist ausreichend, die klinische Bewertung auf dem sogenannten Literaturweg

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Leitthema Tab. 1  Beispiele zur Risikoklassifizierung von Medizinprodukten gemäß Anhang IX der EU-

Richtlinie 93/42/EWG [1] Risikoklasse I, Is (steril), Im (mit Messfunktion) IIa

Risikopotenzial Niedrig Mittel

IIb

Erhöht

III

Hoch

Produktbeispiele Pflaster, Gehhilfen, Fieberthermometer, Brillen, Rollstühle Externe Hörgeräte, Kontaktlinsen, Desinfektionsmittel, Dentalmaterialien, diagnostische Ultraschallgeräte, MRT- u. PET-Geräte Röntgengeräte, Dialysegeräte, Blutbeutel, Dentalimplantate, Kondome, externe Herzschrittmacher u. Defibrillatoren, Beatmungsgeräte Brustimplantate, Schulter-, Hüft- u. Knieendoprothesen, Herzklappen, Koronarstents, intrakranielle Stents, Herzschrittmacher, resorbierbares chirurgisches Nahtmaterial

durchzuführen, d. h. auf der Basis von wissenschaftlicher Literatur, klinischen Erfahrungsberichten und/oder Ergebnissen aus klinischen Prüfungen mit gleichartigen Produkten. Klinische Daten zum eigentlich zu bewertenden Medizinprodukt – insbesondere auch aus klinischen Prüfungen – sind somit nicht erforderlich. Für den Fall, dass für die klinische Bewertung eine klinische Prüfung durchgeführt wird, ist in der Regel eine Genehmigung der zuständigen Bundesoberbehörde sowie eine zustimmende Bewertung der für den Hauptprüfer oder Leiter der klinischen Prüfung nach Landesrecht zuständigen Ethikkommission erforderlich. Die Antragstellung erfolgt zentral über das elektronische Erfassungssystem des Deutschen Instituts für Medizinische Dokumentation und Information (DIMDI). Die Datenbank des DIMDI ist jedoch nicht öffentlich zugänglich, sodass die im Sinne der Patientensicherheit notwendige (Daten-)Transparenz in der klinischen Forschung mit Medizinprodukten nicht gewährleistet ist. Auch die in Europa etablierte Datenbank EUDAMED, die unter anderem Daten zu klinischen Prüfungen enthält, ist nicht für die Öffentlichkeit zugänglich.

schen Erkenntnisse entsprechen (vgl. [7] §§ 2, 12 und 70). Bewertungen von und Entscheidungen über die Erbringung von ärztlichen Leistungen, die maßgeblich auf dem Einsatz von Medizinprodukten beruhen, liegen im Aufgabenbereich des Gemeinsamen Bundesausschusses (GBA). Als Bewertungskriterien gelten der Nachweis des diagnostischen oder therapeutischen Nutzens sowie die medizinische Notwendigkeit und Wirtschaftlichkeit (vgl. [7] § 92 Abs. 1). Den Bewertungen liegen die Grundsätze der evidenzbasierten Medizin zugrunde (vgl. [8] § 5 Abs. 2 1.Kapitel). Dabei sind für die Bewertung des Nutzens in der Regel Studien höchster Evidenzstufe, also randomisierte kontrollierte Studien (RCT), mit patientenrelevanten Endpunkten „wie z. B. Mortalität, Morbidität und Lebensqualität“ heranzuziehen (vgl. [8] § 13 Abs. 2 2.Kapitel). Bewertungsgegenstand ist im vertragsärztlichen als auch im stationären Sektor eine sogenannte Untersuchungs- und Behandlungsmethode1 (vgl. [7] §§ 135, 137c und 137e). Zwar nimmt der G-BA eine beschreibende Eingrenzung der zu bewertenden Methode vor, eine Festlegung auf ein konkretes Medizinprodukt erfolgt in diesen Bewertungen, in den resultieren-

Erstattungsbedingungen in Deutschland

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Ein wesentlicher Grundsatz für die Versorgung von gesetzlich Krankenversicherten besteht darin, dass nur solche Leistungen erbracht werden dürfen, deren Qualität und Wirksamkeit dem allgemein anerkannten Stand der medizini-

Der Methodenbegriff ist in den Regularien nicht definiert. Roters und Propp (2013) schreiben, dass eine Methode nach ständiger Rechtsprechung „eine medizinische Vorgehensweise“ ist, „der ein eigenes theoretisch-wissenschaftliches Konzept zugrunde liegt, welches sie von anderen Verfahren unterscheidet und das ihre systematische Anwendung in der Untersuchung und Behandlung bestimmter Krankheiten rechtfertigen soll“ [9].

