Leitthema Hautarzt 2013 · 64:820–829 DOI 10.1007/s00105-013-2579-0 Online publiziert: 2. November 2013 © Springer-Verlag Berlin Heidelberg 2013

U. Blume-Peytavi · A. Vogt Klinik für Dermatologie, Venerologie und Allergologie, Clinical Research Center for Hair and Skin Science, Charité – Universitätsmedizin Berlin

Androgenetische Alopezie Diagnostik und Therapie – eine aktuelle Übersicht

Die androgenetische Alopezie (AGA), eine nicht vernarbende Alopezie, die sowohl Männer als auch Frauen mit entsprechender genetischer Prädisposition betreffen kann, ist die am häufigsten vorkommende Ursache für Haarausfall. Sie zeigt sich im Bereich der Kopfhaut mit einem typischen Manifestationsmuster („pattern baldness“) vom weiblichen oder männlichen Typ und wird entsprechend als „female pattern baldness“ (FPB) bzw. als „male pattern baldness“ (MPB) bezeichnet. Auch wenn sich die AGA häufig erst mit fortschreitendem Alter zeigt, können sich erste Anzeichen, vor allem beim männlichen Geschlecht, bereits mit der Pubertät manifestieren [1]. Bei der Frau werden FAGA (AGA bei Frauen) ohne und F-AGA mit hormoneller Dysregulation unterschieden, je nachdem ob erhöhte Androgenspiegel und Zeichen der peripheren Hyperandrogenämie vorliegen [1, 3]. Aussehen, physische Attraktivität und Jugendlichkeit sind in unserer heutigen Gesellschaft essenziell. Auch wenn die klassische Form der AGA ungefährlich für die physische Gesundheit ist, stellen die damit verbundenen Episoden von verstärktem Ausfall von Haaren und die chronisch progrediente Reduktion der Haardichte unabhängig vom objektiv ermittelten Schweregrad eine ernorme Belastung für die Betroffenen dar [4, 5, 6, 7, 8]. In der klinischen Praxis stehen naturgemäß spezifische Haardiagnostik, Ausschluss von hormonellen Störungen oder möglichen zusätzlich zur AGA vorliegen-

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den Erkrankungen zunächst im Vordergrund [1, 2]. Relevante negative Auswirkungen der AGA auf psychische Gesundheit, Selbstbewusstsein und Lebensqualität sind jedoch vielfach belegt, sodass über die eindeutige Stellung der Diagnose hinaus eine klare Indikation für eine eingehende Beratung und Behandlung der Patienten besteht. Dies gilt nicht nur für Frauen, sondern in zunehmendem Maße auch für Männer [6, 7, 8]. Obwohl die AGA des Mannes gesellschaftlich immer noch eher als natürlicher biologischer Prozess gesehen wird, steigt der Anteil Betroffener mit dem Wunsch nach Therapie. Allerdings fühlen sich Patienten mitunter beschämt, Hilfe zu suchen, da sie fürchten, mit ihrem Anliegen nicht ernst genommen zu werden [9]. Der behandelnde Arzt sollte dem Patienten daher sensibel und wertschätzend gegenübertreten. Mit der S1-Leitlinie zur Diagnostik [1] und der S3-Leitlinie zu therapeutischen Empfehlungen der AGA [11] wurden erste Grundsteine für ein solides, evidenzbasiertes Fundament für das erfolgreiche Management betroffener Patienten gelegt.

Pathogenese Die AGA ist charakterisiert durch eine fortschreitende Miniaturisierung von Terminalhaarfollikeln in genetisch prädisponierten Kopfhautarealen [2]. Dieser Prozess ist geprägt durch eine Verkürzung der Wachstumsphase und eine Verkleinerung des Haarbulbus mit konsekutiv verminderter Haarschaftdicke [2, 8]. Vor allem beim Mann wird der Wirkung von Androgenen, speziell dem mittels der

5α-Reduktase aus Testosteron gebildeten Dihydrotestosteron, eine ursächliche Bedeutung zugeschrieben, obwohl Männer mit einer klassischen AGA in der Regel normale zirkulierende Androgenspiegel aufweisen. Aktuell erklärt man sich den verstärkten Effekt von Androgenen auf Haarfollikel in prädisponierten Arealen durch eine genetisch bedingte verstärkte Ausstattung mit Androgenrezeptoren bzw. einer gesteigerten Aktivität der 5αReduktase Typ II in diesen Haarfollikeln [2]. Die 5α-Reduktase Typ II im Haarfollikel wurde vor allem in der dermalen Papille (Haarbulbus) und z. T. in der äußeren Haarwurzelscheide und in geringem Anteil in der Talgdrüse nachgewiesen. Die dermale Papille, die in Interaktion mit der Wulstregion (Stammzellen) eine Hauptfunktion in der Regulation des Haarwachstums besitzt, wird als primäres Zielorgan für die androgene Wirkung angesehen [2].

Genetik Die genetische Veranlagung zur Entwicklung einer AGA bei Männern (M-AGA) wurde bereits ausführlich in Zwillingsstudien und Familienanalysen beschrieben; Zwillingsstudien zur F-AGA sind nicht berichtet. Obwohl große systematische Familienstudien fehlen, ist die familiäre Häufung der AGA sowohl bei Verwandten betroffener Frauen als auch bei Verwandten betroffener Männer gut bekannt [2, 11, 12, 13]. Ob die Familienuntersuchungen für eine überlappende Ätiologie der F-AGA und M-AGA sprechen, ist auf Basis der wenigen dazu veröffentlich-

