Kurze Originalarbeit

Ein interdisziplinäres Konzept zur Optimierung der Patientensicherheit – Eine Pilotstudie An Interdisciplinary Concept to Optimize Patient Safety – A Pilot Study

Autoren

Thilo Bertsche1, 2, Susanne Lindner1, 2, Madeleine Damm4, Roberto Frontini1, 3, Cornelia Exner4, Hubertus Himmerich5

Institute

1

ZAMS – Zentrum für Arzneimittelsicherheit, Universitätsklinikum Leipzig Abteilung für Klinische Pharmazie, Institut für Pharmazie, Universität Leipzig Apotheke des Klinikums, Universitätsklinikum Leipzig 4 Institut für Psychologie, AG Klinische Psychologie und Psychotherapie, Leipzig 5 Klinik und Poliklinik für Psychiatrie und Psychotherapie, Universitätsklinikum Leipzig 2 3

Schlüsselwörter

" Patientensicherheit ● " Medikamentenadhärenz ● " depressive Störung ● " Arzneimittelwechsel●

wirkungen

" interdisziplinäres Patienten●

betreuungsteam Keywords

" patient safety ● " medication adherence ● " depressive disorder ● " drug interactions ● " interdisciplinary patient ●

care team

Bibliografie DOI http://dx.doi.org/ 10.1055/s-0034-1387227 Online-Publikation: 27.10.2014 Psychiat Prax 2015; 42: 216–220 © Georg Thieme Verlag KG Stuttgart · New York ISSN 0303-4259 Korrespondenzadresse Prof. Dr. Thilo Bertsche Abteilung für Klinische Pharmazie Institut für Pharmazie Universität Leipzig Eilenburger Str. 15a 04317 Leipzig [email protected]

Zusammenfassung !

Ziel der Studie: Welchen Effekt hat die interdisziplinäre Zusammenarbeit mit Pharmazeuten und Psychologen bei depressiven Patienten? Methodik: In einer 3-armigen (jeweils n = 10) randomisierten Pilotstudie wurde die SB (Standardbehandlung) mit SB + MM (pharmazeutisches Medikationsmanagement) und SB + PB (psychologische Beratung) in Bezug auf Anzahl der Arzneimittelwechselwirkungen, Leitlinienkonformität,

Einleitung !

Unerwünschte Arzneimittelwirkungen (UAW) können zu Krankenhauseinweisung, verlängerter Liegedauer und erhöhten Mortalitätsraten führen [1, 2]. Lösungsstrategien zur Vermeidung solcher UAW müssen den gesamten Medikationsprozess einschließen – von der Verordnung des Arztes, über die Abgabe durch den Apotheker bis hin zur Anwendung durch den Patienten [3]. Die interdisziplinäre Zusammenarbeit des Arztes mit Klinischen Pharmazeuten kann helfen, Leitlinienabweichungen bei der Verordnung sowie Dosierungsprobleme und schwerwiegende unerwünschte Effekte auf Patientenebene zu verhindern. Auf diese Weise können letztlich auch UAW verhindert werden, die durch Leitlinienabweichungen begünstigt werden können [4 – 6]. Die Verordnung von Antidepressiva geht in diesem Zusammenhang mit besonderen Herausforderungen einher. In die Therapieentscheidung müssen einfließen: die spezifischen Charakteristika der Erkrankung und des Antidepressivums, die individuellen Faktoren (aufseiten des Patienten und des behandelnden Arztes) sowie kontextuelle Faktoren wie das Setting. Neben Behandlungsleitlinien sind auch pharmakoökonomische Aspekte bei der Entscheidung für oder gegen ein bestimmtes Antidepressivum zu berücksichtigen

Bertsche T et al. Ein interdisziplinäres Konzept … Psychiat Prax 2015; 42: 216–220

Patientenwissen und Medikamentenadhärenz (nach MARS) verglichen. Ergebnisse: Die Anzahl der Arzneimittelwechselwirkungen sank durch MM um bis zu 67 % (p < 0,05). Die Therapie war in allen Gruppen leitlinienkonform. Patientenwissen und Medikamentenadhärenz wurden weder durch MM noch durch PB im Vergleich zu SB beeinflusst. Schlussfolgerung: In einer größeren Patientengruppe sollten diese explorativen Ergebnisse nun verifiziert werden.

