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Kasuistik

Akinetischer Mutismus bei fulminanter multilokulärer Sinus- und Venenthrombose einschließlich der Vena Galeni Akinetic Mutism due to Fulminant Multilocular Cerebral Venous Thrombosis, Including the Vein of Galen Autoren

A. S. Winkel1, N. J. Diederich1, T. Boulanger2, R. Metz1

Institute

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Neurology, Centre Hospitalier de Luxembourg, Luxembourg Neuroradiology, Centre Hospitalier de Luxembourg, Luxembourg

Schlüsselwörter

Zusammenfassung

Abstract

"

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Die zerebrale Sinusthrombose kann eine vielfältige Symptomatik mit entsprechend schwieriger Diagnosestellung aufweisen. Es existieren nur wenige evidenzbasierte Daten bezüglich Therapie und Prognose, insbesondere bezüglich tiefer Hirnvenen. Bei der Thrombose der Vena Galeni wird eine schlechtere Prognose angenommen. Unser Fallbericht beschreibt die lokale kombinierte neurointerventionelle Therapie als individueller Heilversuch bei fulminantem Verlauf.

Cerebral venous thrombosis may present with multifaceted symptoms and therefore be difficult to diagnose. Only few evidence-based data exist with respect to therapy and prognosis, especially concerning the deep cerebral venous system. A thrombosis of the vein of Galen is deemed to have a poorer prognosis. Our case report describes the local combined neuro-interventional therapy as an individual attempt to cure a patient with a fulminant disease course.

Mit einer Inzidenz von 1/100 000 pro Jahr ist die aseptische Sinus-Venenthrombose eine seltene Erkrankung. Frauen sind fünfmal häufiger betroffen, bedingt durch die Einnahme oraler Kontrazeptiva [1] und das Auftreten im Puerperium. In der überwiegenden Anzahl der Fälle kommt es zu einer Thrombose des Sinus sagittalis superior oder des Sinus transversus (> 70 %), weniger des Sinus rectus (15 %). Viel seltener ist die Thrombose der Vena cerebri magna, auch Vena Galeni genannt (8 % aller Fälle) [2, 3]. Wir berichten von einem Fall mit fulminantem akinetischem Mutismus innerhalb von sechs Stunden bei Thrombose der Vena Galeni und erfolgreicher interventioneller Lokaltherapie.

die Patientin antwortete einsilbig und war apathisch, eine Eigenanamnese nur unzureichend möglich. Das Laborscreening ergab eine Erhöhung der D-Dimere auf 1,28 ug/ml (Norm < 0,5 ug/ml) sowie eine CRP-Erhöhung auf 34 mg/l (Norm < 5 mg/l). Die zerebrale MRT-Bildgebung (T 4, Stunde 4) zeigte in der T2*-Darstellung eine Thrombusausdehnung, die folgende Areale umfasste: rechter Sinus transversus zusammen mit dem Confluens sinuum, Sinus rectus, Vena Galeni und der angrenzende proximale Abschnitt der inneren Venae cerebri. Das kongestive Ödem war in den Basalganglien und den Thalami als deutlich erweiterte radiär abgehende Venen erkennbar " Abb. 1a, b). (● Eine intravenöse Heparin-Therapie wurde in therapeutischer Dosierung durchgeführt (T 4, Stunde 8). Die neurologische Nachuntersuchung ergab eine massive Verschlechterung mit Bewusstseinstrübung, vertikaler Blickparese, reaktiver Miosis und fazialer Apraxie. Die Patientin beantwortete keinerlei Fragen mehr, befolgte aber zum Teil noch einfache Aufforderungen. Es waren keine choreatiformen oder andersartig abnorme Bewegungen sichtbar. Es erfolgte zusätzlich eine Hirndrucktherapie mit Mannitol sowie Acetazolamid. In den diffusionsgewichteten Transversalaufnah-

● Vena Galeni ● Thrombektomie ● akinetischer Mutismus " "

Key words

● vein of Galen ● thrombectomy ● akinetic mutism " " "

Bibliografie DOI http://dx.doi.org/ 10.1055/s-0034-1398783 Fortschr Neurol Psychiatr 2015; 83: 44–48 © Georg Thieme Verlag KG Stuttgart · New York · ISSN 0720-4299 Korrespondenzadresse Anna Sophia Winkel Neurology Centre Hospitalier de Luxembourg 4, rue Ernest Barblé L-1210 Luxembourg [email protected]

Fallbeschreibung !

