Seltene Komplikation einer pulmonalen Tuberkulose – Rasmussen-Aneurysma – radiologische Diagnose und Therapie

Einleitung !

Obwohl die Inzidenz der Tuberkulose (TBC) in der westlichen Welt sehr niedrig ist und in den letzten Jahren eine weiter fallende Tendenz aufweist, gilt sie mit einer weltweiten Mortalität von über 1,3 Millionen (WHO-Statistik 2012) als eine häufige und lebensbedrohliche Erkrankung. Die 30 Mitgliedstaaten der europäischen Union (EU) sowie die Mitgliedsstaaten der europäischen Freihandelsassoziation (EFTA) zeigen bezüglich TBC-Epidemiologie eine heterogene Verteilung, mit Ländern niedriger, moderater und hoher Inzidenz. Die mittlere Inzidenzrate für das Jahr 2010 betrug 14,6 Fälle pro 100.000; in 22 euro-

päischen Ländern wurde die TBC als eliminiert angesehen, was per definitionem einer Inzidenz von unter 20 Fällen auf 100.000 entspricht (Sandgren A et al. Eur J Microbiol Immunol 2012; 2: 292 – 296). 2007 waren 21 % (range: 0 – 78 % für alle EU Länder) der neuaufgetretenen TBC-Fälle nicht europäischen Ursprungs (Hollo V et al. Euro Surveill. 2009; 14 (11): pii = 19 151). In Abhängigkeit von der Keimvirulenz sowie dem Immunstatus eines Individuums kann eine TBC-Infektion latent bleiben, zu einer primären Tuberkulose oder im ungünstigen Fall zu einer disseminierten Erkrankung führen, was als Miliartuberkulose bezeichnet wird. Zu den bekann-

ten Folgen und Komplikationen einer Lungen-TBC zählen die folgenden: Granulom/Tuberkulom, Aspergillom, Zysten, Bronchiektasen, Empyem, mediastinale Lymphknoten mit möglicher Verkalkung, oesophagomediastinale oder oesophagobronchiale Fistel, Dilatation/Thrombose von Pulmonal- oder Bronchialarterien (Kin HY et al. Radiographics 2001; 21: 839 – 58).

Fall !

Wir berichten über eine 39-jährige Patientin, die über anhaltenden Husten und einen ungewollten Gewichtsverlust von 10 kg in den letzten fünf Monaten sowie abendliches Fieber seit einer Woche klagte. Nachdem die eine Woche zuvor vom Hausarzt verordnete Antibiose (initial Augmentin, dann Ciproxin) zu keiner Besserung geführt hatte und zusätzlich einzelne Blutauflagerungen im Sputum aufgetreten waren, wurde sie in der Notfallaufnahme unseres Zentrumspitals vorstellig. Klinisch präsentierte sich die Patientin in reduzier-

Abb. 1 a Posterio-anteriores Lungenröntgen mit azinär-konfluierenden, flächigen Transparenzminderungen der gesamten linken Lunge und retikulo-nodulären Verdichtungen im rechten Oberlappen. b Seitliches Lungenröntgen mit mehreren kavitierenden Lungenläsionen im linken Oberlappen (Pfeile).

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Abb. 2 a Koronare Rekonstruktion (Lungenfenster, venöse Phase). Multiple Kavernen verschiedener Größe (links > rechts), azinäre Lungeninfiltrate und Tree-in-Bud-Zeichen. b Maximum-Intensitäts-Projektion (MIP) (Weich-

teilfenster, arterielle Phase, axial) zeigt ein RA (Pfeil) im apikalen Unterlappensegment links im Bereich einer Kaverne. c MIP (sagittal) zeigt ein RA (Pfeil) im apikalen Unterlappensegment links im Bereich einer Kaverne.

