Leitthema Hautarzt 2013 · 64:806–809 DOI 10.1007/s00105-013-2576-3 Online publiziert: 2. November 2013 © Springer-Verlag Berlin Heidelberg 2013

V. von Felbert · H.F. Merk Univ.-Hautklinik Aachen, RWTH Aachen

Alopecia areata Das Krankheitsbild der Alopecia areata ist seit über 2000 Jahren bekannt. Als Erstbeschreiber gilt Cornelius Celsus (ca. 30 v. Chr.). Der Begriff der Alopecia areata geht auf Sauvages zurück, der ihn erstmals in den 1760 veröffentlichten Nosologia Medica verwendete [19]. Die Alopecia areata ist heute eine der häufigsten Autoimmunerkrankungen. Allein in den USA sind etwa 5 Mio. Menschen betroffen [5, 9]. Die Prävalenz ist abhängig von ethnischen Einflüssen und wird auf 0,1–0,2% weltweit geschätzt; 1,7% aller Menschen können im Laufe ihres Lebens von dieser Erkrankung betroffen sein [9]; 0,7–3,0% aller Patienten, die einen Dermatologen aufsuchen, leiden an einer Alopecia areata [9]. Die Alopecia areata (AA) manifestiert sich erstmalig bei vergleichsweise jungen Patienten: 44% sind jünger als 20, 66% jünger als 30 Jahre und nur 30% älter als 40. Die meisten Patienten sind zwischen 15 und 29 Jahre alt [9, 5]. Das Risiko, weitere Autoimmunerkrankungen zu entwickeln, ist um 16% erhöht. Dazu zählen Autoimmunerkrankungen wie Schilddrüsenerkrankungen (8–28%), Vitiligo (4–9%) und Lupus erythematodes (4,3%), rheumatoide Arthritis (3,9%), Morbus Crohn (6,3%) und Typ-I-Diabetes (11,1%; [5, 8]). Ein weiterer Risikofaktor für AA ist die Atopie. So fand sich in einer Gruppe von 2613 AA-Patienten bei 39% eine atopische Diathese [3]. Auch wird ein gleichzeitiges atopisches Ekzem als prognostisch ungünstiger Faktor angesehen [4]. Die AA ist für die betroffenen Patienten mit einer erheblichen psychischen Belastung assoziiert, so werden Depressionen bei 25,5% aller Patienten beobachtet [8].

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Klinik Klinisch manifestiert sich die AA durch den plötzlichen Haarausfall in umschriebenen kreisrunden Arealen normaler Haut. Dieser Haarausfall muss nicht auf den behaarten Kopf beschränkt bleiben, sondern kann auch andere Areale einschließlich Wimpern und Augenbrauen erfassen. Die AA ist Folge einer Entzündungsreaktion, die nicht mit einer Narbenbildung einhergeht. Unter den bei der AA auftretenden „Ausrufezeichenhaaren“ versteht man im Randbereich der Läsionen auffallende Haare, die sich wegen der gestörten Keratinisierung nach unten hin verjüngen. Weiße Haare werden meist von der Krankheitsaktivität ausgespart. Die AA kann sich zu einer AA totalis mit völligem oder fast völligem Verlust der Kopfbehaarung ausweiten. Bei der AA universalis kommt es zusätzlich zum Verlust der Körperbehaarung. Begleitend können Nagelveränderungen auftreten (Tüpfelnägel, Querrillen und Aufrauungen der Nagelplatte). Differenzialdiagnostisch sollten vor allem eine Trichotillomanie, eine Alopecia syphilitica, ein Lupus erythematodes, eine Mykose oder eine postfebrile Alopezie ausgeschlossen werden. Gelegentlich ist bei chronischen Herden auch eine Abklärung vernarbender Formen der Alopezie sinnvoll.

Pathophysiologie Das Konzept einer Autoimmunpathogenese der AA ist in den letzten Jahren wesentlich durch Tiermodelle, vor allem die C3H/HeJ-Maus und die „Dundee experimental bald rat“ (DEBR) sowie Genomassoziationsstudien validiert worden [17, 20]. Ein wesentlicher Aspekt ist der Verlust des „immunologischen Privilegs“ des Haarfollikels im Bereich der AA. Im ge-

sunden Haarfollikel wird die Expression von Oberflächenmolekülen unterdrückt, die für die Autoantigenpräsentation notwendig sind. Dazu zählen MHC-Klasse-Iund -Klasse-II- sowie ICAM-1-Oberflächenmoleküle [5]. In den AA-Herden werden diese Moleküle dagegen exprimiert. Damit sind Wechselwirkungen mit immunkompetenten Zellen wie CD-8positiven T-Zellen möglich [5]. Melanozyten und Melanogenese-assoziierte Proteine gelten als potenzielle Autoantigene [6]. Diese Hypothese wird auch dadurch gestützt, dass vor allem die Pigment-produzierenden Haarfollikel im Stadium III– VI der Anagenphase betroffen sind [5]. Schließlich bestehen Hinweise, dass auch das Pigmentepithel der Retina mit betroffen sein kann [22]. Allerdings sind die Melanozyten im AA-Herd nur in begrenztem Umfang betroffen, und es finden sich auch keine Alterationen an Melanozyten außerhalb der Läsionen. Zudem können auch weißhaarige Mäuse eine AA entwickeln, sodass offensichtlich ein komplexerer Zusammenhang besteht [2]. In einem neuen transgenen Mausmodell verfügen C57BL/6J-Mäuse über CD8+-Zellen mit einem definierten TZell-Rezeptor. Diese Lymphozyten entwickeln eine hohe Spezifität für Haarfollikel. Dadurch entsteht schon früh ein erheblicher Haarausfall, der in eine AA universalis mündet [2]. Die Erkrankung kann durch diese T-Lymphozyten übertragen werden und ist MHC-Klasse-I-abhängig. Die pathologischen T-Lymphozyten exprimieren neben IFN-γ in der frühen Phase auch IL-17, danach verstärkt IL-4 und IL-10 [2]. Vielleicht wird es die Kenntnis des reaktiven T-Zell-Rezeptors in diesem Modell erlauben, die zur Autoimmunreaktion führende antigene Struktur zu charakterisieren. Der Bezug zu IL17 produzierenden T-Lymphozyten ist

