Leitthema Med Klin Intensivmed Notfmed 2013 · 108:634–638 DOI 10.1007/s00063-013-0256-9 Eingegangen: 18. August 2013 Angenommen: 23. September 2013 Online publiziert: 24. Oktober 2013 © Springer-Verlag Berlin Heidelberg 2013 Redaktion

H. Messmann, Augsburg C. Trautwein, Aachen

Historische Grundlagen Der Zusammenhang zwischen intraabdominellem Druck (IAP) und pulmonaler Funktion wurde erstmals im Jahr 1863 durch Marey et al. aufgezeigt. Die formal 1. Beschreibung fand das Syndrom im Jahr 1873, als Wendt et al. durch transrektale Messungen des IAP feststellten, dass mit steigendem IAP die Urinproduktion abnimmt. Damit war erstmals ein Zusammenhang zwischen erhöhtem IAP und Organdysfunktion hergestellt. Oderbrecht et al. wiesen im Jahr 1875 durch Blasendruckmessung einen normalerweise positiven IAP nach. Heinricius zeigte im Jahr 1890, dass IAP-Werte zwischen 27 und 46 cmH20 regelmäßig letale Folgen hatten [29]. Im Jahr 1911 erkannte Haven Emerson die negativen Konsequenzen des ­intraabdominellen Hochdrucks (IAH) auf das kardiovaskuläre System. Er stellte in 3 Thesen fest, dass F die Kontraktion des Zwerchfells hauptsächlich für den Anstieg des IAP verantwortlich ist, F Narkose und Muskelrelaxation den IAP senken, F bei sehr hohem IAP im Tiermodell der Tod durch kardiales Pumpversagen und nicht durch Asphyxie eintritt [14]. Es dauerte jedoch bis in das späte 20. Jahrhundert bis Kron et al. [19] in einer Fallserie von 11 Patienten mit postoperativem IAH und Anurie die dekompressive ­L aparotomie als lebensrettende ­Maßnahme zur abdominellen Drucksenkung erkannten. Der Begriff „abdominelles Kompartmentsyndrom (ACS)“

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Das abdominelle Kompartmentsyndrom geht schließlich auf Robert Fietsam im Jahr 1989 zurück [15]. Seit ihrer Gründung im Jahr 2004 widmet sich die World ­Society for the Abdominal Compartment ­Syndrome (WSACS) der Förderung und Erforschung dieses Syndroms, mit dem Ziel, das Bewusstsein für diese Erkrankungsentität zu schärfen und die Letalität durch IAH und ACS zu senken.

Definition, Ätiologie und Klassifikation Die Abdominalhöhle kann als geschlossenes Kompartment mit sowohl rigider (Rippenbogen, Wirbelsäule, Becken) als auch beweglicher (Bauchdecke, Diaphragma) Wandbegrenzung aufgefasst werden. Die Elastizität der Bauchwand wie der Füllungszustand der Abdominalorgane (oder Abdominalhöhle im weitesten Sinne) bestimmen den Druck im abdominellen Kompartment, der bei kritisch Kranken normalerweise Werte von 5–7 mmHg nicht übersteigt.

Druckmessung Nach Definition der WSACS wird der IAP in mmHg angegeben. Seine ­Bestimmung erfolgt seriell mittels Blasendruckmessung endexpiratorisch in flacher ­Rückenlagerung (Referenznullpunkt: mittlere Axillarlinie) nach Instillation von 25 ml Natriumchlorid(NaCl)Lösung in die Blase (. Abb. 1). Die klinische Untersuchung durch Palpation oder die Umfangsmessung des Abdomens haben sich hingegen hinsichtlich der ­Beurteilung des IAP als äußerst inakkurat erwiesen [18, 22].

