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Fachwissen: Hygiene

Krankenhaushygiene

Bildnachweis: KH Krauskopf

Antibiotic Stewardship

Klaus Kerwat1 • Hinnerk Wulf1 Klinik für Anästhesie und Intensivtherapie, Universitätsklinikum Gießen und Marburg GmbH, Standort Marburg

Weltweit nehmen Antibiotikaresistenzen kontinuierlich zu und sind zu einem schwerwiegenden Problem geworden. Deshalb sind AntibioticStewardship-Programme entstanden. Sie sollen eine rationale Antiinfektiva-Verordnungspraxis in einer medizinischen Institution nachhaltig verbessern und sicherstellen. Ziel ist es, dass der richtige Patient zum richtigen Zeitpunkt die richtige Antibiotikatherapie erhält. In Deutschland gibt es seit Ende 2013 eine S3-Leitlinie der Arbeitsgemeinschaft der Wissenschaftlichen Medizinischen Fachgesellschaften (AWMF) zu diesem Thema. Was Antibiotic Stewardship (ABS) genau ist, und was ein ABS-Programm ausmacht, lesen Sie in diesem Artikel. Hintergrund Dass ABS-Programme nötig sind, wurde schon im Jahr 1998 auf einer internationalen Konferenz in Kopenhagen zum Thema „The Microbial Threat“ festgestellt; ebenso wie im Jahr 2001 bei den Brüsseler EU-Ratsbeschlüssen zum Thema „Prudent Use of Antimicrobial Agents in Human Medicine“. Für die Bundesrepublik Deutschland wurden im November 2008 in der sog. „Deutschen Antibiotika-Resistenzstrategie“ (DART) der Bundesregierung nationale Ziele formuliert, um Antibiotikaresistenzen zu bekämpfen. Neben der nosokomialen Infektionsprävention betreffen sie auch den Bereich ABS. In diesem Rahmen sind seit Juli 2011 für Deutschland Änderungen des Infektionsschutzgesetzes verabschiedet – u. a. zur verpflichtenden Erhebung von Surveillance-Daten über Antiinfektivaverbrauch und Erregerresistenz (IfSG § 23).

Ziele der S3-Leitlinie



Antibiotic Stewardship: Definition ABS bezeichnet ein programmatisches, nachhaltiges Bemühen einer medizinischen Institution, eine rationale AntiinfektivaVerordnungspraxis zu verbessern und sicherzustellen.

Zielsetzung Die Deutsche S3-Leitlinie „Strategien zur Sicherung rationaler Antibiotika-Anwendung im Krankenhaus“ hat international anerkannte, evidenzbasierte ABS-Konzepte und Maßnahmen bewertet und in praktikable Empfehlungen zusammengefasst. Das Ziel ist es, die Qualität der Antiinfektivabehandlung zu sichern bezüglich: ▶ Substanzauswahl (inkl. Vermeidung) ▶ Dosierung ▶ Applikation ▶ Anwendungsdauer Dadurch soll das beste klinische Behandlungsergebnis erreicht werden – bei minimaler Toxizität für den Infektionspatienten. Diese Strategien sollen zudem einen günstigen Einfluss auf Resistenz- und Kostenentwicklung haben. Voraussetzungen Für die Umsetzung wurden v. a. zusätzliche Empfehlungen zu personellen und strukturellen Voraussetzungen nötig, um wichtige Komponenten einer rationalen Verordnung möglich und anwendbar zu machen. Anders als z. B. in den Niederlanden werden aber in Deutschland keine zusätzlichen finanziellen Mittel zur Verfügung gestellt. Ebenso gibt es keinerlei Kontrollen darüber, ob die einzelnen Institutionen die personellen Empfehlungen tatsächlich umsetzen. Konkrete Therapie- und bestimmte Anti-

infektiva-Empfehlungen bietet diese S3Leitlinie ausdrücklich nicht – dafür gibt es andere Leitlinien.