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den Richtlinienbeschlüssen sowie deren Umsetzung in den sektorenspezifischen Abrechnungssystemen jedoch nicht [9]. Vertragsärztlicher und stationärer Sektor unterliegen ob fehlender sektorenspezifischer Anforderungen unterschiedlichen Regelungsmechanismen. Für die stationäre Versorgung greift das Prinzip der Erlaubnis mit Verbotsvorbehalt (vgl. [7] § 137c). Untersuchungsund Behandlungsmethoden, die maßgeblich auf dem Einsatz von Medizinprodukten beruhen, unterliegen somit keiner regelhaften Überprüfung durch den G-BA und dürfen solange erbracht werden, wie dieser sie nicht im Rahmen eines Richtlinienbeschlusses untersagt respektive eingrenzt. Die Systematik zur Aktualisierung der Abrechnungssysteme (insbesondere Operationen- und Prozedurenschlüssel sowie DRG(Diagnosis-related Groups)Fallpauschalensystem inklusive bundeseinheitlicher und krankenhausindividueller Zusatzentgelte) stellt ausschließlich auf ökonomische Aspekte ab. Nutzen- und Schadenaspekte einer Untersuchungsbzw. Behandlungsmethode werden in diesen Prozessen nicht beurteilt [10]. Patienten sollen auf diesem Weg einen zeitnahen Zugang zu Innovationen erhalten. Dabei dürfte der Konstruktion dieses Regelungsrahmens die Annahme zugrunde liegen, dass Innovationen per se eine Verbesserung in Diagnostik oder Therapie bewirken. In diesen Kontext ist auch die sogenannte „Innovationsklausel“ [11] in Form des § 6 Abs. 2 Krankenhausentgeltgesetz (KHEntG) [12] einzuordnen. Hiernach können für neue Untersuchungsund Behandlungsmethoden (NUB), die mit den bestehenden Fallpauschalen und Zusatzentgelten noch nicht sachgerecht vergütet werden können, zeitlich befristete, fallbezogene NUB-Entgelte zwischen einzelnen Krankenhäusern und Krankenkassen vereinbart werden. Es kommt jedoch vor, dass Krankenkassen mit Verweis auf eine unzureichende Evidenzbasierung der betreffenden NUB die Vereinbarung eines solchen Entgeltes ablehnen [11]. Das Bundessozialgericht hat in diesem Zusammenhang mehrfach festgestellt, dass unbenommen des Verbotsvorbehalts nach § 137c SGB V auch für Untersuchungs- und Behandlungsmethoden im Krankenhaus und damit auch für NUB

Zusammenfassung · Abstract der Anspruch des Qualitätsgebots des § 2 Abs. 1 Satz 3 SGB V gilt [13]. Für die vertragsärztliche Versorgung greift das Prinzip des Verbots mit Erlaubnisvorbehalt (vgl. [7] § 135). Dies bedeutet, dass der Nutzen, die medizinische Notwendigkeit und Wirtschaftlichkeit einer neuen Methode zuerst durch den G-BA festzustellen sind, ehe diese in der ambulanten Versorgung erbracht werden darf. Zudem liegt es beim G-BA, die für die Erbringung der Leistung notwendigen Anforderungen, wie etwa die erforderliche Qualifikation des Arztes, zu spezifizieren. Die Definition von „neu“ bezieht sich auf die bisherige Abbildung im Einheitlichen Bewertungsmaßstab (vgl. [8] § 2 Abs. 1 2. Kapitel), dem maßgeblichen Abrechnungssystem der vertragsärztlichen Versorgung. Erstmalig in Verkehr gebrachte Medizinprodukte bedingen somit in der Regel nur dann einen möglichen Bewertungsgegenstand für den GBA, wenn sie auch gleichzeitig eine Methode nach oben genannter Definition bewirken. Mit Blick auf die eingangs beschriebenen Defizite hinsichtlich der Anforderungen an eine klinische Bewertung von Medizinprodukten im Rahmen der Erlangung des Marktzugangs sowie der Intransparenz über die in Verkehr gebrachten Medizinprodukte gestalten sich jedoch sowohl die Identifikation als auch der Nachweis des diagnostischen oder therapeutischen Nutzens einer Methode, die maßgeblich auf dem Einsatz eines Medizinprodukts beruht, als große Herausforderung. Über Programme zur systematischen Identifikation solcher Methoden liegen keine Informationen vor. Die mit dem GKV-Versorgungsstrukturgesetz (GKV-VStG) [14] geschaffene Möglichkeit für Hersteller eines Medizinprodukts, auf dessen Einsatz die technische Anwendung einer neuen Untersuchungs- und Behandlungsmethode maßgeblich beruht, einen Antrag auf Erlass einer Erprobungsrichtlinie stellen zu können (vgl. [7] § 137e Abs. 7 SGB V), ist zwar ein Schritt in die richtige Richtung. Da es sich aber lediglich um ein auf Freiwilligkeit basierendes Antragsverfahren handelt, bei dem es überdies nicht um die Bewertung des medizinischen Nutzens, sondern insbesondere des sogenannten „Potenzials einer erforderlichen Behand-

Bundesgesundheitsbl 2014  DOI 10.1007/s00103-014-2112-3 © Springer-Verlag Berlin Heidelberg 2014 Y. Zens · N. Fujita-Rohwerder · J. Windeler

Nutzenbewertung von Medizinprodukten Zusammenfassung Medizinprodukte spielen sowohl in der diagnostischen als auch therapeutischen Versorgung von Patienten eine bedeutende Rolle. Hier verspricht man sich insbesondere von innovativen Medizinprodukten einen Beitrag zur Verbesserung der Patientenversorgung. Weder im Rahmen des Marktzugangs auf EU-Ebene, noch auf dem Weg in die Erstattung durch die gesetzliche Krankenversicherung (GKV) in Deutschland besteht jedoch eine regelhafte Notwendigkeit, klinische Studien mit Medizinprodukten durchzuführen, die eine Bewertung des Nutzens erlauben. Zahlreiche Beispiele zeigen, dass der geltende Rechtsrahmen für den Marktzugang einerseits und für die Erstattung im Rahmen der GKV-Versorgung andererseits nicht ausreicht, um Patienten nur solche Untersuchungs- und Behandlungsmethoden respektive Medizinprodukte zukommen zu lassen, die dem Nutzenanspruch bzw. dem Qualitätsgebot des Sozialgesetzbuches (SGB) V genügen. Dabei ist die Durchführung aussagekräftiger Studi-

en, also randomisierter kontrollierter Studien, auch mit Medizinprodukten möglich. Eine regelhafte indikationsbezogene Nutzenbewertung von Medizinprodukten höherer Risikoklasse als Voraussetzung für die Erstattungsfähigkeit eines spezifischen Medizinprodukts ist somit nicht nur erforderlich, sondern auch realisierbar. Das Gutachten 2014 des Sachverständigenrats zur Begutachtung der Entwicklung im Gesundheitswesen enthält hierzu einen vielversprechenden Vorschlag. Ein wie dort beschriebener Regelungsrahmen würde den Patienten den schnellstmöglichen Zugang zu sicheren und wirksamen medizintechnischen Innovationen gewähren und gleichzeitig die seitens der Hersteller oft bemängelte Planungssicherheit während der Produktentwicklung und -vermarktung erhöhen. Schlüsselwörter Medizinprodukte · Nutzenbewertung · Zulassung · Erstattung · Patientensicherheit

