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Die Akutversorgung des Frtihgeborenen K. Riegel, Mfinchen Wenn man die anatomischen und funktienellen Voraussetzungen und unsere technischen MSglichkeiten betrachtet, sollten wir heute in der Lage sein, jedes nach der 26. Schwangerschaftswoche geborene Kind schadenfrei iiberleben zu lassen, Ohne Zweifel bedeutet Unreife grSBere Empfindlichkeit, Labilit~t und Vulnerabilit~it. Unabdingbare Voraussetzung ffir den Erfolg ist daher, dab alle Komplikationsm6glichkeiten auf ein Minimum reduziert werden, um so mehr, je unreifer ein Kind ist. Das beinhaltet: komplikationsarme Tragzeit bis zur Geburt, komplikationsarme Entbindung und dann sofort optimale Betreuung - d. h. alle derzeit verffigbaren vorbeugenden MaBnahmen mfissen ausgeschSpft werden. Wenn wir trotzdem groBen Wert darauf legen, dab die Geburt, wenn m6glich, bis zur 35. Woche hinausgeschoben wird, so liegt das daran, dab die postnatalen Komplikationsm6glichkeiten mit zunehmendem Gestationsalter abnehmen, d.h. Aufwand und Gefahren der risikoreichen Intensivpflege werden geringer. Bei Frfihgeburtsbestrebungen vor der 35. Woche sollte man der Schwangeren Medikamente zur Stimulation der fetalen Phospholipidproduktion in der Lunge verabreid~en, sofern es der Zustand yon Mutter und Kind zul~Bt. Die Prim~rversorgung Friihgeborener untersc_heidet sich nut im Detail v o n d e r ausgetragener Kinder. Wir halten uns an folgende Empfehlung: I. Bei Geburt des Kindes Uhr in Gang setzen (lassen). 2. Kind warm halten - in warmes Tuch oder Folie einschlagen. Friihgeborene und asphyktische Kinder kfihlen bekanntlich besonders rasch aus; dies erfolgt im wesentlichen in den ersten Minuten nach der Geburt. Da die Oberlebenschance direkt mit der Rektaltemperatur korreliert (Riegel u. Ahnen 1971), ist diese VorsichtsmaBnahme sehr wichtig. Wegen Unterkfihlungsgefahr dfirfen bei uns Risikoneugeborene im KreiBsaal weder gebadet noch gewogen werden. Die K~iltesch~iden kSnnen im iibrigen erst nach Tagen in Erscheinung treten. Nach der Erstversorgung gehSren die Kinder in einen Inkubator, dessen Temperatur auf die Bedingungen des Kindes eingesteUt ist (Oliver 1965). 3. Absaugen: Mund vor Nase. 4. Nach 30 sec zwei Alternativen: a) Kind atmet: O2 fiber offene Maske anbieten. b) Kind apnoisch: Maske dicht aufsetzen, O2-1nsufflation ffir 15 sec. Wit fiihren die Erstbelfiftung der Lunge, wenn irgend m6glich, mittels Maske dutch und verwenden dabei ein einfaches Gerfit (Riegel et al. 1974), mit dem man den Entfaltungsdrud( individuell variieren kann. Zun/ichst versucht man es mit dem MeinstmSglichen Druck (O2-Flow 2 I/rain; Steigrohr 20 cm Wassers~iule). Den