Zusammenfassung der Empfehlungen



Verfügbarkeit eines Teams von ABSExperten Wichtige Voraussetzung für ein wirksames ABS-Programm ist ein multidisziplinäres Team, das von der Krankenhausleitung den Auftrag und die Ressourcen erhalten hat, Leitlinien zur Behandlung von Infektionserkrankungen zu erstellen und deren Umsetzung durch ABS-Maßnahmen zu sichern – im Konsens mit den Anwendern. Das Team soll zumindest bestehen aus: ▶ einem klinisch tätigen Infektiologen ▶ einem Fachapotheker für klinische Pharmazie / Krankenhauspharmazie ▶ einem Facharzt für Mikrobiologie Die Leitlinie hält Personal von mind. 0,5 Vollzeitstellen / 250 Krankenhausbetten für nötig. In einem 1000-Bettenkrankenhaus wären also 2 Vollzeitstellen zu schaffen. Es werden Kurse angeboten, welche die Inhalte von ABS lehren. Verfügbarkeit von Daten zu Infektionserregern, Resistenz und Antiinfektivaverbrauch Daten zu wichtigen Infektionserregern und Resistenzen sollen mind. einmal jährlich für das gesamte Krankenhaus sowie separat für Normal- und Intensivstation verfügbar und einsehbar sein. Die Teilnahme an etablierten Surveillance-Systemen wird empfohlen, wie z. B. am KISS (Krankenaus-Infektions-Surveillance-System). Die Verbrauchsdaten der Antiinfektiva sollen als Anwendungsdichte (Tagesdosen / 100 Pflegetage) mind. jährlich erhoben werden.

Kerwat K, Wulf H. Krankenhaushygiene – Antibiotic Stewardship. Anästhesiol Intensivmed Notfallmed Schmerzther 2014; 49: 520–521

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Gestaltung und Umsetzung von Fortbildung, Schulung und Information Gezielte Fortbildung, Schulung und Information sind unverzichtbar für jedes ABS-Programm. Sie vermitteln die nötigen Kenntnisse für eine rationale Antiinfektivatherapie und eine sinnvolle mikrobiologische Diagnostik. Darüber hinaus erhöhen sie die Akzeptanz von ABS-Programmen. Durchführung proaktiver AntiinfektivaVerordnungsanalysen bzw. Antiinfektivavisiten Antiinfektivavisiten sind ein wichtiges Element von ABS-Programmen und sollen regelmäßig durch das ABSTeam erfolgen. Sie gewährleisten die Einhaltung von Leitlinien und klinischen Behandlungspfaden und können somit die Behandlungsresultate von Infektionspatienten verbessern. Die Ergebnisse sollen direkt an die verordnenden Ärzte rückgemeldet und diskutiert werden. Qualitätsindikatoren Das ABS-Programm soll in die einrichtungsspezifische Qualitätssicherung integriert werden. Spezielle Programme zur Therapieoptimierung (Deeskalation, Therapiedauer, Oralisierung, Dosisoptimierung, Substanzwechsel, Informationstechnologie) Ein Schwerpunkt zielt auf eine Deeskalation nach initialer Breitspektrumtherapie und Umstellung von einer empirischen auf eine gezielte Therapie. Eine kürzere Behandlungsdauer ist bei vielen Indikationen (z. B. perioperative Prophylaxe) möglich und mit guter Studienlage und Evidenz angeraten. Es empfiehlt sich, die Therapiedauer von Beginn an festzulegen und nur in begründeten Einzelfällen davon abzuweichen. Bei ausreichend oral bioverfügbaren Substanzen und unter Berücksichtigung der klinischen Situation des Patienten soll von parenteraler auf eine perorale Antiinfektivatherapie (Oralisierung) umgestellt werden. Eine Dosisoptimie-

rung soll immer erfolgen – unter Berücksichtigung der Art und Schwere der Erkrankung, der verursachenden Erreger und der Patientencharakteristika. Ein strategischer Wechsel von Substanzen bzw. Substanzklassen sollte erfolgen, um den Selektionsdruck zu verändern und bestimmte Infektionserreger mit spezifischen Resistenzeigenschaften für eine gewisse Zeit zu reduzieren. Das ABS-Team soll durch neue Informations- und Kommunikationstechnologie in der Umsetzung von ABS-Programmen unterstützt werden. Lokale Therapieleitlinien, die Antiinfektivahausliste und andere ABSDokumente sollen elektronisch verfügbar sein [1–4].