Abb. 1 8 Patientin mit Alopecia areata totalis. a Ansprechen zu Beginn, b während und c nach der Diphenylcyclopropenon-Therapie

Abb. 2 8 Patientin mit Alopecia areata diffusa a vor und b nach der Therapie mit Diphenylcyclopropenon

Abb. 3 8 Patientin mit Alopecia areata diffusa a vor und b nach der Therapie mit Diphenylcyclopropenon

wiederum sowohl unter dem Aspekt einer Autoimmunreaktion wie auch möglicher neuer therapeutischer Targets interessant [25]. Interessanterweise wurde kürzlich bei Koreanern eine Assoziation zwischen dem IL17A/IL17RA-Gen-Polymorphismus und der AA gefunden [11]. D Die Alopecia areata tritt in 10–25%

der Fälle familiär gehäuft auf.

Dabei scheint es sich um eine polygene Vererbung zu handeln. Es wurde aber auch eine Konkordanz bei eineiigen Zwillingen beobachtet [4]. Das familiäre Vorkommen ermöglichte bislang 2 genomweite Assoziationsstudien („genomewide association studies“, GMAS) mit jeweils unterschiedlicher Methodik [12, 18]. Auch diese Untersuchungen unterstützen die Annahme einer Autoimmunpathoge-

nese der AA, weil verschiedene betroffene Genloci auch bei anderen Autoimmunerkrankungen gefunden wurden (u. a. bei rheumatoider Arthritis, Typ-I-Diabetes, Morbus Crohn, Lupus erythematodes, multipler Sklerose, Psoriasis; s. [17, 18]). Auch Assoziationen mit bestimmten HLA-Genotypen bestätigten frühere Beobachtungen einer HLA-Assoziation [9]. Darüber hinaus wurden auch assoziierte Genloci für typische Strukturen des Haarfollikels gefunden. Dazu zählt STX17 (Chr. 9q31.1). Die STX-Gene bilden Syntaxine, deren Funktion aber bislang nicht näher bekannt ist. Es wurde aber eine Bedeutung von STX17 für die Entstehung von grauen Haaren bei Pferden gesehen, was möglicherweise einen Hinweis auf die Beziehung zur Depigmentierung bei AA bietet [9]. Als erste genauer untersuchte Zielstruktur für mögliche neue Therapieoptionen erwies sich das zytotoxische T-Lymphozyten-assoziierte Antigen 4 (CTLA4; [10, 17]). Seine normale Funktion ist die Inhibition der T-Zell-Aktivierung, da es die Bindung von CD28 (TLymphozyten) an CD80/86 (Antigen-präsentierende Zelle) verhindert. Durch Bindung von CTLA4 an ein humanes IgG1 entsteht ein lösliches Fusionsprotein, das Abatacept, das an CD80/86 bindet und bereits zur Therapie der rheumatoiden Arthritis Verwendung findet [14]. Nach Voruntersuchungen an den bereits erwähnten C3H/HeJ-Mäusen wird seit August 2013 eine klinische Studie zur Erprobung von Abatacept bei moderater bis schwerer Alopecia areata durchgeführt ([21]; Clinical Trials.gov; http://clinicaltrials.gov/ ct2/show/NCT01917058?term=Alopecia+areata&rank=10).

Therapie Die Ausprägung der Krankheitsaktivität ist meist wegweisend für die Langzeitergebnisse. Leichte Formen der AA können spontan abheilen. Die Häufigkeit von Spontanremissionen wurde von verschiedenen Autoren mit 34–80% innerhalb von einem Jahr angegeben [13]. Daher sollte bei leichteren Formen diskutiert werden, ob man auf eine therapeutische Intervention verzichtet. In Abhängigkeit vom Schweregrad der AA sollten verschiedene Der Hautarzt 11 · 2013 

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Zusammenfassung · Abstract Therapiealternativen mit ihren möglichen Nebenwirkungen und in der Literatur beschriebenen Abheilungsraten mit dem Patienten erörtert werden. D Das Rezidivrisiko ist hoch.

In einer Langzeitbeobachtung wurden Patienten, die zwischen 1983 und 1990 in einer Universitätshautklinik behandelt wurden, nach ihrer Selbsteinschätzung zur Beschwerdefreiheit der AA befragt. Zum Zeitpunkt der Erhebung im Jahr 2005 gaben 68% der initial leicht betroffenen Patienten (

[Alopecia areata].

The epidemiology of alopecia areata as well as murine models of this disease and genome-wide association studies support the concept of alopecia areat...
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