[7]. Mit Blick auf die Eigenschaften eines Antidepressivums ist beispielsweise – im Gegensatz zu anderen Psychopharmaka wie Neuroleptika – zu beachten, dass eine verzögert einsetzende Wirksamkeit bei rasch einsetzenden UAW in besonderer Weise die Medikamentenadhärenz beeinträchtigen kann. Auch Antidepressiva-Wechselwirkungen mit verminderter Wirksamkeit oder verstärkten unerwünschten Wirkungen, bei bestimmten Antidepressiva sogar mit tödlichem Ausgang [10], stellen den Arzt vor Herausforderungen und limitieren die Medikamentenadhärenz. Die richtige Anwendung wie die Teilung von Tabletten kann den Patienten vor weitere Schwierigkeiten stellen. Auch hierbei haben sich interdisziplinäre Betreuungskonzepte als sinnvolle Lösungsstrategie erwiesen [8, 9]. Ziel dieser Pilotstudie war es, zu untersuchen, ob durch interdisziplinäre Einbindung von Klinischen Pharmazeuten im Rahmen eines Medikationsmanagements die Anzahl der Arzneimittelwechselwirkungen verringert und die Leitlinienkonformität verbessert werden kann. Außerdem sollte untersucht werden, ob durch eine zusätzliche psychologische Beratung oder ein pharmazeutisches Medikationsmanagement das Patientenwissen um die antidepressive Medikation sowie die Medikamentenadhärenz (MARS-Score) verbessert werden kann.

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!

Setting und Patienten Nach Vorliegen eines positiven Votums der zuständigen Ethikkommission der Medizinischen Fakultät der Universität Leipzig (Az. 424/12-ff) wurde die vorliegende Pilotstudie durchgeführt. Dazu wurden an der Klinik und Poliklinik für Psychiatrie und Psychotherapie stationär und tagesklinisch behandelte Patienten über 3 Monate im Zeitraum von Januar bis März 2013 eingeladen, an der Pilotstudie teilzunehmen. Die Patienten mussten mindestens 18 Jahre alt sein und mit einem Antidepressivum aufgrund der ICD-10-Diagnosen depressive Episode (F32.-) oder rezidivierende depressive Störung (F33.-) behandelt werden.

Studiendesign und Interventionsmaßnahmen In der vorliegenden randomisierten Pilotstudie wurden die Patienten auf die Studienarme 1, 2 oder 3 randomisiert: Standardbehandlung ohne zusätzliche Maßnahmen (Studienarm 1, Kontrollgruppe), Standardbehandlung mit zusätzlichem pharmazeutischem Medikationsmanagement (Studienarm 2, Intervention PHARMA) und Standardbehandlung mit zusätzlicher psychologischer Beratung (Studienarm 3, Intervention PSY): Kontrolle (Studienarm 1): Hier wurden die Patienten routinemäßig ohne zusätzliche Intervention behandelt. Dies schloss eine routinemäßige Beratung zu allen krankheits-, diagnoseund therapiebezogenen Fragen durch den behandelnden Arzt supervidiert durch einen erfahrenen Psychiater (Facharzt) ein. Intervention PHARMA (Studienarm 2): Im Rahmen des pharmazeutischen Medikationsmanagements wurde zunächst eine Prüfung auf Arzneimittelwechselwirkungen durchgeführt anhand zweier handelsüblicher datenbankbasierter Arzneimittelinformationssysteme (Datenbank A: Produkt eines deutschen Anbieters und Datenbank B: Produkt eines US-amerikanischen Anbieters). Dem Arzt wurden anschließend Informationen zu klinischrelevanten (in den Datenbanken mindestens als mittelschwer eingestufte) Wechselwirkungen sowie (falls erforderlich) Empfehlungen zum klinischen Management schriftlich mitgeteilt. Außerdem wurde eine bedarfsgerechte pharmazeutische Beratung für Patienten insbesondere zum Wirk- und Nebenwirkungsprofil ihrer (insbesondere antidepressiven) Medikation angeboten. Möglicherweise erforderliche klinische Maßnahmen wie z. B. eine Änderung der Verordnung als Maßnahme des klinischen Managements wurden mit dem behandelnden Arzt vor dem Patientengespräch abgestimmt. Die pharmazeutische Beratung für Patienten dauerte jeweils 60 Minuten und wurde von ein und derselben Apothekerin für alle Patienten durchgeführt. Intervention PSY (Studienarm 3): Die psychologische Beratung schloss eine zusätzlich bedarfsgerechte psychologische Beratung für Patienten insbesondere eine Edukation zur Notwendigkeit der Medikation, Erhöhung der Selbstwirksamkeitserwartung und Reduktion von Ängsten und Befürchtungen, die mit der Einnahme von Antidepressiva einhergehen ein. Die Beratungen dauerten jeweils 60 Minuten und wurden von ein und derselben Psychologin für alle Patienten durchgeführt. Die Beratungen wurden zuvor im Detail mit erfahrenen Fachärzten und klinischen Psychologen/approbierten Psychotherapeuten abgestimmt.