Abb. 1 8 a Klassifikation der AGA vom weiblichen Typ nach Ludwig [20]: Die im deutschsprachigen Raum gebräuchliche Klassifikation unterscheidet je nach Schweregrad in 3 Stadien Ludwig I, II und III (mit freundl. Genehmigung Nature Publishing Group). b Die Klassifikation nach Olsen [3] unterscheidet in 3 Muster: männliches Muster nach Norwood Hamilton, zentroparietale Abnahme der Haardichte nach Ludwig (diffuses Muster) und Tannenbaummuster mit betont breitbasiger Ausdünnung in vorderer Scheitelregion zum Vertex hin spitz zulaufend nach Olsen. (Mod. nach [34]) c Sinclair-Skala [1, 21] vor allem im englischsprachigen Raum, 5 Stadien, sog. erweiterte Ludwig-Skala. (Mit freundl. Genehmigung John Wiley & Sons)

ten Daten nicht eindeutig zu beantworten. Aktuell geht man bei der AGA von einem polygenen Erbgang aus [15, 16]. So lassen sich sowohl positive als auch negative Verbindungen mit variierenden Regionen des Androgenrezeptorgens auf dem X-Chromosom und einem Suszeptibilitätslocus auf Chromosom 20p11 aufweisen [17, 18], was auf den mütterlichen Einfluss beim männlichen Haarausfall hinweist. Zur Genetik der AGA bei Frauen gibt es nur wenige verfügbare Daten [19], allerdings wurde eine steigende Zahl von weiblichem Haarausfall bei Frauen (F-AGA) festgestellt, die einen männlichen Ver-

wandten ersten Grades und einen weiblichen Verwandten ersten Grades im Alter 30 Jahre oder älter mit Haarausfall dieses Typs haben [1]. Genaueres zur Rolle der Androgene bei der F-AGA ohne hormonelle Dysregulation ist nicht bekannt. Es ist möglich, dass weitere, bislang unbekannte Faktoren bei der Entwicklung der F-AGA involviert sind. Bei der M-AGA wurde in einer großen australischen Zwillingsstudie die Erblichkeit auf über 80% geschätzt [13]. Insgesamt geht man bei der F-AGA ebenfalls von einem starken genetischen Beitrag aus.

Krankheitsbild und Diagnose Krankheitsbild Die typische Manifestation der AGA beim Mann mit männlichem Muster (syn. MAGA, „male pattern baldness“) zeigt sich typischerweise frontotemporal (syn. Trianguli, Geheimratsecken) und im Vertexbereich (Norwood-Hamilton-Klassifikation). Allerdings können Männer auch das weibliche Manifestationsmuster mit einer diffusen zentroparietalen Ausdünnung ausbilden [2]. Der Hautarzt 11 · 2013 

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Zusammenfassung · Abstract Bei der AGA der Frau mit Manifestation vom weiblichen Typ (syn. F-AGA, „female pattern hair loss“) werden 3 typische klinische Manifestationsmuster unterschieden: 1. diffuses Ausdünnen zentroparietal mit frontal erhaltener Haarlinie (Ludwig-Einteilung, 1977 durch den Dermatologen Erich Ludwig beschrieben [20], . Abb. 1a), 2. betont breitbasige Ausdünnung in der vorderen Scheitelregion zum Vertex hin spitz zulaufend, das sog. Tannenbaummuster („christmas tree pattern“ nach Olsen [3], . Abb. 1b) und 3. die Ausdünnung und bitemporale Rückbildung des frontalen Haaransatzes, ähnlich dem männlichen AGAMuster (Norwood Hamilton [21]). Der Beginn und das Ausmaß des Haarausfalls sind individuell sehr verschieden, in der Regel aber schreitet der Verlust kontinuierlich fort. Bei der F-AGA unterscheidet man einen Früh- und einen Spättyp, Ersterer mit Erstmanifestation zu Beginn der Pubertät oder im frühen Erwachsenenalter und Letzterer mit Ausprägung peri- und postmenopausal [1, 3]. Der meist progressive Verlauf des Haarverlustes führt zu einem steigenden Anteil schwer betroffener Frauen mit zunehmendem Lebensalter [22]. Insgesamt geht man heute von einer Prävalenz bei Frauen im Alter von 30 Jahren von etwa 12% aus, bei Frauen im Alter von 70 Jahren von ca. 30–40% [12, 22]. Die Klassifikation nach Ludwig wurde 2005 von dem australischen Dermatologen Rodney Sinclair um 2 Intermediärstadien erweitert [22] und findet als Sinclair-Klassifikation (I–IV) vor allem im englischsprachigen Raum Anwendung (. Abb. 1c, [1]).

Diagnostisches Vorgehen Das diagnostische Vorgehen bei AGA einschließlich eines diagnostischen Algorithmus (. Abb. 2 aus [1]) wurde im Rahmen eines europäischen Konsensus [1] 2011 erarbeitet und dient aktuell als Leitschiene im klinischen Alltag. Enthalten sind Empfehlungen zum Erheben von Krankheitsgeschichte und klinischem Lokalbefund,

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Hautarzt 2013 · 64:820–829  DOI 10.1007/s00105-013-2579-0 © Springer-Verlag Berlin Heidelberg 2013 U. Blume-Peytavi · A. Vogt

Androgenetische Alopezie. Diagnostik und Therapie – eine aktuelle Übersicht Zusammenfassung Die androgenetische Alopezie (AGA), eine der häufigsten Ursachen für Haarausfall, führt bei vielen Betroffenen unabhängig von Ausprägung, Alter oder Geschlecht zu einem enormen psychosozialen Leidensdruck und einer nachhaltigen Beeinflussung der Lebensqualität. Eine differenzierte und standardisierte Diagnostik der AGA stellt bei Frauen, Männern und Jugendlichen eine essenzielle Grundlage für die Entwicklung eines erfolgreichen therapeutischen Konzepts dar. Behandlungsoptionen reichen von topischen und systemischen Pharmazeutika über kosmetische Produkte, Nutrikosmetika, Haartransplantationen zu ästhetisch korrektiven Ansätzen. Es obliegt der gemeinsamen Entscheidung von Arzt und Patient, die beste individuell adaptierte Therapie nach Abwägung von zu erwartendem Ergebnis, Umsetzbarkeit und Compliance auszuwählen. Ein notwendiges interdisziplinäres Vorgehen er-

folgt individuell, abhängig von weiteren Befunden genauso wie die Entwicklung von Coping-Strategien und die Entscheidung für psychologische Unterstützung. Professionelle Behandlung und empfindsamer Umgang mit der emotional belastenden Situation helfen, eine Vertrauensbasis zwischen Arzt und Patienten zu schaffen, um höchstmögliche Zufriedenheit und Compliance der Patienten zu erzielen. Die S1-Leitlinie zur Diagnostik und die S3-Leitlinie zu therapeutischen Empfehlungen der AGA bieten dem behandelnden Arzt wichtige Orientierungshilfen für ein erfolgreiches, evidenzbasiertes Management betroffener Patienten. Schlüsselwörter Klassifikation · Standardisierte Diagnostik · S3-Leitlinie · Evidenzbasierte Therapieempfehlungen · Haarausfall

Androgenetic alopecia. Diagnosis and therapy – a current review Abstract Androgenetic alopecia (AGA) is among the most frequent diagnoses in a hair clinic. Multiple studies prove that life quality is significantly impaired in affected individuals, independent of severity, age or gender. A thorough and standardized diagnostic approach to AGA in women, men and children is an essential step in developing a successful therapeutic concept. Treatment options range from topical and systemic medications to cosmetic products, nutricosmetics, hair transplantation and other aesthetic-corrective approaches. The physician and patient must decide together on the best suited individualized therapy, considering the expected results, practicality and compliance. Further interdisciplinary evaluation must be decid-

zu ggf. erforderlichen zusätzlichen Untersuchungen und Labordiagnostik.

