-N tur w ssenschaften

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n der Hannoverschen Allgemeinen Zeitung vom 18.2.1987 findet sich auf Seite 5 folgende Notiz:

Computer mit Gehirn ? Die Europ~tische Gemeinschaft will einen Computer bauen, der in seiner Funktion dem menschlichen Gehirn entspricht. Die Kommission in Brtissel teilte mit, sie habe sechs fiihrende EGWissenschaftler gebeten, bis zum Mai ein Programm auszuarbeiten, das einen Computer in die Lage versetzt, zu lernen, zu sehen, Objekte wiederzuerkennen und Entscheidungen zu treffen. Das Projekt mit dem Namen ,,Brain" sei die direkte Antwort auf ein ~ihnlich angelegtes japanisches Programm. Ftir den Anfang sollen rund 40 Millionen DM ftir Brain zur Verfiigung gestellt werden, rtr

Algorithmen, Gehirne, Computer Was sie k6nnen und was nicht Teil I

G. Vollmer Seminar ftir Philosophie der Technischen Universit~it, W-3300 Braunschweig, FRG

Our concern for machines and for their abilities, though quite ancient, has increased with the outstanding achievements of modern computers. What, then, is typical of a machine? Is its output really limited by our input? For questions like these, an appropriate tool is the concept of algorithm. Algorithms are best characterized as mental tools ("Denkzeuge").

Naturwissenschaften 78,481 - 488 (1991)

© Springer-Verlag 1991

Uber diese Mitteilung kOnnen sowohl der Laie als auch der Fachmann nur den Kopf schtitteln, allerdings aus verschiedenen Griinden. Der Laie mag staunen, was diese Wissenschaftler sich jetzt wieder ausgedacht haben, sich vielleicht auch bang fragen, ob uns die Computer - trotz aller Miniaturisierung - nicht doch eines Tages ,,fiber den Kopf wachsen" werden. Sollen sie uns jetzt etwa auch noch unsere Entscheidungen abnehmen? Wollen wir denn nicht, dab in dem Wettlauf oder auch in der Zusammenarbeit zwischen Gehirn und Computer der Kopf die Fiihrung beh~ilt? Soil der Computer tats/ichlich Gehirn bekommen oder gar selbst eines sein? Der Fachmann wundert sich fiber etwas ganz anderes: Wer ist hier eigentlich so naiv - die Kommission in Briissel oder der Berichterstatter? Das menschliche Gehirn ist das komplizierteste System, das wir kennen, vielleicht das komplizierteste, das es tiberhaupt gibt, je gegeben hat und wohl auch geben wird. Gibt man da so eben mal sechs Wissenschaftlern den Auftrag, ein elektronisches Gehirn zu bauen? Es innerhalb eines Quartals zu entwerfen? Oder wenigstens ein entsprechendes Programm auszuarbeiten? Das Projekt, von dem hier die Rede ist, ist zweifellos der Plan der Japaner, Computer der ,,ftinften Generation" zu bauen 1. Solche Computer, die um die Jahrtausendwende realisiert sein k6nnten, werden den heutigen Hochleistungsrechnern (der ,,vierten Generation") wieder einiges voraushaben - Gehirne werden sie weder haben noch sein. Obwohl die ftinfte Generation noch gar nicht existiert, wird bereits die sechste ins Auge gefaBt. Wird wenigstens sie in ihrer Funktion dem menschlichen Gehirn entsprechen? Kann denn ein Computer, kann eine datenverarbeitende elektroni1 Uber die Computer der fOnften Generation berichten allgemeinverst/indlich Feigenbaum, E. A., McCorduck, P.: Die Ftinfte Computer-Generation. Kiinstliche Intelligenz und die Herausforderung Japans an die Welt. Basel: Birkh~tuser 1984 (engl. 1983). Eher fachlich orientiert ist Simons, G. L. : Die ftinfte Computer-Generation. Konzepte und Wege - Eine Einftihrung. Mtinchen-Wien: Hanser 1986 (engl. 1983). 481

sche Maschine es dem Gehirn jemals gleichtun? Oder ist etwa nur eine biochemische Maschine zu solchen Leistungen f~thig? Darf man das Gehirn iiberhaupt als Maschine ansehen, und ist es dadurch ausreichend charakterisiert? Was haben Gehirn und Computer gemeinsam, und was bedeutet es, wenn wir sie als Maschinen ansehen? Gibt es etwas, das sie grunds~itzlich

unterscheidet? Auch wenn wir diese Fragen nicht alle beantworten kOnnen, so wollen wir uns doch wenigstens mit ihnen besch~fftigen. Vermutlich schtitteln wir danach fiber die erw~thnte Zeitungsnotiz immer noch den Kopf aber vielleicht aus anderen GrOnden.