Untersuchte Parameter und Outcomes Jeweils unmittelbar vor und 7 Tage nach Durchführung der zusätzlichen Interventionen PHARMA oder PSY (bzw. zeitgleich in der Kontrolle) wurden erhoben: die Anzahl der Arzneimittel-

wechselwirkungen, die Leitlinienkonformität, das Patientenwissen und die Medikamentenadhärenz: ▶ Zur Bewertung der Anzahl der Arzneimittelwechselwirkungen wurden die Medikationsdaten in der Patientenakte anhand der beiden datenbankbasierten Arzneimittelinformationssysteme auf Arzneimittelwechselwirkungen untersucht. Dabei wurden ausschließlich klinisch-relevante Wechselwirkungen erfasst. Zusätzlich auf das Vorkommen absolut kontraindizierter Arzneimittelwechselwirkungen geprüft. ▶ Zur Bewertung der Leitlinienkonformität wurde die in der Patientenakte dokumentierte Medikation (inkl. Dosierung und Applikationsintervall) mit den Angaben in der S3-Leitlinie [11] sowie in der jeweiligen Fachinformation verglichen. ▶ Zur Erfassung des Patientenwissens wurde ein Fragebogen zum Patientenwissen um die antidepressive Medikation entwickelt. Dieser beinhaltete Fragen nach: Anzahl der eingenommenen Medikamente, Bezeichnung und Dosierungsschemata aller eingenommenen Medikamente sowie speziell der antidepressiven Medikation. ▶ Die Medikamentenadhärenz wurde anhand der validierten Medication Adherence Rating Scale (MARS) erhoben.

Statistische Auswertung Die statistische Auswertung erfolgte mit Hilfe der Programme Microsoft Excel 2010, KyPlot 2.0 beta und der Statistiksoftware IBM SPSS Statistics in den Versionen 15 und 21. Das Patientenkollektiv wurde mit Standardverfahren der deskriptiven Statistik hinsichtlich soziodemografischer Eigenschaften, Anzahl von Arzneimittelwechselwirkungen unter Angabe von Median, 25 %- und 75 %-Perzentilen, Minimum und Maximum ausgewertet. Multiple Tests wurden nicht hinsichtlich ihres Signifikanzniveaus adaptiert. Korrelationen wurden nach Spearman (nicht parametrisch) durchgeführt. Die Anzahl der Arzneimittelwechselwirkungen, die Anzahl von Leitlinienabweichungen, die Scores für das Patientenwissen (und die Medikamentenadhärenz: erfolgt unten separat) wurde anhand eines Wilcoxon-Tests verglichen. Ein p-Wert von < 0,05 wurde als signifikant angenommen. Zur statistischen Analyse der Medikamentenadhärenz wurden Varianzanalysen mit Messwiederholung gerechnet. Dabei wurde die experimentelle Bedingung (Intervention [n = 20]/keine Intervention [n = 10]) als Zwischensubjektfaktor und der MARS-Score zu beiden Messzeitpunkten (T1 und T2) als Innersubjektfaktor aufgenommen. Aufgrund ungleicher Gruppengrößen wurden zunächst die Annahme der Varianzhomogenität mit dem LeveneTest untersucht. Der Test erreichte keine statistische Signifikanz auf dem 5 %-Niveau, weshalb von homogenen Varianzen ausgegangen werden kann.