Abb. 3 a Pulmonalisangiographie mit Nachweis eines RA (1,5 × 1,× 3 cm) aus der apikalen Unterlappensegmentarterie links. b Selektive Sondierung des Aneurysmas, das einen schlanken Hals sowie zwei abführende Gefäße

zeigt. c Postinterventionelle Angiographie nach Spiralembolisation mit vollständig okkludiertem Aneurysma.

tem Allgemeinzustand, tachykard, tachypnoisch mit Rasselgeräuschen links basal sowie apikal und kardiopulmonal kompensiert. Laborchemisch fand sich neben einem erhöhten C-reaktiven Protein (CRP 120 mg/l) eine Leukozytose mit Linksverschiebung und Lymphozytopenie. Zusätzlich zeigte sich enoraler Soor. Vitalparameter bei der Aufnahme: Puls 112. Blutdruck 125/77 mmHg. Temperatur: 39.1 °C, SpO2 94 %. Bei der Aufnahme angefertigtes Thoraxröntgen zeigte ausgeprägte azinär-konfluierende Infiltrate der gesamten linken Lunge, retikulo-noduläre Verdichtungen im rechten Oberlappen und drei große Kavita" Abb. 1). tionen im linken Oberlappen (● Mögliche Differentialdiagnosen: komplizierte Pneumonie, Tuberkulose, Aspergillose, Wegener Granulomatose; Metastasen (a. e. Plattenepithel), septische Embolien, Sarkoidose weniger wahrscheinlich.

Die anschließend durchgeführte Computertomographie (CT) bestätigte linksbetonte Lungenparenchymveränderungen und zeigte, zusätzlich zu den links lokalisierten großen, multiple kleinere Kavernen in beiden Lungenlappen. Im Bereich einer Kaverne im apikalen Unterlappensegment links Nachweis einer 16 × 9 mm messenden, scharf begrenzten ovalären Struktur mit identischem Kontrastmittelverhalten zu den Lungenarterien im Sinne eines pulmonalarteriellen Aneurysmas " Abb. 2), insgesamt gut passend zu ei(● nem Rasmussen-Aneurysma (RA) bei florider Tuberkulose; mögliche Differentialdiagnosen: bakteriell, fungal, vaskulitisch (Bsp. Morbus Behçet) oder im Rahmen eines Malignoms. Die Verdachtsdiagnose einer pulmonalen TBC wurde mittels einer Sputumzytologie mit Nachweis säurefester Mycobacteriumtuberculosis-Stäbchen bestätigt. Die Patientin wurde isoliert und eine tuberkulo-

statische Therapie umgehend initiiert: Ethambutol 100 und 400 mg jeweils 2/Tag; Kombinationspräparat mit Rifampicin120/ Isoniazid 50 mg/Pyrazinamid 300 mg 5/ Tag. Im Laufe weiterer Abklärungen Erstdiagnose eines Diabetes mellitus bei einem Blutzucker von 20 mmol/l. Kein Bakterienwachstum in der Blutkultur. HIV-Test negativ. Bei fortbestehenden Hämoptysen erfolgte eine Bronchoskopie mit Nachweis einer Blutspur im apikalen Unterlappensegment links sowie massiv eitrigem Sekret im gesamten Tracheobronchialbaum. Neun Tage nach initialer Aufnahme hämoglobin- und kreislaufrelevante Hämoptyse mit Transfusion von vier Erythrozytenkonzentraten und einmalige Gabe von Tramexansäure. Protektive Intubation zur Sicherung der Atemwege. Im erneut durchgeführten CT zeigten sich bereits initial beschriebene Lungenparenchymveränderungen sowie das 16 × 9 mm messende RA im apikalen

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Unterlappensegment links. In Zusammenschau mit der Bronchoskopie wurde das RA als ursächliche Blutungsquelle angenommen und die Patientin zur Embolisation zugewiesen. Über die rechte Vena femoralis durchgeführte Pulmonalisangiographie mit Nachweis eines leicht polylobulierten Aneurysmas (1,5 × 1,3 cm) aus der apikalen Unterlappensegmentarterie links mit an" Abb. 3). schließender Spiralembolisation (● Zum Ausschluss weiterer Blutungsquellen selektive Angiographie der Bronchialarterien sowie der A. subclavia, A. mammaria interna und A. phrenica zur Darstellung möglicher systemischer Kollaterale, wobei keine Blutungsquelle identifiziert wurde. Postinterventionelle Überwachung für 24 Stunden auf der Intensivstation in Intubationsnarkose, um forcierte Hustenattacken zu vermeiden. Bei Kreislaufstabilität erfolgreiche Extubation am Folgetag und Verlegung auf die pneumologische Bettenstation. Zwei Monate nach initialer Aufnahme Vorstellung der Patientin wegen kleiner blutiger Sputumauflagerungen, wobei die durchgeführte CT keine aktiven Blutungsquellen zeigte. In weiterer Folge zeigte die Patientin einen günstigen klinischen Verlauf.