Die Idee vom kiinstlichen Menschen Die Idee vom kiinstlichen Menschen hat die Phantasie zu allen Zeiten beflOgelt2. Schon in der Ilias heil3t es, der erfindungsreiche Gott Hephaistos schmiede M~igde aus Gold und lasse sie far sich arbeiten. Viele Autorender Antike berichten fiber lebende (und liebende!) Statuen, wahrsagende Bilds~iulen und sprechende K6pfe. Auch in den Chroniken des Mittelalters und der friihen Neuzeit gibt es zahlreiche Hinweise auf Golems, Homunculi, Maschinenwesen und Androiden. Nicht immer lassen sich bei diesen ,,Berichten" primitiver Aberglaube, dichterische Phantasie und echte mechanische Kunstfertigkeit voneinander trennen. Das sollte sich jedoch ~indern. Das 18. Jahrhundert wird eine Glanzzeit der Mechaniker und bringt eine Vielzahl kunstvoller Automaten hervor. Vaucanson baut einen nahezu lebensgroBen ,,F1Otenspieler" und eine fressende und verdauende ,,Ente", Jaquet-Droz einen ,,Schreiber", von Kempelen einen ,,Schachtiirken" (der allerdings, wie Edgar Allan Poe in ,,Maelzels Schachspieler" mit kriminalistischem Scharfsinn nachweist, in Wahrheit einen Menschen verbirgt)3. Galten solche Automaten vorher eher als Teufelswerk, so entstehen sie nun vor dem Hintergrund eines vorwiegend mechanistischen Weltbildes. Schon der Philosoph Ren6 Descartes (1596- 1650) hatte alle Tiere und sogar den menschlichen K6rper zu Maschinen erkl~trt. 2 Eine vorztigliche Textsammlung bietet V61ker, K. (Hrsg.): Ktinstliche Menschen. Dichtungen und Dokumente tiber Golems, Homunculi, Androiden und liebende Statuen. Mtinchen: Hanser 1971. - Vgl. auch Swoboda, H.: Der kiinstliche Mensch. MOnchen: Heimeran 1967. - Cohen, J.: Golem und Roboter. l]ber ktinstliche Menschen. Frankfurt: Umschau 1968. - Lesenswert ist ferner Tietzel, M.: L'homme machine. Ktinstliche Menschen in Philosophie, Mechanik und Literatur, betrachtet aus der Sicht der Wissenschaftstheorie. Z. allg. Wissenschaftstheorie 15, 34 (1984). 3 Eine reichbebilderte und vollstandige Ubersicht gibt Heckmann, A.: Die andere SchOpfung. Geschichte der friihen Automaten in Wirklichkeit und Dichtung. Frankfurt: Umschau 1982. 482

Aber erst Julien Offray de Lamettrie (1709-1751) denkt diesen Gedanken zu Ende. In seinem Buch ,,L'homme machine" deutet er den gesamten Menschen einschliefllich seiner geistigen Fi~higkeiten als eine ~tul3erst komplizierte Maschine: ,,Der menschliche K6rper ist eine Uhr, allerdings eine erstaunliche"4. Zu Beginn des 19. Jahrhunderts befassen sich dann auch die Dichter wieder intensiv mit dem Problem des kOnstlichen Menschen. Jean Paul polemisiert in seinen Geschichten vom ,,Maschinenmann" gegen die Bereitschaft seiner Zeitgenossen, sich von Maschinen Arbeit, Wissen und Denken abnehmen zu lassen. In E.T.A. Hoffmanns ,,Automaten" und vor allem im ,,Sandmann" verf~illt ein Mann, der zwischen Mensch und Maschine nicht mehr unterscheiden kann, dem Wahnsinn. Von den vielen Zeugnissen aus jener Zeit ist vielleicht Mary Shelleys Roman ,,Frankenstein oder der moderne Prometheus" am bekanntesten, wenigstens durch die Hauptfigur, Frankensteins unglOckliches Monster. In dieser Zeit, in der technisches Geschick, dichterische Phantasie und philosophischer Hintergrund die Idee vom kiinstlichen Menschen befliigeln, wird auch die Frage aktuell, wozu Maschinen eigentlich fiihig sind oder doch sein k6nnten. Selbst wenn von Kempelens Schachspieler ,,getOrkt" war 5 - ist es nicht wenigstens vorstellbar, dab eine Maschine Schach spielt? Aber wiirde das nicht Intelligenz voraussetzen? K6nnen denn Maschinen intelligent sein, nachdenken, Probleme 16sen, Neues finden?

. D e r Computer tut nur das, was man ihm eingegeben hat." Eine der ersten ernsthaften Stellungnahmen zu diesem Problem verdanken wir Lady Lovelace, der Tochter von Lord Byron. Sie war befreundet mit dem Mathematiker Charles Babbage, dem ,,Grol3vater" des Computers 6. In einem sehr verst~tndnisvollen Kommentar zu der von Babbage entworfenen, aber nie fertiggestellten Rechenmaschine schreibt sie: 4 Lamettrie, J. O. de: Der Mensch eine Maschine (1747). Leipzig: Dtirr 1909, S. 58 (auch Ntirnberg: LSR-Verlag 1985, S. 83 f.). Nicht anders als Lamettrie ist Patrick Hayes zu verstehen, wenn er sagt: ..... and in a sense we may say that man is a machine - but whouw, what a machine!" [Zitiert in Bibel, W., Siekmann, J. H. (Hrsg.): Ktinstliche Intelligenz, S. 2. Berlin: Springer 1982 5 Der Ausdruck ,,einen Ttirken bauen" geht vermutlich auf diesen Schaustellertrick zurtick. Hierzu das Stichwort ,,Ttirke" in ROhrich, L. : Lexikon der sprichwOrtlichen Redensarten. Freiburg: Herder 1973 6 0 b e r Babbage berichten Morrison, P. and E.: The strange life of Charles Babbage. Sci. Am. 186, 66 (April 1952). - Hyman, A.: Charles Babbage, 1791- 1871. Philosoph, Mathematiker, Computerpionier. Stuttgart: Klett-Cotta 1987 (engl. 1982)