Krankheitsgeschichte Sorgfältig erhobene Eigen- und Familienanamnese stellen neben der Medikamentenanamnese die wichtigsten Stützpfeiler für die korrekte Diagnosestellung dar. Eine negative Familienanamnese für

ed individually, as must the development of coping strategies and the decision to employ psychological support. A professional atmosphere and sensitive approach to an emotionally difficult situation help develop a trusting relationship between patient and physician, which in turn leads to greater satisfaction and compliance. The S1 guidelines for diagnosis and the S3 guidelines for treatment of AGA offer the treating physician important tools for the successful evidence-based management of patients. Keywords Classification · Standardized diagnostic steps · S3 guideline · Evidence based therapy · Hair loss

AGA schließt ihre Diagnose nicht aus, sollte aber zur differenzialdiagnostischen Abwägung anderer oder möglicherweise begleitender Haarerkrankungen anregen. So sollte medikamenteninduzierter oder -aggravierter Haarausfall mit besonderem Augenmerk auf Präparate mit pro- oder antiandrogener Wirkung, darunter auch Anabolika, Antiepileptika, β-Blocker, Zytostatika, in Betracht gezogen werden.

Haarausfall

Klassifikation Ausfallsmuster

JA

Charakterist. Muster?

NEIN

Kein Verdacht AGA Check DD

Zupftest NEGATIV

POSITIV

Kein aktiver Haarausfall

KopfhautUntersuchung

JA

Weiter V.a. AGA?

Pathologisch

Normal

en

u Fra Männer

Check DD zusätzlich

Aktiver Haarausfall

Männer

Seborrhoische Dermatitis

Andere Kopfhauterkrankungen?

CHECK DD

Frauen Frauen

Check für Zeichen hormoneller Dysregulation

(Menstruationszyklus, Körperhaare, Akne, Seborrhö, Virilisierung?)

Normal

Hormonlabor veranlassen

Pathologisch

Verdacht auf Hyperandrogenämie Androgenetische Alopezie

Frauen

Normal

Pathologisch

(Endokrinologe)

Abb. 2 8 Algorithmus zur Diagnostik der androgenetischen Alopezie aus der S1-Leitlinie zur Diagnostik der androgenetischen Alopezie. AGA androgenetische Alopezie, DD Differenzialdiagnose, V.a. Verdacht auf. (Nach [1]; mit freundl. Genehmigung John Wiley & Sons)

Abb. 3 9 Charakteristische klinische Befunde verschiedener Stadien einer androgenetischen Alopezie a beim Mann und b bei der Frau, die für eine medikamentöse Therapie gut zugänglich sind. Übersichtsfotografien stellen ein wichtiges Tool in der Verlaufsdokumentation der androgenetischen Alopezie unter Therapie dar Der Hautarzt 11 · 2013 

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Leitthema Tab. 1  Therapeutische Empfehlungen zum Management der androgenetischen Alopezie

(AGA). (Nach [11])   Minoxidil

Evidenzlevel (EL) EL 1

Männer

Frauen

Bemerkung

Topisches Minoxidil 2–5% Lösung 1 ml oder eine halbe Kappe 5%-Schaum 2-mal täglich

Topisches Minoxidil 2%-Lösung 1 ml 2-mal täglich

– Kontraindizierend während der Schwangerschaft und Stillzeit – Telogenes „shedding“ der Haare in den ersten 4 bis 8 Wochen der Therapie – „Off label“ für Frauen, bei Frauen im gebärfähigen Alter, nur mit effektiver Kontrazeption (Feminisierung eines männlichen Föten)

Finasterid

EL 1

Orales Finasterid 1 mg am Tag

Orales Finasterid 1 mg täglich keine Wirkung bei menopausalen Frauen, „off label“ individuelle Heilversuche in Fallstudien mit 2,5–5 mg/Tag, mit teilweise leichtem Ansprechen Keine Erfahrungen

Dutasterid



Orales Dutasterid 0,5 mg/Tag, „off label“

Hormone (topisch und systemisch) bei Frauen ohne hormonelle Dysregulation Hormone systemisch bei Frauen mit hormoneller Dysregulation Operatives Vorgehen, Haartransplantation

EL 3

Nicht indiziert

EL 3

Nicht indiziert

EL 4

Zahlreiche kosmetische und Naturprodukte



Transplantation Transplantation von Follikeleinhei- von Follikeleinten, Kombination heiten kann in mit Finasterid 1 mg Betracht gezogen täglich wird empwerden fohlen Keine oder nicht ausreichende Wirkungsnachweise zur Verhinderung von Haarausfall oder einer Anregung des Haarwachstums bei AGA

Kein oder kein ausreichender Nachweis für topische Östrogene und orale Antiandrogene Orale Antiandrogene zusammen mit sicherer Kontrazeptiona

– Nur für Behandlung der benignen Prostatahypertrophie, nicht zur Behandlung der AGA zugelassen  



– Ausreichend Spenderhaar muss zur Verfügung stehen



aAntiandrogene müssen bei Frauen im gebärfähigen Alter immer zusammen mit sicherer Kontrazeption ein-

fasst werden müssen. Ein Kind, das einen Haarausfall mit dem Muster einer AGA noch vor Einsetzen erkennbarer Zeichen der Pubertät entwickelt, sollte an einen pädiatrischen Endokrinologen überwiesen werden, um entwicklungsbeeinflussende Ursachen frühzeitig zu erkennen [1].