Akutversorgung des Fr/ihgeborenen

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Effekt prfift man auskultatorisch (Ansteigen der Herzfrequenz etc.) und visuell an der Thoraxexpansion und am Rosigwerden. 5. Nach 60 sec: APGAR sch~tzen. 6. Zwei Alternativen: a) Kind atmet, APGAR 4 - 7 : 0 2 mit oftener Maske bis APGAR 8, evtl. atemsynchrone O2-Insufflation. b} Kind apnoisch, APGAR unter 4, Puls unter 100/rain: 15 sec. Insufflation mit Steigrohr 30 cm wiederhcten, wenn ohne Effekt Herzmassage ~ca. 30X), dann zum drittenma115-sec-Insufflation mit Steigrohr 50 cm. Wenn ohne Effekt c} APGAR 2 min unter 4: Intubation und O2-Insufflation (mit Steigrohr 30 cm), Herzmassage im Wechsel mit rhythmischer Beatmung. Man darf nicht fiberrascht sein, wenn man bei Unreifen den Entfaltungsdrud( steigern muB his ein Effekt sichtbar wird. Dies hat anatomische Gr/inde (Barrels et al. 1972). Wenn wir ffir Ausgetragene einen Entfaltungsdruck yon 30 cm Wasser annehmen, dann benStigt man bei einem Fr/ihgeborenen der 28. Wod~e nach dem Laplace'schen Gesetz daffir 55 cm Wasser, einfach weil die Alveolen nur den halben Durchmesser haben. d} APGAR 4 min unter 4: Natriumbikarbonat (8,4~ {5%) I/I, ca. 6 ml/kg (Gewicht gesch~itzt) in etwa 3 min fiber Nabelvene (punktiert oder mit Katheter) infundieren, gefolgt von Glukose (5%). Parallel Beatmung, evtl. Herzmassage. Bei Bradykardie (Puls unter 50/min) Kalziumchlorid {10~ 1 ml und/ oder Alupent | 1 Teilstr./kg i.v. bzw. intrakardial. e) APGAR 15 min unter 6: Azidose wenn mSglich gezielt ausgleichen. (7. Lorfan| 1 Teilstr./kg i.v. nach Morphingaben.) Puffer soll man Frfihgehorenen nut hei stronger und dringlicher Indikation verabreichen. Der unvermeidliche, rasche Osmolarit~tsanstieg provoziert zerebrale Blutungen [Finberg 1967), die erst nach Tagen klinisch in Erscheinung treten kSnnen. Aus demselben Grund ben/itzen wir bei Frfihgeborenen ffir die Infusionstherapie w~ihrend der ersten 2 Tage nur isotone L6sungen. Einige Situationen verlangen besondere Mal~nahmen: A. Apnoisches K~nd nach Se~tio: Thorax vorsichtig manuell ausdr~cken, dann absaugen etc. (s. o.). B. Apnoisches Kind, Fruchtwasser mekoniumhaltig, blutig oder vielleicht infiziert: Sofort intubieren und langsam tiefertretend absaugen. C. Hautfarbe bleibt fahlblaB trotz belfifteter Lunge und normaler bzw. beschleunigter Herzaktion: Sofort (!) Humanplasma, Humanalbumin (5~ oder Frischblut (0 Rh-neg. vom n~chstbesten Spender), :15-20 ml/kg infundieren. D. Hydrops fetalis. Bereitstehen mfissen: Erythrozytenkonzentrat [0 Rh-neg.), Blutkonserve (0 Rh-neg. in AB-Plasma). Aderlal~ (bei Venendrud~ fiber 12 cm), Defizitaustausch, evtl. Aszitespunktion, maschinelle Beatmung etc. Blutungsschock bzw. Hypovol~nie werden bei Frfihgeborenen u. E. zu wenig beachtet. Bei den meisten Kindern mit idiopathischem Atemnotsyndrom ermittelten wir neben der mehr oder weniger gravierenden pulmonalen Insuffizienz eine verminderte O2-Transportkapazitat des Blutes (Riegel u. Versmold :1973) und eine merkliche Verbesserung der Gewebeoxygenierung nach Substitution der fehlenden H~moglobinmenge. Es ist daher wesentlich, Frfihgeborene nicht fiber Pla21"

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zentaniveau und nicht zu friih abzunabeln, wenn man dabei nicht mit anderen ReanimationsmaBnahmen in Verzug ger~t. Kinder, die vor der 30. Woche geboren werden, miissen in der Regel umgehend in eine Kinderklinik verlegt werden. Mit friiheinsetzender Prophylaxe des A1veolenkollapses (CPAP-Verfahren) kann man die Atemnot verhindern oder wenigstens abschw~chen. Kinder, die nach der 30. Woche geboren werden, sollten so bald wie mSglich, sp~testens dann, wenn Zeichen der Ateminsuffizienz erkennbar werden, in die Kinderklinik transportiert werden. Bis zur Verlegung und w~hrend des Transports muf) man sie selbstverst~ndlich bereits angemessen betreuen. Zusammenfassung: Frfihgeburt nach MSglichkeit his 35. Woche hinausschieben und, sofern dies nicht vertretbar, Atemnotsyndromprophylaxe betreiben. Friihgeborene um so schonender behandeln, je unreifer sie sind. Schonende Behandlung beinhaltet: Intubation nut bei dringender Indikation anwenden; mit Puffergaben zurfid~haltend sein, d. h. Hyperosmolarit~it vermeiden; Kinder warmhalten.

Literatur Bartels, H., Riegel, K., Wenner, J., Wulf, H.: Perinatale Atmung. Berlin - Heidelberg New York: Springer 1972 Finberg, L.: Dangers to infants caused by changes in osmolal concentration. Pediatrics 40, 1031--1034 (1967) Oliver, T. K.: Temperature regulation and heat production in the newborn. Pedlar. Clin. North Amer. 12:765-779 (1965) Riegel, K., Ahnen, U.: Eine objektive Beurteilung yon Risikoneugeborenen mit gestSrter cardiopulmonaler Adaptation. Mschr. Kinderheilk. 119, 73-77 (1971) Riegel, K., Linderkamp, O., Koch, J.: Die Erstbelfiftung der Lunge des verl~ngert apnoischen Neugeborenen mittels Maske. Dtsch. reed. Wschr. 99, 1024-1626 (1974) Riegel, K. P., Versmold, H.: Oxygen transport characteristics of blood, with special respect to the IRDS. Bull. Physio-path. resp. 9, 1533-1548 (1973)

Prof. Dr. K. Riegel Univer sitfit s-Kinderklinik D-8000 Mfinchen 2 Lindwurmstral~e 4 Bundesrepublik Deutschland

[Acute care of the premature infant].

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