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Intraabdomineller Hochdruck Eine pathologische Erhöhung des IAP stellt ein Kontinuum dar, das von einem mäßigem IAP-Anstieg ohne nachteilige klinische Folgen bis hin zu erheblicher intraabdomineller Drucksteigerung mit tiefgreifenden Konsequenzen für nahezu alle Organsysteme reicht. Dabei ist ein IAH als konstant oder wiederholt gemessene IAP-Erhöhung ≥12 mmHg definiert. Der Schweregrad der IAH wird weiter wie folgt eingeteilt: F Grad I: IAP 12–15 mmHg, F Grad II: IAP 16–20 mmHg, F Grad III: IAP 21–25 mmHg, F Grad IV: IAP >25 mmHg. Darüber hinaus kann der IAH auch nach der Dauer der bestehenden Symptome eingeteilt werden. Der h ­ yperakute IAH entsteht innerhalb von Sekunden bis ­wenigen Minuten, z. B. beim Lachen, Husten oder Niesen. Diese Form ist für gewöhnlich ohne Krankheitswert. Der akute IAH entwickelt sich innerhalb von Stunden v. a. bei chirurgischen Patienten, z. B. nach Abdominaltrauma oder als Folge einer intraabdominellen Blutung. Der subakute IAH entsteht im Zeitraum weniger Tage und wird typischerweise beim internistischen Patienten als Folge von vorbestehenden Risikofaktoren (. Infobox 1) und aktuellem Auslöser gesehen. Die chronische Form des IAH entsteht langsam über Monate bis Jahre, z. B. durch Schwangerschaft, (maligne) Aszitesbildung oder morbider Adipositas.

Infobox 1  Risikofaktoren für intraabdominellen Hochdruck und abdominelles Kompartment­ syndrom F Azidose (pH5 l

kolloidale oder kristalloide Lösung/24 h)

F Ileus F Hämoperitoneum/Pneumoperitoneum F Schwere Verbrennung F Schweres Trauma F Hoher Body-Mass-Index (>30 kg/m2) F Intraabdominelle oder retroperitoneale Tumoren

F Bauchlagerung F Versorgung ausgedehnter Bauchwandhernien

F Akute Pankreatitis F Peritonealdialyse F „Damage control surgery“

Abdominelles Kompartmentsyndrom Für die Diagnosestellung eines abdominellen Kompartmentsyndroms ist neben der Höhe des gemessenen IAP insbesondere das neu aufgetretene Organversagen ausschlaggebend. Nach der WSACS ist das ACS als eine anhaltende Erhöhung des IAP >20 mmHg gemeinsam mit einer neu aufgetretenen Endorgandysfunktion definiert [20]. Einige Autoren fügen dieser Definition des ACS noch den günstigen Einfluss der dekompressiven Laparotomie auf das Organversagen hinzu [12, 13]. Nach der Genese kann das ACS in ­primäre, sekundäre und tertiäre Formen subklassifiziert werden [20]. Beim ­primären ACS liegt die Ursache in einer Erkrankung oder Verletzung der Abdominalhöhle selbst (rupturiertes Bauchaortenaneurysma, Abdominaltrauma,

Verschluss der Bauchdecke unter Spannung), und bedarf i. d. R. einer dringlichen chirurgischen (oder radiologischen) Intervention. Beim sekundären ACS liegt die Ursache hingegen in einer extraabdominellen Erkrankung (schwere Verbrennung, Kapillarleck bei Sepsis, Pankreatitis). Als t­ ertiäres ACS bezeichnet man sein Wiederauftreten nach initial erfolgreicher konservativer oder operativer Therapie eines primären oder sekundären ACS [20]. Die Häufigkeit, mit der IAH und ACS diagnostiziert werden, hängt stark von der untersuchten Patientenpopulation, noch mehr jedoch vom Bewusstsein gegenüber dieser Krankheitsentität ab.

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Die Diagnosehäufigkeit hängt vom Bewusstsein gegenüber der Krankheitsentität ab Einer europäischen Multizenterstudie mit einem gemischten intensivmedizinischen Patientengut zufolge beträgt die Prävalenz des IAH und des ACS 50,5 bzw. 8,2% [21] mit Letalitätsraten für das ACS bis 60% [24, 28].

niedrigen ­S chwelle zur Durchführung einer Blasendruckmessung [6].

Durch intraabdominellen Druck induziertes Organversagen Der steigende IAP hat direkt und indirekt negative Auswirkungen auf nahezu alle Organsysteme.