Ergebnisse !

Patientencharakteristika Insgesamt nahmen 30 Patienten (davon 20 [66,7 %] weiblich) an " Abb. 1). Jeweils 10 Patienten wurden dieser Pilotstudie teil (● auf die 3 Gruppen randomisiert. Eine Stratifizierung anhand soziodemografischer oder krankheitsbezogener Parameter erfolgte nicht. Alle im Zeitraum in der teilnehmenden Abteilung hospitalisierten und vorgestellten Patienten wurden angesprochen und nahmen an der Studie teil. Es gab keine Drop-outs. Die Patienten waren im Median 52 (min./max.: 23/82) Jahre alt. 13 litten unter einer depressiven Episode und 17 unter rezidivierender depres-

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Patienten und Methoden

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Tab. 1 Einnahmeschemata und Dosierung der verordneten Antidepressiva aller Patienten. Die Teilbarkeit war bei allen zu teilenden Präparaten gewährleistet.

Patientenkollektiv

n = 30

Bedarfsanalyse – Prä-Fragebogen

n = 30

Randomisierung

je n = 10

n = 30

KG

Intervention Psy

Post-Fragebogen

Intervention Pharma

KG

Arzneistoff

IG

7 Tage

Abb. 1 Überblick über das Projektdesign und die eingeschlossenen Patienten; KG: Kontrollgruppe mit Standardbehandlung; Intervention Psy: Interventionsgruppe mit psychologischer Beratung; Intervention Pharma: Intervention pharmazeutisches Medikationsmanagement; IG: Interventionsgruppen.

siver Störung. Dreizehn Patienten litten unter einer depressiven Episode, die bei 9 als mittelgradig (F32.1) und bei 4 als schwergradig eingestuft wurde (F32.2). Siebzehn Patienten litten unter einer rezidivierenden depressiven Störung, wobei die aktuelle Episode bei 10 mittelgradig (F33.1) und bei 7 schwergradig (F33.2) war. Die Patienten wiesen vor der Aufnahme in die Klinik eine Dauer der aktuellen Episode zwischen 2 Wochen und 14 Monaten (Median: 3 Monate) auf, die Gesamterkrankungsdauer für depressive Störungen betrug in der Gesamtgruppe der Patienten zwischen 0 und 23 Jahre (Median: 3 Jahre). Eine antidepressive Erstmedikation oder antidepressive medikamentöse Umstellung wurde bei allen Patienten innerhalb der ersten stationären Behandlungswoche begonnen.

Arzneimittelcharakteristika Die 30 erfassten Patienten erhielten im Median 3 fest angesetzte Medikamente und 1 Bedarfsmedikament. Der Anteil an Bedarfsmedikationen war vergleichbar (n. s. [Kruskal Wallis]) mit (I) 9 Bedarfsmedikamenten (17 %), (II) 16 (30 %) und (III) 14 (33 %). 37 % aller fest angesetzten Medikamente waren Antidepressiva " Tab. 1). Im Median erhielt ein Patient ein Antidepressivum. (● Die Patienten erhielten in allen 3 Gruppen etwa gleich viele Antidepressiva: (I) 14 (26 % der Gesamtmedikation), (II) 14 (27 %) und (III) 16 (30 %). Eine Monotherapie mit Escitalopram wurde 7-mal als First-line-Therapie verordnet; 13 erhielten Kombinationen, darunter 6 Augmentationstherapien mit Lithium. Zu den weiteren mehrfach verordneten Antidepressiva zählten Venlafaxin (3), Tianeptin und Mirtazapin (je 2).