Verlauf vor der Intervention Eine 36-jährige Frau stellte sich in der Notaufnahme mit progredientem holozephalem Kopfschmerz sowie Übelkeit seit drei Tagen vor. Es waren keine Vorerkrankungen bekannt. Am Morgen des Aufnahmetags (T 4, Stunde 0) zeigte die Patientin kein neurologisches Defizit, vor allem weder Meningismus noch Stauungspapille. Auffällig war der psychopathologische Befund:

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Abb. 2 Diffusionsgewichtete Transversalaufnahme zwei Stunden nach Aufnahme: bilaterale Diffusionsstörung im Striatum (ADC frontal 870; ADC im Putamen beidseits 478; ADC im Thalamus beidseits: 563); der Befund ist atypisch für eine Sinus- u. Venenthrombose.

Abb. 3 Flair-MRT in Transversalebene am dritten Tag: Bestätigung des bithalamischen Befalls, obwohl die Patientin klinisch bereits deutlich gebessert war.

men zeigten sich zudem atypische Hyperintensitäten des Nc. caudatus und des Nc. lentiformis, wie sie eher bei arteriell be" Abb. 2). Das dingter Ischämie der Basalganglien vorkommen (● " Abb. 3) zeigte zwei Tage später durchgeführte Kontroll-MRT (● typisch angeordnete, thalamokapsuläre Hypodensitäten als Zeichen der Stauungsischämie vor allem rechts. Der neurologische Untersuchungsbefund zeigte nun eine fulminante Verschlechterung mit ausgeprägtem akinetischem Mutismus, zentraler bilateraler Fazialisparese und beidseits positivem Babinski-Zeichen. In Anbetracht dieser massiven, kritischen Verschlechterung des Zustandsbildes mit dem Risiko einer nicht möglichen Rückbil-

dung bei in diesem Falle nicht ausreichender Effektivität der Standardtherapie führten wir nach interdisziplinärer Diskussion und Einwilligung durch die Angehörigen eine ausdrücklich als individueller Heilversuch beschriebene lokale interventionelle Therapie durch. Bei der intubierten Patientin zeigte sich angiografisch eine Ausdehnung der phlebothrombotischen Okklusion: Zusätzlich zum rechten Sinus transversus und der Vena Galeni waren jetzt auch zuführende Venen wie der posteriore Anteil der Vena cerebri interna und die basale Vena Rosenthal betroffen, so dass eine venöse Stase rechtshemisphärisch trotz der bereits bestehenden in" Abb. 4 a, b). In Antravenösen Heparin-Therapie sichtbar war (● betracht dieser angiografischen Befunde sowie der progressiven Zustandsverschlechterung bei angewandter Standardtherapie entschieden wir uns, die Heparin-Therapie zugunsten der interventionellen kombinierten Lokaltherapie zu beenden.

Interventionelle kombinierte Lokaltherapie Es wurde folgendes mehrstufiges Verfahren angewandt. Es erfolgte eine Direktpunktion der Vena jugularis, da in der Notfallsituation (nächtlicher Einsatz am Wochenende) nur ein 100 cm langer Führungskatheter verfügbar war und somit nicht die risikoärmere Punktion der Vena femoralis gewählt werden konnte. Navigation bis hin zum thrombosierten rechten Sinus transversus und Setzen eines 6F-„Arrow“-Katheters (Außendurchmesser von 1,8 mm) mit frustran verlaufender Thromboaspiration. Dabei wurde der erforderliche Unterdruck durch eine 20-cm2-Ansaugspritze erzeugt. Diese war auf einen Aspirationskatheter aufgesetzt, der mittels des Führungskatheters bis zum Confluens sinuum vorgeschoben wurde. Es wurde ein „Marksman“-Mikrokatheter (distaler Außendurchmesser von 0,84 mm und Innendurchmesser von 0,7 mm) über den Führungskatheter zum Sinus rectus gebracht. Endovaskuläre, mechanische Thrombektomie und Extraktion des Thrombus mittels eines endovaskulären Hilfsmittels, im englischen Sprachgebrauch auch „clot retrieval“ genannt, der Markenbezeichnung „SolitaireTM FR Revascularization Device“ [4]. Dieses war ebenfalls über den Führungskatheter bis zum Sinus rectus vorgeschoben worden. Das extrahierte Thrombusmaterial wurde zur pathologischen Untersuchung asserviert (siehe unten). Der „Marksman“-Mikrokathether wurde 24 Stunden in situ belassen und die Thrombolyse in situ mit 100 000 U Urokinase pro Stunde über 16 Stunden durchgeführt. Nach Ablauf dieser Zeit nahmen wir erneut die Heparin-Therapie in therapeutischer Dosierung auf.

