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Der PRAXIS-Fall

Praxis 2014; 103 (17): 1023-1026

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Institut fü r Hausarztmedizin, Universität Basel'; Hausarztpraxis Luzern2; Hirslanden Klinik St. Anna, Luzern5; Bioanalytica AG, Luzern4; Pathologie, Luzerner Kantonsspital, Luzern5; Innere Medizin, Spital Schwyz6 '"Christoph M erlo,2Pierina Merlo, "Fernando Holzinger, "Sigrid Pranghofer, "David Pfeiffer, 6Reto Nüesch

Ein seltsamer subkutaner Knöcheltumor A Very Slow Growing Ankle Swelling in a Healthy Male

Anamnese und Befunde Im Januar 2013 meldet sich ein 66-jäh­ riger Patient in unserer Hausarztpraxis mit einer indolenten, kugelförmigen, subkutanen Schwellung am linken late­ ralen Knöchel retromalleolär (Abb. 1). Der tamilische Patient wuchs in Jaffa, Sri Lanka auf, lebt und arbeitet als Kü­ chengehilfe seit 1984 in der Schweiz und besuchte sein Heimatland seither nicht mehr. Der Patient berichtet, dass ihm die Knöchelschwellung schon wenige Jahre nach der Ankunft in Europa aufgefallen sei, ihn jedoch nie gestört habe. Diese sei aber über die folgenden Jahrzehnte (!) sehr langsam gewachsen und berei­ te ihm nun zunehmend Probleme beim Gehen in Schuhen. An Fussverletzungen

oder eitrige Fussinfektionen kann er sich nicht erinnern. Abgesehen von diesen Beschwerden weist der Patient eine weit­ gehend unauffällige Anamnese auf und nimmt keine Medikamente ein. Insbe­ sondere bestehen anamnestisch keine Hinweise für eine Immunsuppression wie beispielsweise wiederholte bakteri­ elle Infekte. Blutzucker und Gammaglo­ bulinfraktionen waren im Normbereich und der HIV-Test fiel negativ aus. Der subkutane Tumor hat einen Durch­ messer von 4 cm mit reizlosem lokalem Integument und elastischer Konsistenz, vereinbar mit einer Zyste. Die zystische Natur bestätigte sich in der Ultraschall­ untersuchung, die ein granuliertes Bin­ nenechomuster mit umgebender Kapsel zeigte.

Differenzialdiagnostische Überlegungen Aufgrund der Klinik und des Ultra­ schallbefundes kommt ein Abszess in Betracht, wobei die fehlenden Entzün­ dungszeichen und der fehlende Schmerz eher dagegen sprechen. Ein Atherom käme ebenfalls infrage, die Lokalisati­ on wäre aber sehr ungewöhnlich. Für ein Ganglion fehlt der Bezug zu einem Gelenk in der klinischen Untersuchung wie auch im Ultraschall. Weiterhin ist auch ein Serom zu erwägen, der Patient mag sich jedoch nicht an eine Verletzung erinnern und das langsame Wachstum wäre auch ungewöhnlich. Ein maligner Prozess ist aufgrund der zystischen Na­ tur mit klarer Abgrenzung gegenüber dem umliegenden Gewebe und auf­ grund des äusserst langsamen Wachs­ tums sehr unwahrscheinlich. Eine Na­ delpunktion als nächster diagnostischer Schritt scheint hier angezeigt.

W eitere Abklärungsschritte Die Punktion förderte eine eigenartig dickflüssige, Kaffeecreme-artige, ge­ ruchslose Flüssigkeit zutage (Abb. 2). Mikroskopisch zeigten sich polynukle-

Abb. i: Indolenter, kugeliger, subkutanerTum or retromalleolär. © 2014 Verlag Hans Huber, Hogrefe AG, Bern

Im Artikel verwendete Abkürzungen: HE-Färbung Haematoxylin-EosinFärbung MHK M inim ale Hemm­ konzentration PAS-Färbung Periodic acid SchiffFärbung PCR Polymerase chain reaction PHM Phaeohyphomykose DOI 10.1024/1661-8157/a001757

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Chronischer subkutaner Abszess retromalleolär durch den Schimmelpilz Phaeoacremonium inflatipes (subkutane Phaeohyphomykose) K o m m e n ta r

Abb. 2 : Aspirat m it dickflüssiger, Kaffeecreme-artiger, gelbbrauner Flüssigkeit.

tipes m it gleicher Farbe w ie das Aspirat.