Arzneimittelwechselwirkungen Während in der Standardbetreuungsgruppe (Kontrolle, Studienarm 1) und in der psychologisch beratenen Gruppe (Intervention PSY, Studienarm 3) keine Veränderung bei Arzneimittelwechselwirkungen erreicht wurden, sank die Anzahl nach der Intervention durch das pharmazeutische Medikationsmanagement (Intervention PHARMA, Studienarm 2) je nach zugrunde liegender Datenbank innerhalb der Gruppe von 9 bei Datenbank A und 36 bei Datenbank B auf 3 bzw. 22 Arzneimittelwechselwirkungen (jeweils p < 0,05). Dabei waren 160 Verordnungen in Datenbank A gegenüber 134 in Datenbank B bewertbar. Es wurden 15 vs. 48 Wechselwirkungen mit mindestens einem Antidepressivum und Bertsche T et al. Ein interdisziplinäres Konzept … Psychiat Prax 2015; 42: 216–220

Schema morgens-mittags-abends-zur Nacht

Es-Citalopram

5, 10, 15, 20 mg-0-0-0

Citalopram

20, 40 mg-0-0-0

Mirtazapin

7,5, 15, 30, 45 mg-0-0-0

Venlafaxin

75, 150, 225, 300 mg-0-0-0

Bupropion

150, 300 mg-0-0-0

Tianeptin

12,5-12,5-12,5 mg-0

Agomelatin

0-0-0-25 mg

Fluoxetin

10 mg-0-0-0

Doxepin

0-0-0-25 mg, 50-0-75-0

Duloxetin

60 mg-0-0-0

Trimipramin

50-0-50 mg-0

Lithium

individuell, Einzeldosen: 295 – 600 mg, Teilbarkeit ist bei allen Patienten gewährleistet, mögliche Einzeldosen: 295 mg (Lithium Apogepha ®, teilbar), 400 mg (Hypnorex® ret., teilbar), 450 mg (Quilonum ®, teilbar)

0,63 (Q25/75: 0/1,25) vs. 2,67 (1/4) Wechselwirkungen pro Patient vor dem pharmazeutischen Medikationsmanagement identifiziert. Kontraindizierte Arzneimittelkombinationen traten in keinem der Studienarme auf.

Leitlinienkonformität Alle Dosierungen, Antidepressivakombinationen und Therapieschemata entsprachen vor und nach der Intervention den Empfehlungen der S3-Leitlinie und den entsprechenden Fachinformationen.

Patientenwissen Das Wissen um die antidepressive Medikation war individuell sehr unterschiedlich und wurde in allen Gruppen im Prä-PostVergleich nicht signifikant verändert. Allerdings zeigte sich in der Gruppe mit Medikationsmanagement (Intervention PHARMA, Studienarm 2) im Vorher-Nachher-Vergleich in der Tendenz (p = 0,055) ein verbessertes Wissen im Hinblick auf die Parameter bei der antidepressiven Medikation (Bezeichnung und Dosierungsschemata).

Medikamentenadhärenz Die Medikamentenadhärenz, operationalisiert mit validiertem MARS-Score, wurde durch die Intervention nicht signifikant beeinflusst. Die Varianzanalyse mit Messwiederholung ergab einen signifikanten Haupteffekt für den MARS-Score über die Zeit (F[1,28] = 8,126; p < 0,05), jedoch keine signifikante Veränderung des MARS-Scores in Abhängigkeit davon, ob eine Intervention stattgefunden hat oder nicht (F[1,28] = 1,544; p = 0,224). Zudem wurden die beiden Interventionsarten (pharmazeutisch vs. psychologisch) auf differenzielle Effekte hinsichtlich der Veränderung des MARS-Scores über die beiden Messzeitpunkte untersucht. Die Varianzanalyse ergab weder einen signifikanten Haupteffekt über die Zeit (F[1,18] = 1,320; p = 0,266) noch einen signifikanten Interaktionseffekt (F[1,18] = 0,098; p = 0,758).

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!