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Abb. 1 a MRT-T2*-Transversalbild: Ausdehnung der Thrombose dargestellt als Hypointensität im Sinus rectus, in der Vena Galeni und den zwei angrenzenden tiefen Venae cerebri. b MRT-T2*Transversalbild: kongestives Ödem: Die tiefen Venen stellen sich als radiäre, strichförmige Hypointensitäten dar.

Kasuistik

Abb. 4 a, b Venöse Phase der konventionellen Angiografie; Frontalaufnahme (rechte Hemisphäre links im Bild; zuführender Katheter links unten im Bild) und Sagittalaufnahme: Nichtdarstellung des rechten Sinus transversus, des Sinus rectus, der Vena Galeni und der benachbarten tiefen zerebralen Venen.

Verlauf nach der Intervention Anhand der CT-Kontrolle zeigte sich sofort ein verbesserter Blutfluss im Bereich des rechten Sinus transversus sowie des Sinus sigmoideus. Ein an Tag T2 erfolgtes MRT ergab eine gering ausgeprägte Thrombose mit bereits partieller Rekanalisation im Anfangsbereich der Vena Galeni. An Tag T5 war diese bei normalem " Abb. 5). An Phlebogramm überhaupt nicht mehr nachweisbar (● Tag T10 war in den Diffusionsaufnahmen des Kontroll-MRT eine diskrete Hyperintensität der weißen Substanz links parietal erkennbar. Nach Aufhebung der Sedation wurde die Patientin ohne neurologisches Defizit auf die Normalstation verlegt und die Antikoagulation auf oral umgestellt. Die Entlassung nach Hause erfolgte zehn Tage später. Bei der Wiedervorstellung an Tag T60 waren neurologische Untersuchung und Kontroll-MRTBildgebung ohne jeglichen pathologischen Befund. Die Patientin gab jedoch eine Amnesie für den Zeitpunkt des Geschehens an. Die mehrfach wiederholte Exploration der Patientin ergab schließlich die gleichzeitige Einnahme zweier unterschiedlicher Präparate zur oralen Kontrazeption, was die Patientin nicht begründen konnte. Die im Verlauf komplettierte Labordiagnostik zeigte eine Erhöhung des Faktors VIII (Von-Willebrand-Faktor) bei 230 % (Norm 50 – 200 %). ANCA, Anti-ß-Glykoprotein 1 (IgG) sowie Antikardiolipin-Antikörper verblieben negativ. Protein C und S sowie AntiThrombin III waren nicht erniedrigt. Auch weitere Thrombophilie-Faktoren wie Faktor-V-Leiden-Mutation, Faktor-II- sowie das Vorliegen der MTHFR-Mutationen C677 T und A1298C waren negativ. Die pathologische Untersuchung des 2,3 × 1 × 0,25 cm großen Thrombus zeigte Anteile neutrophiler Granulozyten sowie vereinzelt Makrophagen. Fibroblasten oder Anzeichen einer Neovaskularisation bzw. einer Malignität zeigten sich nicht.

Diskussion !

Diese Fallbeschreibung berichtet über den fulminanten Verlauf einer Sinusthrombose mit ausgeprägtem Befall der tiefen Hirnvenen, insbesondere der Vena Galeni. Das Krankheitsbild erschien lebensbedrohlich. Nach frustranem Einsatz richtliniengestützter Therapieverfahren war eine interventionelle lokale Therapie als

Abb. 5 Venöse Phase der 3D-MRA-VelocityAngiografie in Sagittalaufnahme zwei Tage nach erfolgter Neurointervention: normale Darstellung des Sinus rectus, der Vena Galeni und der benachbarten tiefen zerebralen Venen.

