Kasuistiken Hautarzt 2014 · 65:59–62 DOI 10.1007/s00105-013-2663-5 Online publiziert: 21. November 2013 © Springer-Verlag Berlin Heidelberg 2013

F. Karademir · A. Kerstan · H. Hamm Klinik und Poliklinik für Dermatologie, Venerologie und Allergologie, Universitätsklinikum Würzburg

Anetodermisches Pilomatrikom Seltene Variante eines häufigen Adnextumors im Kindesalter

Anamnese Bei einer 9-jährigen Patientin war innerhalb eines Jahres am oberen Rücken ein größenprogredienter, asymptomatischer Tumor entstanden. Auf Nachfrage berichtete die Mutter, dass dem Auftreten ein Anstoßtrauma beim Spielen vorausgegangen war. Grunderkrankungen lagen nicht vor. Eine 10-jährige Patientin wies seit 12 Monaten einen wachsenden, druckschmerzhaften Knoten prätibial rechts auf. Ein früheres Trauma an dieser Stelle war nicht erfragbar. Im Alter von 8 Jahren war bereits ein Pilomatrikom an der rechten Schläfe exzidiert worden. Bei der Patientin war eine akute lymphoblastische Leukämie in Remission bekannt.

Klinischer Befund

Histologisch fand sich in beiden Fällen zwischen Epidermis und tief gelegenem, klassischem Pilomatrikom ein ödematöses, gefäßreiches Korium, das reichlich pseudozystische Hohlräume aufwies und auch wegen des fehlenden elastischen Faserwerks an Granulationsgewebe erinnerte (. Abb. 4).

Therapie und Verlauf In beiden Fällen führten wir eine vollständige Exzision in Lokalanästhesie durch. Rezidive traten bislang nicht auf.

Diskussion Das Pilomatrikom wurde erstmals 1880 von Malherbe und Chénantais [8] als Epithelioma calcificans beschrieben. Die heute gebräuchliche Bezeichnung geht auf

Forbis und Helwig [4] zurück. Es handelt sich um einen benignen, meist verkalkenden Adnextumor mit Haarfollikeldifferenzierung [6]. Klinisch stellt sich das Pilomatrikom als gut umschriebener, gelegentlich gelappter, derber bis steinharter, kutan-subkutaner Knoten dar, der an der Haut adhärent und auf der Unterlage verschieblich ist. In der Regel wächst es langsam, ist asymptomatisch und erreicht bis zur Exzision eine Größe von 5–30, selten bis zu 60 mm. Bevorzugte Lokalisationen sind der Kopf, insbesondere Stirn, Wange und Präaurikularregion, gefolgt von Hals und oberen Extremitäten [9]. Etwa 40% der Pilomatrikome entstehen im ersten, weitere 20% im zweiten Lebensjahrzehnt. Histologisch findet sich ein scharf begrenzter, kutaner Tumor, der von einer Pseudokapsel umgeben ist. Charakteris­ tisch sind Läppchen mit basaloiden Zel-

Bei der ersten Patientin fand sich eine 3×2 cm große, rötliche, scharf begrenzte, halbkugelige Vorwölbung mit leicht gefälteter Oberfläche (. Abb. 1). Im zweiten Fall zeigte sich ein 1,5×1,5 cm großer, rötlicher, leicht gestielter, kalottenförmig erhabener Tumor (. Abb. 2). Beide Tumoren tasteten sich oberflächlich auffallend weich und in der Tiefe hart.

Diagnostik Die sonographische Untersuchung des Tumors im ersten Fall zeigte eine gut begrenzte, rundliche Raumforderung mit inhomogenen Binnenechos (. Abb. 3).

Abb. 1 7 3×2 cm große, rötliche Vorwölbung mit leicht gefälteter Oberfläche am oberen Rücken (Fall 1) Der Hautarzt 1 · 2014 

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Abb. 2 81,5 cm großer, rötlicher, kalottenförmig erhabener Tumor mit leicht gefälteter Oberfläche prätibial rechts (Fall 2)

Abb. 3 8 Fall 1: Sonographisch scharf begrenzte Raumforderung mit inhomogenen Binnenechos; kein Hinweis für Verkalkungen