Laboruntersuchungen Im Rahmen der europäischen Diagnostik-Leitlinie [1] werden für die Laboruntersuchungen bei AGA folgende Empfehlungen ausgesprochen. Bei typischem klinischem Befund ist beim Mann keine weiterführende Labordiagnostik erforderlich, hier wird die Diagnose klinisch gestellt. Die einzige Ausnahme sind anamnestische oder klinische Hinweise auf weitere Erkrankungen. Bei geplanter systemischer Therapie mit 5α-Reduktasehemmern bei Männern im Alter von >45 Jahre sollte eine urologische Untersuchung veranlasst und das prostataspezifische Antigen (PSA) bestimmt werden, da diese Medikamentengruppe die Größenzunahme der Prostata beeinflusst, das PSA reduziert und somit die Früherkennung von Prostatakrebs verzögern kann. Die Labordiagnostik bei Frauen sollte von Anamnese und klinischer Untersuchung abhängige Parameter zur differenzialdiagnostischen Ursachenabklärung des Haarausfalls umfassen. Bei Verdacht auf diffuses Effluvium oder diffuse Alopecia areata können z. B. TSH, Ferritin, TPHA/TPPH-Test, metabolische Störungen (Diabetes mellitus, Fettstoffwechselstörungen), bei Hinweisen auf hormonelle Dysregulation der freie Androgenindex (FAI), 17-OH-Progesteron oder Prolaktin bestimmt werden. Basierend auf den Befunden wird dann ggf. eine weiterführende endokrinologische und gynäkologische Diagnostik veranlasst [1].

gesetzt werden (Gefahr der Feminisierung eines männlichen Föten).

Auch wenn ein Umsetzen erforderlicher internistischer Medikationen in der Regel nicht indiziert ist, können diese Angaben wertvolle Hinweise zur Klärung anhaltend erhöhter Haarverlustraten bieten. Bekannten Allergien, wenn auch nicht von Bedeutung für die Diagnosestellung der AGA, kommt eine wichtige Rolle bei

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der späteren Wahl der Lokaltherapie und in der kosmetischen Beratung zu Kopfhaut- und Haarpflege zu. Bei Kindern und Jugendlichen ist angeborener von erworbenem Haarausfall zu unterscheiden, wobei physische und mentale Entwicklung einschließlich möglicher Anzeichen für eine Frühpubertät sehr sorgfältig er-

Diagnosetechniken Die wichtigsten Diagnosetechniken bei AGA umfassen den Zupftest, eine Lupenoder dermatoskopische Haar- und Kopfhautuntersuchung und ergänzend ein Phototrichogramm (z. B. TrichoScan®). Standardisierte Übersichtsfotografien können zur Verlaufsbeurteilung der Haar-

dichte bzw. des Haarvolumens unter Therapie eingesetzt werden (. Abb. 3,[23]). Nur in Einzelfällen und zur differenzialdiagnostischen Abklärung sind Trichogramm oder histologische Untersuchung einer Kopfhautbiopsie notwendig (z. B. bei Verdacht auf diffuse Alopecia areata, vernarbende Alopezie; [1]). D Die androgenetische Alopezie

ist eine natürlich progredient verlaufende Erkrankung bei genetisch Prädisponierten. Der aktuelle Kenntnisstand und das Arsenal verfügbarer Therapeutika haben zum Ziel, den Haarausfall zu stoppen, den Miniaturisierungsprozess wenn möglich umzukehren und idealerweise das Wiederwachstum anzuregen [11]. In Hinblick auf die stattfindenden Prozesse am Haarfollikel richten sich daher die therapeutischen Ansätze auf die Anregung des Haarfollikels im Telogen zum Eintritt in eine neue Anagenphase und/oder bei Haarfollikeln im Anagen, den Eintritt in das Katagen oder das Telogen zu verzögern.

Behandlung Pharmakotherapie Zur Behandlung der androgenetischen Alopezie sind seit Kurzem evidenzbasierte europäische Empfehlungen zur Diagnostik und zur Therapie entwickelt worden ([1, 11], . Tab. 1). Zur Entwicklung eines erfolgreichen Behandlungskonzeptes einer AGA sind sowohl die sorgfältige Diagnostik und differenzialdiagnostische Abwägung als auch Therapiewunsch, Erwartungen und Compliance des Patienten von großer Bedeutung. Die Wahl des Therapeutikums hängt von Wirksamkeit, Praktikabilität, Risiken und Kosten ab, da der Patient die anfallenden Kosten für eine Haartherapie in der Regel selbst tragen muss. Die Auswertung der Wirksamkeit einer gewählten Therapie ist in der klinischen Praxis normalerweise durch die subjektive Beurteilung des Patienten und des behandelnden Arztes limitiert, kann aber durch standardisierte Verfahren wie Phototrichogramm und standardisierte Übersichtsfotografien in 6-monatigen Abständen objektiviert werden.

Die Wirksamkeit verschiedener Behandlungsoptionen der aktuell zugelassenen Medikamente und der auf dem Markt angebotenen Wirkstoffe wurde in dieser europäischen S3-Leitlinie zum therapeutischen Management der AGA (. Tab. 1, [11]) ausgewertet, bewertet und kommentiert. Derzeit sind 2 pharmakologische Behandlungsverfahren als effektiv für die Behandlung einer AGA nachgewiesen: Minoxidil und Finasterid. Beide stimulieren das Wiederwachstum (nicht bei komplett kahler Kopfhaut) und haben eine relativ gute Verträglichkeit. Allerdings ist eine kontinuierliche und dauerhafte Anwendung nötig, um einen Erfolg zu erhalten, da die genetische Veranlagung nicht verändert werden kann [2, 3].

Lokaltherapie Die beste klinische Evidenz besteht nach aktueller Studienlage für die Lokaltherapie mit Minoxidil, ein Piperdinopyrimidin und Kaliumkanalöffner, der initial für die systemische Behandlung des Hypertonus zugelassen wurde. Minoxidil wurde bereits 1988 in den USA als verschreibungspflichtige 2%ige Lösung zur Lokalbehandlung der AGA bei Männern erstmalig zugelassen; 25 Jahre später ist Minoxidil für die 2-mal tägliche Anwendung als 2%-Lösung für die Frau mit AGA und als 5%-Lösung oder Schaum für die AGA des Mannes als OTC („over the counter“)-Produkt frei verkäuflich. Es ist das einzige topische Präparat mit Wirksamkeitsnachweis bei hohem Evidenzniveau (. Tab. 1). Sein wirksamer aktiver Metabolit, das Minoxidilsulphat, führt mutmaßlich zu einer verbesserten Durchblutung, ohne dass bis heute sein genauer Wirkmechanismus bei der Stimulierung des Haarwachstums bekannt ist. Es kann sowohl bei weiblichen [2-mal täglich als 2%-Lösung, 1-mal täglich als 5%-Schaum („off label“); [24]] als auch bei männlichen Patienten (2-mal täglich als 5%-Lösung oder als 5%-Schaum) ein weiteres Fortschreiten der Erkrankung verhindern und zu einer Zunahme von Haardichte und Haardicke führen. Aufgrund der verfügbaren Studienlage erreichte Minoxidil daher den Evidenzgrad 1 [11].

