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Antiemetische Therapie in der präklinischen Notfallmedizin

Aktuelle Studienlage

Johannes Luxen • Heiko Trentzsch • Bert Urban • Stephan Prückner

Übelkeit und Erbrechen sind in der präklinischen Notfallmedizin häufig, die Ursachen vielfältig. Oft verursacht eine opioidbasierte Schmerztherapie diese unerwünschte Nebenwirkung. Aber auch bei einer Kinetose unter Transport oder einer Intoxikation tritt nicht selten Erbrechen auf. Patienten, die sich einer Elektiv­ narkose unterziehen müssen, geben noch vor Schmerzen oder Schläfrigkeit eine Emesis als störendstes und beeinträchtig­end­ stes E ­ rlebnis an [1]. Somit trägt eine wirkungsvolle anti­emetische Therapie nicht nur zur Sicherheit (z. B. vor Aspiration), sondern auch in erheblichem Maß zum Patientenkomfort bei.

Physiologische Grundlagen Brechreflex  Der Brechreflex ist ein komplexer Fremdreflex. Ähnlich dem Nies- oder Husten­ reflex für die Atemwege ist er eine unwillkürliche Abwehrreaktion zum Schutz des Gastrointestinaltrakts. Dabei muss eine gleichzeitige Kontraktion der glatten Muskulatur des oberen Gastro­ intestinaltrakts und großer Anteile der Skelettmuskulatur (Bauchwand-, Rumpf-, Hals- und ­Gesichtsmuskulatur) koordiniert werden. Brechzentrum  Ausgelöst wird der Brechreflex durch die Stimulation einer Chemorezeptor-­ Triggerzone in der Area postrema am Boden des IV. Ventrikels in der Medulla oblongata (q Abb. 1). Diese befindet sich außerhalb der Blut-HirnSchranke und ist chemosensibel für toxische Substanzen im Blut. Mithilfe der Neurotransmitter Dopamin, Muskarin und Serotonin wird von hier über Afferenzen aus spezifischen Rezeptortypen das Brechzen­trum stimuliert. Das Brechzentrum liegt in der Formatio reticularis der Medulla oblongata. Es bildet keine anatomische Einheit, sondern ist vielmehr ein funktioneller Begriff. Das Brechzentrum erhält außerdem Afferenzen [2]: ▶▶über den N. vagus aus dem Magen-Darm-Trakt, wo enterochromaffine Zellen den Transmitter Serotonin freisetzen ▶▶aus dem Vestibularorgan (v. a. histaminerg) ▶▶aus dem limbischen System (Ekel, Geruch, ­Erregungszustände)

Auch Azetylcholin und Enkephaline können als Neurotransmitter beteiligt sein.

Auslöser des Brechreizes  Hauptaufgabe des Brechreflexes ist es, toxische Substanzen schnell aus dem Magen zu entfernen. Zusätzlich können Nausea und Emesis aus einer Reihe scheinbar nutzloser Gründe wie Schwangerschaft, Kinetosen oder vestibulären Störungen auftreten. Hinzu kommt, dass das Brechzentrum selbst ausgesprochen druckempfindlich ist, sodass ein erhöhter intrakranieller Druck oder ein lokaler Druckreiz (z. B. über einen in der Nähe befindlichen Tumor) zerebrales Erbrechen auslösen kann. Therapie  Die heterogene und z. T. multifaktorielle Ätiologie der Emesis in der präklinischen ­Notfallmedizin ist eine therapeutische Herausforderung: Für die adäquate Therapie bzw. deren Erfolg ist es durchaus relevant, ob die Symp­to­ma­ tik hervorgerufen wurde durch ▶▶ Medikamente (z. B. Opioide), ▶▶eine Kinetose, ▶▶ein Krankheitsbild (z. B. Schädel-Hirn-Trauma), ▶▶eine Störung des Vestibularorgans (Morbus Menière), ▶▶eine gastrointestinale Störung oder ▶▶eine Intoxikation. Übelkeit und Erbrechen können eine Reihe von ­ rsachen haben. Die Therapie einer Emesis U ­erfolgt abhängig von ihrer Ätiologie.