Abb. 4 8 a–d Fall 1: Oberhalb des eigentlichen Pilomatrikoms findet sich ein gefäßreiches Granulationsgewebe, das die Epidermis aufwirft. c, d Die „bullösen“ korialen Veränderungen stellen sich als mit Flüssigkeit gefüllte Hohlräume dar, die keine endotheliale Auskleidung aufweisen (CD31, Lyve-1 und CD34 negativ; Daten nicht gezeigt). HE, Vergr. 100:1 bis 200:1; Elastika, Vergr. 200:1

len in der Peripherie und kernlosen, eosinophilen Schattenzellen sowie Verkalkungszonen im Zentrum. Multiples Auftreten von Pilomatrikomen kommt in bis

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zu 3,5% der Fälle vor und kann mit syndromalen Erkrankungen wie der myotonen Dystrophie Curschmann-Steinert assoziiert sein [10]. Ein Zusammen-

hang mit Leukämien ist nicht bekannt. In 75% der Fälle von klassischem Pilomatrikom wurden aktivierende Mutationen im CTNNB1-Gen nachgewiesen, die zu einer Akkumulation von β-Catenin führen und durch eine gestörte Haarfollikelentwicklung und -differenzierung die Tumorentstehung begünstigen [1]. Kürzlich konnte gezeigt werden, dass Mutationen im CTNNB1-Gen mit Auftreten multipler Pilomatrikome auch bei Defekten der DNA-Mismatch-Reparatur im Rahmen seltener erblicher Tumorsyndrome vorkommen [3]. Das anetodermische oder „bullöse“ Pilomatrikom ist ein seltener Subtyp des häufigen Adnextumors [2]. Im Gegensatz zum gewöhnlichen Pilomatrikom ist die anetodermische Variante klinisch durch eine weiche, kuppelförmige Erhabenheit von bullösem Aspekt mit oft fein gefälteter Oberfläche und einem harten Tastbefund in der Tiefe gekennzeichnet. Die weiche Konsistenz des oberen Anteils erklärt sich durch pseudozystische Veränderungen des Koriums, vermehrte Vaskularisation und ein dermales Ödem im fibrösen Tumorstroma. Erst unterhalb davon ist der eigentliche Tumor gelegen. Bei den in der Literatur mitgeteilten 45 Fällen (. Tab. 1) von anetodermischem Pilomatrikom handelte es sich um solitäre Tumoren. Lediglich in 2 Fällen, darunter unsere zweite Patientin, kamen noch weitere, klassische Pilomatrikome vor. Syndromale Erkrankungen, wie sie bei Patienten mit multiplen Pi-

Zusammenfassung · Abstract Tab. 1  Klinische Charakteristika der 45

publizierten Fälle von anetodermischem Pilomatrikom einschließlich der in dieser Arbeit besprochenen Geschlecht

Alter

Größea

Lokalisation

Bestandsdauerb Vorausgegangenes Trauma

Männlich Weiblich Keine Angabe Spanne Mittelwert Median Spanne Mittelwert Median Arm Schulter/Klavikularregion Rumpf/Skapularregion Oberschenkel Sonstige (Augenwinkel, Hals, Gesäß, Unterschenkel) Mittelwert Median  

15 (33,3%) 25 (55,6%) 5 (11,1%) 7 bis 60 Jahre 19,2 Jahre 17 Jahre 6–60 mm 29×23 mm 25×20 mm 17 (37,8%) 12 (26,7%) 10 (22,2%) 2 (4,4%) 4 (8,9%)

12 Monate 6 Monate 5 Fälle

aBei 4 Patienten wurde die Tumorgröße nicht an-

gegeben. bBei 5 Patienten wurde keine Bestandsdauer angegeben.

lomatrikomen vorliegen können, wurden in keinem Fall erwähnt. Zum Zeitpunkt der Exzision waren die Patienten 7 bis 60, im Durchschnitt 19 Jahre alt, das weibliche Geschlecht war etwas häufiger betroffen. Die Bestandsdauer des Tumors lag bei durchschnittlich 12, im Median bei 6 Monaten. Die Tumorgröße variierte von 6–60 mm und lag im Mittel bei 25–30 mm. Die meisten Tumoren waren an Armen, Schulter und Rumpf, nur in einem Fall im Gesicht lokalisiert (. Tab. 1). Bei einigen Patienten – so auch bei einem der von uns beschriebenen Fälle – war der Entstehung des anetodermischen Pilomatrikoms ein stumpfes Trauma vorangegangen. Aus der Ähnlichkeit von molekularen und Keratinexpressionseigenschaften eines anetodermischen mit klassischen Pilomatrikomen wurde kürzlich postuliert, dass nicht intrinsische Merkmale, sondern extrinsische Faktoren wie mechanische Traumen durch Unterbrechung der dermalen Integrität und des Ge-