Benefit assessment of medical devices Abstract Medical devices play an important role in both the diagnostic and therapeutic care of patients. The hope is that particularly innovative medical devices can contribute to the improvement of patient care. However, there is no mandatory need to conduct clinical studies with medical devices that allow an assessment of their benefit within the framework of EU market access or on the way to reimbursement by the statutory health insurance (SHI) in Germany. Numerous examples show that the existing legal framework for market access and for reimbursement in the SHI system is insufficient for providing patients with only those examination and treatment methods, i. e., medical devices, that comply with the benefit requirement and the imperative for quality stipulated in the Social Code Book V. However, it is possible to conduct meaningful clinical trials, i. e., randomized controlled tri-

lungsalternative“ geht, wurde hier die Chance einer systematischen Identifikation innovativer Methoden einerseits und ihrer sektorenunabhängigen Bewertung hinsichtlich des medizinischen Nutzens andererseits nicht genutzt. Da es sich hier zudem um ein sogenanntes Verwaltungs-

als, with medical devices as well. Hence, regular, indication-related benefit assessment of medical devices with a higher risk class as a prerequisite for reimbursement for a specific medical device is not only necessary, but also feasible. The 2014 report of the Advisory Council on the Assessment of Developments in the Healthcare System contains a promising recommendation for implementing this. A regulatory framework as described in the report would allow patients the fastest possible access to safe and effective medical device innovations, while increasing planning reliability for the development and marketing of new products, which has often been criticized as insufficient by manufacturers. Keywords Medical devices · Benefit assessment · Reimbursement · Patient safety

verfahren handelt (ähnlich einem Antrag auf Baugenehmigung), erhält die Öffentlichkeit lediglich Kenntnis über solche Anträge, für die ein Beratungsverfahren für eine Erprobungsrichtlinie beschlossen wird. Die mit dem Verfahren einhergehende Intransparenz versagt also insbe-

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Leitthema sondere Leistungserbringern als auch Patienten die Möglichkeit, sich über diskussionswürdige Untersuchungs- und Behandlungsmethoden zu informieren. Und selbst die Methoden, denen ein Potenzial attestiert wurde, für die damit allerdings auch festgestellt wurde, dass ihr medizinischer Nutzen nicht hinreichend belegt ist, können weiterhin im Rahmen der GKVVersorgung erbracht werden. Im Zuge des GKV-VStG wurden zudem über die Einführung einer erforderlichen Zweidrittelmehrheit für den Ausschluss einer Methode nach § 137c SGB V sowie insbesondere die Etablierung des Potenzialbegriffs und seiner Definition die Hürden für eine Begrenzung respektive einen Ausschluss einer Untersuchungs- und Behandlungsmethode erheblich erhöht. Demnach ist ein direkter Ausschluss einer Methode durch den GBA nur noch in dem Fall denkbar, in dem der Nachweis der Unwirksamkeit oder gar Schädlichkeit erfolgt.

Auswirkung auf die Versorgung mit Medizinprodukten in Deutschland Weil für den Marktzugang von Medizinprodukten keine Notwendigkeit für einen indikationsbezogenen Nachweis des Nutzens und der Sicherheit besteht und andererseits für den Weg in die Erstattung der GKV-Versorgung keine systematische Bewertung aller Methoden erfolgt, die maßgeblich auf der Anwendung eines Medizinprodukts beruhen, werden in Deutschland Leistungen erbracht, deren Nutzen unklar ist und von denen neben dem Risiko eines erst verzögerten Einsatzes einer wirksamen Therapie möglicherweise sogar direkte Risiken für die Patienten ausgehen. Als aktuelles Beispiel ist der Einsatz von Stents zur Behandlung von Blutgefäßverengungen im Gehirn zur sekundären Schlaganfallprävention zu nennen. Während diese Behandlungsmethode in Deutschland einen schnellen Einzug in die Regelversorgung verzeichnen konnte [15], durfte diese Leistung in den USA nur innerhalb einer klinischen Studie erbracht werden. Bei dieser Studie handelte es sich um eine RCT (SAMMPRIS-Studie), die als Auflage für die Erstattung des Wingspan-Stent-Systems durchgeführt werden

