Bild und Fall Chirurg 2015 DOI 10.1007/s00104-014-2953-1 © Springer-Verlag Berlin Heidelberg 2015

A. Holtz · A. Plebani · N. Talsky · H. Itin · C. Letta Kantonsspital St. Gallen, Standort Flawil, Flawil, St. Gallen

Eine seltene Differenzialdiagnose der akuten  Appendizitis Anamnese

Klinischer Befund

Eine 63-jährige Patientin wurde abends durch einen Hausarzt mit dringendem Verdacht auf eine akute Appendizitis auf unsere Notfallstation zugewiesen. Anamnestisch bestanden seit 4 Tagen Abgeschlagenheit und Unwohlsein. Seit einem Tag waren nun stärkste Schmerzen im Bereich des rechten Unterbauchs aufgetreten sowie Übelkeit und einmaliges Erbrechen. Die Patientin berichtete ebenfalls über wässrige Diarrhö, ohne Blut oder Schleimbeimengung. In der Vorgeschichte hatten keine abdominellen Operationen stattgefunden.

Auf unserer Notfallstation präsentierte sich eine kreislaufstabile Patientin mit subfebriler Temperatur. In der klinischen Untersuchung fanden sich eine diffuse Druckdolenz im ganzen Unterbauch mit Punctum maximum und Défense rechts. Dies entsprach den klassischen Befunden einer akuten Appendizitis mit Loslassschmerz über dem McBurney-Punkt und kontralateralem Loslassschmerz. Die Auskultation ergab rege Darmgeräusche.

Diagnostik Laborchemisch waren die Entzündungsparameter erhöht (Leukozytose 14,0 Gpt/ l, CRP 244,0 mg/l).

Die Abdomensonographie zeigte eine 4×6 cm messende Raumforderung im rechten Unterbauch (. Abb. 1). Aufgrund des Befundes wurde der Verdacht auf eine perforierte Appendizitis mit einem perityphlitischen Abszess gestellt. In der weiterführenden Diagnostik mittels Computertomographie (CT) des Abdomens mit oraler (30 ml Telebrix® Gastro, Firma Guerbet in 900 ml Wasser verdünnt während einer Stunde) und intravenöser (120 ml Xenetix® 350, Firma Guerbet) Kontrastmittelgabe fand sich eine 7,75 × 7 × 7,7 cm messende randständig kontrastmittelaufnehmende, zentral flüssigkeitsgefüllte Kollektion mit Niveaubildung im rechten Unterbauch (. Abb. 2). Dadurch wurde die Verdachtsdiagnose eines perityphlitischen Abzesses bestätigt.

Abb. 1 9 a Abdomensonographie und b Abdomenübersichtsaufnahme: flüssigkeitsgefüllte Raumforderung im rechten Unterbauch, „Ballon-Zeichen“ (Pfeil) Der Chirurg 2015  | 

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Bild und Fall

Abb. 2 9 Computertomographie des Abdomens: a Divertikeldarstellung nach oraler und intravenöser Kontrastmittelgabe. b Kontrastmittelfüllung mit Stildarstellung (Pfeil) nach rektaler Kontrastmittelapplikation

D Wie lautet Ihre Diagnose?

Therapie und Verlauf Es erfolgte die stationäre Aufnahme der Patientin und die konservative Therapie durch eine parenterale Breitspektrumantibiose. Die CT-gesteuerte Abszessdrainage wurde bei definitionsgemäß nicht vorliegender Sepsis und beschwerdearmer Patientin nach Schmerzmittelgabe der Stufe1 (nach WHO-Stufenplan) für den Folgetag geplant. Die erneute Durchsicht der computertomograhischen Bilddaten mit den Radiologen vor der geplanten Punktion ließen Zweifel an der initialen Diagnose eines perityphlitischen Abszesses aufkommen, da durch die orale und intravenöse Kontrastmitteldarstellung eine andere Pathologie differenzialdiagnostisch nicht ausgeschlossen werden konnte. Es erfolgte ein retrograder Kontrastmitteleinlauf (10 ml Telebrix®, Firma Guerbet in 300 ml Wasser verdünnt appliziert über einen Ballon-

katheter Rüsch Gold Ch.16, Firma Rüsch), in welchem sich computertomographisch nun eindeutig eine Verbindung zwischen der Raumforderung und dem Colon sigmoideum zeigte (. Abb. 2). Es lag nun die Verdachtsdiagnose eines Riesendivertikels vor, und die Indikation zur operativen Therapie wurde gestellt.