Diskussion !

Kenntnis mannigfaltiger Präsentationen der TBC sowie häufiger und seltener Kom-

plikationen ist für den Radiologen essentiell, da ihm eine wichtige Rolle sowohl in der Diagnose als auch bei der Therapie zukommt. Das Rasmussen-Aneurysma (RA) ist die inflammatoriche Erweiterung einer Pulmonalarterie im Bereich einer tuberkulösen Lungenkaverne, das nach seinem Erstbeschreiber, dem dänischen Arzt Fritz Valdemar Rasmussen, benannt ist (Rasmussen V. Edinburgh Med J 1868; 14: 385 – 401). Ein RA wurde in 4 % der Postmortem-Untersuchungen bei Patienten mit chronischer TBC nachgewiesen (Auerbach O. Am Rev Tuberculosis 1939; 39: 99 – 115) und kann aufgrund von Gefäßwanderosion zu Hämoptysen führen. Die Inzidenz von Hämoptysen im Rahmen einer TBC variiert je nach Literatur zwischen 8 und 20 % (Mattox KL et al. Ann Thorac Surg 1974; 17: 377 – 83 und Miller LG at al. Clin Infect Dis 2000; 30: 293 – 9), wobei der überwiegende Anteil der Blutungen (90 %) aus Bronchialarterien oder nichtbronchialen systemischen Arterien (meistens Ursprung aus der A. mammaria int., A. subclavia oder A. phrenica inferior) stammt und nur selten (< 10 %) eine Pulmonalarterie die Blutungsquelle darstellt. Im Unterschied zu Blutungen in anderen Organsystemen, bei denen der Blutverlust selbst zu einem hämorrhagischen Schock führen kann und somit lebenslimitierend wirkt, können bereits geringe Blutverluste im Rahmen einer Hämoptyse aufgrund von Aspiration und Asphyxie lebensbedrohlich sein. Die endovaskuläre Emboli-

sation von Hämoptysen im Rahmen einer TBC ist eine etablierte Therapieoption und stellt auch für Patienten mit schlechter respiratorischer Reserve, die keiner chirurgischen Resektion zugänglich sind, eine bewährte Option dar. Neben Bronchial- und Pulmonalarterien sind weitere, im Rahmen einer aktiven oder abgelaufenen TBC beschriebene Hämoptyseursachen Bronchiektasen, chronische Bronchitis, Aspergillom oder Narbenkarzinom (Raviglione M et al. Harrison’s Principles of Internal Medicine. 2005: 953 – 966). Diese Pathologien führen häufig nur zu einzelnen Hämoptysen geringen Ausmaßes und sind meistens selbstlimitierend oder mit tuberkulostatischer Therapie gut beherrschbar.

Take Home Points !

▶ Das Rasmussen-Aneurysma ist die in▶ ▶

flammatorisch bedingte Erweiterung einer Pulmonalarterie in einer TBCLungenkaverne. Die häufigste Blutungsquelle im Rahmen einer pulmonalen TBC ist eine Bronchialarterie (90 %); nur selten ist ein RA die Quelle (10 %). Die Methode der Wahl zur Behandlung eines RA ist die Pulmonalisangiographie mit Spiralembolisation.

T. Dobrocky, A. Christe, R. Lopez-Benitez, L. Kara, Bern

Franke M, Chang DH. Eine seltene Komplikation: … Fortschr Röntgenstr 2015; 187: 127–129 · DOI http://dx.doi.org/10.1055/s-0034-1384900

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