Medikamente Kein antiemetisches Wundermittel  Effektiv und effizient wäre es, wenn ein einziges Medikament gegen alle Formen der Übelkeit eine gleich gute Wirkung zeigen würde – unabhängig von der ­zugrunde liegenden Ursache. Dies ist jedoch nicht der Fall. Laut einer bundesweiten Erhebung aus dem Jahr 2011, welche die Packlisten der vorgehaltenen Ampullarien verglich, werden zur

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K|KHUH=HQWUHQ $XJH OLPELVFKHV6\VWHP.RUWH[ Bildnachweis: Thiel H, Roewer N. Anästhesiologische Pharmakotherapie. Stuttgart: Thieme; 2014

Wirkmechanismus und Nebenwirkungen ​ MCP zählt als Benzamid zu den Dopamin-D2-­ Antagonisten. Es blockiert Dopamin-D2-Rezeptoren, die an der Impulsübertragung von der Area postrema zum Brechzentrum beteiligt sind, und hebt auch die dopaminbedingte Hemmung der Magenmotorik auf. Als Hauptnebenwirkungen treten – bedingt durch den dopaminantagonistischen Wirkmechanismus – v. a. extrapyramidale Störungen (Dyskinesien, Akathisien) besonders bei Kindern und Jugendlichen auf [2]. Opioidinduzierte Emesis  Für das bislang in der Notfallmedizin häufig eingesetzte MCP konnte keine überzeugende Wirksamkeit bei opioid­ induziertem Erbrechen gegenüber Placebo nachgewiesen werden [5, 6]. Daher wird vor einer ­unkritischen, häufig prophylaktischen Verwendung von MCP im Zusammenhang mit einer opioid­basierten Analgesie explizit gewarnt – beson­ders im Hinblick auf das nicht unerhebliche Nebenwirkungsprofil [5, 6]. Die fehlende Wirksamkeit könnte auch mit einer möglichen Unterdosierung zusammenhängen, da die in der Literatur empfohlenen 25–50 mg für den Erwachsen wohl nur selten appliziert werden [7]. Dadurch dürften die potenziellen Nebenwirkungen deutlich verstärkt auftreten. MCP zeigte bei opioidinduziertem Erbrechen in ­ inigen randomisierten, placebokontrollierten e Studien keine signifikante Wirkung. Auch auf­ grund seiner nicht unerheblichen Nebenwirkun­ gen sollte seine Verwendung kritisch betrachtet werden.

Abb. 1

Dimenhydrinat

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Wirkmechanismus und Nebenwirkungen ­​ ­Dimenhydrinat zählt zu den H1-Antihistaminika. Es blockiert auch muskarinerge Azetylcholin­ rezeptoren und weist darüber hinaus eine anti­ emetische Wirkung auf, da histaminerge und cholinerge Synapsen auch an der Weiterleitung emetogener Stimuli beteiligt sein können. Dies trifft v. a. auf die Verbindung zwischen Vestibularorgan und Brechzentrum zu, weshalb Dimenhydrinat sehr häufig bei Kinetosen eingesetzt wird. Zusätzlich hat es auch eine sedativ-hypnotische Komponente. Es ist dabei schwer festzulegen, welcher ­Effekt den größeren Beitrag zur antiemetischen Wirkung leistet. Die Hauptnebenwirkung liegt auch in der sedierenden Wirkung des Medikaments. Dimenhydrinat hat v. a. bei Kinetosen eine gute antiemetische Potenz. Seine sedierende Wirkung kann gewünscht, aber auch eine Kontraindikation sein.

5-HT3-Antagonisten

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Wirkmechanismus und Nebenwirkungen  Zu den Serotoninantagonisten, die den 5-HT3-­ Rezeptor blockieren, zählen Substanzen wie ▶▶Ondansetron, ▶▶ Palonosetron, ▶▶Tropisetron oder ▶▶Granisetron.