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Diagnose: Riesendivertikel des Kolons Zunächst entschieden wir uns für ein laparoskopisches Vorgehen. Die kursorische Laparoskopie zeigte einen unauffälligen Appendix. Weiter fand sich ein ca. 8 cm durchmessendes Konglomerat im mittleren rechten Unterbauch, welches mit dem Uterus, der Blasenhinterwand und der rechten Adnexe verwachsen war. Da durch die adhärenten Verhältnisse die Patientensicherheit bei einem laparos-

kopischen Vorgehen nicht mehr gewährleistet war, fand eine Konversion über eine mediane Laparotomie statt. Nach scharfer Ablösung der Raumforderung von der rechten Adnexe, dem Uterus und der Blasenhinterwand erfolgte die Resektion im Sinne einer Sigmasegmentresektion mit End-zu-End-Anastomose. Der Uterus und die Blasenhinterwand wurden bei entzündlicher Infiltration protektiv übernäht. Ebenfalls wurde eine Gelegenheitsappendektomie durchgeführt. Der postoperative Verlauf gestaltete sich komplikationslos. Die Patientin konnte am 9. postoperativen Tag in gutem Allgemeinbefinden in die hausärztliche Nachbehandlung entlassen werden. In der histologischen Untersuchung fand sich eine Divertikulose des Sigmas mit einem Riesendivertikel von 5,5 cm Durchmesser (. Abb. 3) sowie ein entzündungsfreier Appendix.

Diskussion

Abb. 3 9 Sigmasegmentresektat mit Riesendivertikel und dargestellter Divertikelverbindung (Katheter)

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Der Chirurg 2015

Die akute Appendizitis ist eine häufig vorkommende Erkrankung. In den USA und Mitteleuropa stellt sie die häufigste Indikation für Notfalloperationen in der Viszeralchirurgie dar [10]. In Deutschland werden pro Jahr 130.000 Appendektomien durchgeführt [1]. Durch körpereigene Abwehrmechanismen kann sich in einigen Fällen aus der lokalen Entzündungsreaktion der akuten Appendizitis ein perityphlitischer Abszess als eigenständiges Krankheitsbild entwickeln [13]. Die Möglichkeit der interventionellen Therapie mittels perkutaner Drainage und Antibiotikatherapie bei einem perityphli-

tischen Abszess stellt sich, neben der operativen Therapie oder einer konservativen antibiotischen Therapie, als sicher und sehr effektiv dar [2, 6, 8, 9, 14]. Riesendivertikel hingegen kommen höchst selten vor. Ein Riesendivertikel ist definitionsgemäß ein Divertikel mit mehr als 4 cm Durchmesser [5, 12]. Seit dessen Erstbeschreibung durch Bonvin und Bonte 1946 wurden weltweit 130 Fälle beschrieben [11]. In über 80% der Fälle ist das Riesendivertikel im Colon sigmoideum lokalisiert, und 50% dieser Patienten weisen eine Sigmadivertikulose auf [12]. Die Abdomenübersichtsaufnahme und die Doppel-Kontrastmittel-CT des Abdomens, welche klassischerweise ein „Ballon-Zeichen“ des Riesendivertikels zeigen (. Abb. 2,3), sind bei den bildgebenden Verfahren der aktuelle Goldstandard [3]. Eine Abdomensonographie ist in nur 25% der beschriebenen Fälle von Nutzen [12]. Der Stellenwert der diagnostischen Koloskopie ist begrenzt, da der Eingang zum Divertikel oft zu klein ist und übersehen wird [7, 12]. Der Bariumkontrasteinlauf kann in etwa einem Drittel der Fälle keine Verbindung zum Divertikel darstellen, hat aber eine gute Aussagekraft über den Grad der Ausdehnung der Divertikulose [12]. Die Resektion des Divertikels ist immer kurativ und gilt als Therapie der Wahl, da koinzidenzielle Befunde von Malignomen sowie das Hervorgehen von Adenokarzinomen aus Riesendivertikeln beschrieben wurden [4, 13]. Ein laparoskopisches Vorgehen mit Divertikulotomie ist eine Therapieoption im entzündungsfreien Intervall, bleibt aber ausgewählten Fällen vorbehalten und erfordert die nötige Expertise [3]. In der vorhandenen Literatur wird in den meisten Fällen eine Kolonsegmentresektion mit primärer Anastomose empfohlen. Ob ein offenes oder laparoskopisch-assistiertes Verfahren durchgeführt wird, sollte aufgrund der jeweils vorliegenden Befunde fallbezogen entschieden werden [3, 11]. In unserem dargestellten Fall zeigte sich die CT des Abdomens mit retrogradem Kontrastmitteleinlauf als eine hervorragende ergänzende Untersuchungs-

methode, ein Riesendivertikel differenzialdiagnostisch von einem perityphlitischen Abszess zu unterscheiden.