musste [16]. Als sich im Zuge einer Zwischenauswertung der Studie zeigte, dass in der Interventionsgruppe die Komplikationsrate (Schlaganfall, Tod) innerhalb von 30 Tagen nach Stent-Implantation statistisch signifikant erhöht ist [17], wurde die Studie abgebrochen und die Zulassung in den USA drastisch eingeschränkt. Im Gegensatz hierzu wurden in Europa bzw. in Deutschland bisher keine entsprechenden Konsequenzen gezogen. Die Behandlungsmethode ist trotz des fehlenden Nutzennachweises und trotz der bekannt gewordenen Risiken weiterhin erstattungsfähig. Die niedrigen Hürden für den Marktzugang als auch der Weg in die Erstattung haben zudem zur Folge, dass für die Hersteller von Medizinprodukten kaum Anreize zur Durchführung aussagekräftiger Studien bestehen. Während Patienten in Deutschland Leistungen mit unklarem Nutzen und möglichem Schaden außerhalb des eng überwachten Rahmens einer Studie erhalten, fehlt auf der anderen Seite damit auch oft die klinische Grundlage für eine Bewertung nach § 135a bzw. § 137c SGB V. Eine systematische Methodenbewertung vor Einführung in die GKV-Versorgung gepaart mit der Möglichkeit des Ausschlusses einer Methode, sofern ihr Nutzen nicht hinreichend belegt ist, hätte gegebenenfalls den Schaden – zumindest dessen Ausmaß – verhindern können, den Patienten durch den Einsatz von Robodoc (roboterunterstütztes Fräsverfahren zur Unterstützung der Implantation von Hüftgelenkstotalendoprothesen) erfuhren. US-amerikanischen Patienten blieb dieser Schaden insofern erspart, als dass die amerikanische Zulassungsbehörde FDA (Food and Drug Administration) dem Hersteller aufgrund fehlender klinischer Daten zur Sicherheit und Wirksamkeit damals erst gar keine Zulassung erteilte [18]. Das Fallbeispiel CoStar – ein medikamentenbeschichteter Stent („drug eluting stent“, DES) zur Behandlung der koronaren Herzkrankheit – zeigt jedoch, dass eine alleinige Methodenbewertung nicht ausreichend sein kann, um Patienten der GKV vor weniger wirksamen Verfahren sowie zugleich vor vermeidbaren unerwünschten Wirkungen zu schützen. Wäh-

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rend nach Angaben der FDA bereits mehrere DES auf dem Markt waren, für die ein Nachweis der Wirksamkeit und Sicherheit vorlag, fiel dieses Medizinprodukt bei der Zulassung durch [18]. Das Produkt, das auch in Deutschland Anwendung fand, wurde anschließend vom europäischen Markt genommen. In Deutschland können DES über ein Zusatzentgelt (ZE101; vgl. [19]) flächendeckend abgerechnet werden. Dieses Zusatzentgelt ist jedoch nicht produktspezifisch, was zur Folge hat, dass hierüber andere DES abgerechnet werden können, für die möglicherweise die gleichen Probleme – wie für CoStar festgestellt – bestehen. Ein anderes Beispiel für dieses Problem zeigt sich an einem Ellenbogen-Gelenkimplantat, für das die FDA die Zulassung versagte, der Hersteller in der EU aber den Marktzugang erlangte [18]. Da in der Anwendung dieses Produkts in Europa von der FDA antizipierte Probleme gehäuft auftraten, wurde dieses Implantat dann wieder vom Markt genommen. Über die DRG I43B [19] kann die Implantation von Ellenbogen-Gelenkimplantaten, wie generell für die Abrechnungssysteme zutreffend, ohne Spezifizierung konkreter Medizinprodukte abgerechnet werden. Dies kann zu einer vergleichbaren Problematik führen wie für DES beschrieben. Schon diese Beispiele zeigen auf, dass der geltende Rechtsrahmen für den Marktzugang einerseits und für die Erstattung im Rahmen der GKV-Versorgung andererseits nicht ausreicht, Patienten nur solche Untersuchungs- und Behandlungsmethoden respektive Medizinprodukte zukommen zu lassen, die dem Nutzenanspruch bzw. dem Qualitätsgebot des SGB V (vgl. [7] §§ 2, 12 und 70) genügen.

Anforderungen an klinische Studien mit Medizinprodukten Die wiederholt vorgebrachte Kritik, dass RCTs mit Medizinprodukten oft nicht möglich seien, kann mit einem Blick auf die für eine Zulassung von Medizinprodukten hoher Risikoklasse in den USA notwendige Datenbasis widerlegt werden. Besonderheiten im Kontext klinischer Studien mit Medizinprodukten – wie beispielsweise die Lernkurve des Anwenders – lassen sich bei der Studienplanung be-

rücksichtigen und sind keinesfalls Argumente gegen eine Durchführung aussagekräftiger klinischer Studien. Ein methodischer Aspekt, der häufig bei der Planung klinischer Studien mit Medizinprodukten als nicht machbar eingestuft wird, ist die Verblindung. In der Tat ist eine vollständige Verblindung nicht immer möglich, nichtsdestotrotz sollte es immer das oberste Ziel sein, das Verzerrungspotenzial einer Studie zu minimieren, da es ansonsten zu einer Verfälschung der Studienergebnisse kommen kann. Auch wenn z. B. bei einem Vergleich zweier chirurgischer Verfahren keine Verblindung des Operateurs möglich ist, so ist eine Verblindung des Patienten sowie des Endpunkterhebers (z. B. Stationsarzt) durchaus möglich [20, 21] – und notwendig, um eine valide Aussage treffen zu können [22]. Auch die Forderung nach Placebokontrollierten Studien mit Medizinprodukten für einen Wirksamkeits-/Nutzennachweis wird oft kritisiert, da die Durchführung solcher Studien ethisch nicht vertretbar sei. Gerade diese Argumentation setzt jedoch einen Beleg der Wirksamkeit bzw. des Nutzens voraus. Allein die Aufgeschlossenheit gegenüber medizintechnischen Innovationen und vielversprechende Ergebnisse aus Fallserien sind nicht ausreichend, um per se von positiven Effekten einer Intervention ausgehen zu können [23]. Dies wurde beispielsweise erst kürzlich wieder anhand einer RCT zur renalen Denervation bei therapierefraktärem Bluthochdruck (SIMPLICITY HTN3) auf eindrucksvolle Weise – auch zur Überraschung der Fachwelt – gezeigt [24]. Folglich ist es vielmehr unethisch, auf die Durchführung entsprechend aussagekräftiger klinischer Studien zu verzichten. Um Patienten einen möglichst schnellen und sicheren Zugang zu innovativen Medizinprodukten zu ermöglichen, sollte es im Interesse der Hersteller sein, den Nachweis des klinischen Nutzens frühzeitig als Ziel in die klinische Entwicklung miteinzubeziehen. Zum einen können so Fehlentwicklungen verhindert bzw. frühzeitig abgebrochen werden, zum anderen können zusätzliche kostenintensive und langwierige Studien vermieden werden.