Nierenfunktion Ein erhöhter IAP >15 mmHg führt frühzeitig zu einer eingeschränkten Nierenfunktion. Die Genese des IAH-induzierten Nierenversagens ist multifaktoriell, hauptsächlich jedoch Folge der reduzierten arteriellen und venösen Nierenperfusion. Der Filtrationsgradient (FG) beschreibt die treibende Kraft im Glomerulus und berechnet sich aus der Differenz zwischen glomerulärem Filtrationsdruck (GFP) und dem Druck im proximalen Nierentubuls (PTP). Letzterer entspricht beim Vorliegen eines IAH dem IAP und kann wiederum als Differenz zwischen dem mittleren arteriellen Druck (MAP) und dem IAP angegeben werden [20]. Es gilt daher:

Risikofaktoren Allgemein kann der kritisch kranke ­Patient als Risikopatient für die Ausbildung eines IAH oder eines ACS angesehen werden. Malbrain et al. [21] konnten in einer prospektiven Multizenter­ studie abdominalchirurgische Eingriffe, ­forcierte Flüssigkeitssubstitution, Ileus und Leberfunktionsstörungen als unabhängige Prädiktoren für die Ausbildung eines IAH identifizieren. In einer weiteren prospektiven Studie wiesen Balogh et al. [2] Anämie, Hypothermie und ­Azidose sowie die forcierte Gabe von Kristalloiden und Oligurie als Risikofaktoren für ein primäres bzw. sekundäres ACS nach. . Infobox 1 fasst die Risikofaktoren für IAH und ACS zusammen. Es wird empfohlen, bei allen Patienten bei Aufnahme auf eine Intensivstation und ebenso im Falle einer neu aufgetretenen Organdysfunktion (Grad-1B-Empfehlung) aktiv nach Vorliegen derartiger Risikofaktoren zu fahnden, jeweils verbunden mit einer

Aus der Tatsache, dass Änderungen des IAP mit dem Faktor 2 in die Formel zur Errechnung des FG eingehen, erklärt sich die höhere Empfindlichkeit des ­renalen Systems auf eine ­intraabdominelle Druckerhöhung im Vergleich zu anderen Organsystemen.

Gastrointestinaltrakt Der abdominelle Perfusionsdruck (APP) errechnet sich – analog dem Prinzip des zerebralen Perfusionsdrucks – als Differenz aus MAP und IAP. Dabei hat der APP eine signifikant höhere Aussagekraft in der Abschätzung der Überlebenswahrscheinlichkeit von Patienten mit IAH oder ACS als MAP und IAP allein [8]. Eine internationale Konsensuskonferenz empfiehlt bei Patienten mit IAH oder ACS einen APP von 50–60 mmHg anzustreben (Grad-1C-Empfehlung, [6]), da hierdurch das Überleben der Patienten günstig beeinflusst wird [8]. Pathophysio-

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Leitthema logisch führt ein reduzierter APP zu verminderter Darmwanddurchblutung mit Mukosaischämie, gefolgt von bakterieller Translokation und Sepsis. Neben dem Intestinum reagiert v. a. die Leber durch eingeschränkte portalvenöse und arterielle Durchblutung äußerst empfindlich auf eine IAH. Folgen sind hier eine Beeinträchtigung des Glucosemetabolismus [26] und eine Abnahme der Laktatclearence mit konsekutiver Laktatazidose.

Respiratorische Funktion Auch die eingeschränkte Lungenfunktion kann ein frühes Zeichen des ACS sein. Der erhöhte IAP wird durch Zwerchfellhochstand direkt an den Brustraum weitergegeben. Durch verminderte Compliance des Thorax resultieren ein erhöhter intrathorakaler Druck und basale Kompressionsatelektasen. In der Folge entstehen ein Ventilations-Perfusions-Missverhältnis und steigendes Pneumonierisiko. Der Zwerchfellhochstand erhöht beim spontan atmenden Patienten durch Einsatz der Atemhilfsmuskulatur die Atemarbeit und führt zur Erschöpfung. Beim beatmeten Patienten steigt dagegen der inspiratorische Spitzendruck mit konsekutivem Barotrauma. Die gemeinsame Endstrecke der eingeschränkten Lungenfunktion beim ACS sind die Hypoxämie und Hyperkapnie [30].

Zentrales Nervensystem Ein hoher IAP führt über den gleichzeitig erhöhten intrathorakalen Druck durch einen verminderten jugularvenösen Rückstrom zum Anstieg des intrakraniellen Drucks und damit zur Verminderung des zerebralen Perfusionsdrucks [3].

