Klin. Pädiatr. 202 (1990)

Anamnese, Klinik und Labor der kindlichen "aseptischen Meningitis" bei Lymeborreliose - eine Metaanalyse C. Aufricht, W. Tenner, C. Kohlhauser Univ.-Kinderk1inik Wien (Vorstand: Univ.-Prof. Dr. eh. Groh)

Einführung Zusammenfassung

Nach derzeitigem Wissenstand kann nahezu jede neurologische Symptomatik durch eine Lymeborreliose verursacht werden. Wir setzen uns in dieser Arbeit das Ziel, mittels einer Metaanalyse aus rezenten Publikationen und aus eigenen Daten den Zusammenhang zwischen anamnestischen, klinischen und labormäßig erhobenen Befunden bei der sogenannten aseptischen Meningitis im Kindesalter bei Lymeborreliose darzustellen. Wir fanden bei 63 Fällen aus 10 Publikationen und eigenen Patienten Richtlinien zur Definition meist relativ unspezifischer Parameter, wie schleichender Beginn, Fieber und milden Meningismus, enzephalitisehe Begleiterscheinungen und Hirnnervenbeteiligung. Eine rein neurologische Symptomatik mit Fehlen eines ECM, einer Arthritis oder auch bloß eines erinnerlichen Insektenbisses scheint wider Erwarten die häufigste Manifestation darzustellen. Retrospektiven Forschungsansätzen gelingt es nicht, die Phänomenologie der aseptischen Meningitis bei Lymeborreliose befriedigend zu charak terisieren. Metaanalysis of Anamnestic, Clinical and Laboratory Findings in Aseptic Meningitis in Lymeborreliosis in Children

Lymeborreliosis is currently suspected to be capable of mimicriing nearly all known neurologie symptoms and disease entities. The goal of our study is to define the associated anamnestic, clinical and laboratorial findings in aseptic meningitis and Lymeborreliosis in childhood by a metaanalysis of recent literat ure and of our own datas. We defined by means of 63 cases derived of 10 publications and own data a list of mainly rat her unspecific parameters like subsidious onset, fever, mild meningism, encephalitic symptoms and cranial nerve involvement. Mere neurologie presentation without ECM, arthritis or even an anamnestic insect-bite seems to be most frequent. Retrospective studies, however, can not sufficiently characterize the clinical picture of aseptic meningitis in Lymeborreliosis.

Klin. Pädiatr. 202 (1990) 396-398 \'C' 1990 F. Enke Verlag Stuttgart

Seit der Aufklärung der Ätiologie der Lymeborreliose durch Burgdorfer et al. (4) wurde über viele Krankheitsbilder und deren Zugehörigkeit zum Formenkreis der Lymeborreliose diskutiert. Nach derzeitigem Wissenstand kann nahezu jede neurologische Symptomatik durch eine Borreliose verursacht werden (6, 20). In dieser Arbeit wollen wir uns auf das Syndrom der sogenannten "aseptischen Meningitis" beschränken (5, 13). Während früher aseptische (oder seröse) Meningitiden ausschließlich als viral bedingte Erkrankungen angesehen wurden, und damit nicht kausal behandelbar waren, ergeben sich bei einer Erkrankung, die durch eine Borrelieninfektion verursacht wird, andere Konsequenzen für das therapeutische Vorgehen. Sowohl der Krankheitsverlauf, als auch der Heilungserfolg einer von Borrelien verursachten aseptischen Meningitis, wird durch Antibiotikatherapie positiv beeinflußt (7, 14), obwohl die Mehrzahl der unbehandelten Fälle auch spontan innerhalb einiger Wochen eine klinische Besserung erfährt. Neuere Publikationen berichten jedoch über drohende Risiken bei Verabsäumen der Therapie (I, 2, 3, 19). Zur Zeit gibt es viele Vermut ungen, jedoch kaum gesicherte Daten, die eine Voraussage über Langzeitkomplikationen der Lymeborreliose, im Sinne einer Borreliose III, analog zur Lues III, zulassen (18). Der diagnostische Nachweis einer Lymeborreliose ist keineswegs problemfrei. Da Borrelien im Liquor von Patienten kultiviert werden konnten, die weder im Serum noch im Liquor Antikörper gegen Borrelien aufwiesen, ist erwiesen, daß die Serologie nicht alle Fälle erfaßt (10, 11). Mehrere Autoren empfehlen daher, bereits bei Verdacht auf das Vorliegen einer Lymeborreliose mit einer antibiotischen Therapie zu beginnen (8), was konsequenterweise die antibiotische Therapie jeder aseptischen Meningitis erfordern würde. Wir setzten uns in dieser Arbeit das Ziel, mittels einer Metaanalyse aus rezenten Publikationen und aus eigenen Daten den Zusammenhang zwischen anamnestischen, klinischen und labormäßig erhobenen Befunden bei der sogenannten aseptischen Meningitis im Kindesalter bei Lymeborreliose darzustellen, da die Fallzahlen von Einzelarbeiten zu klein sind um eindeutige Aussagen zuzulassen.