,,Die Analytical Engine erhebt keineswegs den Anspruch, etwas Neues hervorzubringen. Sie kann tun, was immer wir ihr aufzutragen wissen... Ihre Rolle liegt darin, uns das verfiigbar zu machen, was uns bereits bekannt ist ''7. Man kann diesen vielzitierten Ausspruch auf zweierlei Weisen deuten. Nach der einen Deutung stellt das VermOgen des Programmierers eine starre obere Grenze for die F~ihigkeiten der Maschine dar. Die Maschine kann dann eben nur das, was man ihr eingibt oder beibringt. Man kann der Bemerkung aber auch eine positive Wendung geben. Danach kann die Maschine n~imlich alles tun, wenn wir es ihr nur aufzutragen wissen. Diese eher optimistische Interpretation sieht das VermOgen der Maschine als eine dynamische GrOBe, die durch raffiniertes Programmieren weiter und weiter hinausgeschoben werden k6nnte. Der SchluB des Zitats zeigt, dab Lady Lovelace selbst nur die erste Deutung ins Auge gefaBt haben kann. Auch heute werden Computer meistens in dieser Rolle gesehen: Sie seien intellektuelle Sklaven, fleiBig, aber dumm, niitzliche Idioten, datenfressende Denkprothesen, eben ,,Maschinen". Ist diese Einschiitzung richtig? ,,Der Computer tut nur das, was man ibm eingegeben hat." In einem bestimmten Sinne ist das richtig. Natiirlich kann eine Maschine nur das leisten, was im Rahmen ihrer MOglichkeiten liegt. In diesem Sinne ist die Aussage aber tautologisch: Die Maschine kann nur, was sie kann. Das gilt trivialerweise for jedes System. Eine Uhr kann nichts weiter als die Zeit anzeigen. Das Auto dient der schnelleren Fortbewegung und dem Transport von Lasten und vermag sonst nichts. Das Flugzeug taugt zum Fliegen und zu sonst nichts. ,,Der Computer tut nur das, was man ihm eingegeben hat." Wenn das far jedes System gilt, dann gilt es auch for den Menschen. Auch das menschliche Gehirn kann immer nur im Rahmen seiner MOglichkeiten arbeiten. So tun auch wir, wozu unser Erbgut uns bef~ihigt und die Umwelteinfliisse uns zwingen. Weder hinsichtlich der Gene noch hinsichtlich der Umweltbedingungen gibt es eine MOglichkeit, aus der kausal geordneten Kette nattirlicher Ereignisfolgen auszubrechen. ,,Der Computer tut nur das, was man ihm eingegeben hat." Nun gut, dafiir wurde er schlieBlich entworfen und gebaut. Wollen wir etwa, dab er etwas anderes tut? Einen Computer, der gelegentlich nicht tut, was 7 Das Zitat von Lady Lovelace lautet im Original und vollstiindig: ,,The Analytical Engine has no pretensions whatever to originate anything. It can do whatever we know how to order it to perform. It can follow analysis; but it has no power o f anticipating any analytical relations or truths. Its province is to assist us in making available what we are already acquainted with." ("Observations on Mr. Babbage's Analytical Engine", 1842, zitiert nach Bowden, B. V. (ed.): Faster than thought, p. 398. London: Pitman 1953

man von ihm verlangt, kann niemand brauchen. Wliren wir doch recht ungehalten, wenn unser Schachcomputer eines Abends erkllirte, es t~tte ihm leid, er habe aber im Augenblick ,,Null Bock" auf Schach und werde den Abend lieber mit Kartenspielen verbringen. ,,Der Computer tut nur das, was man ihm eingegeben hat." Versteht man diese Behauptung dahingehend, dab der Computer h6chstens das kann, was auch der Programmierer kann, dann ist sie nicht mehr so trivial; denn nun kann sie wahr oder falsch sein. Aber dann ist sie eben falsch. Wer kann denn so genau und zuverllissig die Zeit anzeigen wie eine Uhr? Wer kann sich so schnell bewegen wie ein Auto? Und welcher Mensch konnte jemals fliegen, um es den Flugzeugen beizubringen? Beim Computer ist es nicht anders. Er rechnet schneller, genauer und zuverliissiger als jeder Mensch. Er speichert und verarbeitet Information schneller als sein eigener Konstrukteur. Er besiegt den Programmierer im Schach. In diesem Sinne ist Lady Lovelaces Formulierung sogar weitsichtig zu nennen. Sie sieht die Grenzen des Computers n~imlich nicht in dem, was man ihm eingeben, sondern in dem, was man ihm auftragen kann. Die Grenzen des Computers liegen also weniger in ihm selbst als in seinem Benutzer. ,,Der Computer tut nur, was man ihm auftragen kann." Ja schon; aber man kann ihm eben erstaunlich vieles auftragen (vgl. Tabelle 1).

Tabelle 1. Was Computer ailes k6nnen Einen Computer kann man heiBen, • schneller zu rechnen als jeder Mensch, • besser Dame, Schach oder Go zu spielen als man selbst, • besser Backgammon, Blitzschach zu spielen als jeder menschliche Spieler, • beim Pokerspiel zu bluffen, • logische Schli~sse zu ziehen, • Probleme zu lOsen, deren LOsung man selbst nicht kennt, • einen Satz zu beweisen, dessen Beweis noch niemand kennt, • aus Erfahrung zu lernen, • heuristische Verfahren anzuwenden, • in seine Strategie Zufallselemente einzubauen, • neue Begriffe zu entwickeln und neue Vermutungen aufzustellen, • sich selbst zu kontrollieren, zu korrigieren, zu reparieren, • sich selbst zu reproduzieren, • andere Programme auf Fehler zu iiberpriifen und zu korrigieren, • neue Programme zu entwerfen, • zusammenh~ingende Texte in eine andere Sprache zu tibersetzen, • in einem Dialog als Gespr~ichspartner aufzutreten, • anhand yon Symptomen Krankheiten zu erkennen, eine Behandlung vorzuschlagen und die Heilungsaussichten abzuschatzen, • Gedichte zu schreiben, zu komponieren oder graphische Kunstwerke zu schaffen, • kreativ zu sein.