Im ersten Informationsgespräch mit dem Patienten sollte der Arzt besonders auf folgende Punkte hinweisen: F das häufig 4 bis 8 Wochen nach Anwendungsbeginn auftretende telogene „shedding“ (verstärkter Haarausfall), F die mindestens 6-monatige Anwendungsdauer vor erster Wirkungsbeurteilung und F der mit Beendigung der Minoxidil-Anwendung innerhalb von 8 bis 12 Wochen in der Regel erneut auftretende Haarausfall mit Verlust der vorab zugewonnenen Haare [9, 10, 11]. Beim ersten Informationsgespräch sollte auf das Nebenwirkungspotenzial mit lokalen Intoleranzreaktionen, speziell verstärkter Schuppung, Juckreiz und in ca. 2% einer allergischen Kontaktdermatitis hingewiesen werden. Während der Schwangerschaft und Stillperiode sollte Minoxidil nicht angewendet werden.

Systemische Therapie Finasterid

Finasterid, ein 5α-Reduktase-Hemmer Typ II, ursprünglich 1992 in seiner 5-mgDosierung für die benigne Prostatahypertrophie entwickelt, wurde 1998 zur Behandlung der AGA bei Männern in einer Dosierung von 1 mg täglich zugelassen. Klinische doppelblinde randomisierte Studien und Zwillingsstudien belegen, dass durch eine Senkung des Dihydrotestosteron-Spiegels im Serum und in der Kopfhaut beim Mann eine weitere Progression der AGA verhindert und eine Induktion des Haarwachstums erzielt werden kann. Das Evidenzniveau für den Einsatz von Finasterid 1 mg täglich beim Mann mit AGA ist sehr gut (Evidenzlevel 1). Das Nebenwirkungsprofil zeigt eine relativ gute Verträglichkeit mit einer leicht erhöhten Rate (ca. 2%) von Libidoverlust und sexueller erektiler Dysfunktion, die mit Absetzen seiner Einnahme reversibel sind. Häufig diskutierte Fragen zu Finasterid und Infertilität zeigen in der veröffentlichten Literatur keine Evidenz. Aktuell verfügbar zur Frage der Infertilität und Finasterid sind Fallberichte oder kleinere Fallserien. Bei allen berichteten Patienten war das Spermiogramm unter FinasteDer Hautarzt 11 · 2013 

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Leitthema rid verändert und normalisierte sich nach Absetzen [25, 26, 27]. Zur Frage der Assoziation Mammakarzinom und Finasterid ist die Datenlage ebenso schwach. Wichtig ist bei der Bewertung die Beurteilung der normalen Inzidenz von Mammakarzinomen beim Mann in der Bevölkerung verglichen zur Population unter Finasterid-Einnahme. In einer Publikation mit 3 Patienten unter Einnahme von 1 mg Finasterid manifestierte sich das Mammakarzinom zeitlich sehr kurz nach Beginn der Einnahme, sodass die Autoren schlussfolgern, dass der Zusammenhang unwahrscheinlich ist [28]. Ein systematischer Review von Mella 2010 enthält keinen Hinweis auf ein erhöhtes Risiko für Mammakarzinom. Hier gibt es jedoch Hinweise auf Infertilitätsprobleme [29]. In der Zusammenfassung folgern diese Autoren, dass eine Überwachung erforderlich und eine sorgfältige Dokumentation aller Fälle notwendig ist. Bei postmenopausalen Frauen mit AGA hat Finasterid in der Dosierung von 1 mg keine Effektivität gezeigt (in [11] zitiert). Kontrollierte doppelblinde Studien mit höheren Dosierungen von Finasterid in verschiedenen Patientinnenuntergruppen stehen aus. Die Verordnung für Frauen ist „off-label“, bei Frauen im gebärfähigen Alter ist eine Medikation aufgrund des Fehlbildungsrisikos männlicher Feten – wenn überhaupt – nur in Kombination mit einer absolut effektiven Kontrazeption zu erwägen. Einzelfallstudien und einzelne Anwendungsbeobachtungen in kleinen Fallzahlen zeigten in einer Dosierung von 2,5 oder 5 mg einen gewissen Erfolg. Die Autoren selbst sind mit dem Einsatz bei Frauen zurückhaltend, da eigene Erfahrungen bei Frauen ohne Zeichen der hormonellen Dysregulation keinen überzeugenden Behandlungsvorteil gezeigt haben.

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Finasterid darf bei prämenopausalen Frauen nur mit einem sicheren Kontrazeptionsverfahren eingesetzt werden In jedem Fall ist der Einsatz bei Frauen eine Off-label-Behandlung in der individuellen Verantwortung des Behandlers. Es muss nachdrücklich darauf hingewie-

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sen werden, dass Finasterid oder andere 5α-Reduktase-Hemmer bei prämenopausalen Frauen ausschließlich mit einem sicheren Kontrazeptionsverfahren eingesetzt werden, da diese Medikamentengruppe zu Genitalentwicklungsstörungen eines männlichen Fötus führt. Die Gabe von Finasterid ist während Schwangerschaft und Stillzeit kontraindiziert. Sollte der männliche Partner Finasterid nehmen, so sind bisher keinerlei Berichte von einem Risiko für den Fötus bekannt oder belegt. Direkter Kontakt der Schwangeren mit den Tabletten muss aber in jedem Fall vermieden werden.

Topische oder systemische Hormonbehandlung

Dutasterid

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Dutasterid, ein dualer 5α-Reduktase-Inhibitor (Typ I und II), ist aktuell nur für die Behandlung der benignen Prostatahyperplasie zugelassen und hat sich nicht als Offlabel-Alternative zu Finasterid durchgesetzt. Nach aktuell verfügbarer Datenlage sind höhere Dosierungen erforderlich, um ähnliche Ergebnisse zu erzielen wie Finasterid. Direkte kontrollierte Vergleichsstudien gegen Finasterid 1 mg fehlen, aber es werden aktuell weitere kontrollierte Studien zum Einsatz in der Behandlung der AGA beim Mann durchgeführt.