Kardiovaskuläres System Die Determinaten der Herzleistung – Vorlast, Kontraktilität und Nachlast – werden sämtlich durch den IAH ungünstig beeinflusst. Die Kompression der V. cava inferior führt durch reduzierten venösen Rückstrom zu einer Verminderung der Vorlast und damit der Auswurfleistung des rechten Herzes. Der gleichzeitig erhöhte intrathorakale Druck (→ erhöhter

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Zusammenfassung · Abstract pulmonaler Gefäßwiderstand) sowie der bei ACS erhöhte systemische Widerstand resultieren in einer Nachlaststeigerung des rechten und linken Ventrikels. Konsekutiv erhöhen sich die Herzarbeit und der Sauerstoffverbrauch. Es stellt sich eine fatale Konstellation ein, charakterisiert durch verminderten Blutrückstrom zum Herzen, direkter Herzkompression und Nachlasterhöhung [4].

Bauchwand Aus chirurgischer Sicht darf der Einfluss des IAH auf die Bauchdecke nicht außer Acht gelassen werden, da häufig straffe Wundverbände und Ödem der Bauch­ decke, z. B. durch massive Flüssigkeits­ gabe im Schock, die Compliance der Bauchwand deutlich einzuschränken vermögen. Auch konnten Diebel et al. [11] im Tiermodell zeigen, dass steigende intra­ abdominelle Drücke (10–40 mmHg) zu einer signifikanten Reduktion der Durchblutung im Bereich der Rektusscheide führen. Diese Beobachtung mag die hohe Rate an Wundheilungsstörung und Fasziendehiszens einer unter Spannung verschlossener Bauchdecke erklären.

Therapie Bei den unterschiedlichen Patientenpopulationen und der Vielzahl von prädisponierenden Konditionen für die Entstehung eines IAH oder eines ACS können vereinheitlichte Therapieansätze nicht gegeben werden. Schlüssel zur erfolgreichen Therapie ist zunächst das „daran Denken“ und Erkennen eines drohenden ACS. Nach einer Konsensusempfehlung aus dem Jahr 2007 beruht das erfolgreiche Management von IAH und ACS auf: F serieller Messung des IAD bei Risikopatienten, F Optimierung der Organfunktion/perfusion bei Patienten mit erhöhtem IAP, F frühzeitigem Beginn von konservativen Maßnahmen zur Senkung des IAP, F frühzeitiger Durchführung der ­dekompressiven Laparotomie bei ­therapierefraktärem IAH.

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Med Klin Intensivmed Notfmed 2013 · 108:634–638 DOI 10.1007/s00063-013-0256-9 © Springer-Verlag Berlin Heidelberg 2013 J. Reibetanz · C.-T. Germer

Das abdominelle Kompartmentsyndrom Zusammenfassung Eine pathologische intraabdominelle Drucksteigerung kann zur ­Endorgandysfunktion führen und definiert damit das Vorliegen eines abdominellen Kompartmentsyndroms. Im Vordergrund der Organdysfunktion stehen die gestörte Nieren-, Lungen-, Kreislauf- und gastrointestinale Funktion, ebenso wie eine Beeinträchtigung des zentralen Nervensystems. Besonders gefährdet für die Ausbildung eines abdominellen Kompartmentsyndroms ist der kritisch kranke ­Patient. Es in Betracht zu ziehen und die frühzeitige Identifikation von Risikopatienten stellen den Schlüssel zum erfolgreichen Management dieses mit hoher Letalität verbundenen Krankheitsbilds dar. Diagnostisch ist die wiederholte Blasendruckmessung. In der Behandlung der intraabdominellen Hypertonie und des abdominellen Kompartmentsyndroms kommen konservative – und bei deren Versagen – operative Maßnahmen zur ­Anwendung. Schlüsselwörter Intraabdomineller Hochdruck · Diagnose · Intensivmedizin · Organversagen · Laparotomie

Abdominal compartment syndrome Abstract Abdominal compartment syndrome is ­defined as a pathological elevation of intra­ abdominal pressure associated with signi­ ficant organ dysfunction and failure. Organ dysfunction mainly affects the renal, pulmonary, cardiac, gastrointestinal, and central nervous system. A high level of suspicion for this condition and early identification of patients at risk are mandatory for the successful management of abdominal compartment syndrome, which includes conservative and operative strategies. Keywords Intra-abdominal hypertension · Diagnosis · Intensive care · Organ failure · Laparotomy