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Alle diese Leistungen werden schon heute von geschickt programmierten Computern routinemaflig erbracht. Einige davon h~tte frtiher niemand einer Maschine zugetraut. Und doch ist manches, was einst als unmOglich gait, langst Wirklichkeit geworden. Schon das zeigt, daB Bekenntnisse tiber VermOgen und UnvermOgen von Computern nicht viel helfen. Unser intuitives Urteil tiber die Fahigkeiten yon Maschinen ist offenbar nicht sehr zuverl~issig. Ein weiterer Gesichtspunkt kommt hinzu. Sowohl die Leistungsfiihigkeit der Computer als auch die Flexibilit~it der Programme werden noch um GrOBenordnungen ansteigen. Deshalb sollte man sich htiten, die augenblicklichen Grenzen der ktinstlichen Intelligenz als endgtiltig oder auch nur als repr~isentativ zu betrachten. Ihr gegenwiirtiger Stand - mag man ihn nun als besch~imend niedrig oder als tiberw~iltigend hoch ansehen - ist jedenfalls kein geeigneter Maflstab, weder for das, was Computer im Prinzip kOnnen, noch auch ftir das, was intelligente Maschinen tatsachlich einmal leisten werden. Um hier zu einem begrtindeten Urteil zu kommen, sollte man sich weder auf die innere Uberzeugung noch auf aktuelle Leistungsgrenzen berufen. Was wir brauchen, sind handfeste Argumente.

dem leistungsf~ihigsten Computer - , das wird von jedermann sofort und bereitwillig zugegeben. Aber es gibt ja nicht nur schon jetzt viele verschiedene Maschinen, sondern es wird gewiB auch in Zukunft noch weitere und ganz neuartige Maschinen geben. Wer versichert, der Mensch sei keine Maschine, der verwendet einen allgemeinen Maschinenbegriff, der auch zukt~nftige Maschinen einschlieBt. Er muB also angeben k6nnen, welche Merkmale allen Maschinen gemeinsam sind und welche nicht. Bei dem Versuch, den Maschinenbegriff zu pr~izisieren, kOnnen wir durchaus von historischen Beispielen ausgehen. Dabei zeigt sich, dab dieser Begriff einem historischen Wandel unterworfen war und dabei eine stete Erweiterung erfahren hat (vgl. Tabelle 2). Das Wort ,Maschine' btirgert sich erst im 17. Jahrhundert bei uns ein; vorher ist nut von Automaten die Rede. Beide W6rter beziehen sich ausschlieBlich auf Gegenstlinde, die yon Menschen hergestellt werden, also auf Artefakte. Zun~ichst ist ,Maschine" ein militlirisches Fachwort und bezeichnet Kriegs- und Belagerungsmaschinen. Ober das franz6sische machine und das lateinische machina leitet es sich ab vom grieTabelle 2. Der Maschinenbegriff im Wandel der Zeiten

,,Der Computer ist doeh nut eine Masehine."

Zeit

Disziplin Prototyp

Altertum, Statik

Warum st6Bt der Vergleich zwischen Mensch und Maschine in der Regel auf Entrtistung oder sogar auf Ablehnung? Viele finden es entschieden unter ihrer Writde, sich mit Maschinen vergleichen zu lassen. Gemess e n am Menschen, ja selbst an den meisten Lebewesen, sei eine Maschine etwas Primitives; ihr fehle gerade das Wesentliche, das eigentlich Humane, das geistige Prinzip, der g6ttliche Funke, der freie Wille. Sie sei eben ,,bloB eine Maschine". Dabei wird als selbstverst~ndlich vorausgesetzt, dab man bereits wisse, was eine Maschine sei. Und dab man den Menschen hoffnungslos untersch~ttze, wenn man ihn als Maschine verstehe. K6nnte es nicht auch umgekehrt sein? Ist es nicht denkbar, dab jemand, der so urteilt, die Maschine unterschatzt? Liefert der Vergleich zwischen Mensch und Maschine vielleicht gar keine Abwertung des Menschen, sondern viel eher eine Aufwertung der Maschihe? Oder auch des Bildes, das sich viele yon Maschinen machen? Um solche Fragen zu beantworten, muB man sich offenbar klarmachen, was eine Maschine tiberhaupt ist. Dazu gentigt es nicht, spezielle Maschinen auszuw~ihlen und festzustellen, dab der Mensch doch keine Uhr, keine Dampfmaschine und kein Elektromotor ist. DaB der Mensch mit keiner speziellen gegenwArtig existierenden Maschine gleichzusetzen ist - auch nicht mit 484

Mittelalter 17./18. Jahrhundert

Hebel, [Flaschenzug I

Mechanik Getriebe, mit Pumpe, Hydraulik ~

Vergleiche

Kraftverwandlung Determinismus, Automatik, Selbst~ndigkeit

Descartes: Tiere sind Automaten Lamettrie: Der Mensch eine Maschine Laplace: Der Kosmos ein gewaltiges Uhrwerk

Rtickkopplung, Selbstregelung um 1850 Thermo- [Dampfmaschine] Energiedynamik umwandlung Gehirn als um 1900 Elektrik Elektromotor, elektrisches Telegraph Netzwerk ab 1950 Informa- [ Computer ] Das Gehirn Informaein Computer tionstionsverar,,Elektronentheorie, beitung, gehirn", KyberProgramnetik, mierbarkeit ,,Denkmaschine" Elektronik 21. Jahr- Biochemie Zelle Anpassung, hundert Reproduktion Ktinstliche Kreativitlit 22. Jahr- Neuro- Gehirn Intelligenz hundert wissenschaften