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anti­emetischen Therapie v. a. folgende Wirkstoffe bereitgehalten [3]: ▶▶ Metoclopramid (MCP) aus der Klasse der Dopamin-D2-Antagonisten (65,2 %), das allgemein gegen Übelkeit und Erbrechen Wirkung zeigen soll ▶▶ Dimenhydrinat (62,3 %), ein Antihistaminikum, das vornehmlich gegen vestibulär und damit histamingetriggertes Erbrechen wirksam sein soll Ondansetron, ein Vertreter der 5-HT3-Antagonisten, wird mit 2,1 % sehr viel seltener genannt. Die Butyrophenone werden mit Haloperidol (75,8 %) und Droperidol (5,3 %) vorgehalten [3]. Dies ist laut einer ähnlichen Studie aus dem Jahr 2011 bei Emergency Departments in Australien anders: Während auch dort 87 % der erwachsenen Patienten bei Übelkeit und Erbrechen mit MCP behandelt werden, kommen dort bereits an 2. Stelle die 5-HT3-Antagonisten [4]. Kinder werden dort hingegen zu 86 % mit 5-HT3-Antagonisten behandelt.

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Fachwissen Sie unterscheiden sich v. a. in ihrer Pharmako­ kinetik. Genau wie die Dopamin-D2-Rezeptoren sitzen die 5-HT3-Rezeptoren in der Area postrema. Als Nebenwirkung von Ondansetron tritt v. a. bei hohen Dosierungen eine QT-Zeit-Verlängerung auf.

Indikationen  Haupteinsatzgebiet der 5-HT3Antagonisten ist v. a. das Zytostatika- und Strahlen-induzierte ­Erbrechen. Allerdings zeigen die Substanzen auch bei postoperativer Übelkeit und Erbrechen (PONV) gute Wirksamkeit. Ebenso finden sie in der Notfallmedizin zunehmend Anwendung [8]. Allerdings haben die meisten 5-HT3-­ Antagonisten bis heute nur eine Zulassung für ­Zytostatika-induziertes Erbrechen. Ausnahmen sind Tropisetron, Granisetron und Ondansetron, die auch zur Prophylaxe und Therapie von PONV zugelassen sind. Gegen einen breiten Einsatz in der Notfallmedizin sprach bisher außerdem der verhältnismäßig hohe Verkaufspreis, der mittlerweile durch auslaufenden Patentschutz z. T. deutlich gesunken ist. Bei Beachtung der Nebenwirkungen und Kontra­ indikationen sind 5-HT3-Antagonisten potente und gut verträgliche Antiemetika, die sich auch für den Einsatz in der Notfallmedizin eignen.

Anticholinergika

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Keine Relevanz  Unter den Anticholinergika gilt Scopolamin als die wirksamste Substanz bei vestibulär ausgelöster Nausea. Dies führt man darauf zurück, dass Scopolamin die zentralcholinerg ­gesteuerten Afferenzen zum Brechzentrum blockiert [2]. Da Scopolamin nur als Membranpflaster (TTS) verfügbar ist, spielt es in der präklinischen Notfallversorgung jedoch keine Rolle.

Neuroleptika (Butyrophenone)

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Kontraindikationen und Nebenwirkungen  Als Vertreter der Neuroleptika kommen Droperidol und Haloperidol für die antiemetische Therapie zum Einsatz. Dabei hat Droperidol eine gute Wirkung bei PONV, kann aber – v. a. bei ­höheren Dosie­rungen – zu malignen Rhythmusstörungen führen. Dies gilt insbesondere für ein vorbestehendes Long-QT-Syndrom, für das eine absolute Kontraindikation besteht. Ebenso kontraindiziert ist Droperidol bei Bradykardien, Hypokaliämie oder Hypomagnesiämie. Als weitere Neben­ wirkungen gelten ▶▶extrapyramidal-motorische Störungen bis hin zum Parkinsonoid und ▶▶psychomimetische Effekte. Diese werden auch v. a. bei höheren Dosierungen beschrieben [7].

Zahlreiche Studien zeigen für Droperidol eine gute Wirksamkeit bei PONV. Es liegen jedoch nur spärliche Daten für den Einsatz in der Notfall­ medizin vor.