Schlussfolgerung Die Wahl zwischen topischem Minoxidil und systemischem Finasterid bei männlichen AGA-Patienten obliegt der persönlichen Präferenz des Patienten, wobei erfahrungsgemäß häufig der Anwendungsweg (topisch vs. systemisch), aber auch das Nebenwirkungsprofil eine entscheidende Rolle spielt. So sind Sicherheit und Nebenwirkungsprofil von Minoxidil gut einschätzbar, sein Nachteil ist die 2-mal tägliche Anwendung mit schlechterer kosmetischer Akzeptanz, seinem Irritationspotenzial und in manchen Fällen der Auslösung einer Kontaktdermatitis. Orales Finasterid in Form einer 1-mg-Tablette am Tag wird von den männlichen Patienten oftmals als einfacher und schneller in der Anwendung empfunden, allerdings fürchten sie häufig seine Nebenwirkung auf die Libido und die erektile Dysfunktion.

Obwohl die Konzepte zur Pathogenese der AGA auch weiterhin von einer besonderen Bedeutung des Hormongleichgewichts und der Sensitivität von Rezeptoren am Haarfollikel ausgehen, lässt sich aus der gegenwärtigen Studienlage keine Indikation für den topischen Einsatz von natürlichen Östrogenen, Progesteron oder von Antiandrogenen zur Behandlung der androgenetischen Alopezie der Frau ohne hormonelle Dysregulation ableiten, zumindest nicht in den bis jetzt untersuchten galenischen Zubereitungen.

Die Auswahl des bevorzugten Antiandrogens muss individuell für jeden Patienten getroffen werden Für den Einsatz systemischer Antiandrogene bei Frauen mit AGA ohne Zyklusstörung gibt es ebenfalls keine ausreichenden wissenschaftlichen Belege in der verfügbaren Literatur. Vexiaux et al. [30] konnten lediglich einen begrenzten Effekt des antiandrogen wirkenden Cyproteronacetat auf die Haardichte von Frauen mit AGA und die assoziierten Zyklusstörungen bei nachgewiesener Hyperandrogenämie zeigen. Diese profitierten von einer gleichzeitigen Cyproteronacetat-Gabe und einer Minoxidil-Lokalbehandlung, sodass in solchen Fälle eine Kombination von systemischer und lokaler Therapie empfohlen werden kann. Alle Medikamente mit antiandrogener Aktivität können zur Feminisierung beim männlichen Fötus führen, wenn sie während einer Schwangerschaft genommen werden; somit ist eine effektive Verhütung unerlässlich. Die antiandrogene Therapie der AGA bei Frauen mit hormoneller Dysregulation erfolgt daher in der Regel durch orale Kontrazeptiva bzw. bei nicht ausreichendem Ansprechen in Kombination mit Spironolacton, Flutamid, Cyproteronacetat o. a. Jeder Wirkstoff hat Vorund Nachteile, und die Auswahl des bevorzugten Antiandrogens muss individuell für jeden Patienten getroffen werden. Eine hormonelle Behandlung von AGA ist nicht für Männer ausgewiesen, und es

gibt keine oder nur unzureichende Nachweise für die Verabreichung bei Frauen ohne hormonale Dysregulation. Die orale Gabe von Spironolacton in einer Dosis von 100–200 mg am Tag ist weitverbreitet – vor allem in den USA für die Behandlung von Frauen mit einer Hyperandrogenämie. Ein möglicher Nebeneffekt der Behandlung sind Elektrolytstörungen, speziell die Hyperkaliämie. Bekannt sind auch eine Überempfindlichkeit der Brust, unregelmäßige Menstruation mit Schmierblutungen und Stimmungsschwankungen. Orales Flutamid wurde bislang nur bei Frauen mit Haarausfall bei Hyperandrogenämie ausgewertet, wobei eine signifikante Verbesserung bei einer Dosis von 250 mg am Tag zu erkennen war. Die häufigsten Nebenwirkungen sind gastrointestinaler Art; aufgrund von kürzlich beschriebener Lebertoxizität mit zum Teil fatalem Ausgang wird es aus Sicherheitsgründen nicht mehr für die Behandlung von AGA bei Frauen empfohlen. Orale kombinierte Kontrazeptiva aus Östrogen und Antiandrogen, wie z. B. Cyproteronacetat, Chlormadiononacetat, Drosperinon u. a., werden am häufigsten als orale Verhütung für Frauen im gebärfähigen Alter verschrieben. Bei prämenopausalen Frauen werden 2 Cyproteronacetat (CPA)-Kombinationsregime verwendet: 2 mg CPA mit Östrogen an den Tagen 5 bis 15 des Menstruationszyklus und nur Östrogen an den Tagen 16 bis 25 oder alternativ 2 mg CPA mit Östrogen an den Tagen 5 bis 25. Nebenwirkungen von Cyproteronacetat umfassen unregelmäßige Menstruationszyklen, Gewichtszunahme, Überempfindlichkeit der Brust, abnehmende Libido, Depression und Übelkeit.

sollte mit Ketokonazol- oder Ciclopiroxolamin-haltigen Produkten 1- bis 2-mal wöchentlich behandelt werden. Nicht zu vernachlässigen sind die Austrocknung und Irritation der Kopfhaut durch die Langzeitbehandlung mit verschiedenen Externa oder Kosmetika. Dieser kann durch rehydratisierende Shampoos oder Kopfkappen mit harnstoffhaltigen Lotionen entgegengewirkt werden. Unter intensivierter Lokaltherapie der Kopfhaut mit Kortikosteroiden können Follikulitiden auftreten, die lokal antiseptisch behandelt werden sollten.

