Leitthema Urologe 2015 · 54:504–509 DOI 10.1007/s00120-015-3775-6 Online publiziert: 14. April 2015 © Springer-Verlag Berlin Heidelberg 2015

C. Niedworok1 · C. Gratzke2 1 Klinik für Urologie und Kinderurologie, Universitätsklinikum Essen, Universität Duisburg-Essen 2 Klinik für Urologie, Universitätsklinikum München, Ludwig-Maximilian-Universität München

Alternativen   zur Zystektomie Die radikale Zystektomie in der Therapie des muskelinvasiven Harnblasenkarzinoms kann für viele Patienten aufgrund ihres fortgeschrittenen Alters oder multipler limitierender Komorbiditäten einen risikoreichen Eingriff darstellen. Zudem kann dem Patientenwunsch nach weniger invasiven Maßnahmen und einer verringerten Einschränkungen der Lebensqualität durch die Behandlung Rechnung getragen werden. Folgende Therapiekonzepte in der Behandlung des muskelinvasiven Harnblasenkarzinoms stehen derzeit zur Verfügung: „radikale“ transurethrale Resektion ± Chemotherapie, Blasenteilresektion, Radiotherapie ± Chemotherapie sowie multimodale Behandlungskonzepte. Das Harnblasenkarzinom als häufige Tumorerkrankung betraf nach Angaben des Robert-Koch-Instituts im Jahr 2014 15.491 Männer und Frauen in Deutschland, bei denen ein muskelinvasiver Befund diagnostiziert worden ist. Hinzu kommen noch einmal etwa 13.000 Erkrankte, bei denen die Diagnose eines nicht muskelinvasiven Befundes gesichert werden konnte. Die 5-Jahres-Überlebensrate bei Patienten mit einem muskelinvasiven Harnblasenkarzinom betrug im Jahr 2010 59% bei Männern und 50% bei Frauen [1]. In dieses Kollektiv gingen alle Patienten ein, die in diesem Zeitraum an einem muskelinvasiven Urothelkarzinom litten, also einschließlich derjenigen mit lymphatisch metastasiertem oder fernmetastasiertem Befund. Liegt keine lymphatische oder Fernmetastasierung vor und ist das

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lokale Tumorstadium 80% beschrieben [2, 3]. Bei der Entscheidung über die Behandlungsoptionen des Harnblasenkarzinoms sind das lokale Tumorstadium, der Status der lokoregionären Lymphknoten und das etwaige Vorhandensein von Fernmetastasen von entscheidender Bedeutung. Liegt ein fernmetastasierter Befund vor, so sinkt das Langzeitüberleben auf 10% bei einer medianen Überlebenszeit von etwa 14 Monaten. Aber auch „weiche“ Kriterien, wie der explizite Patientenwunsch, das Alter und die Komorbiditäten des Patienten sowie die Vermeidung von operationsbedingten Einschränkungen der Lebensqualität, wie sie durch das etwaige Anlegen einer inkontinenten Harnableitung oder durch eine erektile Dysfunktion nach radikaler Zystoprostatektomie hervorgerufen werden können, sollten bei der Wahl der Therapieoption Berücksichtigung finden.

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Liegt ein fernmetastasierter Befund vor, so sinkt das Langzeitüberleben auf 10% Die radikale Zystektomie ist das etablierte therapeutische Verfahren der Wahl in der Behandlung des muskelinvasiven Harnblasenkarzinoms. Verglichen mit Studien aus den 1970er Jahren, in denen die Mortalitätsrate der Zystektomie bei 10–20% lag, zeigen aktuelle Studien eine Verbesserung der perioperativen Mortalität und Morbidität auf 50 ml/min 30 mg/m2 KOF Cisplatin wöchentlich verabreicht. Bei Patienten mit eingeschränkter Nierenfunktion wurde Carboplatin verabreicht. Die initiale Bestrahlung erfolgte als 3-D-konformale Radiatio mit anschließender BoostBestrahlung des Tumorbettes in intensitätsmodulierter IMRT-Technik. Die verabreichte Strahlendosis des Tumorbettes

der Blase betrug im Schnitt 59,4 Gy und die verabreichte Dosis für das Gesamtorgan im Schnitt 40,0 Gy. Das karzinomspezifische Überleben betrug in einem 2-Jahres-Nachsorgeintervall 77,3% bei einem Anteil von 64,2% der Patienten, denen die Blasenfunktion erhalten werden konnte [26]. Die größte Serie einer multimodalen Therapie wurde kürzlich veröffentlicht [27]. Die gepoolte Analyse verschiedener prospektiver Studien der Radiation Therapy Oncology Grouop (RTOG) zeigte bei 468 Patienten ein vollständiges Ansprechen bei 69% der Patienten. Die 5und 10-Jahres-Gesamtüberlebensrate betrugen dabei 57% und 36%, die tumorspezifischen Überlebensraten 71% und 65% [27]. Der Erfolg der trimodalen Therapie ist abhängig von dem Vorhandensein der folgenden Prognoseparameter: kein organüberschreitendes lokales Tumorwachstum (T1/T2) mit kleinem Primarius (≤0,5 cm), Resektionsmaterial ist frei von begleitendem Carcinoma in situ, es ist nicht zu einer tumorbedingten Harntransportstörung gekommen und lymphovaskuläre und vaskuläre Infiltration liegen nicht vor [24, 25, 26, 27, 28]. Der Erfolg des trimodalen Behandlungskonzeptes kann eingeschränkt werden durch lokoregionäre Rezidive, die oft intra- oder perivesikal in dem Bereich der blasenerhaltenden Tumorresektion auftreten, sowie durch die Tatsache, dass im Rahmen der organerhaltenden Tumorresektion in einer Vielzahl der Fälle von einer Lymphadenektomie abgesehen wird. Zu bedenken bleibt, dass bei dem Auftreten eines Rezidivs eine Salvage-Zystektomie durchgeführt werden sollte, die – je nach Studie – in bis zu 50% der Fälle nötig wird und mit einer erhöhten perioperativen Morbidität einhergeht [28].

Fazit für die Praxis F Die radikale Zystektomie ist die akzeptierte Behandlung des muskelinvasiven Harnblasenkarzinoms. F Alternativen zur radikalen Zystektomie können einem selektierten Patientenkollektiv angeboten werden. Die Alternativen bestehen in einer möglichst vollständigen transurethralen Resektion des Lokalbefunds oder einer organerhaltenden Blasentumor-

resektion. Eine anschließende Radiochemotherapie verbessert das uroonkologische Langzeitergebnis. F Die Alternativmethoden zur Zystektomie erfordern eine gute Patienteninformation und engmaschige postinterventionelle Nachsorgeintervalle. F Patienten, bei denen ein lokales Rezidiv des Harnblasenkarzinoms nach organerhaltendem Vorgehen diagnostiziert wird, sollten einer SalvageZystektomie unterzogen werden.

Korrespondenzadresse Dr. C. Niedworok Klinik für Urologie und Kinderurologie, Universitätsklinikum Essen, Universität Duisburg-Essen Hufelandstr. 55, 45122 Essen christian.niedworok@ uk-essen.de

Einhaltung ethischer Richtlinien Interessenkonflikt.  C. Niedworok und C. Gratzke geben an, dass kein Interessenkonflikt besteht. Dieser Beitrag beinhaltet keine Studien an Menschen oder Tieren.

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[Alternatives to cystectomy].

In many cases radical cystectomy is not feasible in patients suffering from muscle-invasive bladder cancer due to advanced age of the patient or limit...
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