Abb. 4 : Chirurgische Exzision der m ykoti­ schen Pseudozyste.

äre Leukozyten (>100 pro Gesichtsfeld) sowie Malteserkreuze mit CholesterinKristallen im polarisierten Licht. Mi­ kroorganismen waren keine sichtbar, ebenso zeigten weder aerobe noch an­ aerobe Kulturen ein Bakterienwachs­ tum. Desweitern fielen auch PCR und Kultur für M. tuberculosis complex ne­ gativ aus. Nach mehreren Tagen fand sich jedoch in der Pilzkultur ein spär­ liches Wachstum von Phaeoacremoni­ um inflatipes, einem Schimmelpilz der Familie Dematiaceae (Schwärzepilze), die beim Menschen das Krankheitsbild der Phaeohyphomykose (PHM, engl, phaeohyphomycosis) hervorrufen kön­ nen. Phaeoacremonium inflatipes bildete auf Sabouraud-Agar lederartige, gelb-

braune Kolonien mit der gleichen Farbe wie das Punktat (Abb. 3). Die Identifi­ zierung erfolgte makro- und mikromor­ phologisch anhand des Aufbaus der Konidiophoren. Der Pilznachweis erfolgte in zwei Proben, die an zwei verschie­ denen Tagen entnommen wurden. Der subkutane zystische «Pilztumor» wurde chirurgisch in to to exzidiert (Abb. 4). In der histologischen Untersuchung konn­ te eine Pseudozyste identifiziert werden mit Nachweis von Riesenzellen und PAS-positiven Strukturen (Abb. 5). Die Wunde heilte ohne fungizide Behand­ lung komplikationslos ab. Auch ein Jahr später zeigte sich ein völlig unauffälliger Lokalbefund mit reizloser Narbe und fehlender Schwellung.

Abb. 3 : Kolonien von Phaeoacremonium infta-

Unser Patient weist eine höchst unge­ wöhnliche Manifestation einer Mykose beim Menschen auf. Die PHM ist eine seltene, tiefe Schimmelpilz-Infektion der Haut und Subkutis verursacht durch Vertreter der Familie Dematiaceae [1]. Nebst Hautmanifestationen sind syste­ mische Infektionen, Fungämie, Endo­ karditis und Arthritiden beschrieben, insbesondere bei immunsupprimierten Patienten [1,2]. Drei Arten von Pha­ eoacremonium species, die üblicherwei­ se eher verholzende Pflanzen befallen, können Infektionen beim Menschen hervorrufen, nämlich P. parasiticum, P. rubrigenum and P. inflatipes, die früher der Gattung Phialophora untergeordnet wurden [3]. Gewisse Autoren schlagen eine Neueinteilung der humanpatho­ genen P. inflatipes-Isolate als eigenstän­ diges neues Taxon vor, basierend auf morphologischen Charakteristika und partiellen Sequenzen der Actin-, Tubu­ lin- und Calmodulin-Gene [4]. Das er­ klärt den Umstand, dass in der Literatur verschiedene Namen für diese Pilzspezi­ es kursieren. Phaeoacremonium-Species sind in der Natur weltweit verbreitet [4]. Kontrastierend dazu gibt es aber nur sehr wenige Fallbeschreibungen von Infektionen beim Menschen, dies vorwiegend bei immungeschwächten Individuen, die ähnliche klinische Bilder einer subkutanen PHM zeigen wie unser Patient [1,3]. Die alleinige chirurgische Exzision von Abszessherden als Therapie wurde auch in anderen Fallberichten be­ schrieben [3]. Bei immunsupprimierten Patienten, disseminierter oder systemi­ scher Infektion ist jedoch eine adäquate fungizide Therapie erforderlich. In einer Zusammenfassung der bisher publizier­ ten Fälle von PHM durch P. rubrigenum