um 1800

Fliehkraftregler

Merkmal

chischen /zT/Xot~/ (mechan~) = Hilfsmittel/Werkzeug/Kriegsmaschine, ist also offenbar auch mit der Wortfamilie um ,,Mechanik" eng verwandt. Zun/ichst sind damit auch nur mechanische Vorrichtungen gemeint, also Ger/ate wie Flaschenzug, Getriebe, Schraubenpresse, Wasserpumpe und Wurfmaschine, deren Funktionieren auf den Gesetzen der Mechanik beruht. Wenn Descartes oder Leibniz alle Organismen und sogar den menschlichen KOrper als Automaten ansehen, dann denken sie dabei an Systeme, die nach mechanischen, insbesondere nach hydraulischen Gesetzen funktionieren8. So deutet Descartes die Nervenfasern, die vonder Zirbeldrtise - dem vermeintlichen Sitz der Seele - ausgehen, als Zugseile, tiber die dann Bewegungen auf andere Teile des Gehirns und weiter auf den gesamten KOrper 0bertragen werden. Sp~iter werden die Maschinen komplizierter, ohne jedoch den Bereich der Mechanik zu verlassen. Im 18. Jahrhundert vergleicht der bereits erw/ihnte Arzt und Philosoph Lamettrie den Menschen mit einer besonders komplizierten Uhr. Ftir ihn und seine Zeit ist der Prototyp der Maschine offenbar das Uhrwerk. Bei Laplace (1749- 1827) ist dann sogar die ganze Welt nur noch eine einzige gewaltige Maschine, in der alles automatisch abl/~uft, ein Zusammenspiel von Teilchen, die miteinander in Wechselwirkung stehen und sich nach den Gesetzen der Newtonschen Mechanik bewegen, restlos determiniert, so dab Vergangenheit und Zukunft im Prinzip - also wenigstens fur den Laplaceschen D/~m o n - sogar berechenbar und voraussagbar w/iren. Um 1800 erweitert sich die Idee der Maschine. Das Urbild eines selbstt/~tigen und sich selbst regelnden Systems ist jetzt die Dampfmaschine. Neben den mechanischen spielen darin die thermodynamischen Gesetze eine wichtige Rolle, insbesondere die S~tze vonder Erhaltung der Energie und von der Vermehrung der Entropie. Diese Gesetze gelten aber for alle, auch ftir die belebten Systeme. Schon jede Nervenzelle ist ein System, das sowohl Materie als auch Energie umsetzt. Der Stoffwechsel dient nicht mehr nut dem Material-, sondern zugleich dem Energietransport. Und natOrlich unterliegt auch das Gehirn als Ganzes dem Energiesatz. Auch hierbei bleibt die Entwicklung nicht stehen. Im 19. Jahrhundert rOcken elektrische, magnetische und elektromagnetische Erscheinungen ins Blickfeld. Es wird deutlich, dab Signale nicht nur tiber Bewegung, Schall und Licht tibermittelt werden kOnnen, sondern auch unsichtbar tiber elektrische Impulse und StrOme. Die elektrische Natur der Nervenreizleitung wird entdeckt. Nun sind Dynamo, Elektromotor, Schaltkreise 8 Den Maschinenbegriff des 17. und 18. Jahrhunderts erOrtert Baruzzi, A. : Mensch und Maschine. Das Denken sub specie machinae. Mt~nchen: Fink 1973. Zur Geschichte der Maschinen etwa Strandh, S.: Die Maschine. Freiburg: Herder 1980

und elektrische Netzwerke die Vergleichsmodelle for die ,,Maschine" Gehirn. Waren also ursprOnglich mechanische Bewegung und Kraftfibertragung allen Maschinen gemeinsam und fur den Maschinenbegriff entscheidend, so kommt nun ein allgemeinerer Aspekt zur Geltung: die Umwandlung von Energie. Energie tritt ja in vielen Formen auf - als Energie der Lage (potentielle) oder der Bewegung (kinetische Energie), als Spannungsenergie (z.B. einer Spiralfeder), als elektrische, magnetische oder Strahlungsenergie, als chemische Energie oder als W~irme. Maschinen dienen dann dazu, Energievorr/ite aus einer (weniger brauchbaren) in eine andere (erwOnschte) Form umzuwandeln. So setzt ein Elektromotor elektrische in mechanische Energie um, ein Generator umgekehrt mechanische in elektrische Energie. Bis ins 20. Jahrhundert war es also durchaus angemessen, Maschinen als selbsttgitige Energiewandler zu charakterisieren. Da nun beim Gehirn weder die mechanische Bewegung (wie beim Flaschenzug) noch der Materietransport (wie bei der Pumpe) noch auch die Energieumwandlung (wie beim Motor) im Vordergrund stehen, l~tBt sich dieser Maschinenbegriff nur gewaltsam auf das Gehirn tibertragen. Wollte man den Begriff ,Maschine' auf diesem Entwicklungsstand einfrieren, so w~tre tats/ichlich kaum zu verstehen, inwiefern das Gehirn eine Maschine sein sollte. Wenn also Descartes oder Lamettrie Tiere und Menschen als Automaten oder als Maschinen bezeichnen, dann mtissen sie noch einen anderen Aspekt im Auge haben. Um welchen Aspekt kOnnte es sich dabei handeln? Um diese Frage zu beantworten, machen wir uns zun~ichst einmal klar, dal3 der Maschinenbegriff auch im 20. Jahrhundert noch weitere Wandlungen erlebt hat. Bisher war im Zusammenhang mit Maschinen nur yon den physikalischen Zustandsformen Materie und Energie die Rede. Um die Mitte unseres Jahrhunderts wird jedoch deutlich, dab in allen Systemen - natOrlichen und kOnstlichen - eine dritte GrundgrOBe eine wichtige Rolle spielt: die Information. Information hat mit Form, mit Struktur, mit Musterbildung, mit Ordnung zu tun. Da es geordnete und ungeordnete Materie, strukturierte und unstrukturierte Energieformen gibt, ist der Informationsgehalt eines Systems von seinem Materie- oder Energiegehalt weitgehend unabhi~ngig. Zwar ist far die Ubertragung yon Information immer auch ein Energief~bertrag erforderlich. Diese Energie ist aber nur Mittel zum Zweck; fur die Charakterisierung der Information ist der energetische Aspekt nicht von Bedeutung. Mit dem Informationsaspekt kommen wir dem ,,Geheimnis" des Gehirns schon n/iher. Das Gehirn wird heute vornehmlich als ein nattirliches informationsverarbeitendes System mit wichtigen Kontroll- und Steuerungsfunktionen angesehen. Solchen Zwecken dienen 485