ausdrücklich individueller Heilungsversuch mit Thromboaspiration mittels Clot Retrieval Device und In-situ-Lyse erfolgreich. Die Diagnose einer Thrombose vorwiegend der tiefen Hirnvenen ist schwierig. Wie in unserem Fall auch kann das psychopathologische Erscheinungsbild trügerisch sein und die Diagnose verzögern. Bei Befall des Sinus sagittalis superior kann die kontrastmittelgestützte CT-Aufnahme das „Empty-Triangle“-Zeichen als Aussparung zeigen, zumeist führt aber erst die MRT-Bildgebung mit Darstellung des venösen Systems zur korrekten Diagnose [5]. Die Prognose der Thrombose der Vena Galeni ist aufgrund der geringen Fallzahlen wenig erforscht, wird aber als schlechter eingestuft als bei alleinigem Befall der oberflächlichen Sinus [6]. Dies ist insbesondere der Fall bei schlechter Kollateralisation oder bei bereits erfolgten bilateralen Läsionen der Thalami oder des Gyrus cinguli. Das therapeutische Vorgehen ist dabei ungeklärt. Die Thrombose des Sinus rectus kann durch fehlenden Abfluss der Vena Labbé zur Stauungsischämie in der Temporalregion führen. Dies ist bei unserer Patientin nicht aufgetreten. Wir gehen davon aus, dass dies durch die zeitlich ausreichend rasche Wiedereröffnung des Sinus rectus verhindert werden konnte. Das therapeutische Vorgehen ist ungeklärt. Evidenzbasierte Daten liegen nicht vor. Bei nur langsam einsetzender Symptomatik oder geringer Ausprägung wird man trotzdem die intravenöse Vollheparinisierung, wie in Richtlinien ausführlich beschrieben, wählen. Bei unserer Patientin war jedoch eine rasante weitere

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Verschlechterung bei gleichzeitig deutlicher venöser Kongestion der tiefen Hirnanteile sichtbar. Ein lebensbedrohlicher Verlauf musste angenommen werden. Leider gibt es für solche Fälle keine verlässlichen Richtlinien. Wir wählten das oben geschilderte mehrstufige lokale Vorgehen, wohl wissend, dass es sich dabei um einen individuellen Heilversuch handeln würde. Bisher ist nur vereinzelt über neurointerventionelle Verfahren im Sinusbereich berichtet worden [5, 7 – 12]. Kombinierte Verfahren kamen dabei selten zur Anwendung. In der rezenten Sammelkasuistik von Borhani Haghighi kamen verschiedene Verfahren, zumeist einzeln und zumeist im oberflächlichen Sinusbereich, nicht jedoch im tiefen venösen Bereich zum Einsatz. Die Thrombektomie wurde am häufigsten eingesetzt; kombinierte Verfahren dagegen in weniger als einem Fünftel der Fälle; die Mortalität war mit 16 % relativ hoch. Neueren Untersuchungen zufolge kann es zu Rekanalisationsraten von bis zu 85 % kommen [13]. Zusätzlich zur intraarteriellen Thrombolyse wurden beschrieben: mechanische Fragmentation des Thrombus, perkutane transluminale Angioplastie, Stent-Implantation sowie Thromboaspiration [5, 7 – 9, 14 – 17]. Dagegen zeigen einige wenige Studien an kleinen Patientenzahlen Erfolge bei lokaler Mikrokatheter-Lyse mit Boli von rtPA oder Urokinase und zusätzlicher kontinuierlicher simultaner Vollheparinisierung. Unseres Wissens nach wurde ein multimodales Verfahren, vergleichbar dem unsrigen, nur bei einer Patientin mit postpartal aufgetretener Sinus-rectus-Thrombose angewandt. Nach Thrombolyse in situ, versuchter lokaler Thrombusfraktionierung, versuchter Thromboaspiration und schließlich Extraktion des Thrombus („Clot Retrieval“) erfolgte in diesem Fall eine Restitutio ad integrum [11]. Die Ursache des erfolgreichen Ausgangs in unserem Falle ist aber letztlich ungeklärt: War es die Thromboaspiration (die aber anfänglich als nicht ausreichend angesehen wurde), die lokale hyperselektive Thrombektomie oder/und die In-situ-Lyse? Hätte dieser günstige Verlauf auch bei alleiniger Vollheparinisierung erfolgen können? Uns erschien letzteres, „abwartendes“ Verhalten aufgrund des sehr raschen Verlaufs als nicht angebracht. Wie ist neuroanatomisch das psychopathologische Erscheinungsbild mit zunehmender Apathie, dann fazialer Apraxie und vertikaler Blickparese, schließlich dem Vollbild des akinetischen Mutismus zu erklären? Die progrediente Bewusstseinsstörung unserer Patientin lässt sich auf eine Läsion des aszendierenden retikulären aktivierenden Systems (ARAS) der Formatio reticularis zurückführen, das auch für den Schlaf-Wach-Rhythmus verantwortlich ist. Den Neuronengruppen, die auf das ARAS wirken, wird eine Teilfunktion zur Aufrechterhaltung eines wachen Bewusstseins zugesprochen. Durch bilateralen Thalamusbefall lässt sich motorische Verlangsamung, schließlich Erstarrung erklären, da durch den Ausfall des Nucleus ventralis oralis Impulse vom Nucleus dentatus, Nucleus ruber sowie des Globus pallidus nicht mehr auf Neurone der motorischen und prämotorischen Rinde umgeschaltet werden können. Über eine Schädigung des Tractus mamillothalamicus (Verbindung des Corpus mamillare mit dem Nucleus anterior des Thalamus) kommt es zur Störung des limbischen Systems mit Beeinflussung des Antriebs- und Affektverhaltens. Somit wird ausgeprägte Apathie bis hin zum akinetischen Mutismus erklärbar [18]. Auch die retrospektiv geschilderte Amnesie wird erklärbar. Die vertikale Blickparese ist als Mittelhirnsyndrom erklärbar. Dabei liegt der Nucleus praestitialis an der Hinterwand des III. Ventrikels und dirigiert Blickbewegungen nach kranial, während der Nucleus commissurae posterior die Blickbewegungen nach kaudal koordiniert.