Unterstützende Kopfhautund Haartherapie

Chirurgische Behandlung

Neben der spezifischen Pharmakotherapie der AGA sind die Behandlung von Begleitsymptomen/-erkrankungen der Kopfhaut und eine Beratung zur Pflege wichtige Bausteine im individuellen Management der AGA und können den Therapieerfolg bedeutend unterstützen. Die seborrhoische Dermatitis, ein häufig assoziiertes Symptom der AGA, kann den Haarausfall zusätzlich begünstigen und

Naturprodukte und Nahrungsergänzungsmittel Die auf dem Markt zahlreich verfügbaren natürlichen und kosmetischen Produkte sowie Nahrungsergänzungsmittel werben häufig mit der Aussage, Haarausfall zu verhindern oder das Haarwachstum zu verbessern. Sie basieren auf verschiedenen Inhaltsstoffen, wie z. B. Aminosäuren, Vitaminen, Spurenelementen wie Kupfer oder Zink, Koffein, Kräuterpräparaten und weiteren natürlichen Inhaltsstoffen wie Hirsekorn, Aloe vera, Hibiskus, Ginseng, Bergamotte, Extrakte aus grünem Tee u. a. Studiendaten zur Beurteilung der Wirksamkeit derartiger kosmetischer Präparate bei AGA sind zumeist nicht oder nur unzureichend vorhanden [11]. Nahrungsergänzungsmittel beeinflussen vor allem Haarqualität und Haarstruktur, aber auch hier wären kontrollierte klinische placebokontrollierte Untersuchungen wertvoll, um ihren Einsatz und Stellenwert beim Management der AGA besser für die Beratung der Betroffenen zu implementieren.

Das Auffüllen von Arealen mit reduzierter Haardichte durch Haartransplantation follikulärer Einheiten oder die Reduktion kahler Kopfhautareale bei umschriebenen Befunden („scalp reduction“, „rotational flaps“) kann eine wertvolle Therapieoption darstellen [11]. Die Haarchirurgie selbst hat keinen Effekt auf den Verlauf der AGA, sodass die aktive Haarausfallsaktivität gut kontrolliert und die Indikation sorgfältig gestellt sein sollte. Die

Transplantation von Eigenhaar in Form von je 1 bis 5 follikulären Einheiten ist heutzutage ein Standardverfahren und besonders bei Männern, aber auch bei Frauen mit ausreichend Eigenhaar im okzipitalen, nicht-androgensensitiven Bereich eine Möglichkeit, die Haardichte in betroffenen Arealen zu verbessern. Die Möglichkeit eines weiteren Fortschreitens der androgenetischen Alopezie mit zunehmendem Haarverlust hinter dem transplantierten Bereich besteht jedoch weiterhin. Beim weiblichen Verteilungsmuster der androgenetischen Alopezie bleibt die vordere Haarlinie in den meisten Fällen bestehen, während die zunehmende Haardichteminderung im Scheitelbereich den Leidensdruck ausmacht, sodass hier eine Transplantation von Follikeleinheiten (1 bis 2 Follikeleinheiten = Mikrografts) in die betroffenen Areale sehr gut vertretbar ist. D Transplantation von follikulären

Einheiten kann sehr gute Resultate hervorbringen. Allerdings sind sowohl die Auswahl der Patienten als auch die Wahl von befähigten Chirurgen für eine erfolgreiche Operation vonnöten. Die Haardichte im Entnahmeareal muss entsprechend adäquat sein, und eine Korrektur des frontalen Haarausfalls bringt bessere Resultate hervor als eine Scheitelkorrektur. Der Patient muss realistische Erwartungen haben und wissen, dass mehrfache Eingriffe nötig und finale Resultate erst nach 5 bis 6 Monaten zu beurteilen sind. Auch muss sich der Patient darüber im Klaren sein, dass Haarausfall temporär sowohl an der Entnahmestelle als auch an der Einpflanzungsstelle auftreten kann. Wie bei jedem operativen Eingriff können auch hier Risiken in Form von Hautrötungen, Krustenbildung, Ödemen oder schwerwiegenderen Infektionen, Blutungen oder Narbenbildung auftreten, die es zu beachten gilt. Außerdem ist eine Haartransplantation kostenintensiv und vom Patienten selbst zu tragen.

Kosmetische Lösungsansätze Die einfachste und vom Betroffenen selber anwendbare Methode, Zeichen von AGA Der Hautarzt 11 · 2013 

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Leitthema zu verdecken, ist ein entsprechend richtiges Haarstyling. Bei Männern kaschiert ein kurzer Haarschnitt den Kontrast zwischen lichtem und nicht lichten Haarstellen. Einige Patienten kaschieren das schwindende Haar mit Perücken oder Toupets die, wenn entsprechend gepflegt, über mehrere Jahre sehr natürlich wirken können. Kosmetische Lösungsansätze, wie beispielsweise das Auffüllen haarloser Areale mit CamouflageTechniken (Theaterschminke, Streuhaare/ synthetischen Haarfasern, die auf das lichte Haar gestreut und mit Haarspray fixiert werden), lassen das Haar ebenfalls temporär (24–48 h) voller und dicker wirken [9]. Verschiedene Verbindungs-, Web- und Verlängerungsarten für Haare sind ebenfalls erhältlich, benötigen allerdings einen Spezialisten.

Ausblick – neue oder zukünftige Behandlungsansätze Prostanoide Neuere Forschungsergebnisse bieten Hinweise darauf, dass Prostaglandinen eine Bedeutung beim Haarwachstum zukommt. Initial wurde eine Stimulierung des Haarwachstums als Nebenwirkung in der Behandlung des Glaukoms mit synthetischen PGF2α-Analoga wie Latanoprost beobachtet [31]. Prostaglandine (PG) wirken als autokrine/parakrine lokale Hormone, die in zelluläre Vorgänge wie Zellwachstum, Differenzierung, Apoptose und Entzündungsantworten involviert sind [32]. Die Obergruppe der Prostanoide wird in Prostaglandinanaloga vom Typ der Prostaglandine F2α (PGF2α; z. B. Latanoprost) und Prostamide unterschieden (z. B. Bimatoprost). Aktuell gibt es ein zugelassenes Prostamid (Bimatoprost) sowie verschiedene kosmetische Präparate (Methylamido-Dihydro-Noralfaprostal und Dechloro-DihydroxyDifluoro-Ethylcloprostenolamid) zur Stimulierung des Wimpernwachstums. Zur Wirkung und zur möglichen Behandlung der AGA mit Prostanoiden gibt es neben In-vitro-Untersuchungen und Studien an Tiermodellen nur eine einzige Proof-ofConcept-Studie an einer kleinen Kohorte von 16 Männern mit einer milden Form der AGA. In dieser placebokontrollierten, randomisierten klinischen Studie konn-

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te gezeigt werden, dass der Einsatz von 0,1%-Latanoprost-Lösung in einem Minizonenmodell zu einer signifikanten Stimulation des Haarwachstums bei einem Teil der behandelten Probanden führte. Weitere Entwicklungen und Studien müssen hier den Stellenwert dieser interessanten neuen Molekülgruppe untersuchen und ihre Bedeutung für die Behandlung der AGA evaluieren [33].