Die Ausgangslage unserer mit Antidepressiva behandelten Patienten im Hinblick auf die Patientensicherheit in der Arzneimitteltherapie war gut: Kontraindizierte Arzneimittelkombinationen wurden von den Ärzten in keinem Fall verordnet und die Leitlinien wurden prinzipiell gut eingehalten. Allerdings waren Arzneimittelwechselwirkungen häufig. Durch das pharmazeutische Medikationsmanagement wurden interagierende Antidepressiva durch die Intervention seltener verordnet. Das Wissen um die antidepressive Medikation war individuell sehr unterschiedlich und wurde insgesamt im Rahmen dieses Pilotprojektes nicht signifikant verbessert. Die Medikamentenadhärenz blieb durch die im Rahmen dieser Pilotierung nur einmal pro Patient durchgeführte pharmazeutische oder psychologische Beratung ebenfalls unbeeinflusst. Zu Strategien der Adhärenzverbesserung ist relativ viel im Bereich klassischer Instrumente wie Kognitive Verhaltenstherapie und Motivierende Gesprächsführung beschrieben [12] und eine interdisziplinäre Zusammenarbeit zwischen Ärzten und klinischen Psychologen in der Betreuung depressiver Patienten bereits etabliert. Pharmazeuten wurden bislang hingegen vergleichsweise selten in einem interdisziplinären Team zur Optimierung der Medikamentenadhärenz und Leitlinienkonformität in diesem Bereich eingesetzt [8, 9]. Dabei erbrachte die Befolgung von Leitlinienempfehlungen in Bezug auf Therapiedauer, Dosierung von Antidepressiva sowie der Kombination aus medikamentöser und psychotherapeutischer Behandlung höhere Remissionsraten bei depressiven Patienten [13]. Es zeigten sich gerade im ambulanten Sektor erhebliche Lücken in der Umsetzung anerkannter Leitlinien bei Depression [14]. Strategien wie Integrated-Care-Modelle sollen durch eine Verbesserung der Versorgungsqualität besonders im ambulanten Bereich, in dem ein Großteil der Versorgung depressiver Patienten über den Hausarzt erfolgt, Verbesserungen bringen [15]. Die Pharmakotherapie spielt heute neben der Psychotherapie eine entscheidende Rolle in der Behandlung der Depression, wobei heute selbst bei leichten Formen eine Pharmakotherapie diskutiert wird [16]. Im Rahmen der zusammen mit den Antidepressiva gleichzeitig verordneten Kotherapie (wie Sedativa, andere Antidepressiva oder Therapien für Begleiterkrankungen) steigt jedoch das Risiko für Arzneimittelwechselwirkungen. Wir zeigten, dass ein Medikationsmanagement mit interdisziplinärer Beteiligung klinischer Pharmazeuten dazu beiträgt, klinisch relevante Arzneimittelwechselwirkungen auf Patientenebene zu verhindern [4]. In dieser Studie [4] waren rund zwei Drittel der Patienten von klinisch relevanten Arzneimittelwechselwirkungen betroffen. Wenn man bedenkt, dass diese Zahlen auf Intensivpatienten mit mindestens 8 gleichzeitig verordneten Arzneimitteln beruhen, sind die rechnerisch über 3 Wechselwirkungen pro depressivem Patient in der vorliegenden Arbeit eine erschreckend hohe Zahl. Allerdings schwankte die Anzahl je nach Datenbank erheblich und lag bei Datenbank A deutlich unter derjenigen von Datenbank B. Dies belegt, dass die Nutzung elektronischer Entscheidungssysteme alleine zu deutlich abweichenden Ergebnissen führen kann, während die interdisziplinäre Kooperation mit direkter Beteiligung eines klinischen Pharmazeuten tatsächlich unerwünschte Ereignisse auf Patientenebene verhindert. Ein besonderer Aspekt ist dabei, dass die persönliche Beratung dazu beitragen kann, den Fokus unter Beachtung individueller Faktoren auf die relevanten Angaben zu lenken, während die vielen (auch klinisch irrelevanten) Angaben häufig zu einer Nichtbeach-

tung von Warnhinweisen in elektronischen Informationssystemen führen (Over-alerting).

Limitationen !