Perspektiven Anforderungen an das Inverkehrbringen von Medizinprodukten Ziel der in den 1990er-Jahren auf Basis des „New Approach“ verabschiedeten drei Richtlinien zu Medizinprodukten ist es, ihren freien Warenverkehr innerhalb des europäischen Binnenmarktes zu fördern und gleichzeitig ihre Sicherheit zu gewährleisten. Bereits vor mehr als sechs Jahren hat die europäische Kommission jedoch erkannt, dass der aktuelle Rechtsrahmen die Patientensicherheit in Europa nicht mehr gewährleisten kann und eine vollständige Überarbeitung notwendig ist [25]. Die Gründe hierfür liegen zum einen in den aus dem technischen Fortschritt resultierenden Regelungslücken bzw. Rechtsunsicherheiten und zum anderen in der sehr uneinheitlichen Auslegung und Anwendung der Richtlinien in den einzelnen Mitgliedstaaten. Deren Zahl ist in den letzten beiden Jahrzehnten stark gewachsen. Auch mehrfache Anpassungen der Richtlinien an die sich verändernden Rahmenbedingungen (zuletzt 2007 [26]) konnten diese Mängel nicht beheben. Um die Patientensicherheit zukünftig zu gewährleisten, wäre eine grundlegende Überarbeitung des aktuellen Rechtsrahmens notwendig. Zum einen wäre eine europaweit zentrale und unabhängige Zulassung mindestens von Medizinprodukten der Risikoklasse IIb und III zu fordern. Wie auch im Gutachten des Sachverständigenrats zur Begutachtung der Entwicklung im Gesundheitswesen (SVR) vorgeschlagen wird [27], könnte das Zulassungsverfahren analog zum „zentralisierten Verfahren“ im Arzneimittelbereich erfolgen. Aus der Perspektive von Anwendern und Patienten ist kein Grund erkennbar, warum die bewährten Regelungen aus dem Arzneimittelbereich nicht auch für Produkte, die dem gleichen medizinischen Zweck dienen, angewendet werden sollten. Zum anderen sollten aussagekräftige klinische Daten, die belegen, dass das betreffende Medizinprodukt innerhalb seiner vorgesehenen Zweckbestimmung sicher und wirksam ist, Voraussetzung für

den Marktzugang sein [27–30]. Der Nachweis der klinischen Wirksamkeit sollte in der Regel mittels RCT unter Berücksichtigung patientenrelevanter Endpunkte erfolgen. Die Verwendung klinischer Daten gleichartiger Produkte im Rahmen der klinischen Bewertung sollte äußerst kritisch gesehen werden und klare Regeln erfordern, die es erlauben, ein Produkt eindeutig als Nachahmerprodukt zu definieren. Für Medizinprodukte zur Anwendung bei seltenen Krankheiten ist ein Wirksamkeitsnachweis deutlich schwerer zu erbringen. Um betroffenen Patienten hier einen schnellen Zugang zu vielversprechenden Innovationen zu ermöglichen – ohne jedoch den Stellenwert der Patientensicherheit zu untergraben –, könnte eine an die Situation angepasste, eingeschränkte Zulassung erfolgen – beispielsweise in Anlehnung an die Humanitarian-Device-Exemption(HDE)-Regelung in den USA [31]. Des Weiteren sollte eine verpflichtende Registrierung aller klinischen Studien mit Medizinprodukten in einem öffentlich zugänglichen Studienregister – wie beispielsweise dem Deutschen Register klinischer Studien (DRKS) [32] – erfolgen. Die Veröffentlichung von Studienprotokoll (Methoden) und Studienberichten (Ergebnisse) könnte die Erstellung valider Bewertungen unterstützen. In diesem Zusammenhang besteht zudem der Bedarf für eine öffentlich zugängliche Datenbank, die aktuelle und recherchierbare Informationen über alle Medizinprodukte enthält, die in Europa in Verkehr gebracht werden. Dies schließt auch Daten zur Vigilanz und Marktbeobachtung von Medizinprodukten mit ein. Auch auf europäischer Ebene ist bekannt, dass der aktuelle Rechtsrahmen die Patientensicherheit nicht mehr gewährleistet. Daher wurden 2012 von der Europäischen Kommission zwei Entwürfe zu Verordnungen (jeweils eine zu Medizinprodukten und In-vitro-Diagnostika) veröffentlicht, die den aktuellen Rechtsrahmen ersetzen sollen. Aufgrund der geänderten Rechtsnatur ist die unmittelbare Anwendung nach Inkrafttreten in allen Mitgliedsstaaten verpflichtend. Entgegen der ursprünglichen Zeitplanung konnte das europäische Gesetzgebungsver-

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Leitthema Für jedes erstmalig in Verkehr gebrachte MP sowie MP mit neuer Indikation ist ein Dossier durch den Verantwortlichen einzureichen

„Klinischer Weg“, d. h. anhand klinischer Daten zum betreffenden MP

„Weg der technischen Äquivalenz“

„klinische Äquivalenz“

Offenlegung und Prüfung klinischer Evidenz zum spezifischen MP

Offenlegung und Prüfung von: • technischer Äquivalenz zum Referenz-MP

Erstattung im Rahmen der GKV-Versorgung zum bisherigen Niveau

Offenlegung und Prüfung klinischer Evidenz zum spezifischen MP

(Nachweis der Nichtunterlegenheit)