Off-Label-Use von Propofol

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Geringere PONV-Inzidenz  Die direkte antiemetische Wirkung von Propofol ist seit langer Zeit bekannt [9]. Im Vergleich zu anderen Anästhesiemedikamenten oder -techniken verursacht der Einsatz von Propofol bei Anästhesieeinleitung und -aufrechterhaltung im Rahmen einer total intra­venösen Anästhesie (TIVA) eine verminderte Inzidenz von PONV [10]. Allerdings wurden bei den hierzu durchgeführten Studien unterschiedliche Dosierungen verwendet und das Medikament teils als Bolus, teils kontinuierlich über eine Spritzen­pumpe appliziert. Des Weiteren wurden alle Studien unter kontrollierten Bedingungen in einer OP-Umgebung oder im Aufwachraum mit grundsätzlich nüchternen Patienten durchgeführt. Daher lässt sich der Effekt nicht ­direkt auf notfallmedizinische Situationen übertragen.

Keine Zulassung  Propofol ist darüber hinaus als Antiemetikum nicht zugelassen. Während die anti­emetischen Eigenschaften bei einer Narkose als angenehmer Nebeneffekt willkommen sind, muss beim nicht nüchternen Notfallpatienten mit Vomitus durch die sedierende Wirkung der Verlust der Schutz­reflexe befürchtet werden. Ein derartiger Off-­Label-Einsatz außerhalb kontrollierter Studien muss wegen des deutlich erhöh­ ten Aspirationsrisikos zum gegenwärtigen Zeitpunkt sehr kritisch überdacht werden. Propofol ist nicht als Antiemetikum zugelassen. Sein Off-Label-Einsatz ist aufgrund des erhöhten Aspirationsrisikos derzeit nicht zu empfehlen.

Indikationen für Antiemetika in der Notfallmedizin Literaturrecherche

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Methode  Unter den Hauptstichworten „emergency medicine“ und „antiemetics“ wurde eine Literaturrecherche in der PubMed-Datenbank und der Cochrane Library durch­geführt. Eingeschlossen wurden folgende Studien­typen, die bis einschließlich 23.02.2015 publiziert waren: ▶▶systematische Reviews ▶▶randomisiert-kontrollierte Studien (RCTs) ▶▶vergleichende Studien

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▶▶ klinische Studien ▶▶ kontrollierte klinische Studien ▶▶ Metaanalysen Die Suche lieferte insgesamt 207 Treffer, von ­denen nach ­Anwendung der Filter 106 Studien blieben. Davon wurden anhand der Abstracts 14 Publikationen als relevant für die Fragestellung eingestuft. Zusätzlich identifizierten wir unter den eingangs gefundenen Studien noch eine ­aktuelle Arbeit, die zum Zeitpunkt der Suche in PubMed noch nicht verschlagwortet worden war und deshalb durch die Filter verloren ging [11]. Diese Studie wurde ebenfalls eingeschlossen. Gleiches gilt für eine deutsche Konsensusempfehlung zur Prophylaxe und Therapie von Übelkeit und Erbrechen nach Operationen [7], die aus der PubMed-Suche nicht hervorging. Aus der Cochrane-Library konnte ein Studienprotokoll dem Ergebnis hinzugefügt werden. Insgesamt flossen demnach 17 Publikationen in die Literatur­ recherche ein.

Endpunkte  Relevante Endpunkte für unsere Fragestellung waren Daten, die Aussagen zur Wirksamkeit von ▶▶ MCP, ▶▶ Dimenhydrinat, ▶▶ Droperidol, ▶▶ Haloperidol und ▶▶5-HT3-Antagonisten bei der Behandlung von Nausea und Vomitus in der Notfallmedizin lieferten, da jene im deutschen Rettungsdienst zu diesem Zweck vorgehalten werden [3].