Aus dem ausgebliebenen Effekt auf die Medikamentenadhärenz und das Patientenwissen in dieser Pilotierung kann nicht auf den grundsätzlich fehlenden Nutzen der hier untersuchten Interventionsstrategien geschlossen werden. Vielmehr war die einmalige Beratung offensichtlich zu kurz, um bei langjährig therapierten Patienten die Medikamentenadhärenz zu verändern. Da außerdem klinische Psychologen bereits in das Behandlungsteam integriert waren, konnte durch die nur einmalige zusätzliche Beratung des Patienten kein zusätzlicher Effekt auf die Medikamentenadhärenz erwartet werden. Allerdings lässt auch der ausgebliebene Effekt durch das pharmazeutische Medikationsmanagement vermuten, dass hier allenfalls langfristige Effekte zu erwarten sind und wahrscheinlich die Fachdisziplin des professionellen Gesprächspartners eine weniger wichtige Rolle zu spielen scheint. Durch die Limitierung der Fallzahl einer Pilotstudie ist es nur eingeschränkt möglich, hieraus abschließende Schlussfolgerungen zu ziehen. Diese Studie schloss ausschließlich depressive Patienten ausgehend von der stationären Versorgung mit in der Regel langer Krankheitsanamnese ein. Der Einfluss auf die Medikamentenadhärenz anderer Patientengruppen vor allem im ambulanten Bereich kann davon abweichen.

Ausblick !

Die im Rahmen dieser Pilotstudie ermittelten Effekte im Sinne eines explorativen Ansatzes müssen nun anhand von ausreichend hohen Fallzahlen konfirmatorisch untersucht werden. Dabei wäre es möglich, dass durch höhere Fallzahlen und längere Beobachtungszeiträume neben den gezeigten positiven Effekten auf die Häufigkeit von Arzneimittelwechselwirkungen auch die Medikamentenadhärenz und das Patientenwissen optimiert werden könnten. Die hier gezeigte erfreulich gute Leitlinienkonformität bedarf einer Bestätigung in größeren Patientengruppen.

Konsequenzen für Klinik und Praxis

▶ Fachinformationen und Leitlinien werden in der Routineversorgung mit Antidepressiva prinzipiell gut berücksichtigt. ▶ Arzneimittelwechselwirkungen sind häufig und werden durch ein pharmazeutisches Medikationsmanagement gesenkt. ▶ Die Beurteilung von Arzneimittelwechselwirkungen ist erheblich von der eingesetzten Arzneimittelinformation abhängig. ▶ Eine einmalige zusätzliche psychologische oder pharmazeutische Beratung verbessert nicht das Patientenwissen über die antidepressive Medikation oder die Medikamentenadhärenz.

Danksagung Wir danken allen teilnehmenden Ärzten und Patienten für Ihre engagierte Unterstützung in diesem Projekt. Bertsche T et al. Ein interdisziplinäres Konzept … Psychiat Prax 2015; 42: 216–220

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Diskussion

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Interessenkonflikt !

Prof. Dr. Hubertus Himmerich erhielt Vortragshonorare von Servier, Lilly, Bristol-Myers Squibb und AstraZeneca. Die anderen Autoren geben an, dass kein Interessenkonflikt besteht.

Abstract

An Interdisciplinary Concept to Optimize Patient Safety – A Pilot Study !

Objective: Which effects has the interdisciplinary collaboration including pharmacists and psychologists in depressive patients? Methods: In a 3-arm (each N = 10) randomized pilot study, we compared SC (standard care by specialized physicians in a tertiary care center) with SC + pharmaceutical medication management and SC + psychological counselling in respect to the number of drug-drug interactions, guideline conformity, patient knowledge, and medication adherence (according to MARS). Results: The number of drug-drug interactions decreased by the MM up to 67 % (p < 0.05). Guideline conformity was fulfilled in all groups before and after intervention. Patient knowledge and medication adherence were not influenced by additional medication management or psychological counselling. Conclusion: In a greater patient group, these explorative results should now be verified.

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Bertsche T et al. Ein interdisziplinäres Konzept … Psychiat Prax 2015; 42: 216–220

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[An interdisciplinary concept to optimize patient safety--a pilot study].

Which effects has the interdisciplinary collaboration including pharmacists and psychologists in depressive patients?...
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