auch andere Systeme, insbesondere Artefakte. Das Paradebeispiel ffir ein solches System ist natiirlich der Computer. Nun gelten aber auch Computer als Maschinen: Wir sprechen yon Rechenmaschinen, von informationsverarbeitenden Maschinen und sogar von Denkmaschinen - ob letzteres mit Recht, soil hier offen bleiben. Wer also heute behauptet oder der Behauptung begegnet, das Gehirn sei eine Maschine, der stellt sich dabei als Vergleichsobjekt in der Regel eine elektronische Maschine vor. Tats~ichlich ist die F~ihigkeit der Informationsverarbeitung ein Aspekt, den beide Systeme, Gehirn und Computer, gemeinsam haben. DaB sie, um diese Aufgabe erffillen zu k6nnen, der Zufuhr von Materie und vor allem von Energie bedfirfen, spielt wieder keine wesentliche Rolle. Aber natfirlich ist das Gehirn weder eine mechanische noch eine thermodynamische noch auch eine elektronische Maschine, sondern - wenn iiberhaupt eine Maschine - eine biochemische. Es wird sicher noch einige Zeit vergehen, bis wir uns unter biochemischen Maschinen genug vorstellen k6nnen. Die bisher bekannten Mechanismen der Zellteilung, der Vererbung oder des Immunsystems geben uns aber bereits eine Forahnung v o n d e r Verwickeltheit der biochemischen Prozesse auf molekularer Ebene. Halten wir uns vor Augen, wie oft und wie sehr unsere Auffassung darfiber, was eine Maschine ist oder kann, sich in der Vergangenheit gewandelt hat! Bedenken wir vor allem, wieviel weiter und reicher unser Maschinenbegriff heute ist als vor 300, vor 100 oder auch noch vor 50 JahrenI Wir bekommen dann vielleicht eine Vorstellung davon, wie sehr wit auf diesem Gebiet auch in Zukunft noch umdenken mfissen. Vielleicht verh~ilt sich ja eine biochemische Maschine zu einer elektronischen etwa so wie der heutige Computer zur Pendeluhr? Wer weiB schon, wie kompliziert eine Maschine sein kann? Natfirlich ist uns allen klar, dab Computer und Gehirne ,,furchtbar kompliziert" sind. Wer aber auBer dem Computerspezialisten und dem Gehirnforscher kann diese Angaben pr~izisieren? Wer hat schon ein MaB far Komplexit~it? Wer k6nnte zeigen, inwiefern das Gehirn noch einmal wesentlich komplizierter ist als jedes existierende ,,Elektronengehirn"? Wer behauptet, das Gehirn sei eine Maschine, und zwar eine biochemische, der behauptet nicht, es sei ein Uhrwerk, eine Dampfmaschine, ein Elektromotor oder ein Computer; er behauptet nur, das Gehirn habe mit all diesen Maschinen etwas gemeinsam. Was aber sind die Merkmale, die allen Maschinen zukommen? Was ist das Typische, das ,,Maschinenhafte" an einer Maschine, an allen Maschinen? Es sind nicht die materiellen Bausteine, nicht die beteiligten Energieformen, auch nicht die Bewegung, der Stofftransport oder die Energiefibertragung. Es sind nicht einmal die speziel486

len Naturgesetze, die darin zur Anwendung kommen. Was allen Maschinen gemeinsam ist, kann nur ihre Arbeitsweise sein, nur die Tatsache, dab sie, ob sie nun Materie, Energie oder Information umsetzen, ihre Aufgabe in einem vorgegebenen Rahmen auftragsund programmgem~iB ausffihren. Wir kOnnen diese Arbeitsweise nicht anders und vor allem nicht besser charakterisieren als durch die Feststellung, dab Maschinen algorithmisch arbeiten. Maschinen sind Real# sierungen von Algorithmen. Das gilt ffir alle Maschinen, vom einfachen Hebel bis hin zum Bordcomputer einer Mondrakete. Wenn wir also das Gehirn als eine Maschine bezeichnen, dann sagen wir damit nichts fiber seinen Komplexit~itsgrad; wir behaupten nicht, es sei einfach oder gar primitiv. Wir sagen auch nichts fiber seine Bestandteile. Und wir legen in keiner Weise fest, ob es nach den Prinzipien der Mechanik, der Hydraulik, der Thermodynamik oder der Elektronik funktioniert. Wir sagen nicht mehr, als dab es algorithmisch arbeite. Dies und nur dies kann Descartes meinen, wenn er den menschlichen K6rper mit einem Automaten vergleicht. Auch Lamettrie weiB natfirlich, dab der Mensch keine Uhr ist. (Nach unserem heutigen Wissen fiber biologische Uhren und fiber Tages- und Jahresrhythmen mfiBten wir wohl zugeben, dab der Mensch, soweit er eine Uhr ist, die Zeit nur sehr ungenau miBt.) Das Maschinenhafte am Menschen sind auch fiir Lamettrie nicht Federn und Zahnr~ider, nicht Kraft- und Energiefibertragung, sondern die Aspekte des Gesetzlichen, des Programmierten, des Determinierten, des Algorithmischen. Wir haben nun mehrfach Algorithmen erw~thnt und von algorithmischer Arbeitsweise gesprochen. Was ist damit eigentlich gemeint?