Ergebnisse

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MCP vs. Tropisetron  Bei einem direkten, doppelverblindeten Vergleich von MCP mit einem 5-HT3-Antagonisten erwies sich MCP (10–20 mg i. v.) gegenüber Tropisetron (5 mg i. v.) als signifikant weniger wirksam [12]. Der primäre Endpunkt der Studie war das Auftreten mind. einer Episode von Erbrechen. Als sekundäre Endpunkte galten: ▶▶ Übelkeit in Intervallen von je 30 min nach ­Injektion des jeweiligen Medikaments (gemessen anhand einer visuellen Analogskala [VAS] über ­einen Zeitraum von 3 h) ▶▶die Erfordernis, innerhalb von 48 h ein zweites „Rescue“-Antiemetikum einzusetzen ▶▶das Auftreten von Nebenwirkungen (spezifisch für die ­jeweilige Studiensubstanz) Tropisetron zeigte für den primären Endpunkt eine signifikant bessere Wirksamkeit als MCP (4 % vs. 18 %; 95 % CI 0,1–28,0; p = 0,05). Für die sekundären Endpunkte ergaben sich [12]: ▶▶eine stärkere Abnahme der Übelkeit auf der VAS in der Tropisetron-Gruppe (58,8 mm vs. 51,9 mm; 95 % CI -1,4–15,1)

▶▶ein höherer Anteil der Patienten in der MCPGruppe, die bereits innerhalb von 180 min ein zweites „Rescue“-Antiemetikum benötigten (10 % vs. 26 %; 95 % CI 0,7–32,7; p = 0,07) ▶▶ein selteneres Auftreten extrapyramidaler Störungen in der Tropisetron-Gruppe (Akathisia Score 0,07 vs. 0,17; 95 % CI -0,3–0,5) Auch Bradshaw et al. finden bei opioidinduziertem Erbrechen keinen Unterschied in der Inzidenz, unabhängig davon, ob die in die Studie eingeschlossenen Patienten 10 mg MCP erhielten oder nicht [13].

MCP vs. Ondansetron  Eine randomisiert-kon­ trollierte Multizenterstudie verglich Ondansetron (4 mg), MCP (20 mg) und Placebo bei Patienten mit Übelkeit und Erbrechen in der Notaufnahme, ohne Differenzierung der Ursache [11]. Die Autoren kamen zu dem Ergebnis, dass ▶▶ keine der verwendeten Substanzen – ein­ schließ­lich Placebo – eine signifikant bessere Wirksamkeit erzielen konnte und ▶▶die behandelten Patienten aller 3 Gruppen mit der jeweiligen Behandlung zufrieden ­waren. Ausgeschlossen wurden – neben den Patienten, die nicht eingewilligt hatten – ▶▶ Patienten mit Bewusstseinsstörungen, ▶▶Schwangere, ▶▶ Patienten mit Schwindel, ▶▶ Parkinsonpatienten, ▶▶Chemopatienten und ▶▶ Patienten mit Allergien gegen eine der verwendeten Substanzen. Die Autoren schlussfolgern, dass Übelkeit und ­Erbrechen häufig multifaktoriell beeinflusst werden. Sie empfehlen daher, kein Antiemetikum als Standardmedikation routinemäßig zu verabreichen. Stattdessen sollten eher supportive Maßnahmen im Vordergrund stehen, wie Volumentherapie oder Anxiolyse, da alle Antiemetika oft auch schwere Nebenwirkungen verursachten. Zu einem ähnlichen Ergebnis kommt eine prospektive Studie aus dem Jahr 2008, in der präklinische Patienten bei Übelkeit und Erbrechen jeder Genese mit 4 mg Ondansetron behandelt wurden [14]. Anschließend bewerteten die Patienten den qualitativen Behandlungserfolg mithilfe einer ­numerischen Schätzskala (1–10). Zusätzlich ­wurde die Inzidenz für Erbrechen vor und nach der Applikation quantitativ ermittelt. Warden et al. beobachteten dabei nur einen moderaten ­Effekt von Ondansetron in der undifferenzierten Behandlung von Übelkeit und Erbrechen. Ondansetron bei Gastroenteritis  Mehrere Studien konnten zeigen, dass eine Therapie mit ­Ondansetron gut wirksam und gut verträglich ist, wenn Nausea und Emesis aufgrund einer Gastroenteritis bei pädiatrischen Patienten auftritt [15– 17].