• gesundheitlichem Nutzen des Referenz-MP anhand systematischer Literaturübersicht

Nutzen belegt:

„klinische Überlegenheit“

Nutzen nicht belegt: • keine Erstattung für dieses spezifische MP im Rahmen der GKV-Versorgung • ggf. weitere Schritte zur Nutzenbewertung des Referenz-MP

Nichtunterlegenheit und damit Nutzen belegt: Erstattung im Rahmen der GKV-Versorgung zum bisherigen Niveau

Nutzen nicht belegt: keine Erstattung im Rahmen der GKVVersorgung

Überlegenheit und damit (Zusatz-) Nutzen belegt: Erstattung im Rahmen der GKV-Versorgung SOWIE

Nutzen unzweifelhaft: Erstattung im Rahmen der GKV-Versorgung zum bisherigen Niveau

Unterlagenschutz gegenüber dem Weg der technischen Äquivalenz für einen zu definierenden Zeitraum

Abb. 1 8 Anforderungen an die Erstattungsfähigkeit von Medizinprodukten höherer Risikoklasse. (Quelle: SVR 2014 [33])

fahren jedoch noch nicht abgeschlossen werden, da die teilweise sehr kontroversen Diskussionen im europäischen Parlament und im Rat der europäischen Union bisher zu keinem Konsens geführt haben. Zudem verzögerte die Neuwahl des europäischen Parlaments im Mai 2014 die Gespräche. So kann zum aktuellen Zeitpunkt keine Aussage darüber getroffen werden, ob der zukünftige Rechtsrahmen zu einer Verbesserung der beschriebenen Situation beiträgt.

Erstattungsfähigkeit von Medizinprodukten im Rahmen der GKV-Versorgung Unabhängig von den rechtlichen Entwicklungen zum Marktzugang auf EUEbene sollte ein Regelungsrahmen für die Erstattungsfähigkeit von Medizinprodukten im Rahmen der GKV-Versorgung dem Anspruch genügen, dass nur solche Medizinprodukte – insbesondere höhe-

rer Risikoklasse – zur Anwendung kommen, deren medizinischer Nutzen gegenüber einem möglichen Schaden aufseiten des Patienten überwiegt. Dies gilt für die ambulante als auch stationäre Versorgung. Ein solcher Regelungsrahmen sollte einen zeitnahen Zugang zu Innovationen einerseits und Planungssicherheit aufseiten der Hersteller andererseits unterstützen. Der SVR unterbreitet in seinem aktuellen Gutachten einen Vorschlag, dessen Umsetzung diesen Ansprüchen gerecht werden könnte. Vorgeschlagen wird eine regelhafte indikationsbezogene Nutzenbewertung von Medizinprodukten höherer Risikoklasse im Rahmen einer Untersuchungs- und Behandlungsmethode als Voraussetzung für die Erstattungsfähigkeit eines spezifischen Medizinprodukts [33]. Grundlage hierfür soll ein durch den Verantwortlichen im Sinne des § 5 MPG – also in der Regel den Hersteller – beim GBA einzureichendes Dossier sein. Aufga-

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be des G-BA wäre es, auf dieser Basis innerhalb zu definierender Fristen den (Zusatz-)Nutzen der Untersuchungs- und Behandlungsmethode unter Anwendung des betreffenden Medizinprodukts nach den Kriterien der evidenzbasierten Medizin zu bewerten und über die Erstattungshöhe sowie die für die Leistungserbringung erforderlichen Rahmenbedingungen sowohl im stationären als auch im vertragsärztlichen Sektor zu entscheiden. Medizinprodukte, für die der Nutzen nicht festgestellt werden kann, sollen von der Erstattung ausgeschlossen werden. Bewertungsergebnisse, deren Grundlage und darauf basierende Richtlinienbeschlüsse sollen öffentlich zugänglich sein. . Abb. 1 zeigt die drei Optionen, zwischen denen der Verantwortliche für die Darlegung des (Zusatz-)Nutzens wählen kann. Neben einem sogenannten „Weg der technischen Äquivalenz“, bei dem der Verantwortliche unter bestimmten Umständen auf Daten Dritter zurückgreifen

kann, besteht die Möglichkeit, auf Basis klinischer Daten zum spezifischen Medizinprodukt entweder den Nutzen oder Zusatznutzen darzulegen. Der potenzielle Beitrag des Wegs der technischen Äquivalenz zur Verbesserung der Patientensicherheit wird maßgeblich von der Definition eines technisch äquivalenten Produkts abhängen – hier müssen Kriterien gefunden werden, die tatsächlich dazu geeignet sind, das erforderliche Maß an Patientensicherheit zu gewähren. Hervorzuheben ist demgegenüber die Anreizfunktion für die Entwicklung von echten Innovationen, die sich aus der Empfehlung für eine Berücksichtigung des Zusatznutzens bei der Vergütung und dem zeitlich befristeten Unterlagenschutz für die Verwendung der hierfür zugrundeliegenden Daten durch Dritte ableiten lässt. Nachvollziehbar ist auch die Überlegung, Ausnahmen von diesem Vorschlag im Fall von Medizinprodukten zur Anwendung bei seltenen Erkrankungen zu schaffen, für die aber dennoch mit Blick auf die Patientensicherheit eindeutige Regelungen zu formulieren sind. Somit hätten auch hiervon betroffene Patienten eine Chance auf einen zeitnahen Zugang zu einer qualitativ hochwertigen Versorgung. Die Idee, Verantwortliche von diesem Verfahren auszunehmen, die verbindlich erklären, dass ihr Produkt nicht für den deutschen Markt zur Verfügung stehen wird, ist vor allem vor dem Hintergrund eines effizienten Ressourceneinsatzes für das Bewertungsverfahren zu begrüßen.