Algorithmen sind Denkzeuge Um uns klarzumachen, was Algorithmen sind, erinnern wir uns zun~ichst an einige Beispiele. Es gibt verschiedene Arten, Zahlen darzustellen, etwa Strichfolgen (I, II, III...), Buchstaben (or,/3, 3/...) oder auch eigens daftir erfundene Zeichen (,,Ziffern", z.B. 1, 2, 3...). Besonders elegant ist die Darstellung in einem Stellenwertsystem, in dem der Wert einer Ziffer von ihrer Position im gesamten Ausdruck abh~ingt. Die verschiedenen Zahldarstellungen sind selbst schon erste Beispiele ffir Algorithmen. In dem von den Indern erfundenen und uns durch die Araber vermittelten Stellenwertsystem gibt es auch zweckm~iBige Algorithmen ffir Addition, Subtraktion, Multiplikation und Division. Eine Division zum Beispiel, die im r6mischen Zahlensystem das K/Snnen eines geschulten Spezialisten erforderte, l~iBt sich heute

dank der geschickteren Schreibweise und der Verftigbarkeit eleganter Rechenverfahren von einem Grundschtiler bew~iltigen. Ein Algorithmus nimmt einen Teil der Denkarbeit ab, er arbeitet for den Benutzer. Er ist eine Art Zauberlehrling, ein Heinzelm~innchen, ein ,,Denkzeug". Natiirlich gibt es noch viele weitere Algorithmen. Genannt seien die Teilbarkeitskriterien (z. B. ist eine Zahl genau dann durch 3 teilbar, wenn ihre Quersumme durch 3 teilbar ist), Siebverfahren zur Primzahlsuche (z.B. das ,,Sieb des Eratosthenes"), Methoden zum Aufl6sen von Gleichungen (z.B. einer quadratischen Gleichung durch quadratische Erg~tnzung) oder der Euklidische Algorithmus zum Auffinden des gr6Bten gemeinsamen Teilers zweier ganzer Zahlen. Einen eleganten Algorithmus zu finden, ist der Traum jedes Mathematikers. Nur des Mathematikers? Keineswegs! Es sind ja nicht nur Mathematiker, die Probleme zu 16sen haben. Denken miissen wir schlieBlich auch bei anderen Gelegenheiten. Und deshalb lassen wit uns auch dort gerne Denkarbeit abnehmen. So gibt es fiir manche Spiele Gewinnstrategien. Sie schreiben vor, wie man sich in bestimmten Spielsituationen verhalten soil, um das Spiel sicher zu gewinnen. Gewinnstrategien gibt es fiir bestimmte Endspielstellungen beim Schach: (KOnig und) Dame gegen KOnig, Turm gegen KOnig, zwei L~iufer gegen K6nig, L~iufer und Springer gegen K6nig usw. Auch beim Spiel ,,Wolf und Schafe" (auf einem Damebrett miissen vier weiBe Steine einen schwarzen bewegungsunf~ihig machen) und fiir das Nim-Spiel (von mehreren Haufen mit StreichhOlzern werden abwechselnd eines oder mehrere weggenommen) gibt es jeweils for einen der beiden Spieler eine Gewinnstrategie. Ob es sich also um ein mathematisches Problem handelt oder um eine Denksportaufgabe, ein Schachproblem, den Aufbau einer logischen Argumentation, um Buchfiihrung, die Auswertung einer Umfrage, die Entzifferung einer Geheimschrift, Geduldspiele, die 1]bersetzung eines Textes, die Anfertigung einer Bauzeichnung - iiberall ist eine Methode willkommen, die uns hilft, das Problem zu 16sen. Clberall wiinschen wir uns einen Zauberlehrling, der uns entlastet, ein Heinzelm~innchen, das die Arbeit for uns tut, eben einen Algorithmus. Je einfacher, schneller und zuverl~issiger der Algorithmus ist, desto besser. In diesem allgemeineren Sinne werden wir das Wort ,Algorithmus' von nun an verwenden. Etwas genauer definieren wir:

Ein Algorithmus ftir eine Problemklasse K ist ein allgemeines Verfahren, das zu jedem vorgelegten Problem aus K in endlich vielen, eindeutig festgelegten Schritten eine L6sung liefert falls es eine gibt.