Fazit für die Praxis F Das Riesendivertikel ist eine ausgesprochen seltene Erkrankung, welche bei unklaren Unterbauchbeschwerden differenzialdiagnostisch zur akuten Appendizitis oder dem perityphlitischen Abszess als zusätzliche Entität in Betracht gezogen werden sollte. F Stellt sich sonographisch eine Raumforderung oder konventionell radiologisch ein Befund mit Spiegelbildung im rechten Unterbauch dar, ist die CT des Abdomens mit retrogradem Kontrastmitteleinlauf zur Diagnosesicherung eine gute Option. F Bei einem symptomatischen Riesendivertikel ist die operative Therapie indiziert. Ein laparoskopisches Verfahren kann bei vorhandener Expertise versucht werden. Die offene Resektion ist aber nach wie vor eine gute und sichere Methode.

  5. Choong CK, Frizelle FA (1998) Giant colonic diverticulum: report of four cases and review of the literature. Dis Colon Rectum 41(9):1178–1185 (discussion 1185–1186)   6. Laganà D, Carrafiello G, Mangini M et al (2008) Image-guided percutaneous treatment of abdominal-pelvic abscesses: a 5-year experience. Radiol Med 113(7):999–1007   7. Mehta DC, Baum JA, Dave PB, Gumaste VV (1996) Giant sigmoid diverticulum: report of two cases and endoscopic recognition. Am J Gastroenterol 91(6):1269–1271   8. Oliak D, Yamini D, Udani VM et al (2001) Initial nonoperative management for periappendiceal abscess. Dis Colon Rectum 44(7):936–941   9. Partecke LI, Müller A, Kessler W et al (2014) Moderne Therapie perithyphlitischer Abszesse. Chirurg 85:622–627 10. Sahm M, Koch A, Schmidt U et al (2013) Acute appendicitis-clinical health-service on the current surgical therapy. Zentralbl Chir 138(3):270–277 11. Sassani P, Singh HM, Gerety D, Abbas MA (2008) Giant colonic diverticulum: endoscopic, imaging, and histopathologic findings. Perm J 12(1):47–49 12. Steenvoorde P, Vogelaar FJ, Oskam J, Tollenaar RAEM (2004) Giant colonic diverticula. Review of diagnostic and therapeutic options. Dig Surg 21:1– 6 13. Walid S, Issam H, Aidan Q et al (2010) Giant sigmoid diverticulum with coexixting metastatic rectal carcinoma: a case report. J Med Case Rep 4:324 14. Zerem E, Salkic N (2007) Comparison of therapeutic effectiveness of percutaneous drainage with antibiotics versus antibiotics alone in the treatment of periappendiceal abscess: is appendectomy always necessary after perforation of appendix? Surg Endosc 21(3):461–466 (Epub 2006 Nov 14)

Korrespondenzadresse Dr. C. Letta Kantonsspital St. Gallen, Standort Flawil, Krankenhausstr. 23, 9230 Flawil, St. Gallen, Schweiz [email protected]

Einhaltung ethischer Richtlinien Interessenkonflikt.  A. Holtz, A. Plebani, N. Talsky, H. Itin und C. Letta geben an, dass kein Interessenkonflikt besteht. Dieser Beitrag beinhaltet keine Studien an Menschen oder Tieren.

Literatur   1. Büchler MW, Wente MN (2009) Akute Appendizitis. Aktueller chirurgischer Stellenwert der Diagnostik und Standards der Therapie. Chirurg 80:577–578   2. Brown CV, Abrishami M, Muller M et al (2003) Appendiceal abscess: immediate operation or percutaneous drainage? Am Surg 69(10):829–832   3. Collin JE, Atwal GSS, Dunn WK, Acheson AG (2009) Laparoscopic-assisted resection of giant colonic diverticulum: a case report. J Med Case Rep 3:7075   4. Chaiyasate K, Yavuzer R, Mittal V (2006) Giant sigmoid diverticulum. Surgery 139(2):276–277

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[A rare differential diagnosis of acute appendicitis].

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