Einhaltung ethischer Richtlinien

Fazit für die Praxis

  1. Blume-Peytavi U, Blumeyer A, Tosti A et al (2011) S1 guideline for diagnostic evaluation in androgenetic alopecia in men, women and adolescents. Br J Dermatol 164:5–15   2. Messenger A (2008) Androgenetic alopecia in men. In: Blume-Peytavi U, Tosti A, Whiting DA et al (Hrsg) Hair growth and disorders. Springer, Berlin, S 159–170   3. Olsen EA (2008) Female pattern hair loss. In: Blume-Peytavi U, Tosti A, Whiting DA et al (Hrsg) Hair growth and disorders. Springer, Berlin, S 171–186   4. Cash TF, Price VH, Savin RC (1993) Psychological effects of androgenetic alopecia on women: comparisons with balding men and with female control subjects. J Am Acad Dermatol 29(4):568–575   5. Hadshiew IM, Foitzik K, Arck PC, Paus R (2004) Burden of hair loss: stress and the underestimated psychosocial impact of telogen effluvium and androgenetic alopecia. Invest Dermatol 123(3):455– 457   6. Cartwright T, Endean N, Porter A (2009) Illness perceptions, coping and quality of life in patients with alopecia. Br J Dermatol 160(5):1034–1039   7. Hunt N, McHale S (2005) The psychological impact of alopecia. BMJ 331:951–953   8. Nardi AE (2005) Psychological impact of alopecia: alopecia may lead to social anxiety. BMJ 331(7524):1084   9. Blume-Peytavi U, Vogt A (2011) Current standards in the diagnostics and therapy of hair diseases – hair consultation. J Dtsch Dermatol Ges 9:394–412 10. Poot F (2009) Doctor-patient relations in dermatology: obligations and rights for mutual satisfaction. Eur J Acad Dermatol Venereol 23:1233–1239 11. Blumeyer A, Tosti A, Messenger A et al (2011) Evidence-based (S3) guideline for the treatment of androgenetic alopecia in women and in men. J Dtsch Dermatol Ges 9:S1–S57 12. Birch MP, Messenger AG (2001) Genetic factors predispose to balding and non-balding in men. Eur J Dermatol 11(4):309–314 13. Nyholt DR, Gillespie NA, Heath AC, Martin NG (2003) Genetic basis of male pattern baldness. J Invest Dermatol 121(6):1561–1564 14. Paik JH, Yoon JB, Sim WY et al (2001) The prevalence and types of androgenetic alopecia in Korean men and women. Br J Dermatol 145(1):95–99 15. Heilmann S, Brockschmidt FF, Hillmer AM et al (2013) Evidence for a polygenic contribution to androgenetic alopecia. Br J Dermatol [Epub ehead of print] 16. Heilmann S, Kiefer AK, Fricker N et al (2013) Androgenetic alopecia: identification of four genetic risk loci and evidence for the contribution of WNT signaling to its etiology. J Invest Dermatol 133(6):1489–1496

F Strukturierte Anamnese und Befunderhebung in wertschätzender Atmosphäre ebnen bereits bei Erstvorstellung den Weg für erfolgreiches Management. F Inspektion, Zupftest, Dermatoskopie und ggf. Phototrichogramm genügen zur Diagnostik und Einschätzung der Aktivität typischer AGA. F Die Indikation für Hormonbestimmungen und Hormontherapie bei weiblicher AGA ohne Zeichen der Hormondysfunktion ist sehr eng zu stellen. F Die Lokaltherapie der AGA mit Minoxidil ist für Männer als auch Frauen mit hohem Evidenzniveau gut geeignet. F Systemische 1-mg-Finasterid-Gabe ist nur für Männer eine Alternative. F Mitbehandlung von Kopfhauterkrankungen und -beschwerden, Kopfhautund Haarpflegeberatung bezüglich unterstützender, auch kosmetischer Maßnahmen können Compliance und Therapieerfolg entscheidend mitbestimmen. F Topische Prostaglandin-Formulierungen könnten in der Zukunft das therapeutische Spektrum erweitern, Strategien zur Haarfollikelneogenese bekommen zunehmend Kontur.

Korrespondenzadresse Prof. Dr. U. Blume-Peytavi Klinik für Dermatologie, Venerologie und Allergologie, Clinical Research Center for Hair and Skin Science, Charité –   Universitätsmedizin Berlin Charitéplatz 1, 10117 Berlin [email protected]

Interessenkonflikt.  U. Blume-Peytavi: Beratungsund Vortragshonorare von Johnson & Johnson, Galderma, Pierre Fabre, Replicel. A. Vogt: kein Interessenkonflikt. Dieser Beitrag beinhaltet keine Studien an Menschen oder Tieren.

Literatur

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Originalien/Kasuistiken: Prof. Dr. Alexander Kapp Klinik für Derma­tologie, Allergologie und Venerologie,  Medizi­nisch­e Hochschule Hannover, OE 6600, Carl-Neuberg-Str. 1, 30625 Hannover [email protected]

In der Diskussion: Prof. Dr. Alexander Kapp/  Prof. Dr. Thomas Werfel Klinik für Derma­tologie, Allergologie und Venerologie,   Medizi­nisch­e Hochschule Hannover, OE 6600, Carl-Neuberg-Str. 1, 30625 Hannover [email protected] Leserforum: Prof. Dr. Hans F. Merk Klinik für Dermatologie und Allergologie,   Universitätsklinikum der RWTH,   Pauwelsstraße 30, 52057 Aachen [email protected]

Übersichten/ Wie lautet Ihre Diagnose? Prof. Dr. Thomas Ruzicka Klinik und Poliklinik für Dermatologie,   LMU München Anfragen an: Prof. Dr. Daniela Bruch-Gerharz Hautklinik des Universitätsklinikums   Düsseldorf, Moorenstr. 5,   40225 Düsseldorf Tel: +49-211-81-18328 Fax: +49-211-81-04905 [email protected]

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[Androgenetic alopecia. Diagnosis and therapy- a current review].

Androgenetic alopecia (AGA) is among the most frequent diagnoses in a hair clinic. Multiple studies prove that life quality is significantly impaired ...
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