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Fachwissen Ondansetron vs. Dimenhydrinat  Den Vergleich von Dimenhydrinat mit Ondansetron konnte keine der Substanzen für sich entscheiden. Die 5-HT3-Antagonisten besitzen jedoch weder eine sedierende Wirkung noch lösen sie extra­ pyramidale Störungen aus [8, 18, 19]. In einem systematischen Review zur antiemetischen Therapie in der Notfallmedizin kommen Patanwala et al. zu dem Schluss, dass Ondansetron angesichts seiner Wirksamkeit und Sicherheit als First-LineMedikament zur Linderung von Übelkeit oder ­Erbrechen verwendet werden kann [18]. Dimenhydrinat vs. Droperidol  Für die Therapie von akut aufgetretenem Schwindel mit Übelkeit und Erbrechen erwies sich weder 2,5 mg ­Droperidol noch 50 mg Dimenhydrinat signifikant überlegen. Allerdings linderten beide Sub­ stanzen die Symptome gut [20].

Nebenwirkungen im Vergleich

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MCP und Neuroleptika  Vergleicht man die Neben­wirkungsprofile von MCP, Dimenhydrinat, Droperidol, Haloperidol und den 5-HT3-Antagonisten, zeigen v. a. MCP, Droperidol und Haloperidol unerwünschte und teilweise auch gefähr­ lichen Nebenwirkungen: ▶▶extrapyramidale Störungen, die v. a. bei Kindern bis hin zu Krampfanfällen führen, aber auch ein malignes neuroleptisches Syndrom auslösen können ▶▶eine QT-Zeit-Verlängerung Nachdem die europäische Arzneimittelbehörde aus diesem Grund bereits 2013 strengere Obergrenzen für Tagesdosen von MCP festlegte, folgte das Bundesinstitut für Arzneimittel und Medizinprodukte (BfArM) und entzog mehreren MCPhaltigen Arzneimitteln die Zulassung. Dimenhydrinat  Auch Dimenhydrinat kann aufgrund seiner Nebenwirkungen relativ oder absolut kontraindiziert sein. Diese sind: ▶▶ Bewusstseinsstörungen durch sedierende Wirkung ▶▶Verstärkung eines Long-QT-Syndroms mit der Gefahr der Induktion maligner Rhythmusstörungen 5-HT3-Antagonisten  Ebenso ist beim Einsatz von 5-HT3-Antagonisten bezüglich des Neben­ wirkungsprofils eine gewisse Vorsicht geboten. Im August 2012 gab das BfArM eine Urgent Safety Restriction zu Ondansetron heraus, bei der die Einzeldosis von 32 mg auf 16 mg halbiert wurde. Diese Warnung wurde 2013 um eine altersabhängige Dosierung erweitert, wonach Patienten > 75 Jahre nur noch eine Einzeldosis von max. 8 mg erhalten dürfen. Gewarnt wird vor dem Auftreten maligner Herzrhythmusstörungen (Torsaden) bei einer gefährlichen Verlängerung des QT-Inter-

valls (Long-QT) [21]. Diese sehr hohen Dosierungen spielen jedoch eher für Erbrechen im Rahmen einer onkologischen Chemotherapie eine Rolle. Die in der Notfallmedizin üblichen Einmaldosierungen bewegen sich zwischen 2–4 mg. Eine ­Zulassung speziell für das opioidinduzierte Erbrechen liegt – wie für alle anderen Antiemetika – für keinen der 5-HT3-Antagonisten vor. Für Droperidol bei Dosierungen bis zu 1 mg ist das Long-QT-Syndrom auch nicht häufiger beschrieben als für 5-HT3-Antagonisten.

Fetalentwicklung unbeeinflusst  Pasternak et al. verglichen retrospektiv anhand von > 600 000 Geburten die Komplikationsrate bei Müttern, die während der Schwangerschaft Ondansetron ­erhalten hatten, mit der von Müttern, denen das Medikament nicht verabreicht worden war [21]. Die Autoren stellten keinen signifikanten Unterschied fest bei der Häufung von ▶▶Spontanaborten, ▶▶Totgeburten, ▶▶ Fehlbildungen, ▶▶ Frühgeburten oder ▶▶niedrigem Geburtsgewicht. Die Gruppe um Pasternak kommt damit zu dem Schluss, dass Ondansetron keinen Einfluss auf ­ungünstige Ereignisse in der Fetalentwicklung hat [21]. Ausstehende Studie  Zu dem Thema antiemetische Therapie in der Notfallmedizin wird auch eine Cochrane-Analyse erwartet, deren Protokoll bereits 2012 veröffentlicht wurde [9].

