Lan enbecks Archvf ' Chirurgie

Langenbecks Arch Chir (1992) 377:53-55

© Springer-Verlag 1992

Gallenblasendystopie Fallbeschreibung, embryologische Atiologie und Literaturiibersicht J. Buschulte, W. Brands und H. Wirth Kinderchirurgische Universitfitsklinik (Komm. Direktor: Prof. Dr. W. Brands), Theodor-Kutzer-Ufer, W-6800 Mannheim 1, BRD Eingegangen am 28. Juni 1991

Anomalous position of the gallbladder - a case report, embryological aspects and literature review

zung der Gallenblasenanlage mit dem vorwachsenden D a r m r o h r zu denken ist.

Summary. Abnormal position of the gallbladder seems to

Fallbericht (Abb. 1, 2)

be rare, but knowledge about the varieties helps to avoid intraoperative complications regarding the spreading procedure of laparoscopic cholecystectomy. In the reported case the gallbladder was found in the lower right abdomen fixed by adhesions to the jejunum. Embryological aspects are discussed and a literature review is given.

Key words: Gallbladder abnormalities - Embryology Laparoscopic cholecystectomy

Zusammenfassung. Die Gallenblasendystopie geh6rt zu den Rarit/iten im chirurgischen Krankengut. Daher k6nnen Kenntnisse fiber die m6gliche dystope Lage dieses Organs intraoperative Komplikationen, insbesondere im Hinblick auf das sich zunehmend etablierende Verfahren der laparoskopischen Cholezystektomie, vermeiden helfen. Erstmals wird fiber einen Fall einer aul3ergew6hnlichen Lage der Gallenblase im rechten Unterbauch mit Fixierung an einer Jejunumschlinge berichtet. Neben einer Literaturfibersicht werden die embryologischen Aspekte dieser Fehllage diskutiert.

Gallenblasendystopien mit ihren Varianten sind relativ selten. Unter Berticksichtigung der Embryologie der Gallenblasenentwicklung ist allen berichteten F/illen eine verbleibende Beziehung zur mesodermalen Leitschiene der Gallenblasenpositionierung gemeinsam. So kann eine Klassifizierung der bisher beschriebenen Ffille vorgenommen werden. Im vorliegenden Fall war die Gallenblase an einer Jejunumschlinge adhfirent im rechten Unterbauch gelegen. Weiterhin bestand eine erstmals beschriebene schleifenartige Ausziehung der extrahepatischen Gallenwege zur Gallenblase, so dab an eine frfihembryonale Verschmel-

Der 3 h alte, dystrophe, in der 30. SSW entbundene, mfinnliche Neugeborene mit Laparoschisis wurde fibernommen. Der Magen, der gesamte Darm bis zum Sigma sowie die Gallenblase lagen vor den Bauchdecken rechts paraumbilikal bei einem 2 x 2 cm durchmessenen Bauchwanddefekt. Bei der weiteren Diagnostik fand sich ein Ductus arteriosus botalli apertus persistens sowie ein offenes Foramen ovale. Das initiale Gewicht lag bei 2240 g. Primfir wurde eine Faszienplastik der Abdominalwand mit einem 4 × 7 cm grogen Dura-patch bei problemlosem Verschlul3 der Haut durchgef/ihrt. Bei initial noch tolerablen Beatmungsdriicken war der weitere postoperative Verlauf unaufffillig. Am 15. postoperativen Tag wurde das Kind zurfickverlegt. Nach schrittweiser vollstfindiger UmstelIung auf eine enterale Ern/ihrung wurde der Patient im Alter yon 3 V2 Monaten zur vollst/indigen Bauchwandrekonstruktion erneut station/Jr aufgenommen. Beim Zweiteingriff fand sich bei der Revision der Abdominalh6hle eine Malrotation I mit Lage des Z6kalpols am linken Leberlappen. Auff/illig war eine an einer Jejunumschlinge adhfirente, im rechten Unterbauch liegende Gallenblase. Bei der weitergehenden Pr/iparation fand sich ein kurzer Ductus cysticus zu einem schlingenartig in den rechten Unterbauch verlaufenden fiberlangen Ductus choledochus und Ductus hepaticus communis. Unauff/illige anatomische Verh/iltnisse lagen im Bereich der Hepatikusgabel vor. Da zwischenzeitlich klinisch keinerlei Anhalt ffir eine GalleabfluBst6rung bestand, wurden die Strukturen in der Bauchh6hle zuriickverlagert und der Eingriff durch die geplante Faszienreadaptation unter Resektion des prim/Jr implantierten Dura-Patches abgeschlossen. Auch nach diesem Eingriff war der postoperative Verlauf unkompliziert. Am 20. postoperativen Tag konnte die Entlassung aus stationfirer Behandlung bei einem Gewicht yon 3850 g erfolgen. Die k6rperliche Entwicklung des Knaben gestaltete sich wfihrend des 1. Lebensjahrs trotz der geschilderten Fehlbildungen unbehindert. Insbesondere ergaben sich keine Hinweise auf eine GalleabfluBst6rung.