fäßmikromilieus die entscheidende Rolle bei der Entstehung der anetodermischen Variante spielen [7]. Der gängigeren Entstehungstheorie zufolge führt die verdrängende Eigenschaft des Tumors zu einer Obstruktion der Lymphgefäße mit konsekutivem Lymphstau und dermalem Ödem [2]. Nach einer weiteren Hypothese könnten die Tumorzellen und/oder infiltrierenden Entzündungszellen durch Produktion elastolytischer Enzyme eine Zerstörung und Dilatation der Lymphgefäße bewirken [5]. Gemäß den genannten Entstehungstheorien kann das Ausmaß der anetodermischen Veränderungen variieren, und es können Grenzbefunde oder Übergangsformen vom klassischen zum anetodermischen Pilomatrikom vorkommen. Die Therapie der Wahl des anetodermischen Pilomatrikoms besteht wie beim gewöhnlichen Typ in der vollständigen Exzision. Rezidive sind selten.

Fazit für die Praxis F Klinisch ist das anetodermische Pilomatrikom charakterisiert durch eine weiche, kuppelförmige Erhabenheit von bullösem Aspekt über dem tumortypischen, harten Tastbefund in der Tiefe. Die weiche Konsistenz des oberen Anteils erklärt sich durch pseudozystische Hohlräume und ein Ödem im Korium. F Als ursächlich für den anetodermischen Typ werden Traumen diskutiert. F Die Therapie der Wahl besteht wie beim gewöhnlichen Pilomatrikom in der vollständigen Exzision.

Korrespondenzadresse Dr. F. Karademir Klinik und Poliklinik für Dermatologie,   Venerologie und Allergologie,   Universitätsklinikum Würzburg Josef-Schneider-Str. 2, 97080 Würzburg [email protected]

Einhaltung ethischer Richtlinien

Hautarzt 2014 · 65:59–62 DOI 10.1007/s00105-013-2663-5 © Springer-Verlag Berlin Heidelberg 2013 F. Karademir · A. Kerstan · H. Hamm

Anetodermisches Pilomatrikom. Seltene Variante eines häufigen Adnextumors im Kindesalter Zusammenfassung Der anetodermische („bullöse“) Typ ist eine seltene Variante des Pilomatrikoms, die wir bei 2 Mädchen im Alter von 9 und 10 Jahren diagnostizierten. Klinisch imponierten die Tumoren als 3×2 bzw. 1,5×1,5 cm große, rötliche, halbkugelige Vorwölbungen mit leicht gefälteter Oberfläche am oberen Rücken bzw. prätibial. Oberflächlich tasteten sie sich auffallend weich, in der Tiefe hart. Histologisch zeigte sich über einem tief gelegenen, typischen Pilomatrikom ein ödematöses, gefäßreiches Korium, das an Granulationsgewebe erinnerte. Klinische und histologische Besonderheiten des anetodermischen Pilomatrikoms werden anhand der bisher publizierten Fälle besprochen. Schlüsselwörter Bullöses Pilomatrikom · Sonographie ·   Tastbefund · Exzision · Tumor

Anetodermic pilomatricoma. Uncommon variant of a common childhood adnexal tumor Abstract The anetodermic (“bullous”) subtype is a rare variant of pilomatricoma which we diagnosed in 2 girls who were 9 and 10 years old. The tumors presented as 3×2 and 1.5×1.5 cm red dome-shaped nodules with a slightly wrinkled surface on the upper back and on the pretibial region, respectively. Both were superficially soft, but then firm as one palpa­ ted deeper. Histology showed an edematous, well-vascularized dermis resembling granulation tissue overlying a deep otherwise typical pilomatricoma. Clinical and histological characteristics of the anetodermic subtype are discussed on the basis of previously published cases. Keywords Bullous pilomatricoma · Sonography ·   Palpation · Excision · Tumor

Interessenkonflikt.  F. Karademir, A. Kerstan und H. Hamm geben an, dass kein Interessenkonflikt besteht. Dieser Beitrag beinhaltet keine Studien an Menschen oder Tieren.

