Klin. Pädiatr. 203 (1991)

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Autosomal dominante polyzystische Nierenerkrankung im Säuglingsalter E. Kuwertz-Bröking, H. Rabe, B. Grande, M. Bulla Kinderklinik der Westfälischen Wilhelms-Universität Münster (Direktor: Prof. Dr. med. E. Harms)

Ein 6 Monate alter Junge erkrankte an einer schweren arteriellen Hypertonie als Folge einer poIyzystischen Nierenveränderung. Bei der Familienuntersuchung wurden ähnliche Nierenveränderungen bei insgesamt 4 Erwachsenen und weiteren 5 Kindern nachgewiesen und somit die Diagnose einer autosomal dominanten polyzystischen Nierenerkrankung gestellt. Die exkretorische Nierenfunktion bei allen Betroffenen ist derzeit normal, der Blutdruck ist mit Ausnahme des hier beschriebenen Patienten nur bei den Erwachsenen erhöht. Anhand des Falles wird auf die Bedeutung der Familienuntersuchung und auf die Notwendigkeit einer frühen Diagnose und Therapie einer arteriellen Hypertonie hingewiesen. Die langfristige Prognose bei dieser Frühmanifestation der dominant vererbten Zystennieren ist unklar. Autosomal Dominant Polycystic Renopathy in Infancy

We report on a 6 months old infant with suddenly developed severe arterial hypertension caused by polycystic kidneys. Examinations of the relatives revealed similar changes of the kidneys in 4 adults and 5 children. They were all diagnosed to have autosomal dominant polycystic kidney disease. Excretory kidney function of all patients is normal; however, blood pressure was raised in the adults. We would like to stress the importance of family screening in this disease, in particular with regard to possible early diagnosis and treatment of arterial hypertension. The long-term prognosis of the early manifestation of the dominantly inherited cystic kidney disease is uncertain.

Einleitung

Die autosomal dominante polyzystische Nierenerkrankung (andere Bezeichnungen: adulte polyzystische Nierenerkrankung, Zystennieren Typ III nach Potter) ist eine häufige Erkrankung (Inzidenz: I: 1000); 510% aller Dialysepatienten im Erwachsenenalter leiden an diesen Zystennieren. Frühmanifestationen dieser Erkrankung werden in den letzten Jahren häufiger beschrieben (l, 3,4,7, 10, 12, 13).

Klin. Pädiatr. 203 (1991) 381-383 © 1991 F. Enke Verlag Stuttgart

Im folgenden wird über einen Säugling berichtet, bei dem im Alter von 6 Monaten eine schwere arterielle Hypertonie in Zusammenhang mit zystischen Nierenveränderungen diagnostiziert wurde; die Diagnose einer autosomal dominanten polyzystischen Nierenerkrankung wurde durch den Nachweis identischer Nierenveränderungen bei der Mutter gestellt; gleichzeitig deckte die Untersuchung der gesamten Familie bei mehreren Erwachsenen und Kindern ebenfalls das Vorhandensein von Zystennieren dieses Typs auf. Fallbeschreibung

Anamnese: Der kleine Patient wurde im Alter von 6 Monaten beim Kinderarzt vorgestellt wegen Trinkschwäche, Bewegungsarmut, rascher Ermüdbarkeit, Gedeihstörungen und starkem Schwitzen. Bei einer orientierenden abdominellen Ultraschalluntersuchung fanden sich beidseits vergrößerte Nieren mit deutlich angehobener Echogenität des Parenchyms und multiplen zystischen Bezirken (s. Abb. I und 2). In Leber und Milz ließen sich bislang keine Zysten nachweisen. Die Blutdruckwerte waren mit 1501 100 mm Hg sehr stark erhöht. Die exkretorische Nierenfunktion war und ist bis heute normal (Serumkreatinin 0,2 mg/dl; glomeruläre Filtrationsrate gemäß Schwartz' Formel: 140 mI/mini 1. 73 m 2 KOF). Bei den Urinuntersuchungen fanden sich bis zum jetzigen Zeitpunkt keine pathologischen Befunde, tubuläre Dysfunktionen liegen bisher nicht vor. Die umfassende Diagnostik zeigte, daß die beschriebenen Symptome Folge der schweren arteriellen Hypertonie waren. Die medikamentöse antihypertensive Therapie mit dem Ziel der Normalisierung des Blutdrucks gestaltete sich sehr schwierig. Wir benötigten einige Wochen, um das Blutdruckverhalten unseres Patienten zu normalisieren. Da eine Langzeittherapie absehbar war, wurde eine hochdosierte Monotherapie von vornherein vermieden (6, 8). Unter stationären Bedingungen wurde die Behandlung mit einem ACE-Hemmer (Captopril) begonnen; im weiteren Verlauf war eine Kombination mit einem Diuretikum und einem ß-Blocker erforderlich. Der jetzt 18 Monate alte Patient wird behandelt mit Captopril (2 mg/kg KG/Tag), Hydrochlorothiazid (l.5 mg/kg KG/Tag) und Propanolol (3 mg/kg KG/Tag). Mit Normalisierung des Blutdrucks stabilisierte sich auch das Befinden des Kindes; der Entwicklungsstand ist altersgerecht, die Körperlänge liegt im Bereich der 25. Percentile und die Symptome (z. B. das starke Schwitzen) bestehen nicht mehr.