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Anamnese, Klinik und Labor der kindlichen "aseptischen Meningitis" bei Lymeborreliose

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Ergebnisse

Publikationen, die im "Index Medicus" von 1982 bis 1989 unter den Schlüsselworten Lymedisease, Lymeborreliosis und Borrelia infection angeführt wurden und im Titel Hinweise auf neurologische Manifestationen der Lymeborreliose im Kindesalter aufwiesen, wurden in Originalfassung gelesen, wobei als weiteres Ausschlußkriterium galt, daß die Arbeit in deutscher oder englischer Sprache abgefaßt sein mußte. Von diesen Publikationen wurden in einem weiteren Beurteilungsgang jene excludiert, aus denen die diagnostischen Minimalkriterien zur Absicherung einer aseptischen Meningitis (Klinik, Liquorbefund und -kultur) beziehungsweise einer Lymeborreliose (Serologie oder Kultur) nicht eindeutig erkennbar waren. Wir analysierten 61 Fälle aus IO Publikationen (6, 8, 9,11,12,16,17,20,22,23) bezüglich Informationen über die Häufigkeit anamnestischer, klinischer und labormäßig gewonnener Daten bei aseptischer Meningitis bei Lymeborreliose. Diese Daten werden einerseits nach der posItIven Korrelation mit der Diagnose Lymeborreliose gereiht. Analog wird mit Daten von zwei eigenen Patienten verfahren. In einem zweiten Schritt erfaßten wir Angaben über die Prävalenz der Lymeborreliose bei aseptischer Meningitis.

Lymeborreliose

Abbildung I zeigt die anamnestischen, klinischen sowie labor mäßig erhobenen Parameter und ihre Häufigkeit bei Patienten mit der Diagnose aseptische Meningitis, die Reihung erfolgte nach positiver Korrelation. Für die Fragestellung der Prävalenz waren nur die Daten zweier Studien (11, 16) mit insgesamt 122 Kindern verwertbar. Wir errechneten eine Prävalenz von immerhin 19% (Abb. 2). Dies stimmt mit den Erfahrungen in unserem eigenen Krankengut überein. Interessant dabei ist, daß in unseren eigenen Fällen die initiale Serologie negativ war.

Diskussion Auch mittels dieser Metaanalyse läßt sich keine klar definierte Subgruppe der aseptischen Meningitiden anhand von anamnestischen, klinischen und labormäßig erhobenen Daten abgrenzen. Die Vermutung, eine "Lyme Trias", bestehend aus Meningitis, Neuritis eines Gehirnnerven und Radikulitis, würde ermöglichen, eine Subgruppe aseptischer Meningitiden abzugrenzen, bei der eine Lymeborreliose mit hoher Wahrscheinlichkeit vermutet werden kann und damit eine antibiotische Therapie schon vor Sicherung der Diagnose indiziert sei, konnte nicht bestätigt werden (6, 15). Die Metaanalyse ergab vielmehr, daß über 50 Prozent der Lymeborreliosen diese diagnostischen Kriterien nicht erfüllten und somit eine große Anzahl von Patienten primär ohne Therapie blieben. Kein einziger Parameter scheint jedoch das Vorhandensein einer Lymeborreliose mit hoher Wahr-