Abb. 2 8 Patient nach dekompressiver Laparotomie bei ­abdominellem Kompartmentsyndrom. Provisorische Bauchdeckenversorgung mit Bauchtüchern und steriler Klebefolie sowie Unterdruck-/Sogverband über ­Jackson-Pratt-Drainage Abb. 1 9 Set zur Blasendruckmessung

Konservative Therapie Die konservativ-medikamentöse Therapie der IAH und des ACS stellt die Basis der Behandlung dar und beruht auf den im Folgenden genannten 5 Säulen [5, 6]:

Gastrointestinale Dekompression

Darmparalyse und Ileus werden bei kritisch kranken Patienten häufig angetroffen und tragen ihrerseits zu einem weiteren Anstieg des IAP bei. Magensonden­ anlage, rektale Einläufe oder koloskopische Dekompression stellen ebenso wie die Gabe von Prokinetika sinnvolle ­Basismaßnahmen zur Senkung des IAP dar, auch wenn für viele dieser Therapien nur ein geringes Evidenzlevel vorliegt. Bei fortgeschrittenem IAH sollte auf eine enterale Ernährung verzichtet werden [5].

Entlastung von Flüssigkeitsverhalten

Auch kleinere intraabdominelle und retro­peritoneale Flüssigkeitsansammlungen (z. B. Blutung, Aszites, Abszessformationen) können zu einem erhöhten IAP beitragen. Nach solchen Verhalten sollte durch entsprechende Bildgebung aktiv gesucht und diese perkutan drainiert werden (Grad-2C-Empfehlung, [6]).

Verbesserung der Compliance der Bauchwand

Straffe postoperative Verbände reduzieren ebenso die Compliance der Bauchdecke wie ein schmerzbedingt erhöhter Tonus der Rumpfmuskulatur, allgemeine Agitiertheit sowie der Einsatz der Atemhilfsmuskulatur. Daher sollten straffe Verbände entfernt und auf eine ausreichende Analgosedierung geachtet werden [16]. Bauchlagerung oder Oberkörperhoch­

lagerung >20° sollten aufgrund negativer Auswirkungen auf den IAP vermieden werden [17, 23]. Dagegen könnte eine leichte Anti-Trendelenburg-Lagerung einen sinnvollen Kompromiss darstellen: Oberkörperhochlagerung (zur Reduktion des Pneumonierisikos) bei gleichzeitiger Vermeidung einer zusätzlichen Drucksteigerung im Abdomen [5].

Flüssigkeitsmanagement

Das Flüssigkeitsmanagement von Patienten mit IAH oder ACS ist eine Gratwanderung zwischen Erhaltung einer ausreichenden Gewebeperfusion und -oxygenierung im Schock und der Vermeidung einer Überinfusion des Patienten mit Organversagen und Tod als deletäre Folgen der Progression des IAH/ACS. Dies wurde von Balogh et al. [1] bei Traumapatienten gezeigt. Eine erschöpfende Erörterung des Flüssigkeitsmanagements des kritisch kranken Patienten würde den Rahmen dieses Beitrags sprengen. Hier muss auf die einschlägige intensivmedizinische Literatur verwiesen werden. Entsprechend einer Konsensusempfehlung aus dem Jahr 2007 sollte bei Risikopatienten für die Ausbildung einer IAH oder eines ACS zum einem der Flüssigkeitsersatz sorgfältig überwacht werden, um eine Überinfusion zu vermeiden (Grad1B-Empfehlung).

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Zur Vermeidung einer Überinfusion soll der Flüssigkeitsersatz sorgfältig überwacht werden Ferner sollte bei Patienten mit manifester IAH eine hypertone kristalloide oder kolloidale Flüssigkeitsgabe erwogen wer-

den, um einer Progression in ein sekundäres ACS entgegenzuwirken (Grad-1CEmpfehlung, [6]).