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und P. inflatipes wird vom erfolgreichen Einsatz diverser antifungaler Präparate wie Itraconazol, Fluconazol, Terbinafin und Amphotericin B berichtet, meistens in Kombination mit chirurgischer Be­ handlung. Am häufigsten kam Itracona­ zol zum Einsatz; in einer p. o. Dosierung von 400 mg pro Woche über drei Mo­ nate wurden keine Rezidive beobachtet [1], Im Gegensatz dazu steht die Fallbe­ schreibung eines immunsupprimierten Knaben mit schwerer aplastischer Anä­ mie, der trotz Therapie mit Amphote­ ricin B und nachgewiesener In-vitroEmpfindlichkeit (bzw. tiefer MHK) an einer P. inflatipes-Sepsis in der Neutropenie verstorben ist [5]. Die «Azole» Itraconazol und Voriconazol weisen die konsistenteste In-vitro-Aktivität ge­ genüber Dematiaceae auf (Literatur bei den Autoren), wobei mit Itraconazol die grösste klinische Erfahrung besteht. Unser Patient ist immunkompetent. Am wahrscheinlichsten hat er die chroni­ sche Schimmelpilzinfektion noch in Sri Lanka durch kleinere Traumata beim Barfusslaufen erworben, da Phaeoacremonium species auch aus Staub- und

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Key messages • Pilzinfektionen beim Menschen können sehr heterogene Krankheitsbilder zeigen. • Dass eine chronische, indolente, subkutane Schwellung überhaupt einem Pilzabszess entsprechen könnte, ist vermutlich den meisten Klinikern nicht vertraut. • Ungewöhnlich ist auch die extrem lange Dauer (Jahrzehnte), über die sich eine subkutane Schimmelpilzinfektion oder Phaeohyphomykose entwickeln kann.

Bodenproben isoliert wurde [4]. Dass er die Infektion in der Schweiz aufgelesen hat, ist nicht vollständig auszuschliessen, zumal P. inflatipes auch in Stamm und Wurzeln von Sorbus intermedia (Schwe­ dische Mehlbeere) in Deutschland nach­ gewiesen wurde [3]. Da subkutane Knoten oder Zysten, die durch eine Phaeoacremonium speciesInfektion verursacht sind, ein sehr lang­ sames, schmerzloses Wachstum zeigen können, ist es auch vorstellbar, dass ei­ nige dieser Infektionen als Atherome oder Lipome fehlgedeutet werden und diese seltene Pilzmanifestation allen­ falls doch häufiger anzutreffen wäre.

Gegebenenfalls könnte eine Ultraschall­ untersuchung und Nadelpunktion bei einer unklaren, atypischen subkutanen Raumforderung weiterhelfen.

Zu sam m enfassun g Wir beschreiben den Fall einer äusserst ungewöhnlichen humanen Pilzerkran­ kung mit einem merkwürdigen chro­ nischen Tumor im Knöchelbereich, der einem subkutanen Pilzabszess entsprach. Als Erreger wurde der sel­ tene Schimmelpilz Phaeoacremonium inflatipes identifiziert, der zur Familie Dematiaceae (Schwärzepilze) gehört. Diese Schimmelpilze können ein sel­ tenes Krankheitsbild mit chronischen kutanen und subkutanen Abszessen hervorrufen, die subkutane Phaeohy­ phomykose (PHM). Bei immunsup­ primierten Patienten sind auch syste­ mische Infektionen beschrieben. Die chirurgische Exzision der Pilzpseudo­ zyste führte bei unserem Patienten zu einer prompten, komplikationslosen Abheilung, ohne dass eine fungizide Behandlung erforderlich gewesen wäre. Schlüsselwörter: Fusstumore - subku­ tane Pilzinfektionen - Phaeoacremoni­ um inflatipes - Dematiaceae - Phaeo­ hyphomykose

A bstract

Abb. 5: Histologie (HE-Färbung,Vergrösserungioox): W andausschnitt der Pseudozyste m it hyali­ nem Stroma und vielen mehrkernigen Riesenzellen (Pfeile) - kleines Bild (PAS-Färbung, Vergrösserung 4 0 0 X ) : Erkennbare Pilzelemente (Pfeile).