Akinetischer Mutismus ohne den hier beobachteten Verlauf und die Begleitsymptome wird vornehmlich als Frontalhirnstörung angesehen. Gemeinsam ist den nachfolgend genannten Ursachen ein reduzierter Glukosemetabolismus des frontalen und anterioren Cingulums. Metabolische Ursachen werden am häufigsten beobachtet: Hypo- oder Hyperglykämie, Urämie, hepatische Insuffizienz, endokrinologische Funktionsstörungen [19], Elektrolytentgleisungen, metabolische Alkalose und Azidose. Vereinzelt wurden kardiale Insuffizienz, anoxische Enzephalopathie und Intoxikationen mit Kohlenmonoxid, Alkohol, Amphetaminen, Kannabis [20] und Heroin inhalativ beobachtet [21]. Schließlich sind Fallberichte mit dem Immunsuppressivum Tacrolimus oder Lithium erwähnenswert [22]. Infolge einer akuten vaskulären Läsion sei die Okklusion der Arteria von Percheron (Abgangsmuster bei einseitiger Hypoplasie des P1-Segments wie bei fetalem Abgangstyp der Arteria cerebri posterior mit gemeinsamem Stamm der thalamoperforanten Arterien) mit paramedianer thalamischer Ischämie genannt [19 – 23]. Die genaue topografische Diagnose kann schwierig sein, ist aber bei adäquatem Einsatz der dafür zur Verfügung stehenden Methoden wie z. B. MRA, T2*-MRT (wie in unserem Fall), CT-Angiografie, transkranieller Ultraschall zumeist ausreichend sicherzustellen. Das Vollbild des akinetischen Mutismus mit fazialer Apraxie und vertikaler Blickparese ist ungewöhnlich, aber durch die Kongestion in den betroffenen Thalamus- und Mittelhirnarealen erklärbar. Das therapeutische Vorgehen kann bei fulminantem Verlauf sehr schwierig werden und in Einzelfällen wie dem hier geschilderten auch lokale kombinierte neurointerventionelle Therapien als individuellen Heilversuch umfassen.

Take Home Message Die zerebrale Sinusthrombose kann eine vielfältige Symptomatik mit entsprechend schwieriger Diagnosestellung aufweisen. Es existieren nur wenige evidenzbasierte Daten bezüglich Therapie und Prognose, insbesondere bezüglich tiefer Hirnvenen. Bei der Thrombose der Vena Galeni wird eine schlechtere Prognose angenommen. Der hier beschriebene Fall zeigt die lokale kombinierte neurointerventionelle Therapie als individuellen Heilversuch bei fulminantem Verlauf auf.

Interessenkonflikt: Die Autoren geben an, dass kein Interessenkonflikt besteht.

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