dukte lassen bisher offen, ob ein Wirksamkeitsnachweis zukünftig Voraussetzung für den Marktzugang sein wird. Unabhängig von den sich möglicherweise ändernden regulatorischen Rahmenbedingungen in Europa hat der Sachverständigenrat in seinem aktuellen Gutachten jedoch einen vielversprechenden Weg für eine systematische Frühbewertung von Medizinprodukten aufgezeigt. Diese würde den Patienten den schnellstmöglichen Zugang zu sicheren und wirksamen medizintechnischen Innovationen in der ambulanten als auch stationären Versorgung gewähren und gleichzeitig die seitens der Hersteller oft bemängelte Planungssicherheit während der Produktentwicklung und -vermarktung erhöhen. Da bereits in vielen europäischen Ländern ein Nutzennachweis die Erstattung bedingt, könnte dies die Wettbewerbsfähigkeit deutscher Unternehmen fördern. Die Durchführung aussagekräftiger klinischer Studien zu Medizinprodukten ist durchaus möglich. Eventuelle Besonderheiten im Kontext solcher Studien können in der Studienplanung angemessen berücksichtigt werden und sind kein Argument, auf diese zu verzichten.

Fazit

Einhaltung ethischer Richtlinien

In Deutschland besteht aktuell weder im Rahmen des Konformitätsbewertungsverfahrens für den Marktzugang noch auf dem Weg in die Erstattung durch die GKV die Notwendigkeit, klinische Studien mit Medizinprodukten durchzuführen, die eine Aussage zur Wirksamkeit oder eine Bewertung des Nutzens erlauben. Mit Blick auf den deutschen Markt besteht somit für den Hersteller wenig Anreiz, entsprechend aussagekräftige klinische Studien durchzuführen. Auch die aktuellen Diskussionen auf nationaler und europäischer Ebene zur Novellierung des Rechtsrahmens für Medizinpro-

Korrespondenzadresse Y. Zens Institut für Qualität und Wirtschaftlichkeit im Gesundheitswesen (IQWiG), Im Mediapark 8 50670 Köln [email protected]

Interessenkonflikt.  Y. Zens, N. Fujita-Rohwerder und J. Windeler geben an, dass kein Interessenkonflikt besteht.

Literatur   1. Richtlinie 93/42/EWG des Rates vom 14. Juni 1993 über Medizinprodukte (ABl. EG L 169 S. 1), zuletzt geändert durch Artikel 2 der Richtlinie 2007/47 vom 5. September 2007 (ABl. L 247, S. 21)   2. Richtlinie des Rates vom 20. Juni 1990 zur Angleichung der Rechtsvorschriften der Mitgliedstaaten über aktive implantierbare medizinische Geräte (90/385/EWG) (ABl. L 189 S. 17), zuletzt geändert durch Artikel 1 der Richtlinie 2007/47/EG vom 5. September 2007 (ABl. L 247, S. 21)

  3. Richtlinie 98/79/EG des europäischen Parlaments und des Rates vom 27. Oktober 1998 über In-vitro-Diagnostika (ABl. L 331, S. 1), zuletzt geändert durch Artikel 1 der Richtlinie 2011/100/EU vom 20. Dezember 2011 (ABl. L 341, S. 50)   4. Medizinproduktegesetz in der Fassung der Bekanntmachung vom 7. August 2002 (BGBl. I S. 3146), das zuletzt durch Artikel 16 des Gesetzes vom 21. Juli 2014 (BGBl. I S. 1133) geändert worden ist   5. Deutsches Institut für Medizinische Dokumentation und Information (2014) Medizinprodukterecht. http://www.dimdi.de/static/de/mpg/recht/. Zugegriffen: 15. September 2014   6. Cohen D (2012) How a fake hip showed up failings in European device regulation. BMJ 345:e7090   7. Sozialgesetzbuch (SGB) Fünftes Buch (V) – Gesetzliche Krankenversicherung, Artikel 1 G. v. 20.12.1988 (BGBI. I S. 24277, 2482); zuletzt geändert durch Artikel 1 G. v. 11.08.2014 (BGBl. I S. 1346)   8. Gemeinsamer Bundesausschuss (2014) Verfahrensordnung des Gemeinsamen Bundesausschusses. https://www.g-ba.de/informationen/richtlinien/42/. Zugegriffen: 28. August 2014   9. Roters D, Propp A (2013) Die Erprobung von Methoden nach § 137e SGB V. Medizin Produkte Recht 13(2):37–72 10. Sachverständigenrat zur Begutachtung der Entwicklung im Gesundheitswesen (2014) Bedarfsgerechte Versorgung – Perspektiven für ländliche Regionen und ausgewählte Leistungsbereiche. Kapitel 3.4.5 Ausgewählte Wege von Medizinprodukten in die stationäre Versorgung. Langfassung: Textziffern 234 ff. 11. Willhöft C (2013) Rechtsanspruch der Krankenhausträger auf Vereinbarungen eines krankenhausindividuellen (Zusatz-)Entgeltes für Medizintechnologien mit „Status 1“. Das Krankenhaus 105(9):934–940 12. Gesetz über die Entgelte für voll- und teilstationäre Krankenhausleistungen (Krankenhausentgeltgesetz – KHEntG) Artikel 5 G. v. 23.04.2002 (BGBl. I S. 1412, 1422); zuletzt geändert durch Artikel 16d G. v. 21.07.2014 BGBl. I S. 1133 13. Sachverständigenrat zur Begutachtung der Entwicklung im Gesundheitswesen (2014) Bedarfsgerechte Versorgung – Perspektiven für ländliche Regionen und ausgewählte Leistungsbereiche. Kapitel 3.4.5 Ausgewählte Wege von Medizinprodukten in die stationäre Versorgung. Exkurs: Rechtsrahmen zur Vereinbarung eines NUB-Entgeltes. Langfassung: Textziffern 253 ff. 14. Gesetz zur Verbesserung der Versorgungsstrukturen in der gesetzlichen Krankenversicherung (GKV-Versorgungsstrukturgesetz – GKV-VStG). G. v. 22.12.2011 (BGBl. I S. 2983) 15. GKV Spitzenverband (2012) Faktenblatt, Thema: Stents in Blutgefäßen des Gehirns. https://www. gkv-spitzenverband.de/media/dokumente/presse/presse_themen/innovationszentren/Faktenblatt_Wingspan_Stent_2012–11-07.pdf. Zugegriffen: 10. September 2014 16. Centers for Medicare & Medicaid Services (2008) Decision Memo for Intracranial Stenting and Angioplasty (CAG-00085R5). http://www.cms.gov/ medicare-coverage-database/details/nca-decision-memo.aspx?NCAId=214&fromdb=true. Zugegriffen: 15. September 2014 17. Chimowitz MI, Lynn MJ, Derdeyn CP et al (2011) Stenting versus aggressive medical therapy for intracranial arterial stenosis. N Engl J Med 365(11):993–1003