Mumps Fieber ~ . .

milder Meningismus Enzephalitische Symptome Hirnnervenbeteiligung ECM, Arthritis, Zeckenbiß Unbekannt FSME Masern Abb. 1 Anamnestische und klinische Parameter bei aseptischer Meningitis bei Lymeborreliose Bel 63 Kindern aus zehn Publikationen und aus eigenem Krankengut erhobene Parameter und deren HiJufigkeit in Prozent Man beachte, daß die einzelnen Parameter nicht bei allen Kindern erhoben werden konnten Anamnestlsche Parameter Enzephalltlsche Symptome 9 von 14 Kindern = 9/14, HIrnnervenbeteiligung 7112, ECM. 15/49, protrahierter Verlauf: 10/36, sdllelchender Beglrln· 20/21; Klinische Parameter Fieber: 20/29, milder Meningismus: 15/23, Enzephalitlsche Symptome 10/44, HIrnnervenbeteiligung 24/58, ECM: 10/50; Banale Infekte wurden weder anamnestisch noch kllrllsch vermerkt

Anamnese

Klinik protrahierter Verlauf

o

schleichender Beginn

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Banaler Infekt 100

50

0

50

100

Prozent Abb. 2 Erregerspektrum in 132 Kindern mit aseptischer Meningitis Bei 132 Kirldern aus zwei rezenten Publikationen von Huppertz, Miliner, sowie aus eigenem Krankengut erhobene Prävalenz der Erreger der aseptischen MeningitiS. Die Lymeborreliose stellt nach Mumps und Unbekannt die drittgrößte Gruppe dar

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Material und Methoden

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C. Au/richt et al.: Anamnese, Klinik und Labor der kindlichen "aseptischen Meningitis"

scheinlichkeit vorherzusagen oder auszuschließen zu können. Inwieweit typische aber unspezifische Parameter wie schleichender Beginn, Fieber, milder Meningismus, enzephalitische Begleiterscheinungen, Hirnnervenbeteiligung bei negativer Virusserologie tatsächlich von Wert sind, eine Abgrenzung zur aseptischen Meningitis anderer Ätiologien zu ermöglichen, bleibt bei dieser Untersuchung ungeklärt. Ein wesentliches Ergebnis dieser Metaanalyse ist jedoch, daß die rein neurologische Symptomatik keineswegs die Ausnahme bei Lymeborreliose darstellt. Vielmehr ist das Fehlen einer ECM, einer Arthritis oder auch bloß eines erinnerlichen Insektenbisses, nach der Häufigkeit gewertet, sogar die Regel. Bei Betrachtung der Publikationen fällt auch auf, daß in den älteren Arbeiten nahezu nur typische Lymeborreliosen mit Insektenbiß-Anamnese, ECM und Arthritis vorgestellt werden, während diese Befunde in den späteren Arbeiten fehlen.

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Diese Änderung führen wir nicht auf eine Änderung der Klinik der Lymeborreliose sondern auf vermehrte Diagnose auch weniger typischer Fälle durch die erhöhte Sensibilisierung der Ärzteschaft zurück.

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Die generelle Empfehlung einer nur symptomatischen Therapie (5, 21) bei aseptischer Meningitis ist unseres Erachtens, angesichts der relativ hohen Prävalenz der Neuroborreliosen und der drohenden Komplikationen bei verabsäumter Therapie, zumindest fraglich. Sämtliche retrospektiven Forschungsansätze, so auch diese Metaanalyse, versagten bisher bei der Entwicklung sensitiver objektiver Richtlinien hinsichtlich des diagnostischen und therapeutischen Managements des Leitsyndromes der aseptischen Meningitis. Es bleibt abzuwarten, ob weitere, prospektiv angelegte Untersuchungen mehr Erfolg zeigen.

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Dr. Christoph Au/richt Uni versitäts kinderk lini k A-1090 Wien Währinger Gürtel 18

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[Anamnesis, clinical aspects and laboratory findings in juvenile "aseptic meningitis" in Lyme borreliosis--a meta-analysis].

Lyme borreliosis is currently suspected to be capable of mimicking nearly all known neurologic symptoms and disease entities. The goal of our study is...
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