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Zusammenfassung

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Autosomal dominante polyzystische Nierenerkrankung im Säuglingsalter

Der Verdacht auf eine vererbte Nierenerkrankung bestand schon nach den ersten anamnestischen Gesprächen: der Großvater unseres kleinen Patienten war an einer Hirnblutung verstorben. Hirnbasisaneurysmen werden bei bis zu 40% der erwachsenen Patienten mit Zystennieren dieses Typs nachgewiesen (11, 14). Rupturen dieser Gefäßanomalien führen häufig zum Tode, vor allem bei unbehandeltem Bluthochdruck. Über die Häufigkeit von Gefäßveränderungen bei Kindern mit einer Frühmanifestation dieser Erkrankungen liegen keinerlei Erfahrungen vor. Bei Kindern mit autosomal rezessiver Form der Zystennieren (Typ I nach Potter) findet sich sehr häufig bereits in den ersten Wochen nach Geburt eine behandlungsbedürftige Hypertonie, bei der adulten Form ist ein Bluthochdruck nach bisheriger Erfahrung im frühen Kindesalter ein seltenes Phänomen. Gemar u. a. (5) berichteten vor kurzem, daß bei 13 Kindern mit autosomaI rezessiven Zystennieren, die innerhalb von 11 Jahren in der Kinderklinik Hannover betreut wurden, bei Diagnosestellung bei allen Patienten eine Hypertonie nachgewiesen wurde, während von 13 Kindern mit autosomal dominanten Zystennieren nur ein Kind eine Hypertonie aufwies. Die sekundäre Hypertonie bei Kindern vor allem mit autosomal rezessiven Zystennieren muß häufig als schwere Hypertonie interpretiert werden; die Blutdruckwerte liegen oft mehr als 30 mm Hg oberhalb der altersbezogenen 95. Percentile. Diese Hypertonie kann dann wie bei unserem Patienten zu ausgeprägten Symptomen, starker Beeinträchtigung des Allgemeinbefindens und Gedeihstörungen führen. Die erforderliche medikamentöse Therapie sollte darauf abzielen, die Blutdruckwerte entsprechend den Angaben der Second Task Force on Blood Pressure Control in Children unterhalb der 95. Percentile einzustellen, um sekundäre Folgeschäden vor allem an Herz, Gehirn und Nieren zu verhindern (9). Mit angepaßter Blutdruckmanschette sollte der Blutdruck im ersten Lebensjahr Werte von 110/ 70 mm Hg möglichst nicht überschreiten. Über die Prognose dieser Frühmanifestation der autosomal dominanten polyzystischen Nierenerkrankung kann keine Aussage gemacht werden, da bisher entsprechende Erfahrungen fehlen. Eine eingeschränkte Nierenfunktion im frühen Kindesalter ist in Einzelfällen beschrieben (5). Die konsequente Behandlung von Hypertonie und von Harnwegsinfekten können den Verlauf wahrscheinlich günstig beeinflussen (2, 3, 5, 14).

Diese Form der vererbten Zystennieren ist seit Jahren Gegenstand intensiver humangenetischer Forschungen. Der Genort für das Merkmal der autosomal dominanten polyzystischen Nierenerkrankung wurde bei etwa 95070 der untersuchten Patienten auf dem kurzen Arm des Chromosoms 16 nachgewiesen (12, 13, 14). In betroffenen Familien, bei denen die Diagnose bereits gesichert ist, kann bei erneuter Schwangerschaft durch Kopplungsuntersuchungen nach Angabe von Zerres (12, 13, 14) in mehr als 98% der Fälle eine pränatale Diagnose gestellt werden.

Schlußfolgerung

Bei allen Kindern mit polyzystischen Nierenveränderungen sollte eine Untersuchung aller Familienmitglieder empfohlen werden, um die Art der Zystennieren diagnostisch eingrenzen zu können und eine eingehende humangenetische Beratung zu ermöglichen. Die frühzeitige Diagnose und Behandlung von Harnwegsinfekten und von arterieller Hypertonie sind prognostisch sehr wahrscheinlich bedeutsam. Die Prognose der Erkrankung bei Manifestation im Säuglingsalter ist unklar; nur eine langfristige Verlaufsbeobachtung von Patienten mit diesem Krankheitsbild über viele Jahre hinweg kann zu neuen Erkenntnissen führen.

Literatur I

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Dr. med. E.. Kuwertz-Bröking Universitäts-Kinderklinik Münster Pädiatrische Nephrologie Domagkstraße 3 4400 Münster

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multizystischen Dysplasie zu finden sein. Die Familienanamnese und die Untersuchung der Eltern ist für die Diagnosefindung daher von entscheidender Bedeutung. Das Fallbeispiel zeigt, daß durch die Untersuchung der Mutter und ihrer Geschwister sowie deren Kinder die Diagnose einer autosomal dominanten Form der Zystennieren möglich wurde; durch die von uns angeregte Familienuntersuchung sind zudem bei 4 Erwachsenen und bei 5 weiteren Kindern diese Diagnose gestellt worden und die von einer arteriellen Hypertonie betroffenen Personen werden inzwischen medikamentös behandelt.

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[Autosomal dominant polycystic kidney disease in infancy].

We report on a 6 months old infant with suddenly developed severe arterial hypertension caused by polycystic kidneys. Examinations of the relatives re...
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