Kernaussagen ▶ Antibiotkaresistenzen nehmen weltweit kontinuierlich zu. ▶ Antiotic-Stewardship-Programme (ABSProgramme) sind entstanden, um eine rationale Antiinfektiva-Verordnungspraxis sicherzustellen. Sie verfolgen einen Teamansatz. Es werden Kurse angeboten, welche die Inhalte von ABS lehren. ▶ In Deutschland gibt es eine AWMF-S3Leitlinie zu diesem Thema (S3-Leitlinie „Strategien zu Sicherung rationaler Antibiotika-Anwendung im Krankenhaus“).

Literaturverzeichnis

Fazit Das wichtigste Ziel einer adäquaten Antiinfektivastrategie ist es, dass der richtige Patient zum richtigen Zeitpunkt die richtige Antiinfektivatherapie erhält. Dadurch kann bei schweren Infektionen die Letalität gesenkt werden, ebenso die Kosten. Vor dem Hintergrund steigender Resistenzen und fehlender neuer Therapieansätze in den Pipelines der pharmazeutischen Industrie muss die Gabe von Antiinfektiva rational und streng indiziert gestellt werden. Dabei muss auf die bestimmte Erreger- und Resistenzsituation in einer spezifischen medizinischen Einrichtung Rücksicht genommen werden. ABS-Programme geben konkrete Empfehlungen, wie diese Ziele zu erreichen sind. In Deutschland gibt es seit dem Jahr 2013 eine AWMF-S3-Leitlinie zu dem Thema, herausgegeben von der Deutschen Gesellschaft für Infektiologie (S3-Leitlinie „Strategien zur Sicherung rationaler Antibiotika-Anwendung im Krankenhaus“; AWMF-Registernummer 092/001). Ein wichtiger Aspekt ist der Teamansatz; ein klinisch tätiger Infektiologe, ein Krankenhausapotheker und ein Facharzt für Mikrobiologie ergänzen sich dabei in ihrer Expertise. Leider ist es in Deutschland so, dass die Empfehlungen für nötiges Personal nicht verpflichtend sind – anders als z. B. in den Niederlanden. Es werden Kurse angeboten, welche die Inhalte von ABS lehren. ◀

1 Deutsche Gesellschaft für Infektiologie e. V. (DGI). S3-Leitlinie Strategien zur Sicherung rationaler Antibiotika-Anwendung im Krankenhaus. 2013. AWMF-Registernummer 092/001. http://www. awmf.org/leitlinien/detail/ll/092-001.html; Stand: 31.07.2014 2 Deutsche Gesellschaft für Infektiologie e. V. (DGI). Methodenreport für die S3-Leitlinie Strategien zur Sicherung rationaler Antibiotika-Anwendung im Krankenhaus. 2013. AWMF-Registernummer 092/001. http://www.awmf.org/leitlinien/detail/ ll/092-001.html; Stand: 31.07.2014 3 Kern W. Antibiotic-Stewardship. In: Infektio Update 2014. Handbuch Infektiologie. Wiesbaden: med update GmbH; 2014: 1–24 4 Lemmen S. Antibiotic Stewardship – mehr als nur eine infektiologische Visite. DIVI 2013; 4: 128– 131

Beitrag online zu finden unter http://dx. doi.org/10.1055/s-0034-1390054

Kerwat K, Wulf H. Krankenhaushygiene – Antibiotic Stewardship. Anästhesiol Intensivmed Notfallmed Schmerzther 2014; 49: 520–521

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Anwendung lokaler Behandlungsleitlinien/ -pfade, Antiinfektivahauslisten sowie spezieller Sonderrezept-, Freigaberegelungen bzw. Anwendungsbeschränkungen In erster Linie erstellt und aktualisiert ein ABS-Team ▶ lokale Therapieleitlinien, ▶ Behandlungspfade und ▶ eine Antiinfektivahausliste unter Berücksichtigung nationaler und internationaler Leitlinien, der lokalen Erreger- und Resistenzlage sowie ggf. der Arzneimittelkosten.

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[Antibiotic stewardship].

Resistance against antibiotics is continuously increasing throughout the world and has become a very serious problem. For just this reason "Antibiotic...
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