Fazit Neben einer erheblichen Beeinträchtigung

des Patientenkomforts können die durch den Brechreflex bedingten vegetativen Reaktio­ nen zu einer Verschlechterung der Notfall­ symptomatik führen. Zudem besteht die ­Gefahr, dass es durch Erbrechen bei einem möglicherweise bewusstseinsgestörten ­Notfallpatienten zur Aspiration von saurem ­Mageninhalt kommt – mit allen daraus ableit­ baren negativen Folgen. Daher sollte eine ­suffiziente antiemetische Therapie ebenso Ziel einer notärztlichen Intervention sein wie eine adäquate Schmerztherapie.◀

Interessenkonflikt  Die Autoren erklären, dass keine Interessenkonflikte vorliegen.

Beitrag online zu finden unter http://dx.doi.org/­ 10.1055/s-0041-100894

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N ▶▶ Das in der notfallmedizinischen Versorgung noch immer häufig eingesetzte Metoclopramid (MCP) zeigte in mehreren randomisierten, placebo­ kontrollierten Studien keine signifikante Wirkung. Auch im direkten Vergleich mit dem 5-HT3-Ant­a­ gonisten Tropisetron war MCP hinsichtlich der Häufigkeit von Erbrechen signifikant weniger oder max. vergleichbar wirksam. Hinzu kommen die unerwünschten Nebenwirkungen einschließlich der aktuellen Zulassungsbeschränkungen des BfArM. ▶▶ Dimenhydrinat hat v. a. bei Kinetosen eine gute antiemetische Potenz. Jedoch treten auch hier Nebenwirkungen auf, z. B. eine starke Sedierung. Diese kann im Einzelfall gewünscht, aber auch eine Kontraindikation sein. ▶▶ Droperidol hat für die Behandlung von PONV in zahlreichen Untersuchungen eine gute Wirksam­ keit bewiesen. Es liegen allerdings nur spärliche ­Daten für den Einsatz in der Notfallmedizin vor. ▶▶ Mit den 5-HT3-Antagonisten sind – bei Beachtung der Nebenwirkungen und Kontraindikationen – potente und gut verträgliche Antiemetika am Markt vorhanden, die auch für den Einsatz in der Notfallmedizin gut geeignet sind. Vor allem für den Einsatz bei pädiatrischen Patienten mit gas­ trointestinal-induziertem Erbrechen scheinen sie gut geeignet zu sein. ▶▶ Der Einsatz von Antiemetika sollte immer unter Berücksichtigung des Wirkungs- / Nebenwirkungs­ verhältnisses und nach Ausschöpfung einer ­ur­sachenspezifischen Behandlung erfolgen. Eine ­routinemäßige Gabe eines bestimmten Anti­ emetikums ist nicht angezeigt.

Johannes Luxen ist Facharzt für Anästhesiologie am Institut für Notfallmedizin und Medizin­ management des Klinikums der Universität München. E-Mail: [email protected]

Dr. med. Heiko Trentzsch ist Facharzt für Orthopädie und Unfallchirurgie am Institut für Notfallmedizin und Medizinmanagement des Klinikums der Universität München.

Dr. med. Bert Urban ist Bereichsleiter am Institut für Notfallmedizin und Medizinmanagement des Klinikums der Universität München.

Dr. med. Stephan Prückner ist Geschäftsführender ­Direktor des Instituts für Notfallmedizin und Medizin­ management des Klinikums der Universität München.

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Literaturverzeichnis

Kernaussagen

[Antiemetic therapy in preclinical emergency medicine - a literature review].

Nausea and vomiting are frequent symptoms in emergency medicine and require a targeted drug intervention. Despite known disadvantages in terms of effi...
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