Allgemeinheit, Endlichkeit und Eindeutigkeit sind also die Eigenschaften, die einen Algorithmus auszeichnen. Wir wollen sie einzeln studieren. Allgemeinheit: Ein Algorithmus muB allgemein sein in dem Sinne, dab er nicht nur for ein Einzelproblem, sondern for eine ganze Klasse von Problemen zust~indig ist. Er soil es uns ja gerade ersparen, fiir jedes neue Problem ein eigenes LOsungsverfahren zu ersinnen. Je gr/SBer die Reichweite eines Algorithmus, je umfangreicher also die zu einem Algorithmus geh6rende Problemklasse ist, desto wertvoller ist er. Am liebsten w~ire uns natiirlich ein Algorithmus, der alle Probleme zu l/Ssen gestattet, eine Art Weltformel, ein allm~ichtiger Zauberstab, der Stein der Weisen. Die Idee eines solchen universellen Algorithmus ist zweifellos faszinierend. Der gesuchte Algorithmus ist freilich nie gefunden worden" Jeder Algorithmus ist immer nur fiir eine bestimmte Problemklasse zust~indig. In der Definition des Algorithmus haben wir dies bereits beriicksichtigt. Freilich k~nnten wir - nun schon etwas bescheidener geworden - immer noch hoffen, dab sich doch alle Probleme algorithmisch 10sen lassen, wenn auch nicht alle mit demselben Verfahren. Wir waren ja durchaus zufrieden, wenn wir f~ir jede Klasse von Problemen einen eigenen Algorithmus h~itten, der fiir eben diese Probleme zust~indig ist. Aber auch das ist unm6glich. Logiker und Mathematiker haben bewiesen, dab bestimmte Probleme tiberhaupt nicht algorithmisch gel~st werden kOnnen. Solche UnmOglichkeitssdtze sind von groBer Tragweite far die Mathematik und ftir die grunds~ttzliche Frage, wozu Computer f~ihig bzw. nicht f~ihig sind. Dieser Frage werden wir noch nachgehen. Endlichkeit: Ein Algorithmus muB endlich sein in doppeltem Sinne: Erstens darf er nur aus endlich vielen Anweisungen aufgebaut sein; die Vorschriften far die Anwendung des Algorithmus mtissen also in einem endlichen Text niedergelegt sein. Zweitens aber - und das ist noch wichtiger - muB der Algorithmus nach endlich vielen Arbeitsschritten zu einem Ergebnis fiihren. Ein Verfahren, das unendlich viele Arbeitsg~inge erforderte, w~ire natiirlich unbrauchbar; da jeder Einzelschritt in der Durchftihrung eine gewisse Mindestzeit benOtigt, wtirde die L0sung erst nach unendlich langer Zeit gefunden, also nie. Wie groB die Zahl der Einzelschritte sein darf, ist allerdings nicht festgelegt. Sie kann beliebig hoch sein, wenn sie nur endlich bleibt. Nun kOnnen aber auch endlich viele Probleml6sungsschritte noch so viel Zeit in Anspruch nehmen, dab das Problem zwar im Prinzip algorithmisch gel6st werden kOnnte, aber aus Zeitgrtinden praktisch doch ungel/Jst bleibt. Deshalb sind wir an eleganten Algorithmen besonders interessiert. Kann ein Problem auf mehrerlei Arten gel0st werden, so bevorzugen wir nattirlich den elegantesten Algorithmus. 487

Die bei uns iiblichen Verfahren zum Addieren, Subtrahieren und Multiplizieren sind Algorithmen im strengen Sinne: Sie brechen nach endlich vielen Operationen ab. Bei der Division ist das nicht immer der Fall. Zwar ist 11:8 = 1,375, und wir sind fertig; aber bei 11:7 = 1,571428... ergibt sich ein periodischer Dezimalbruch, bei dem sich die Zifferngruppe hinter dem Komma laufend wiederholt. Unser Divisionsverfahren bricht also nicht immer ab, es ist eigentlich kein Algorithmus im strengen Sinne. Das Verfahren liefert jedoch den gesuchten Quotienten bis zu jeder verlangten Genauigkeit. Wenn man die gewiinschte Genauigkeit oder die Stellenzahl hinter dem Komma vorgibt, dann kann man das Divisionsverfahren im entsprechenden Stadium abbrechen, dann hat man einen echten Algorithmus. Das gilt insbesondere for die Division ,,mit Rest", bei der gar keine Stellen hinter dem Komma ermittelt werden. Eindeutigkeit (Determiniertheit): SchliefSlich muf5 bei einem algorithmischen Verfahren die Ausfiihrung jedes einzelnen Schrittes eindeutig festgelegt sein. Art und Reihenfolge der Schritte sind genau vorgeschrieben. Bei wiederholter Anwendung auf dasselbe Problem mul3 also auch immer dasselbe Ergebnis herauskommen. Fiir Zufallsentscheidungen oder far sch6pferische Phantasie ist dabei kein Platz. Zwar mag die Entdekkung eines Algorithmus Kreativit~it oder gar Genialit~it erfordern; seine Anwendung erfolgt dann doch rein mechanisch, ohne Bedarf an Geist oder Intuition. Diese Automatik hat ihre Licht- und ihre Schattenseiten.

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Ihr Vorteil liegt darin, dal3 die Durchftihrung des A1gorithmus keine besondere Einsicht mehr verlangt. Die schematischen Operationen bei der Anwendung des Algorithmus k6nnen gerade wegen ihrer Anspruchslosigkeit ebensogut einer Maschine anvertraut werden. Unser Problem wird dann also von einer Maschine gel6st! Dies macht Algorithmen gerade beim Einsatz yon Computern so wertvoll. Auf der anderen Seite ger~tt der Mathematiker bei der Suche nach Algorithmen, nach Probleml/Ssungsverfahren, in eine paradoxe Situation. Es sei der Traum jedes Mathematikers, so hatten wir betont, einen eleganten Algorithmus zu entwickeln. Die Entdeckung eines solchen Algorithmus ist tats~chlich eine sch/Spferische Leistung. Aber seine Anwendung verlangt tiberhaupt nichts Sch6pferisches mehr. Durch den Algorithmus sind ja alle Schritte eindeutig festgelegt. Far den forschenden Denker verliert das Problem dadurch seinen Reiz; es stellt keine intellektuelle Herausforderung mehr dar. So macht sich der Erfinder eines Algorithmus im Grunde selbst entbehrlich; gerade durch seine schOpferische Leistung entwertet er das Gebiet, auf dem er arbeitet. Unter diesem Aspekt wird man die erw~ihnte Entdeckung, dab nicht alle Probleme algorithmisch 16sbar sind, sogar begrtil3en. Sie gibt dem Mathematiker sozusagen eine Garantie daftir, dab er nicht sich selbst allm~hlich iiberfliissig macht.

(Teil II folgtim n~ichstenHeft.)

[Algorithms, brains, computers. What they know and what they do not. I].

Our concern for machines and for their abilities, though quite ancient, has increased with the outstanding achievements of modern computers. What, the...
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