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Leitthema 18. Food and Drug Administration (FDA) (2012) Unsafe and ineffective Devices Approved in the EU that were Not approved in the US. http://www.gkvspitzenverband.de/media/dokumente/presse/ pressekonferenzen_gespraeche/2012_2/121107_ medizinprodukte/8___FDA_EU_Devices_Report. pdf. Zugegriffen: 3. September 2014 19. Institut für das Entgeltsystem im Krankenhaus (InEK) (2014) G-DRG-Version 2014, Fallpauschalenkatalog. http://www.g-drg.de/cms/G-DRG-System_2014/Fallpauschalen-Katalog/Fallpauschalen-Katalog_2014. Zugegriffen: 3. September 2014 20. Moberg AC, Berndsen F, Palmquist I, Petersson U, Resch T, Montgomery A (2005) Randomized clinical trial of laparoscopic versus open appendicectomy for confirmed appendicitis. Br J Surg 92(3):298–304 21. Saad S, Strassel V, Sauerland S (2013) Randomized clinical trial of single-port, minilaparoscopic and conventional laparoscopic cholecystectomy. Br J Surg 100(3):339–349 22. Sauerland S, Brockhaus AC, Fujita-Rohwerder N, Saad S (2014) Approaches to assessing the benefits and harms of medical devices for application in surgery. Langenbecks Arch Surg 399:279–285 23. Redberg RF (2014) Sham controls in medical device trials. N Eng J Med 371(10):892–893 24. Bhatt DL, Kandzari DE, O’Neill WW et al (2014) A controlled trial of renal denervation for resistant hypertension. N Engl J Med 370(15):1393–1401 25. Europäische Kommission (2008) Europäische Kommission konsultiert Öffentlichkeit zu Medizinprodukten. Pressemitteilung vom 8. Mai 2008. http:// europa.eu/rapid/press-release_IP-08-723_de.htm. Zugegriffen: 10. September 2014 26. Richtlinie 2007/47/EG des Europäischen Parlaments und des Rates vom 5. September 2007 zur Änderung der Richtlinien 90/385/EWG des Rates zur Angleichung der Rechtsvorschriften der Mitgliedstaaten über aktive implantierbare medizinische Geräte und 93/42/EWG des Rates über Medizinprodukte sowie der Richtlinie 98/8/EG über das Inverkehrbringen von Biozid-Produkten. ABl. L 247, S. 21 ff. 27. Sachverständigenrat zur Begutachtung der Entwicklung im Gesundheitswesen (2014) Bedarfsgerechte Versorgung – Perspektiven für ländliche Regionen und ausgewählte Leistungsbereiche. Kapitel 3.3.4 Empfehlungen für eine zukünftige Regulierung von Medizinprodukten. Langfassung: Textziffern 177 ff. 28. Eikermann M, Gluud C, Perleth M, Wild C, Sauerland S, Gutierrez-Ibarluzea I et al (2013) Signatories of Our Open Letter to the European Union. Commentary: Europe needs a central, transparent, and evidence based regulation process for devices. BMJ 346:f2771 29. Herrmann-Frank A, Lelgemann M (2013) Neue Medizinprodukte: Unzureichende Datenlage. Dt Ärztebl 110(10):A432–A434 30. Storz-Pfennig P, Schmedders M, Dettloff M (2013) Trials are needed before new devices are used in routine practice in Europe. BMJ 346:f1646 31. U.S. Food and Drug Administration (FDA) Humanitarian Device Exemption. http://www.fda.gov/medicaldevices/deviceregulationandguidance/howtomarketyourdevice/premarketsubmissions/humanitariandeviceexemption/default.htm. Zugegriffen: 15. September 2015 32. Deutsches Register Klinischer Studien. http:// www.drks.de Zugegriffen: 15. September 2014

33. Sachverständigenrat zur Begutachtung der Entwicklung im Gesundheitswesen (2014) Bedarfsgerechte Versorgung – Perspektiven für ländliche Regionen und ausgewählte Leistungsbereiche. Kapitel 3.4.8 Patientensicherheit zuerst: Empfehlungen für eine zukünftige Erstattungsfähigkeit von Medizinprodukten im Rahmen der GKV-Versorgung. Langfassung: Textziffern 313 ff.

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[Benefit assessment of medical devices].

Medical devices play an important role in both the diagnostic and therapeutic care of patients. The hope is that particularly innovative medical devic...
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