Embryologie der Gallenblasenentwicklung [1-4] A m aboralen Ende der Vorderdarmanlage wird in der Mitte der 3. Woche der embryonalen Entwicklung eine

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1. Schematische Darstellung der anatomischen Verh/iltnisse im vorliegenden Fall: Gallenblase adh~irent an einer Jejunumschlingeim rechtenUnterbauch, kurzer Ductus cysticus,fiberlanger Ductus hepaticus communisund Ductus choledochus,normaleHepatikusgabel und orthotope Einmfindungdes Ductus choledochus in das unauff/illigeDuodenum Abb.

Epithelknospung entsprechend der Leberanlage sichtbar. Die epithelialen Leberb/ilkchen wachsen hier in Richtung des mesodermalen Septum transversum vor. Durch die Abschnfirung vom Darmrohr entstehen aus dieser sogenannten Leberbucht der Ductus hepaticus und der Ductus choledochus. Aus den kaudalen Anteilen der Leberbucht entwickeln sich die Gallenblase und der Ductus cysticus. S/imtliche Strukturen der ableitenden Gallenwege entwickeln sich in der Leitschiene des ventralen Mesenteriums bzw. des Septums transversum. K6rperwandseits der Leberanlage bilden diese Strukturen dann das Lig. falciforme. Durch Linksverlagerung und Drehung des Darmrohrs im Laufe der Magen- und Duodenalentwicklung entsteht aus den Anteilen des mesodermalen ventralen Mesenteriums zwischen Leberanlage und Darmrohr das Omentum minus, an dessen kaudalen freien Rand im Lig. hepatoduodenale der Gallengang, die V. portae und die A. hepatica zu liegen kommen. Die Gallenblase gewinnt ihre normale anatomische Lage durch Anlagerung unterhalb des rechten Leberlappens unter Verkfimmerung der prim/ir ffihrenden bindegewebigen Anteile des ehemals ventralen Mesenteriums. Ebenfalls durch Rotation der Darmrohranlage kommt es zur normalen anatomischen Lage des Choledochus dorsal des Zw61ffingerdarms.

Diskussion

In der Literatur werden zahlreiche M6glichkeiten einer dystopen Gallenblasenlage diskutiert. Bei den geschilderten F/illen wurde jedoch immer eine enge Beziehung zu Strukturen der mesodermalen Leitschiene der embryonalen Entwicklung von Leber und ableitenden Gallenwegen beschrieben. Dementsprechend k6nnte man folgende Klassifizierung der geschilderten F/ille (modifiziert nach Rutolo et al. [5]) vornehmen.