We describe the case report of a 66-yearold man with a very slow growing an­ kle tumour caused by a subcutaneous fungal abscess. Phaeoacremonium in-

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flatipes, a member of the Dematiaceae family, was identified by needle punc­ ture and culture of the non-odorous creamy yellow brown fluid. The fungal pseudocyst was surgically removed in toto and no further fungicidal drug therapy was required. Human infec­ tions by dematiaceous fungi causes subcutaneous phaeohyphomycosis, a rare, deep fungal infection of the skin and subcutaneous tissues usually ac­ quired through traumatic skin lesions. In addition, systemic infections are reported, predominantly in immunosuppressed individuals. Key words: foot tumours - subcutane­ ous fungal infections - phaeoacremonium inflatipes - dematiaceae - phaeo­ hyphomycosis K orrespondenzadresse

Dr. med. Christoph Merlo Innere Medizin FMH Furrengasse 6 6004 Luzern merlo. c@bluewin. ch In te re s s e n s k o n flik t: D ie A u to re n e rk lä re n , dass k e in In te re s s e n s k o n flik t b e s te h t.

M a n u s k r ip t e in g e re ic h t: 2 6.2.2014, re v id ie r te F a ssu n g a n g e n o m m e n : 10.4.2014.

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B ib lio g ra p h ie 1.

F u ru d a te S, Sasai S, N u m a ta Y, F u jim u ra T, A ib a S: P h a e o h y p h o m y c o s is c a u s e d b y P h a e o a c re m o n iu m r u b r ig e n u m in a n im m u n o s u p p re s s iv e p a tie n t: A case r e p o r t a n d r e v ie w o f th e lite r a tu r e . Case Rep D e r m a to l 2012; 4 :1 1 9 -1 2 4 .

2.

M c N e il CJ, L uo RF, V o g e l H, B a n a e i N, Flo DY: B ra in abscess c a u s e d b y P h a e o a c re m o n iu m p a ra s itic u m in a n im m u n o c o m p r o m is e d p a tie n t. J C lin M ic r o b io l 2011:49:1171-1174.

3.

P a d h ye A A , D a v is M S , B a e r D, R e d d ic k A, S in h a KK, O t t J: P h a e o h y p h o m y c o s is c a u s e d b y P h a e o ­ a c re m o n iu m in fla tip e s . J C lin M ic r o b io l 1 9 9 8 ;3 6 :2 7 6 3 - 2 7 6 5 .

4.

M o s te r t L, G r o e n e w a ld JZ, S u m m e r b e ll RC, e t al.: S p ecies o f P h a e o a c re m o n iu m a s s o c ia te d w it h in fe c tio n s in h u m a n s a n d e n v ir o n m e n ta l re s e rv o irs in in fe c te d w o o d y p la n ts . J C lin M ic ro b io l 2 0 0 5 ; 43 :17 5 2 -1 76 7 .

5.

W a n g SC, H s u e h PR, L ia w SJ, e t al.: Fatal f u n g e m ia d u e t o P h a e o a c re m o n iu m in fla tip e s in a c h ild w it h s e ve re a p la s tic a n e m ia . C lin In fe c t D is 2 0 0 5 :4 0 :1 0 6 7 - 1 0 6 8 .

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[A very slow growing ankle swelling in a healthy male].

Wir beschreiben den Fall einer äusserst ungewöhnlichen humanen Pilzerkrankung mit einem merkwürdigen chronischen Tumor im Knöchelbereich, der einem su...
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