Aufrechterhaltung einer ausreichenden Gewebeperfusion

Die korrekte Erhebung des intravasalen Volumenstatus ist bei Patienten mit IAH und ACS unerlässlich und muss im Zweifel über ein erweitertes hämodynamisches Monitoring erfolgen, um die Kreislauftherapie adäquat steuern zu können. Ein APP (APP = MAP – IAP) von >50–60 mmHg sollte dabei angestrebt und aufrechterhalten werden. Dies erfolgt durch (adäquat dosierte) Volumengabe und – falls hiermit nicht ausreichend möglich – durch Katecholamintherapie. Hierdurch kann Organversagen reduziert [9, 27] und das Überleben verbessert werden.

Dekompressive Laparotomie Wenn auch mit der nicht unerheblichen Morbidität des sog. offenen Abdomens (v. a. enterokutane Fistelbildung) und des temporären Bauchdeckenverschlusses assoziiert, ist die Indikation zur dekompressiven Laparotomie unstrittig bei Patienten mit manifestem ACS, das gegenüber den o. g. konservativen Maßnahmen refraktär ist (. Abb. 2). De Waele et al. zeigten in einer Übersichtsarbeit, dass durch diesen Eingriff der IAP zwar i. d. R. nicht normalisiert, jedoch signifikant gesenkt werden kann. Die gleiche Arbeit zeigte jedoch ebenfalls auf, dass auch nach durchgeführter dekompressiver Laparotomie eine hohe Letalität von bis zu 50% [10] besteht. Dies mag Ausdruck des lebensbedrohlich Zustands der betroffenen Patienten in extremis sein, spricht aber auch für die intrinsische Morbidität

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Leitthema der ­dekompressiven Laparotomie in dieser Situation: sog. ­Reperfusionssyndrom [25], plötzliche Volumenverschiebungen, Verlust der Tamponadewirkung und Schaffung ausgedehnter Wundfläche bei offenen Abdomen. Trotz dieser Invasivität der dekompressiven Laparotomie wurde gezeigt, dass Patienten, die das Akut­ ereignis überlebten und bei denen ein definitiver Faszienverschluss erfolgen konnte, im Langzeitverlauf in Lebensqualitätsfragebögen ein der Allgemeinbevölkerung vergleichbares Level bez. physischem und psychischem Status wiedererlangten. Darüber hinaus waren nahezu 80% der betroffenen Patienten langfristig wieder arbeitsfähig, sodass nicht von einer dauerhaften Invalidisierung durch die dekompressive Laparotomie gesprochen werden kann [7]. Die bereits ­zitierte Konsensuskonferenz aus dem Jahr 2007 empfiehlt daher bei allen Patienten mit konservativ therapierefraktärem ACS die Durchführung einer dekompressiven Laparotomie (Grad-1B-Empfehlung) und den Verzicht auf einen primären Faszienverschluss im Rahmen einer Laparotomie bei Patienten mit mehreren Risikofaktoren für eine IAH/ein ACS (. Infobox 1; Grad-1C-Empfehlung, [6]).

Fazit für die Praxis F IAH und ACS stellen beim Intensiv­ patienten eine häufige Pathologie dar. F Risikopatienten sollten konsequent mittels serieller Blasendruckmessung überwacht werden. F Bei Vorliegen eines IAH sollten frühzeitig therapeutische Maßnahmen zur Drucksenkung angewendet werden. F Bei Versagen konservativer Therapie­ maßnahmen zur Senkung des IAP ­sowie beim manifesten abdominellen Kompartmentsyndrom ist die Indikation zur dekompressiven Laparotomie gegeben. F Als Fazit gilt: „intraabdomineller Hockdruck – daran denken“!

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Korrespondenzadresse Dr. J. Reibetanz Klinik und Poliklinik für ­Allgemein-, Viszeral-, Gefäßund Kinderchirurgie, Zentrum operative Medizin Oberdürrbacher Str. 6, 97080 Würzburg reibetanz_j@ chirurgie.uni-wuerzburg.de

Einhaltung ethischer Richtlinien Interessenkonflikt.  J. Reibetanz und C.-T. Germer geben an, dass kein Interessenkonflikt besteht. Dieser Beitrag beinhaltet keine Studien an Menschen oder Tieren.

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Abdominal compartment syndrome is defined as a pathological elevation of intraabdominal pressure associated with significant organ dysfunction and fai...
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