L Fehlerhafte Entwicklung der Lagebeziehung zwischen Leberanlage und Gallenblase in der Leitschiene Septum transversum/ventrales Mesenterium mit folgenden endgiiltigen anatomischen Lagen der Gallenblase: - Am/ira Lig. falciforme [6, 7] Suprahepatisch (evtl. sekundfir hier verwachsen bei primfir flottierender Gallenblase [8]) Retrohepatisch [5, 6] - Intrahepatisch [6, 9, 10] - Transvers am rechten Leberlappen [6] Kaudal am linken Leberlappen [5, 6, 11 17] - Extraperitoneal in der vorderen Bauchwand [18]

II. Fehlende Verkiimmerung von Anteilen der mesodermalen Leitschiene zwischen Leberanlage und Gallenblase mit endgiiltiger Entwicklung einer fluktuierenden Gallenblase [6, 19, 201

Abb. 2. OP-Situs: Vom Jejunum abgel6ste Gallenblase mit schlingenartigem Verlaufder ableitenden Gallenwege

IlL Einbeziehung der Gallenblasenanlage in die retroperitonealen Fixation des Duodenums mit AusbiIdung einer retroperitonealen Gallenblasenlage [5, 6, 21]

55 Unter Berficksichtigung des vorliegenden Falls mfil3te m a n erg/inzen:

IV. Ausbildung einer Adhiision zwischen Gallenblasenanlage und vorwachsendem Darmrohr mit sekundiirer Ausziehung des Ductus eholedochus und des Duetus hepaticus communis I m vorliegenden Fall muB es offensichtlich zu einer frilhembryonalen Adh/ision zwischen Gallenblasenanlage und D a r m r o h r g e k o m m e n sein. Die Anlagen des Ductus hepaticus communis und des Ductus choledochus milssen dann der vorwachsenden D a r m r o h r a n l a g e gefolgt sein. Die ilberlange F o r m a t i o n dieser Anteile der ableitenden Gallenwege in diesem Fall spricht gegen eine u. a. beobachtete sekund/ire Verklebung einer flottierenden Gallenblase mit anderen Abdominalstrukturen [8]. Nach der Literatur wiesen fluktuierende Gallenblasen immer einen fiberlangen Ductus cysticus auf, der aber hier normal konfiguriert vorgefunden wurde. Weiterhin lag neben der Gallenblasendystopie eine Malrotation I vor. Fehldrehungen oder eine inkomplette Rotation des D a r m s mit Gallenblasenlageanomalien wurden beschrieben [22]. I m Hinblick auf das sich zunehmend in allen chirurgischen Kliniken etablierende Verfahren der laparoskopischen Cholezystektomie erscheint die Kenntnis m6glicher Gallenblasendystopien von besonderer Bedeutung. Die zwingend ffir dieses Verfahren zu fordernde prfioperative Sonographie erm6glicht zwar mit hoher Validit/it eine Aussage fiber die Lokalisation und die Wandbeschaffenheit der Gallenblase. Fehlbeurteilungen oder Verwechslungen mit anderen fliissigkeitsgeffillten H o h l o r g a n e n der Bauchh6hle sind jedoch insbesondere bei einem weniger erfahrenen Untersucher nicht auszuschliel3en. Nicht immer besteht filr den Chirurgen die M6glichkeit, das von ihm zu operierende Organ eigenh/indig im bewegten sonographischen Bild beurteilen zu k6nnen. Nach Einbringen des laparoskopischen Instrumentariums ist ein begrenztes intraabdominales Operationsfeld geschaffen, in das m6gliche dystope Gallenblasenlagen nicht einbezogen sein mfissen, wodurch, sofern die dystope Gallenblase fiberhaupt endoskopisch gefunden wird, ein ,,Umsteigen" auf das konventionelle Operationsverfahren erforderlich werden kann.

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[Atopic gallbladder. Case report, embryologic etiology and review of the literature].

Abnormal position of the gallbladder seems to be rare, but knowledge about the varieties helps to avoid intraoperative complications regarding the spr...
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