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Buchbesprechungen

Literatur   1. Chan EF, Gat U, McNiff JM, Fuchs E (1999) A common human skin tumor is caused by activating mutations in beta-catenin. Nat Genet 21:410–413   2. Chen SY, Wu F, Qian Y et al (2011) Pilomatricoma with bullous appearance: a case report and review of literature. Int J Dermatol 50:615–618   3. Chmara M, Wernstedt A, Wasag B et al (2013) Multiple pilomatricomas with somatic CTNNB1 mutations in children with constitutive mismatch repair deficiency. Genes Chromosomes Cancer 52:656– 664   4. Forbis R, Helwig EB (1961) Pilomatrixoma (calcifying epithelioma). Arch Dermatol 83:606–608   5. Inui S, Kanda R, Hata S (1997) Pilomatricoma with a bullous appearance. J Dermatol 24:57–59   6. Kurokawa I, Yamanaka K, Senba Y et al (2009) Pilomatricoma can differentiate not only towards hair matrix and hair cortex, but also follicular infundibulum, outer root sheath and hair bulge. Exp Dermatol 18:734–737   7. Li L, Zeng Y, Fang K et al (2012) Anetodermic pilomatricoma: molecular characteristics and trauma in the development of its bullous appearance. Am J Dermatopathol 34:e41–45   8. Malherbe A, Chénantais J (1880) Note sur l’épithelioma calcifié des glandes sébacées. Bull Soc Anat Paris 5:169–176   9. Pirouzmanesh A, Reinisch JF, Gonzales-Gomez I et al (2003) Pilomatrixoma: a review of 346 cases. Plast Reconstr Surg 112:1784–1789 10. Wachter-Giner T, Bieber I, Warmuth-Metz M et al (2009) Multiple pilomatricomas and gliomatosis cerebri – a new association? Pediatr Dermatol 26:75–78

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EULAR-Textbook on Systemic Sclerosis London, Zürich: BMJ Publishers, EULAR 2013, (ISBN 978-1-905545-38-4), 70.00 EUR Es gibt wenig seltene Erkrankungen der Rheumatologie, die soviel Aufmerksamkeit auf sich ziehen konnten und können, dass ein eigenens Lehrbuch für diese unter der Führung der europäischen rheumatologischen Gesellschaft EULAR erstellt werden konnte. Mit dem EULAR-Textbook on Systemic Sclerosis, welches von zwei führenden Rheumatologen, die sich seit langer Zeit mit der systemischen Sklerose beschäftigen, Professor Erika Huchulla und Professor Laszlo Czirjak, koordiniert und herausgegeben wurde, ist ein neues Standardwerk geschaffen worden, welches mit Sicherheit zu den täglichen Nachschlagewerken in der rheumatologischen Praxis gehören dürfte. Die Besonderheit dieses Lehrbuches ist, dass sich nahezu alle weltweit in diesem Gebiet aktiven Wissenschaftler und Kliniker zusammengefunden haben, um nicht nur ein reines Übersichtsbuch, sondern vor allem auch ein reich bebildertes Lehrbuch zu schaffen, um den jungen Kollegen und den sich in der Weiterbildung befindlichen Rheumatologen möglichst anschaulich und trotzdem hoch detailliert die Facetten dieser vielfältigen Erkrankung vor Augen zu führen und gleichzeitig praxisnah zu erklären. Das Lehrbuch selbst ist in 10 Hauptkapitel unterteilt, die von der Epidemiologie und Pathophysiologie ausgehend die einzelnen betroffenen Organe und Organsysteme mit ihren Besonderheiten bezüglich Diagnose, Differenzialdiagnose und Therapie darstellen und so für jede klinische Situation eine soweit möglich passende Lösung bereit halten. Auch sogenannte cutting-edge-Strategien, die jetzt erst in die klinische Routine eingeführt werden, sind ausführlich beschrieben, so dass wie für seltene Erkrankungen häufig notwendig auch sehr ungewöhnliche Konstellationen in der Praxis mit den entsprechenden Informationen unterfüttert werden. Obwohl das Buch selbst aus nachvollziehbaren Gründen auf englisch geschrieben ist, ist es so gut zu lesen,

dass dies kein Hinderungsgrund sein dürfte, ihm nicht umgehend einen Platz in der eigenen Praxisbibliothek zuzuweisen. Professor Dr. Ulf Müller-Ladner (Bad Nauheim).

[Anetodermic pilomatricoma. Uncommon variant of a common childhood adnexal tumor].

The anetodermic ("bullous") subtype is a rare variant of pilomatricoma which we diagnosed in 2 girls who were 9 and 10 years old. The tumors presented...
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